[Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.]:
Gespeichert in:
1. Verfasser: | |
---|---|
Format: | Artikel |
Sprache: | German |
Veröffentlicht: |
2009
|
Schlagworte: | |
Online-Zugang: | Rezension |
ISSN: | 0081-9077 |
Internformat
MARC
LEADER | 00000naa a2200000 c 4500 | ||
---|---|---|---|
001 | BV046631437 | ||
003 | DE-604 | ||
005 | 20200813 | ||
007 | t | ||
008 | 200317s2009 |||| 00||| ger d | ||
035 | |a (DE-599)BVBBV046631437 | ||
040 | |a DE-604 |b ger |e rda | ||
041 | 0 | |a ger | |
100 | 1 | |a Kreuter, Peter Mario |d 1970- |e Verfasser |0 (DE-588)173494242 |4 aut | |
245 | 1 | 0 | |a [Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.] |c Peter Mario Kreuter |
264 | 1 | |c 2009 | |
336 | |b txt |2 rdacontent | ||
337 | |b n |2 rdamedia | ||
338 | |b nc |2 rdacarrier | ||
655 | 7 | |0 (DE-588)4049712-4 |a Rezension |2 gnd-content | |
773 | 1 | 8 | |g volume:68 |g year:2009 |g pages:536-538 |
773 | 0 | 8 | |t Südost-Forschungen / im Auftr. des Südost-Instituts Regensburg geleitet und hrsg. |d München, 1940- |g 68 (2009), 536-538 |w (DE-604)BV002682738 |x 0081-9077 |o (DE-600)212980-2 |
787 | 0 | 8 | |i Rezension von |a Kohl, Christine von |t Eine Dänin am Balkan |d Klagenfurt : Wieser Verlag, 2008 |w (DE-604)BV035174552 |
856 | 4 | 2 | |m Digitalisierung BSB München 25 - ADAM Catalogue Enrichment |q application/pdf |r Test |u http://bvbr.bib-bvb.de:8991/F?func=service&doc_library=BVB01&local_base=BVB01&doc_number=032042969&sequence=000001&line_number=0001&func_code=DB_RECORDS&service_type=MEDIA |3 Rezension |
940 | 1 | |f sla | |
940 | 1 | |n oeaufsaetze | |
940 | 1 | |q oeaufsaetze_BSB | |
940 | 1 | |q BSB_NED_20190930 | |
999 | |a oai:aleph.bib-bvb.de:BVB01-032042969 | ||
941 | |b 68 |j 2009 |s 536-538 | ||
942 | 1 | 1 | |c 929 |e 22/bsb |f 0904 |g 48 |
942 | 1 | 1 | |c 909 |e 22/bsb |f 0904 |g 496 |
942 | 1 | 1 | |c 306.09 |e 22/bsb |f 0904 |g 496 |
Datensatz im Suchindex
_version_ | 1804181318305579008 |
---|---|
adam_txt |
Quellen Menschen aufAthener Plätzen oder vor einer Fleischauslage. Hier glaubt man die Not der Besatzungszeit direkt vor Augen zu haben. Manche der Bilder haben eine bestechende ästhetische Qualität - etwa die des NikeTempels auf der Akropolis, der Ruinen von Misthra oder der weißen Häuser des Hauptor tes von Astipalaia, viele zeigen vergangene Tätigkeiten und Berufe und besitzen dadurch erheblichen dokumentarischen Wert, aber besonders beeindruckt das tiefe Interesse fur die Tiere und vor allem die Menschen, das aus den Bildern dieses Besatzungsoffiziers spricht. Es ist überaus erfreulich, dass diese Fotografien nun der Vergessenheit entrissen und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Mannheim Harald Gilbert Christine von Kohl, Eine Dänin am Balkan. Zwischen Kosova und Brüssel. Kritische Skizzen. Vorwort v. Wolfgang Petritsch. Klagenfurt: Wieser Verlag 2008 (Europa erlesen/Literaturschauplatz). 193 S., ISBN 978-3-85129-776-8, € 12,95 Was für ein herrliches Buch! Christine von Kohl, am 23.1.2009 im Alter von 85 Jahren verstorben, hat, unbewusst vielleicht, die Quintessenz ihrer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Balkan in diesem kleinen Werk vorgelegt. Um eines gleich vorwegzunehmen.· Dies ist weder eine Autobiographie noch eine Streitschrift für Kosovo und gegen die Bürokraten in Brüssel — beides könnten Titel wie Untertitel ja suggerieren. Nein, dieses Buch ist eine kritische Rückschau, sowohl auf ihr eigenes Verhältnis zum Südosten Europas als auch, und natürlich ganz besonders, auf die Politik der mittel- und westeuropäischen Staaten bzw. der EG
/EU gegenüber dem Balkan. wobei die Autorin dann doch sehr streitlustig wird, ohne jedoch je in billige Polemik zu verfallen. Christine von Kohl, als Dänin geboren und gestorben, war ab 1960 als Auslandskor respondentin in Österreich akkreditiert. Sie entdeckte bald darauf ihre Leidenschaft für Südosteuropa und zog 1968 nach Belgrad, wo sie bis 1985 lebte. Ihre Artikel verfasste sie vor allem für „Die Presse“ und die „Neue Zürcher Zeitung“, daneben war sie für die „Deutsche Welle“ ebenso aktiv wie für den „Deutschlandfunk“ und den „Hessischen Rundfunk“ und arbeitete außerdem für diverse nordeuropäische, vorzugsweise dänische Medien. Nachdem sie nach Wien zurückgekehrt war, fuhr sie fort, Bücher und Berichte über den Balkan zu schreiben. Von 1990 bis 1994 war Christine von Kohl für die „Helsinki Föderation für Menschenrechte“ als Beraterin für den Balkan tätig und gründete den „Ver ein der Flüchtlinge und Vertriebenen aus Bosnien-Herzegowina in Österreich“ sowie das „Kulturni Centar“. Ihr Mann, der 2008 verstorbene Wolfgang Libal, selbst Balkanexperte, war Koautor mehrerer ihrer Bücher. Das hier zu besprechende Werk musste ohne Wolfgang Libals konstruktive Kritik auskommen, war er zum Zeitpunkt der Endredaktion doch schon verstorben. Den Balkan bezeichnet die Autorin als „Lebenselixier [.] Warum? Jedenfalls nicht, weil ich die Völker 536 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen am Balkan ,lieben‘ würde. Völker kann ich nicht lieben, höchstens Individuen, ich bin auch kein Philanthrop, eher das Gegenteil“ (12). Das einzige Bild, das diesen kleinen, grün eingebundenen Band ziert, ist das schwarz-weiße Titelbild. Es zeigt Christine von Kohl vor einem Opel sitzend, eine recht ausgewachsene Löwin im Arm haltend. Nach dem Vorwort von Wolfgang Petritsch („Christine von Kohl - Die Macht des Wortes“, 8-11) und einer knappen Einführung durch die Autorin selbst (12-16) folgen die Hauptkapitel des Buches: „Menschenrechte“ (17-76), „Demokratie“ (77-109) und „Rechts staat“ (110-152). Mit „Sidesteps“ (153-168) teilt von Kohl dem Leser anekdotenhaft einige Begebenheiten aus ihrem Leben mit. Eine knappe „Konklusion“ (169f.), ein „Nachwort“ (171-174) von Herbert Maurer, ein „Nachtrag-in eigener Sache“ (175-179), ein Glossar (180-191) sowie Literaturhinweise ( 192) und eine Danksagung (193) runden den Band ab. „Prinzipiell fußen meine Überlegungen zur Begegnung zwischen der EU und den Staaten Südosteuropas auf den drei sogenannten Säulen der westeuropäischen Kultur: Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaat“ (17, Hervorhebungen im Original). Diese drei „Zauberworte“ (ebenda) sind der rote Faden, der, wie auch an den Kapitelüberschriften ersichtlich, das Buch durchzieht. Dabei ist sie bewusst politisch höchst unkorrekt, und auch ihre Interpretationen dieser Begriffe decken sich nicht unbedingt mit dem, was die hohe Politik gerne darunter verstehen möchte. Wie überhaupt jene „hohe Politik“ ein ums andere Mal ins Zentrum ihrer Kritik rückt. Gleich zu
Beginn, im Kapitel über die Menschenrechte, gibt es ganz klare Aussagen von ihr. Der (Nicht-) Dialog westlicher Politiker mit den Poli tokraten aus Rumänien oder Kroatien, denen es nur darum ging, möglichst rasch vom „Westen“ anerkannt zu werden und die deshalb menschenrechtliches Vokabular gar nicht oft genug im Munde führen konnten, ohne an dem Thema auch nur interessiert zu sein bzw. davon eine Ahnung zu haben, wird fein seziert, um dann zu zeigen, wie sehr der Westen zugleich die ganzen NGOs in den betreffenden Staaten ignorierte, die hier doch der bessere Ansprechpartner gewesen wären (18-20). Izetbegovic vor (37-44) und nach (45-53) Dayton; die Illusion, in Gesellschaften ohne demokratische Traditionen und mit starken patriarchalen Zügen ohne lange Vorbe reitung demokratische Wahlen abhalten zu können (81-83); das Problem der alltäglichen Korruption selbst im Gesundheitswesen, dargestellt anhand von Beispielen aus Bukarest und Sofia (130-135); die völlige Verantwortungslosigkeit der Konzerne bei ihren Geschäften in Südosteuropa und das mangelnde Interesse der Politik an stärkerer Kontrolle (139-145) das sind nur einige wenige Themen, die Christine von Kohl in ihrem Buch bespricht. Ein ums andere Mal zeigt sich der Zusammenprall von gut geschulten, durchaus ehrlichen, aus funktionierenden Zivilgesellschaften stammenden Politikern mit den jeweiligen Eli ten aus Albanien, Bulgarien oder Makedonien, denen Begriffe wie „Minderheitenschutz“ oder „Instanzenweg“ nur Schlagwörter zum Zweck sind, um möglichst rasch die eigenen, politischen wie höchst persönlichen, Ziele
durchzusetzen. Manchmal aber ist auch nur mangelnde Vermittlung Schuld an eklatanten Missverständnissen - die Verhandlungen in Den Haag, die allen rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen, können so rasch als Toleranz gegenüber den Angeklagten umgedeutet und missverstanden werden (29-36). Off arbeitet Christine von Kohl mit Anekdoten, um die zum Teil verwickelten Verhältnisse auf dem Balkan darzustellen. So illustriert sie den doch sehr eigenen Islam des Balkans mit Südost-Forschungen 68 (2009) 537
Quellen einem Erlebnis, das sie in Wien mit einem syrischen Taxifahrer hatte. Dieser sei, wie er ihr erzählte, „als Mudjahedin nach Bosnien gegangen, um den ,Brüdern und Schwestern* zu helfen. Er kehrte aber bald wieder um, angewidert davon, dass in Bosnien-Herzegowina allgemein Alkohol getrunken wurde und keine Frau verschleiert ging. So endete er als Taxifahrer in Wien“ (45f). Wer bei einem Titel wie „Eine Dänin am Balkan“ auf eine Autobiographie gehofft hatte, mag vielleicht ein wenig enttäuscht sein, dass so viel Politik und Krieg und geschichtliche Verwicklungen zur Sprache kommen und einiges an Reiseanekdoten zum Besten gegeben wird, aber kaum etwas über die Autorin selbst zu erfahren ist. Dafür aber wird der Leser ent schädigt mit einer streitbaren, direkten, aber nie bösartigen und stets auf solider Grundlage argumentierenden Christine von Kohl, der man das Engagement für Südosteuropa anmerkt. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass ihr letztes großes Projekt - eine umfangreiche, Geschichte, Tradition und Kultur darstellende Ausstellung über Südosteuropa ֊ sowohl von der österreichischen Regierung als auch von Brüssel trotz allgemeiner Zusagen nicht gefördert wurde und 2005 endgültig ad acta gelegt werden musste. Dafür hinterlässt sie uns dieses Buch. Ein Buch, das nur wärmstens zur Lektüre empfohlen werden kann! Regensburg Peter Mario Kreuter Kryengritja e vitit 1912 në dokumentet serbe [Der Aufstand von 1912 in serbischen Dokumenten]. Hg. Zekeria Cana. Prishtinë: Instituti Albanologjik і Prishtinës 2008. 619 S., ISBN 978-9951-411-56-1 Gegenstand des
vorliegenden Editionsbandes, der von dem im Januar 2009 verstorbenen Historiker und ehemals an der Universität Prishtina lehrenden Professor Zekeria Cana bear beitet und herausgegeben wurde, bildet der albanische Aufstand 1912im Lichte serbischer Archivquellen. Der Aufstand, der im Frühjahr seinen Anfang im Vilayet Kosovo nahm und sich dann auf das gesamte albanische Siedlungsgebiet ausbreitete, hatte keine einheitliche Zielsetzung, sondern war in mehrere Zentren untergliedert. Der Widerstand richtete sich unter anderem gegen neue Steuern, während gleichzeitig gegen die Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung der Wahlen sowie gegen den Ausgang derselben protestiert wurde. Gefordert wurde unter anderem die Ablösung der jungtürkischen Regierung und von den radikaleren Vertretern im weiteren Verlauf des Aufstandes eine Autonomie innerhalb des Osmanischen Reiches. Nachdem die Aufständischen die Macht in Skopje, der damaligen Hauptstadt des Vilayets Kosovo, übernommen hatten und die jungtürkische Regierung infolgedessen auf die meisten Forderungen der Albaner eingegangen war, kam der Aufstand zu einem Ende. In dem Band sind in chronologischer Reihenfolge 460 serbische Dokumente in albani scher Übersetzung publiziert, denen in einem Einleitungskapitel eine 34-seitige detaillierte Beschreibung des Aufstandes von 1912 vorangestellt ist. Die Archivalien umfassen den 538 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Zeitraum von Dezember 1911 bis September 1912 und befinden sich mehrheitlich im Archiv Serbiens (Arhiv Srbije). Hierbei handelt es sich um Quellen, die nahezu ausnahmslos bereits in den 1980er Jahren in dem bis heute fortlaufenden Editionsprojekt der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste in den Veröffendichungen „Dokumenti o spoljnoj politici Kraljevine Srbije, 1903-1914. Bd. 5/1: 1 ./14. januar-14./27. juli 1912“ (Beograd 1984) sowie in „Dokumenti o spoljnoj politici Kraljevine Srbije, 1903-1914. Bd. 5/2: 15./28. juli-4./17. oktobar 1912“ (Beograd 1985) von Mihajlo Vojvodić herausgegeben wurden. Der vorliegende Band umfasst Berichte und Telegramme serbischer Konsuln aus Skopje, Prishtina/Priština, Thessaloniki und Bitola, in geringerer Anzahl auch aus Istanbul, Athen, Sofia, Cetinje, Rom, London, Berlin, Paris und Wien sowie die Korrespondenz zwischen dem serbischen Kriegs-, Außen- und Innenminister. Daneben wurden einige Berichte des serbisch-orthodoxen Seminars in Prizren und serbischer Agenten sowie Polizisten aus heute südserbischen Gebieten aufgenommen. Knapp 30 Dokumente entstammen dem Archiv Montenegros (Arhiv Crne Gore). Hierbei handelt es sich in erster Linie um Berichte des montenegrinischen Konsuls in Shkodra, die an den montenegrinischen Außenminister gerichtet waren. Im Zentrum stehen die Vorbereitung und Entwicklung des Aufstandes, die unterschiedlichen aufständischen Gruppen, ihre Kommunikation untereinander sowie ihre Forderungen. Insgesamt möchte der Herausgeber auch zeigen, dass Kosovo das Zentrum des Aufstandes war, während andere
albanisch besiedelten Gebiete und die dort präsenten albanischen Führer an den Entwicklungen in Kosovo kaum beteiligt waren. Zwar werden im Band wichtige serbische Quellen zum ersten Mal in albanischer Sprache abgedruckt, dennoch wäre es notwendig gewesen, daraufhinzuweisen, dass es sich hier - mit Ausnahme von acht Archivalien — nicht um Erstveröffentlichungen handelt, sondern um die (teilweise ein wenig gekürzte) Übersetzung einer Auswahl von bereits von der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künsten publizierten Berichten. Als Leser vermisst man Fußnoten im Einleitungskapitel, das zudem keinerlei direkten Bezug auf die abgedruck ten Quellen nimmt. Wünschenswert wäre außerdem eine Erläuterung der Editions- und Auswahlkriterien der Dokumente gewesen. Begrüßenswert ist das Projekt dennoch, da auf diese Weise serbische Quellen einer jüngeren Generation von albanischen Wissenschaftlern zugänglich gemacht werden, die im Gegensatz zu der älteren Historikerzunft die serbische Sprache immer seltener beherrscht. Und auch jene internationalen Forscher, die sich mit dem albanischen Raum beschäftigen, des Serbischen jedoch nicht mächtig sind, können das Werk gewinnbringend heranziehen. Insgesamt erweist sich die Edition, die im Anhang auch über ein hilfreiches Orts- und Personennamenregister verfügt, als nützliche Ergänzung zu dem von Nevila Nika herausgegebenen Quellenband „Përmbledhje dokumentesh mbi kryengritjet shqiptare“ (Prishtinë 2003) über die Aufstände in den albanischsprachigen Siedlungsgebieten, aber auch als Dokumentensammlung über Fragen der serbischen Politik
in Kosovo und des serbisch-albanischen Zusammenlebens in dieser Zeit. Wien Südost-Forschungen 68 (2009) Eva Anne Frantz 539
Quellen Elpis Melena, Erlebnisse und Beobachtungen eines mehr als 20-jährigen Aufenthaltes auf Kreta. Mit 12 Phototypien nach Originalen von Joseph Winkler und einer Karte von Kreta. Überarbeitete Neuausgabe des 1892 bei Schmorl von Seefeld Nachf. in Hannover erschienenen Buches. Prolog v. Peter E. Stoetzer. Zehdenick: Pandora Verlag Marianne Schneider 2008. 348 S„ 12 Abb., 1 Kt., ISBN 978-3-938878-02-6, € 24,80 Leben in Griechenland 1834 bis 1835. Bettine Schinas, geb. von Savigny, Briefe und Berichte an ihre Eltern in Berlin. Hg. Ruth Steffen. Münster: Verlag Carl Lienau 2002. 320 S„ 65 Abb., ISBN 978-3-934017-00-2, € 42,Der bayerische Hof in Athen hat eine Reihe von deutschen Persönlichkeiten in den zerbrechlichen kleinen Staat auf dem Spielbrett der Großmächte um die Anatolische Fra ge gebracht, die in Korrespondenz, Memoiren und anderer Kleinliteratur ihre Eindrücke von Land und Leuten, Persönlichkeiten der politischen Bühne, offiziellen und privaten, großen und kleinen Vorkommnissen, Lebensverhältnissen und Denkweisen vermittelten. Diese Literatur gehört zu den qualitativen Quellen der Alltagsgeschichtsschreibung und der vergleichenden Mentalitätsforschung, und dies in einem ganz besonders interessanten Kapitel südosteuropäischer Geschichte, nämlich dem Kulturzusammenstoß zwischen dem monarchischen Rechtsstaat der Bajuwaren nach 1833 und den zerstrittenen Klientelver bänden der lokalen Anführer der aufständischen Griechen bzw. den heimatlos gewordenen und ihrer Privilegien entkleideten griechischen Phanarioten aus dem Osmanischen Reich.1 Dazu zählen etwa die
Korrespondenzschreiben des Ehrenfräuleins J. von Nordenflycht,2 die postumen Memoiren eines Höflings, der das Hoftreiben sehr kritisch beschreibt und sich vehement gegen Fallmerayers Thesen stellt, J. Bar. Ow,3 oder die köstlichen Beobachtungen der dänischen Frau des deutschen Hofpredigers, Christiana Lüth,4 nebst den späteren Erin nerungen von Jetta Spieker, Erzieherin der Töchter Georgs I. am Athener Hof 1886֊ 1889, die in den biographischen Roman ihrer Enkelin, Jetta Sachs,5 eingeflossen sind. Bei den vorliegenden beiden Bänden handelt es sich allerdings nicht um den Athe ner Hof. Die kosmopolitische, in England geborene, in Rom und Genf aufgewachsene Bankierstochter Esperance von Schwartz, gräzisiert Elpis Melaina (1821-1899), 1854 in zweiter Ehe in Rom von ihrem Hamburger Geschäftsmann geschieden, huldigte als begabte Schriftstellerin und Tierschützerin einem unbezähmbaren Reisetrieb, der sie nach Grie chenland, in die Türkei und Nordafrika führte. Ihre Reisebücher waren seinerzeit bekannt und wurden auch ins Englische übersetzt.6 Sie wurde auch zur Vertrauten Garibaldis und lancierte seine Memoiren.7 1865 nahm sie Sitz in Chalepa bei Chania auf Kreta. Als 1866 der kretische Aufstand ausbrach, überredete sie Garibaldi, 500 Freiwillige auf die Großinsel zu schicken, um den Aufstand zu unterstützen. Ihr 20-jähriger Aufenthalt ist von vielfa chen Reisen nach England, in die Schweiz, Italien und Deutschland unterbrochen, wo sie z. B. Beziehungen zu Franz Liszt aufrechterhielt. Darüber berichtet das kurze Vorwort von Peter E. Stoetzer (7-9). Doch ihr Leben widmete sie
neben Salonkontaken, nicht ungefährlichen Reisen und der Schriftstellerei der Idee des Tierschutzes. Selbst auf Kreta gründete sie 1884 den ersten Tierschutzverein des östlichen Mittelmeers, und ihre vielsprachigen Aufrufe gegen die Vivisektion und jegliche Form von Tierquälerei liegen heute noch in der Gennadius- 540 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Bibliothek in Athen (vgl. auch die Bibliographie am Ende des Bandes, 338-348). Elpis Melaina ist jedoch auch der griechischen Volkskunde nicht unbekannt: eine der ersten kretischen Liedsammlungen stammt aus ihrer Feder;8 unter den Totenklageliedern befinden sich Textpassagen mit Reminiszenzen aus dem Charos-Prolog der Tragödie „Erophile“ von Georgios Chortatsis (um 1600) und aus der „Ρίμα θρηνητική“ von Pikatoros, ein weiteres Jahrhundert früher,9 Texte, die die Kapazität der mündlichen Tradition auf der Großinsel nach der Venezianerherrschaft bezeugen. Der Text des Reisebuches selbst schildert die Zustände auf Kreta während ihrer Erkun dungsreise 1866 und 1870.10 Ihr Schreibduktus ist nicht unelegant, der Text (20-305) ist von einem fürsorglichen Fußnotenapparat der Herausgeberin, Marianne Schneider, begleitet, worüber sie in einer editorischen Notiz am Ende (309f.) Rechenschaft ablegt: der selbstverständliche Gebrauch von sechs Sprachen sowie die zahlreichen realia und termini technici, aber das Deutsche der Zeit selbst müssen einem heutigen Leser (das Buch wendet sich an eine breitere Leserschaft) nähergebracht werden. Neben dem Fußnotenapparat wird demnach auch ein Stichwortverzeichnis gebracht (312-337), das den Informationsschatz nach rezenten Kriterien aufschlüsselt. Den schönen Band beschließt ein Schriftenverzeichnis von Elpis Melena und eine Karte von Kreta aus dem Jahr 1899. Nicht weniger interessant, aber in die engen Athener Verhältnisse von 1834/1835 führend, ist der zweite hier anzuzeigende Band.11 Es geht um Bettina Schinas, geb. Savigny,
Tochter von Gunda Brentano und dem bekannten Rechtsgelehrten Friedrich Karl von Savigny, dem Gründer der historischen Rechtsschule; Clemens Brentano und Bettina von Arnim, die Freundin Goethes, waren Geschwister ihrer Mutter. Ihr nur 30-jähriges Leben (1805-1835) endete während einer Epidemie in Athen. 1834 mit dem Juristen Konstantinos Dimitrios Schinas (1801-1857) verheiratet, lebte sie zunächst in Nauplion, der ersten Hauptstadt Griechenlands, um in der Folge nach Athen zu übersiedeln. Ihr Mann, aus nach 1821 verarmter Phanariotenfamilie aus Konstantinopel, war Jusstudent bei ihrem Vater und in der Familie gern gesehener Gast. Er verliebte sich in die intelligente Tochter, und seine Gefühle wurden durchaus erwidert. Nach seiner Rückkehr 1828 ins befreite Griechenland konnte er unter Kapodistrias keinen Posten erlangen. Damit war seiner Auffassung nach an eine Heirat nicht zu denken, und er schwieg auf alle Kontaktversuche der Familie hin. Erst nach der Einsetzung der dreiköpfigen bayerischen Regentschaft unter Otto I. nach 1833 begann er, Georg Ludwig von Maurer nahestehend,12 in politischen Posten Fuß zu fassen, doch die Differenzen seines Mentors mit Graf Armansperg führten schon 1834 zu dessen Rückberufung nach München, wo er vorher Professor für deutsches und französisches Recht gewesen war. Die Hochzeit des Liebespaares, des mittellosen griechischen Recht studenten mit der Professorentochter aus den romantischen Literaturzirkeln der Zeit, die sie ins ferne und unbeständige Griechenland entführen sollte, fand 1834 in Ancona statt, dann ging es flugs nach Nauplion,
und nach der Residenzverlagerung nach Athen mietete das frischgebackene Ehepaar ein einsames Haus mit undichter Decke in der Ebene mit der Straße von Piräus nach Athen. Bald darauf ging Schinas seines Postens als Kulturminister verlustig, fand dadurch aber zur Freude Bettinas mehr Zeit für seine Familie. Nach Bettinas Tod wurde er 1837 Professor für Geschichte und erster Rektor der Athener Universität, Südost-Forschungen 68 (2009) 541
Quellen trat 1841 wieder in den Staatsdienst, später in den diplomatischen Dienst in Wien, Berlin und München und starb 1857 als griechischer Gesandter in Wien. All dies ist ausführlich in einer liebevoll verfassten Einführung (7-31) von Ruth Steffen dargelegt, die als Leiterin der Handschriftenabteilung der Universitats- und Landesbib liothek Münster 1965 den privaten Briefnachlass der Familie von Savigny erwerben und weiterhin anreichern konnte. Auch hier begleitet ein philologisch akribisch zu nennender Fußnotenapparat die „Briefe und Tagebucheintragungen“ (33-290), der nicht nur Schreib weise, Abkürzungen, sondern auch realia, Personen und vieles andere erklärt. Bettina ist eine überaus scharfe Beobachterin, und ihren detaillierten Aufzeichnungen kommt durch aus Quellenwert für die Alltagsgeschichte zu: Wohnverhältnisse, hygienische Zustände, Krankheiten, Marktpreise und Waren in Nauplion 1834, eine Hochzeit wird beschrieben usw. Bettina will ihren Eltern genaueste Rechenschaft darüber ablegen, was sie sieht und hört, ja sie unmittelbar an ihren Erlebnissen teilhaben lassen. Viele der Briefe sind auch durch kurze Notizen ihres Mannes an die geliebten Schwiegereltern ergänzt. Aufgrund seiner Stellung kommt er mit vielen historischen Persönlichkeiten in Kontakt, und Bettinas scharfsichtige Beschreibungen sind nicht uninteressant. Die Herausgeberin fügt auch noch Briefe von Schinas an das Ehepaar Savigny nach dem Tod von Bettina hinzu, die die enge Familienbindung trotz des großen geographischen Abstands bezeugen. Aller Detailliertheit zum Trotz (Wäscheverzeichnis,
testamentarische Bestimmungen, Geldangelegenheiten usw.) ist die Lektüre durchaus spannend zu nennen; aber durch die vielen Abbildungen ist allein schon das Blättern in der Ausgabe ein Genuss. Der auch für ein breiteres Lesepu blikum ansprechende Band endet mit dem Farbporträt Bettinas von 1834, ein Gemälde von Karl Wilhelm Wach (290-293), dem Abbildungsverzeichnis (294£), Literatur- und Quellennachweis (296£), Verzeichnis der Briefe und Tagebuchstücke (299f.) und einem Personenregister (301-320), das dem heutigen Leser und Nichthistoriker für Griechenland eine große Hilfe bietet. Dem Verlag Carl Lienau ist für die gefällige Ausstattung des Bandes, unterstützt durch die Griechische Kulturstiftung und die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, ein Lob auszusprechen. Athen, Wien Walter Puchner 1 Dazu weiterhin in unvergleichlicher Klarheit Gunnar Hering, Die politischen Parteien in Griechenland 1821-1936. München, 2 Bde., 1992 (Südosteuropäische Arbeiten, 90/1, 2), 53-245. 2 Briefe einer Hofdame in Athen an eine Freundin in Deutschland. Leipzig 1835 (1923 auch in griechischer Übersetzung). 3 Aufzeichnungen eines Junkers am Hofe zu Athen. Pest, Wien, Leipzig, 2 Bde., 1854. 1860 wird noch ein philhellenisches Drama von ihm in Innsbruck über den Exodus von Mesolongi veröffent licht, vgl. Walter Puchner, Ενα αβιβλιογράφητο φιλελληνικό έργο „Mesolonghi“ του Jos. Ваг. Ow, Innsbruck 1860, in: ders., Συμπτώσεις και αναγκαιότητες. Athen 2008, 185-210. 4 Μια Δανέζα στην αυλή του‘Οθωνα. Athen 1981; vgl. meine Bespr. in SOFAI (1982), 580-582. 5
Poesie + Algebra. Als Erzieherin am griechischen Hof. Heilbronn 1991. 6 Blätter aus dem afrikanischen Reise-Tagebuch einer Dame, Algerien, Tunis. Braunschweig. 2. Bde., 1849; Hundert und ein Tag auf meinem Pferde und ein Ausflug nach der Insel Maddalena. Hamburg I860; Blicke aus Calabrien und die Iparischen Inseln 1860. Hamburg 1861. 542 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen 7 Garibaldi’s Denkwürdigkeiten. Hamburg, 2 Bde., 1860; Garibaldi in Varignano 1862 und auf Caprera 1863. Leipzig 1864; Garibaldi. Mitteilungen aus seinem Leben, nebst Briefen des Generals an die Verfasserin. Hannover, 2 Bde., 1884 (1885 französisch, 1887 englisch). 8 Κρητική Μέλισσα.
Athen 1873; ein Jahr später von ihr selbst ins Deutsche übersetzt; Kreta-Biene oder kretische Volkslieder, Sagen, Liebes-, Denk- und Sittensprüche. Gesammelt und herausgegeben von Elpis Melena. München 1874. 9 G. K. Mavromatis, Στίχοι της ,,Ρίμας θρηνητικής“ του Πικατόρου σε κρητικό δημοτικό
τραγούδι, Kretologia 7 (1978), 81-100, und ders., Και άλλοι στίχοι της ,,Ρίμας θρηνητικής” του Πικατόρου“ από τη λαϊκή παράδοση, Kretologia 8 (1979), 121f. 10 Griechische Übersetzung auch durch den kretischen Universitätsverlag 2008. 1 ։ Siehe auch die Einzelbesprechung von Hans-Martin Kirchner in
SOF 63/64 (2004/2005), 583f. 12 Georg Ludwig von Maurer wandte die Prinzipien der Rechtsschule ihres Vaters an und strebte mit seinem dreibändigen Monumentalwerk, Das griechische Volk in öffentlicher, kirchlicher und privatrechtlicher Beziehung vor und nach dem Freiheitskampf bis zum 31. Juli 1834.
Heidelberg 1835, eine materialreiche, auf lokale Abfragungen gestützte Erfassung des gebräuchlichen Rechts an. Manóles Papathomopulos/Manóles Barbunēs, Εξορκισηιοίτου ιερ ομονάχον В ενεδίκτου Τζανκαρολου (1627). Editio Princeps. Εισαγωγή ֊ κείμενο - σχόλια [Exorzismen des Mönches Benedictus
Zancarolo, 1627. Editio princeps. Einleitung - Text - Kommenta re]. Athen: Alētheia Ekdoseis 2008. 159 S., 4 Abb.,
ISBN 978-960-89981-7-9, € 14,14 Die Zusammenarbeit des klassischen Philologen Manolis Papathomopulos, emeritus der Universität Ioannina, und des Spezialisten für religiöse Volkskunde Manolis Varvunis von der Universität Thrakien in Komotini hat vor einigen Jahren zu einer mustergültigen, reichlich kommentierten und mit weitreichender Bibliographie versehenen kritischen Aus gabe eines magischen Kodex geführt, der zwar aus dem 19. Jh. stammt, aber auf eine bis in die hellenistische Zeit zurückreichende Tradition von magischen Papyri, Zaubersprüchen, Geisterbeschwörungen usw. zurückführt.1 Hier liegt nun eine Art kontradiktorisches pendant zu diesem umfangreichen Text vor, denn die Bannsprüche und Exorzismusformeln dieser Handschrift stammen von kirchlicher Seite und zielen nicht darauf ab, sich die Geister dienstbar zu machen, sondern im Gegenteil, sie als Dämonen zu verbannen. Der Kodex von 80 ungebundenen Blättern entstammt der Handschriftensammlung im Familienbesitz von Spyros und Maria Malaphouris auf Zante, die der Universität Ioannina zur Auswertung übergeben worden ist, und der Athener Verlag Alētheia („Wahrheit“) eröffnet damit eine Editionsreihe für antike und mittelalterliche griechische Texte, die in kritischer Ausgabe vorgelegt werden sollen. Der Verfasser der Handschrift entstammt einer bekannten Familie im venezianischen Westkreta, die meh rere Klosteräbte hervorgebracht hat. 1645 verlässt er Kreta nach dem ersten Ansturm der Osmanen auf die Großinsel, wobei praktisch nur Candia (Heraklion) nicht in ihre Hände fällt, und lässt sich auf Korfu nieder. Dermaßen
ist die Handschrift auf die Ionischen Inseln gelangt. Darüber berichtet der erste Abschnitt der Einleitung (15-24), worauf Angaben zu Südost-Forschungen 68 (2009) 543
Quellen Exorzismuspraktiken auf Kreta unter der venezianischen Herrschaft aus anderen Quellen folgen sowie die kodikologische Beschreibung der Handschrift. Die Edition selbst (25-98) verfügt über einen apparatusfontium (AT und NT) und einen positiven apparatus criticus, gliedert sich in verschiedene Kapitel, die nicht immer thematische Überschriften besitzen; soweit solche vorhanden sind, beziehen sie sich auf Dämonenbesessene, Mondsüchtige, dem Teufel Verschriebene, Kapitel zu Erkennungszeichen der Dämonen, zur Art und Weise ihrer Entweichung usw. Die Bannsprüche sind manchmal auch mit schematischen Zeichen und Graphemen versehen, die die Edition jeweils getreu wiedergibt. Umfangreich und überaus detailliert sind auch diesmal wieder die Kommentare von Varvunis (99-146), die auf eine Fülle von internationaler Fachliteratur verweisen und eine breite Palette von Themen anschneiden. Der handliche Band endet mit einer Abbreviationsliste und der Basisbibliographie (147-156) sowie einem Sachregister (157-159) und dem Abbildungsteil. Die Literatur zu griechischen Zauberpapyri, magischen Praktiken, Beschwörungsformeln, Bannsprüchen, kirchlichen Exorzismen, magischen Therapien und iatrosophia ist überaus reichhaltig, doch mit solch vorbildlichen kritischen Editionen, sowohl was das Sprachliche und die Quellenverweise betrifft als auch die weiterführenden Kommentare, die die gesamte mediterrane und europäische Tradition umfassen, ist gleich mehreren Wissenschaftszweigen ein unschätzbarer Dienst erwiesen; denn diese Art abergläubischer Volksfrömmigkeit ist ein unabdingbarer
Bestandteil des Alltagslebens breitester Bevölkerungsschichten von der Spätantike bis tief in die Neuzeit hinein und stellt von sich aus einen kontinuierlichen Strang europäischer Kulturtradition dar. Athen. Wien Walter Puchner 1 Βερναρδάκειος μαγικός κώδικας. Εισάγωγον της Μαγείας της πάλαι ποτέ. Athen 2006; vgl. meine Besprechung in SOF65/66 (2006/2007), 803f.; dort auch Beiträge zu O. J. Schmitt (273-302) und H. Sundhaussen (220-249). Regesten der Kaiserurkunden des Oströmischen Reiches von 565-1453.1. Teil, 1. Halb band: Regesten 565-867. Bearb. Franz Dölger. 2. Aufl., unter Mitarbeit von Johannes Preiser-Kapeixer und Alexander Riehle besorgt von Andreas E. Müller. München: Verlag C. H.Beck 2009 (Corpus der griechischen Urkunden des Mittelalters und der neueren Zeit, A/l). XLIV, 261 S„ ISBN 978-3-406-60172-9, € 99,90 Regestenwerke sind seit jeher einerseits ein unverzichtbares Hilfsmittel der Forschung und andererseits für den Verfasser ein undankbares Geschäft, da es dem Kritiker allzu leicht fällt, ihm bei seiner „Regestenschusterei“ Lücken, Fehler und Ungenauigkeiten vorzuwer fen.1 Gerade der oft große zeitliche Umfang, den solche Regesten umfassen, macht es für den einzelnen Verfasser oder Bearbeiter äußerst schwierig, wirklich alle Quellen und die 544 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen gesamte Forschung aufzunehmen, zu beurteilen und adäquat wiederzugeben. So war es eine wirklich große Leistung, als Franz Dölger in den 1920er Jahren mit der Erarbeitung der „Regesten der Kaiserurkunden des Oströmischen Reiches“ begann und binnen weniger Jahre die Regesten 525-1025 und 1025-1204 vorlegte.2 Der dritte Teil, der die Regesten von 1204 bis 1282 behandelte, erschien 1932. Danach gab es allerdings eine lange Lücke, die zum einen sicher der Arbeitsbelastung Dölgers geschuldet war, der neben der normalen Lehrtätigkeit eines Münchener Professors auch die Redaktion der „Byzantinischen Zeit schrift“ übernommen hatte und auch seine sonstigen Forschungen nicht vernachlässigte. Daneben wird man allerdings auch die Zunahme an edierten und unedierten Quellen gerade für die spätbyzantinische Zeit zu berücksichtigen haben, die einer schnellen Fertigstellung im Wege stand. Dieser vierte Teil erschien I960.3 1965 erschien schließlich, jetzt unter Mitarbeit von P. Wirth, der fünfte und letzte Teil mit den Regesten von 1341 bis 1453.4 Schon zu dieser Zeit war klar, dass die ersten Teile des Regestenwerks unterdessen veral tet waren und einer grundlegenden Neubearbeitung bedurften. Es gelang Dölger, hierfür an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften eine Arbeitsstelle einzurichten, die mit Peter Wirth besetzt wurde und nicht nur Dölger bei der Fertigstellung des letzten Faszikels unterstützte, sondern auch eine Überarbeitung des gesamten Werkes vornehmen sollte.5 Die Überarbeitung der Regesten durch Peter Wirth folgte allerdings nicht dem chro nologischen
Ablauf, sondern arbeitete sich umgekehrt von hinten nach vorne vor: 1977 erschienen die Regesten von 1204 bis 1282 in zweiter Auflage.6 Nach einer längeren Pause folgten 1995 die Regesten von 1025 bis 12047 Nach dem Ausscheiden von Peter Wirth übernahm Andreas E. Müller die Bearbeitung und konnte bereits 2003 die Regesten von 867 bis 1025 vorlegen, denen nun 2009 der erste und zugleich letzte Band mit den Regesten von 565 bis 867 folgt.8 Die schnellere Reihenfolge der letzten beiden Bände hat weniger mit einer günstigen Quellensituation und Forschungslage zu tun, sondern ist eine Folge der finanziellen Einschränkungen, die auch zu einer zeitlichen Befristung der Arbeitsstelle führte. Umso größer ist die Arbeitsleistung Müllers einzuschätzen, auch wenn er für den 2. Halbband (Regesten 867-1025) von Alexander Beihammer unterstützt wurde, der die arabischen Quellen auswertete. Beim ersten Halbband war eine direkte Mitarbeit Beihammers nicht zu realisieren, so dass man auf zwei Veröffentlichungen von ihm zu dieser Thematik zu rückgreifen musste.5 Dafür werden als externe Mitarbeiter Johannes Preiser-Kapeller und Alexander Riehle genannt. Gegenüber der ersten Auflage haben sich in diesem (ersten) Halbband naturgemäß gro ße Veränderungen ergeben. Von den ursprünglichen 470 Regesten wurden 13 gestrichen und 76 umdatiert. Vor allem aber kamen 148 Regesten neu hinzu, die meisten davon aus arabischen Quellen. Genauso wichtig sind allerdings wohl die zusätzlichen Angaben in nerhalb der einzelnen Regesten, die Erfassung der seit den zwanziger Jahren erschienenen Sekundärliteratur,
von den neuen Editionen bekannter Quellen ganz zu schweigen. Es ist unvermeidlich, dass bei einer solchen Materialfülle, die sich aus rund drei Jahr hunderten byzantinischer Geschichte und aus über 80 Jahren Forschung ergibt, nicht jeder Aufsatz und jede Quellennotiz erfasst und adäquat diskutiert werden konnte, und es wäre sinnlos und auch unfair, jetzt vereinzelte Fehler und Auslassungen aufzulisten. Natürlich Südost-Forschungen 68 (2009) 545
Quellen kann ein solches umfassendes Regestenwerk nicht dieselbe Genauigkeit und Tiefe bieten, wie man das etwa bei einem auf ein kleineres Gebiet konzentrierten Werk erwarten kann. Als Beispiel könnte man etwa die von Herbert Zielinski herausgegebenen Regesten des Regnum Italiae heranziehen, die in manchen Einzelheiten genauer sind als die hier vorge stellten Regesten. Aber sie behandeln eben auch nur ein wesentlich kleineres Feld, räumlich wie zeitlich gesehen, und der Bearbeiter hatte erheblich mehr Zeit.10 Insofern soll hier auf eine Kritik an konkreten Einzelpunkten verzichtet werden. Manches hätte vielleicht benutzerfreundlicher gestaltet werden können. Die Beibehal tung der von Franz Dölger einführten Zählung führt zu vielen vacati und zu noch mehr Ergänzungsnummern. Jedoch war dies schon von Wirth vorgegeben und konnte daher nicht mehr geändert werden. Zum Glück wurde die konsequente Kleinschreibung, die damals sicher modern war, jetzt aufgegeben. Das Schriftbild hat durch einen neuen Schriftfont eher gelitten, und den Index hätte man sich etwas besser ausgearbeitet gewünscht. Aber das sind nur Kleinigkeiten, die an dem positiven Gesamteindruck nichts ändern. Insgesamt kann man sagen, dass wir mit diesem letzten (eigentlich ersten) Band der von Andreas E. Müller überarbeiteten Dölger-Regesten jetzt wieder über ein hervorragendes Arbeitsmittel verfügen, das der Forschung hoffentlich neue Impulse geben wird. Den drei Bearbeitern ist dafür zu danken. Berlin Ralph-Johannes Lilie 1 So Rudolf Hiestand, „Regestenschusterei“ und ihre Probleme. Methodische und sachliche
Anmerkungen zur Neubearbeitung von Dölgers Regesten der Kaiserurkunden des Oströmischen Reiches, Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik 48 (1998), 147-169 (zur Neubearbeitung des „zweiten Teils“ der Dölger-Regesten mit den Regesten 1025-1204 (s. Anm. 7) durch Peter Wirth 1995). 2 Franz Dölger, Regesten der Kaiserurkunden des Oströmischen Reiches von 565-1453,1: Re gesten von 565-1025. München, Berlin 1924; II: Regesten . 1025-1204. München, Berlin 1928. 3 III: Regesten 1204-1282. München, Berlin 1932; IV: Regesten 1282-1341. München, Berlin 1960. 4 Regesten der Kaiserurkunden des oströmischen Reiches von 565-1453. Bearb. Franz Dölger. 5. Teil (Schluss): Regesten von 1341-1453, unter verantwortlicher Mitarbeit von Peter Wirth. München, Berlin 1965. 5 Ursprünglich war die Aufgabe dieser Arbeitsstelle noch viel weitergehender, denn Dölger schwebte ein grundsätzliches „Corpus der griechischen Urkunden des Mittelalters und der neueren Zeit“ vor, das in Zusammenarbeit zwischen der Bayerischen und der Österreichischen Akademie der Wissen schaften entstehen sollte. Tatsächlich wird es, zumindest soweit die Bayerische Akademie betroffen ist, aber wohl bei den Regesten bleiben. 6 Regesten der Kaiserurkunden des Oströmischen Reiches von 565-1453. Bearb. Franz Dölger. 3.Teil: (Schluss) Regesten von 1204-1282.2., erw. und verb. Auflage, Bearb. Peter Wirth. München 1977. 7 Regesten der Kaiserurkunden des Oströmischen Reiches von 565-1453. Bearb. Franz Dölger. 2. Teil: Regesten von 1025-1204. 2., erw. und verb. Auflage, Bearb. Peter Wirth, mit Nachträgen zu Regesten Faszikel 3.
München 1995. 546 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen 8 Regesten der Kaiserurkunden des Oströmischen Reiches von 565-1453. Bearb. Franz Dölger. I. Teil, 2. Halbband: Regesten von 867-1025. 2. Aufl., neu bearb. von Andreas E. Müller unter verantwortlicher Mitarbeit von Alexander Beihammer. München 2003. 9 Alexander Beihammer, Nachrichten zum byzantinischen Urkundenwesen in arabischen Quellen (565-811). Bonn 2000; ders., Quellenkritische Untersuchungen zu den ägyptischen Kapitulations verträgen der Jahre 640-646. Wien 2000. 10 Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii I. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolin gern 751-918 (926), Bd.3: Die Regesten des Regnum Italiae und der burgundischen Regna, Teil 1: Die Karolinger im Regnum Italiae 840-887 (888), bearb. von Herbert Zielinski. Köln, Wien 1991; Teil 2: Das Regnum Italiae in der Zeit der Thronkämpfe und Reichsteilungen 888 (850-)926. Köln, Weimar, Wien 1998; Teil 3: Das Regnum Italiae vom Regierungsantritt Hugos von Vienne bis zur Kaiserkrönung Ottos des Großen (926-962). Wien, Weimar, Köln 2006. Südost-Forschungen 68 (2009) 547
Rezensionen Historiographie Batak kato mjasto na pametta. Batak ֊ ein bulgarischer Erinnerungsort. Hgg. Martina Baleva/Ulf Brunnbauer. Sofija: Iztok-Zapad 2007.158 S„ ISBN 978-954-321-391-7, €5,Einer der zentralen Erinnerungsorte der Bulgaren ist Batak und das Massaker an seiner Bevölkerung vor dem Hintergrund der Aufstände in Bulgarien im Jahr 1876. Der Frage nach der Bedeutung sowie der Entstehung und den Konstruktionsmechanismen der Erinnerung an Batak wurde im Projekt „Feindbild Islam - Geschichte und Gegenwart antiislamischer Stereotype in Bulgarien am Beispiel des Mythos vom Massaker in Batak“ nachgegangen, das von 2006 bis 2008 am Osteuropa-Institut der FU Berlin unter der Leitung von Ulf Brunnbauer durchgeführt und von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu kunft“ sowie der Robert-Bosch-Stiftung gefördert wurde. Als Teil dieses Projektes war für Mai 2007 auch die Ausstellung „Batak als bulgarischer Erinnerungsort“ im Nationalen Ethnographischen Institut mit Museum der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften geplant, zu deren Eröffnung eine wissenschaftliche Tagung stattfinden sollte. Nach massiven Drohungen, die Ulf Brunnbauer und die Projektbearbeiterin Martina Baleva erhalten hatten, und heftigen Reaktionen in den bulgarischen Medien mussten schließlich die Ausstellung und die Konferenz in Sofia abgesagt werden. Fälschlicherweise wurde den Wissenschaftlern vorgeworfen, sie würden das Massaker leugnen und seine Opfer verleumden.1 Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um den Katalog zur Ausstellung. Ziel dieser war es, „hinter die visuellen Mechanismen
kollektiver Sinnstiftung in Bulgarien zu blicken und den Blick für einen kritischen Umgang mit historischen Bildzeugnissen zu schärfen“ (13). Gerade Bilder haben eine herausragende Bedeutung in der Entstehung eines kollekti ven Gedächtnisses. Im Vorwort wird betont, dass die Ausstellung nicht an den historischen Ereignissen zweifelt, sondern aufzeigen möchte, wie Bilder für Erinnerungskonstruktionen eingesetzt und instrumentalisiert werden. Der Ausstellungskatalog enthält neben Informa tionen zu dem ausgestellten Bildmaterial (Fotos, Postkarten, Illustrationen aus Zeitungen und Zeitschriften) Beiträge von Wissenschaftlern aus Bulgarien und Deutschland, die sich mit diesen Fragen ausführlich auseinandersetzen. Die Kunsthistorikerin Martina Baleva beeindruckt in ihrem Artikel „Das Bild von Batak im kollektiven Gedächtnis der Bulgaren“ (bulg. 15-32, dt. 33-47) mit Arbeitser gebnissen ihrer Dissertation. Sie geht der Frage nach, wie und weshalb Batak zu einem der wichtigsten Erinnerungsorte der Bulgaren wurde und welche visuellen Mechanismen hierbei wirksam waren. Ihre zentrale These ist, dass das 1892 entstandene Gemälde „Das Massaker von Batak“ des polnischen Künstlers Antoni Piotrowski eine entscheidende Rolle in der Formierung der kollektiven Erinnerung der Bulgaren an Batak spielte. Anhand einer detaillierten Beschreibung des Gemäldes und der Auswertung mehrerer zeitgenössischer Quellen — unter anderem der Autobiographie Piotrowskis, der Widerstandschronik von Zachari Stojanov, eines Augenzeugenberichtes der Ereignisse in Batak und einiger Zei tungsberichte - weist
Baleva zudem nach, dass die beiden Fotografien, die als Vorlage für das Gemälde dienten und bis heute als authentische Zeugnisse des Massakers in Büchern 548 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen und Bildbänden abgedruckt werden, nicht, wie bisher angenommen, bereits zwischen 1876 und 1878 entstanden, sondern von Piotrowski inszeniert und zwischen 1886 und 1888 aufgenommen wurden. „Wir inszenierten die Szene des Massakers vor der Schule“, schreibt Piotrowski. „Die Christen hockten sich hin, und die Pomaken, die Ärmel ihrer türkischen Kleidung hochgekrempelt, standen breitbeinig und hielten in ihren Händen Krummsäbel, Dolche und Schwerter. Einige versuchten sogar, ihren Gesichtern einen grausamen Ausdruck zu verleihen“ (36). Während zunächst das Massaker im Mittelpunkt der Deutungen stand und sich in diesen das Bild vom „türkischen Joch“ widerspiegelt, setzte sich in Bulgarien immer stärker die Vorstellung eines heroischen Aufstandes der lokalen Bevölkerung gegen die Osmanen durch. Dem Artikel von Baleva folgen weitere Beiträge von Kunsthistorikern. Dimitär G. Dimi trov skizziert die Bedeutung und den Werdegang Piotrowskis als Maler und analysiert dessen Gemälde des Massakers von Batak (buig. 50-55, dt. 56-61). Seiner Interpretation zufolge entwarf Piotrowski, der Hofmaler der bulgarischen Fürsten Alexander und Ferdi nand war, das 1892 auf der Ersten Nationalen Ausstellung in Plovdiv ausgestellte Bild für die bulgarische Gesellschaft. Die Kunsthistorikerin Monika Flacke, Sammlungsleiterin am Deutschen Historischen Museum in Berlin, gibt in ihrem Beitrag einen Überblick über ihre 1998 kuratierte Ausstellung „Mythen der Nation. Ein europäisches Panorama“, die anhand von Gemälden, Grafiken, Schulbüchern und Münzen die Nationswerdung von 18 europäischen
Ländern von 1800 bis 1914 illustrierte (bulg. 62-69, dt. 70-75). Sie betont die Parallele zur Ausstellung über Batak. Auch hier wird die herausragende Bedeutung von Bildern für die Herausbildung nationaler Identitäten deutlich. Einen kritischen Beitrag liefert der bulgarische Kulturwissenschaftler Rumen Daskalov, der die Vorstellung von der bulgarischen „Wiedergeburt“ hinterfragt (bulg. 78-83, dt. 84-89). Diese stelle eine „Funktion des Gründungsmythos der Nation“ (84) dar, während sowohl die vorherige Zeit der osmanischen Herrschaft, als auch die erfolglosen Balkankriege 1912/1913 negativ bewertet würden. Er konstatiert, dass die Historiographie über die Wiedergeburtszeit „als nicht oder nur halb eingestandenes Ziel die Aufgabe [habe], nationale Identität zu stiften und zu reproduzieren“ (88). Dadurch sei eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Zeit nicht möglich. Zudem bemängelt er, dass zwischen professioneller Geschichtsschreibung, Populärwissenschaft und Abfassungen von Schulbüchern keine scharfen Grenzen existieren. Ulf Brunnbauer diskutiert in seinem Beitrag Batak als nationalen und regionalen Erinnerungsort (bulg. 90-97, dt. 98-105). Hier arbeitet er verschiedene Ebenen und Topoi heraus und geht der Frage nach, welche Erzählstrategien wirksam waren und was erinnert bzw. verschwiegen wird. Für Brunnbauer fügt sich die Erinnerung an Batak in eine „mythi sche Erzählung“ ein, womit er aber nicht die Ereignisse leugnen, sondern vielmehr zeigen möchte, dass „ihre Repräsentation verschiedene Ziele abseits der Aussage über konkrete Fakten verfolgt. Es geht darum, die
Komplexität der Welt zu reduzieren, die Kontingenz der Vergangenheit zu einer kohärenten Geschichte zu destillieren, Widersprüchlichkei ten in Schwarz-Weiß-Malereien aufzulösen, den Ort des Geschehens in eine attraktive Meistererzählung zu integrieren und damit emotionale Grundbedürfnisse der Betrachter zu befriedigen“ (100). Im Folgenden analysiert er zwei Bedeutungsstränge: zum einen das auf dem gesamten Balkan aufzufindende Motiv des heroischen Freiheitskampfes der Südost-Forschungen 68 (2009) 549
Historiographie Gebirgsbewohner, des Widerstandes gegen die Osmanen und der Opferbereitschaft aller Bulgaren im Namen der nationalen Freiheit; zum zweiten beleuchtet er die für Bulgarien heikle Frage, inwieweit Muslime (Pomaken) aus den umliegenden Dörfern am Massaker beteiligt waren. Der Vorstellung von einem konfliktfreien Zusammenleben von Christen und Muslimen im Osmanischen Reich, das als zentrales Argument die These stützen soll, die Pomaken seien zwangskonvertierte bulgarische Christen und Teil der bulgarischen Na tion, widerstrebt, dass lokale Muslime an den Massakern beteiligt waren, ebenso aber auch Muslime im Aufstand getötet wurden. So schweigt die bulgarische Nationalhistoriographie wie auch das in seiner heutigen Form 1976 eröffnete historische Museum in Batak über die Rolle der lokalen muslimischen Bevölkerung. Hier wird der Freiheitskampf der Bataker hervorgehoben, der bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs dargestellt wird. Der Historiker Alexander Vezenkov skizziert in seinem Beitrag die jüngsten Debatten über das Massaker von Batak (buig. 110-116, dt. 117-124). Unterschiedliche Meinungen existieren über die Frage, in welchem Maße Batak auch Schauplatz eines Aufstandes, ver gleichbar mit anderen Orten in Bulgarien, war, der frühzeitig unterdrückt werden konnte, oder ob es sich um ein Massaker an einer friedlichen Bevölkerung handelte. Vezenkov skizziert die teils politisch motivierten Interpretationen von 1876 bis heute. Während in den Jahren 1876/1877 das Massaker an einer unschuldigen Bevölkerung in den Vordergrund gerückt wurde, um sich die
Unterstützung der europäischen Großmächte zu sichern, wurden nach der Gründung des bulgarischen Staates der Aufstand idealisiert und das Heldentum der Bewohner betont. Gegenwärtig bildet die Frage nach der Beteiligung der Pomaken einen der zentralen Streitpunkte. Heute betont die nationalbulgarische Geschichtsschreibung die Teilnahme regulärer Truppen und schmälert die Rolle einzelner lokaler Muslime. Die Anthropologin Evgenija Troeva-Grigorova untersucht anhand von Interviews, mündlichen Volkserzählungen, literarischen Werken und lokalen Forschungen Erinne rungsinhalte bei Pomaken und Bulgaren (buig. 125-130, dt. 131-137). Bei beiden existieren regional unterschiedliche Interpretationen. So vertreten Pomaken aus den Nachbardörfern von Batak die Meinung, das Massaker sei durch Gräueltaten, die die Bataker zuvor an Muslimen verübt hätten, provoziert worden, während weiter entfernt siedelnde Pomaken überzeugt sind, Pomaken hätten an der Niederwerfung des Aufstandes gar nicht teilgenom men. Auf bulgarischer Seite wiederum erzählt die lokale Bevölkerung aus der Umgebung von Batak, das Massaker sei von „Pomaken“ aus den benachbarten Dörfern begangen worden, während die meisten Bulgaren die „Türken“ als die Täter betrachten, ein Bild, an dessen Verbreitung Presse und Schulen intensiv mitgewirkt haben und das die in vorigen Artikeln bereits thematisierte Neuinterpretation der Ereignisse in Batak erneut vor Augen führt. Die Philosophin und Ethnologin Evgenija Ivanova beleuchtet schließlich anhand von Interviews und Autobiographien die „schwankende Nachbarschaft“ (148) zwischen
Christen und Muslimen (bulg. 142-147, dt.148-155). Hierunter versteht sie die Frage, wie sich freundschaftliches Nebeneinander von Christen und Muslimen in Konflikt umwan deln konnte. Am Beispiel Bataks und des muslimischen Nachbardorfes Barutin spürt sie gemeinsamen und getrennten Lebenswelten nach. Der vorliegende, zweisprachig auf Bulgarisch und Deutsch veröffentlichte Band geht weit über einen reinen Ausstellungskatalog hinaus. Auch wenn einzelne Beiträge aufgrund dieser 550 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Konzeption teilweise eher knapp gehalten wurden, überzeugt der Band, indem er ein de tailliertes und multiperspektivisches Bild von einem zentralen bulgarischen Erinnerungsort, dessen Entstehung und Weiterentwicklung bis in die Gegenwart bietet. Begrüßungswert ist neben der ausführlichen Behandlung der Pomaken und des Spannungsverhältnisses zwischen nationaler und regionaler Erinnerungskultur insbesondere die gelungene Verschränkung von kunsthistorischen und geschichtswissenschaftlichen Herangehensweisen für die Erfor schung nationaler Erinnerungskultur. Die heftige Reaktion in Bulgarien ist erschreckend und nur schwer verständlich ֊ die Beiträge wurden teilweise grob missverstanden. Sie findet bedauerlicherweise Parallelen in ähnlichen Entwicklungen im albanischsprachigen Raum und in Serbien, wo jüngst Oliver Jens Schmitt aufgrund seiner Skanderbeg-Biographie2 und Holm Sundhaussen aufgrund seiner Serbien-Monographie3 massiv angegriffen wurden. Wien Eva Anne Frantz 1 Alexander Vezenov, Das Projekt und der Skandal „Batak“, Südosteuropa 58 (2010), H. 2, 250272. 2 Skanderbeg. Der neue Alexander auf dem Balkan. Regensburg 2009. 3 Geschichte Serbiens. 19.-21. Jahrhundert. Wien, Köln, Weimar 2007. Dritan Egro, Historia dite ideologjia. Një qasje kritike studimeve osmane në historiografinë moderne shqiptare (nga gjysma e dytë e shek. XIX deri me sot) [Geschichte und Ideologie. Eine kritische Annäherung an die osmanischen Studien in der modernen albanischen Geschichtsschreibung (von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis heute)]. Tirana: Maluka 2007. 244 S„ ISBN
978-99956-654-1-8 Im südosteuropäischen Vergleich bekundet Albanien erhebliche Mühe, den Übergang von der kommunistischen Diktatur in eine demokratische Gesellschaft mit Meinungsviel falt zu vollziehen. Die Entwicklung der Geschichtswissenschaft, die in Albanien wie in den Nachbarstaaten immer noch eine stark identitätsstiftende Funktion aufweist, ist ein getreuer Spiegel dieses unvollkommenen und von zahlreichen Rückschlägen geprägten Wandels. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen erfolgte nach 1991 kein eigentlicher Bruch. Vielmehr ist eine weitgehend nahtlose Kontinuität der Eliten zu beobachten. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Historiker im kommunistischen System in Albanien durch das Fehlen einer starken Vorkriegstradition in der Geschichtsforschung verschärft - blieb aus. Immer noch lehnen führende Historiker eine Infragestellung des albanischen Geschichtsbildes und eine breite Diskussion der von ihnen erarbeiteten Deu tungskategorien entschieden ab, wobei über die sonst trennend wirkenden Parteigrenzen eine bemerkenswerte zünftische Solidarität zutage trat. Nicht professionelle Historiker, sondern außerhalb staatlicher Einrichtungen wirkende Intellektuelle, wie Fatos Lubonja, Ardian Klosi, Artan Puto, Ardían Vehbiu u. a., leisten den wichtigsten Beitrag zur Ausbildung Südost-Forschungen 68 (2009) 551
Historiographie von Geschieh tsvors tell ungen, welche die internationale Forschung zur Kenntnis nehmen und für albanische Fragestellungen fruchtbar machen. Das Schweigen der Berufshistoriker hat nun einer der ihren, der in Tirana arbeitende Osmanist Dritan Egro, mit einem Werk gebrochen, das als Stellungnahme angesichts des immer noch vorherrschenden Konformismus besonders hervorzuheben ist. Egro beschäf tigt sich in seinem Werk mit seinem Spezialgebiet, der osmanischen Geschichte, deren Methoden er bei Halil İnalcık erlernt hat. Tatsächlich gehen die meisten Bemerkungen und Interpretationen über diesen Bereich hinaus und gelten der albanischen Geschichts forschung in toto. Die osmanische Periode eignet sich für eine kritische Betrachtung der albanischen Forschung besonders, weil sie in der gängigen offiziellen Geschichtsdeutung im Vergleich zu den Standardthemen (illyrische Kontinuität, Skanderbeg, „nationale Wie dergeburt“ und 2. Weltkrieg) stets ein Schattendasein geführt hatte, und dies obwohl die halbtausendjährige osmanische Herrschaft einen Schlüssel zum Verständnis der heutigen albanischen Verhältnisse darstellt. Egros Studie ist in einen chronologisch und einen thematisch angelegten Teil gegliedert („Der Gang der osmanischen Studien“, 37-131; „Wesentliche Thesen und Arbeiten“, 132198). Der erste Teil kann als knapp gefasste albanische Kulturgeschichte der letzten 140 Jahre gelesen werden: Er setzt ein mit den ersten Gehversuchen albanischer Intellektueller im Umgang mit der eigenen Geschichte, die sowohl in der von den muslimischen Eliten gepflegten Tradition
der osmanischen Geschichtsschreibung erfolgten wie unter dem Einfluss, und bisweilen auch durch das unmittelbare Eingreifen, des Abendlandes. Wis senschaftliches Niveau erreichte diese Publizistik - mit Ausnahme eines Werkes, das aber nicht von seinem vermeintlichen albanischen Verfasser (Stefan Curani), sondern von dem ungarischen Balkanhistoriker Ludwig von Thallóczy geschrieben worden war - nicht. Es ist bezeichnend, dass es der genannte Thallóczy war, der den bis heute bestehenden Themen kanon der albanischen Geschichtsforschung im Wesentlichen ausformulierte. Ob sich an der Einstellung derselben zu ihren Arbeitsmustern nach der albanischen Veröffentlichung von Thallóczys Autorschaft etwas ändern wird, muss sich noch erweisen.1 Egro gliedert die Epoche vor der Schaffung wissenschaftlicher Einrichtungen im Kommunismus in drei Phasen: die „romantische Geschichtsliteratur“ (zweite Hälfte des 19. Jh.s bis 1912), das „patriotische Segment der nationalistischen Geschichtsschreibung“ in der kritischen Zeit zwischen der Unabhängigkeitserklärung (1912) und der Verfestigung des instabilen Staa tes (1920); schließlich die „nationalistische Historiographie“ der Jahre 1920-1945. Egro legt großen Wert auf die angemessene Einordnung von Autoren wie Lumo Skendo und Kristo Dako, Faik Konica und Eqrem Vlora, aber auch betont christlich argumentierender Historiker wie Athanas Gegaj oder der italienischen Gelehrten Giuseppe Valentini und Fulvio Cordignano, deren Schaffen nach 1945 von den kommunistischen Parteihistorikern totgeschwiegen worden war. Zwar verweist er bei den Erstgenannten
auf den nur halbwis senschaftlichen Charakter der Veröffentlichungen („vorwissenschaftlich“, „parashkencor“, 73), spricht ihnen aber bei der Schaffung deutender Muster eine wichtige Stellung zu. Obwohl er indirekt die katholische Deutung der osmanischen Periode kritisiert, hebt er die zentrale Stellung von Zeitschriften wie „Leka“ und „Hylli і dritës“ deutlich hervor, und damit die organisierte Beschäftigung mit der albanischen Vergangenheit im katholischen 552 Südost'Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Milieu Shkodras, das nach 1945 von dem kommunistischen Regime gezielt zerstört wor den ist, was eine Schwerpunktverschiebung nach Süden auch in der Geschichtsforschung zur Folge hatte. Wichtig sind auch Egros Ausführungen zu jenen Grundlagen, auf denen die kommunistische Historiographie aufbaute, ohne sie je beim Namen zu nennen: zum einen die 20.000 Bände zählende Privatbibliothek Lumo Skendos, später Grundstock der albanischen Nationalbibliothek, zum anderen das im faschistischen Albanien geschaffene „Königliche Institut für albanische Studien“ („Instituti mbretëror і studimeve shqiptare/ Istituto Reale di Studi albanesi“), in dessen Rahmen Giuseppe Valentini und der später auch im kommunistischen Albanien bedeutsame Sprachwissenschaftler Eqrem Çabej wirkten. Einen tiefen Einschnitt bildet die kommunistische Machtergreifung. Nach 1945 wurde in Albanien mit dem Aufbau wissenschaftlicher Einrichtungen und damit der Systematisierung der Forschung begonnen, bis 1948 unter jugoslawischer Anleitung, dann aber bis 1961 unter maßgeblicher Übernahme des sowjetischen Modells in Organisation und Deutung. Eine neue Elite kam an die Macht, deren erste Generation noch im Westen ausgebildet worden war (so der führende Parteihistoriker Aleks Buda), deren Hauptgruppe aber sowjetische Universitäten besucht hatte. Da nichtkommunistische Wissenschaftler entweder umge bracht, inhaftiert oder ins Exil gezwungen worden waren, konnten die neuen Machthaber ihr Geschichtsbild ungehindert aufbauen und damit jene Deutungen entwickeln, die bis heute weitgehend konkurrenzlos bestehen.
Egro beschreibt den Institutionenaufbau (u. a. die Sammlung von osmanischem Archivmaterial und die Beschlagnahmung reicher Privat bibliotheken) und wendet sich dann der zentralen Rolle der kommunistischen Partei und des Diktators Enver Hoxha zu, der die Geschichtsschreibung als grundlegendes Mittel zur ideologischen Absicherung seiner Macht sah und entsprechend einsetzte. Eine willfährige Zunft folgte jeder der zahlreichen politischen Kurswechsel und rechtfertigte diese mit (pseudo)historischen Argumenten. Kaum ein Bereich der Wissenschaft wurde derart stark von der Partei überwacht wie die Historiographie. Egro hebt hervor, dass diese von 1945 bis 1990 einen „offiziellen Charakter“ (99) aufgewiesen habe: „Während der kommunis tischen Periode wurden die Historiker als Unterstützer der offiziellen Ideologie angesehen und ihre politische Mission ist stets auf die gleiche Stufe - wenn nicht noch mehr ֊ mit ihrem wissenschaftlichen Auftrag zu stellen“ (ebenda). Kein albanischer Fachhistoriker hat bisher so luzide die verhängnisvolle Verquickung von Politik und Geschichtswissenschaft in Albanien erläutert. Besonders hervorzuheben sind die Ausführungen zur Selbstisolierung und die Wendung in einen dumpfen Nationalismus, der in erheblichen Teilen bis heute die Verhaltens- und Denkweise vieler Historiker bestimmt. Die völlige Verweigerung der Auseinandersetzung mit nichtalbanischen Historikern führte die albanische Forschung in eine andauernde Provinzialität. Es überwog der Positivismus, die Darstellung von „Fakten“, die aber ganz in den Dienst der herrschenden Ideologie gestellt
wurde. Egro fuhrt aus, dass aber nicht einmal auf dieser Stufe die albanische Geschichtsforschung ein angemessenes Niveau der Quellenpublikation und -interpretation erreicht habe (103). In der Tat genü gen viele Editionen internationalen Maßstäben nicht. Die osmanischen Studien waren von vornherein von der negativen Bewertung dieser Zeit durch den Chefhistoriker Aleks Buda, aber auch den führenden Osmanisten Selami Pulaha gekennzeichnet: „Rückschritt und Stagnation“ auf dem Weg zum unabhängigen Nationalstaat wurden festgestellt (106). Südost-Forschungen 68 (2009) 553
Historiographie Während die Parteihistoriker nach außen hin auftraten, übernahmen noch osmanisch ge prägte Intellektuelle wie Vexhi Buharaja oder Myqerem Janina im Stillen die Aufarbeitung des Materials. Im Vergleich zur Osmanistik in Jugoslawien und Bulgarien vermochte die albanische Osmanistik aber nicht einmal, eine regionale Ausstrahlung zu erreichen. Wie die meisten anderen Zweige der albanischen Geschichtswissenschaft blieb sie auf sich selbst bezogen, ganz im Dienst der herrschenden isolationistischen Ideologie stehend. Egro stellt demgegenüber die kosovo-albanische Forschung dar, deren führender osmanistischer Vertreter, der wegen seiner Nähe zur Regierung heute umstrittene Hasan Kaleshi, sowohl in seinen Deutungen wie in seinen internationalen Beziehungen die Forscher in Albanien selbst übertraf. Den zweiten wichtigen Einschnitt in der albanischen Geschichtswissenschaft bildet der Systemwechsel von 1990/1991, dessen Folgen für die Forschung nirgends so eindringlich beschrieben werden wie bei Egro. So hebt er die Verlagerung der Veröffentlichungen von wissenschaftlichen Zeitschriften in die naturgemäß ephemeren Zeitungen hervor, den damit verbundenen Verlust an Professionalität, das Wuchern pseudowissenschaftlicher sensati onsorientierter Publizistik, eine bis heute andauernde vielstimmige Kakophonie, der die traditionellen Zeitschriften nichts entgegenzusetzen haben. Die vom Akademieinstitut für Geschichte herausgegebene Zeitschrift Studime historike ist ein Sinnbild des intellektuellen Stillstands und der Verweigerung gegenüber jedweder Methodendiskussion.
Demgegenüber übernimmt die Kulturzeitschrift Përpjekja die Aufgabe, jüngeren Wissenschaftlern, die mit neuen Methoden und Fragestellungen arbeiten, eine Plattform zu bieten. Die Haltung der meisten albanischen Historiker angesichts der Herausforderung durch die junge Genera tion und angesichts des Kontakts mit Kollegen außerhalb des Landes umschreibt Egro mit dem Sprichwort „Ich bin König in meinem Land“ und merkt an, dass „dieser ,albanische König“ international überhaupt nicht anerkannt ist und auch nicht ernstgenommen wird“ (126), eine bittere Erkenntnis, die auszusprechen in der gegenwärtigen Lage Albaniens Mut erfordert. Im zweiten Hauptteil seines Buches bietet Egro die bislang beste Kritik des albanischen Geschichtsbildes insgesamt, das, wie gezeigt, — was Egro noch nicht bekannt war - auf Ludwig von Thallöczy zurückzuführen ist. Es ist gewiss eine Ironie, dass eine derart nationalistische und zeitweise ausgesprochen xénophobe Forschung wie die albanische sich, ohne sich dessen bewusst zu sein, auf ein von außen geschaffenes Deutungsmuster stützt. Egro zeigt den Erfolg des von Thallöczy entworfenen Bildes auf, der sich durch das gesamte 20. Jh. hindurch bis auf die Gegenwart zieht. Danach geht er auf einzelne For schungsschwerpunkte der albanischen Osmanistik ein, so die städtische Gesellschaft und das Zunftwesen (Zija Shkodra) sowie die Islamisierung (auch heute eine der umstrittensten Fragen), wobei Historiker in Albanien und im Kosovo das Phänomen sehr unterschied lich bewerteten: hier Fremdherrschaft, da Islamisierung als Schutz vor Slawisierung und orthodoxem
Einfluss. Hier vergibt Egro die Möglichkeit, noch mehr auf den politischen Charakter der Interpretationen kosovo-albanischer Osmanisten (H. Kaleshi, Skënder Rizaj, Muhamet Tërnava) einzugehen, ebenso auf die ethnopolitische Rolle von Selami Pulahas Arbeiten zur Bevölkerungsgeschichte des Kosovo im späten 15. und im 16. Jh., die von grundlegender Bedeutung für den albanischen historischen Anspruch auf das Kosovo sind. 554 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen In der Diskussion der Bewertung der Islamisierung ist die Bemühung bemerkbar, den Islam vom Ruch der Religion der Besatzer zu befreien und ihn als integralen Bestandteil der albanischen Geschichte im Rahmen einer weitgefassten osmanischen Geschichte zu verstehen. Nur indirekt nimmt Egro Stellung zu der seit 2006 anhaltenden heftigen Debatte um die kulturelle Identität der Albaner und der Bedeutung des Islam. In einem nächsten Abschnitt behandelt er die Forschungen zum çiftlik-Wesen (Stavro Naçi, Selamı Pulaha, Petriką Thëngjilli) sowie den großen Paşa um 1800 (Ali Paşa Bushatlliu). Ein eigenes Kapitel ist der für das albanische Nationalverständnis so wichtigen Liga von Prizren gewidmet, die nach der Zeit Skanderbegs als „zweite Krone des albanischen Ruhms“ gefeiert wurde (184, Zitat des Publizisten Mustafa Merlika Krujas) und im kommunistischen Geschichtsbild einen zentralen Platz einnahm als Etappe auf dem Weg zum Nationalstaat und der sozialen Veränderung und damit als Stufe in der marxistischen Geschichtsteleologie. Hier hätte man sich eine Auseinandersetzung mit den Forschungen Nathalie Clayers gewünscht, die den Charakter des Kosovo als „Wiege des albanischen Nationalismus“ mit starken Argumenten in Frage gestellt hat. Die Unabhängigkeitserklärung von 1912 stellt einen entscheidenden Fluchtpunkt sowohl der nichtkommunistischen wie der kommunistischen Geschichts deutung dar. Egro hat selbst vor Kurzem eine neue Deutung der Ereignisse vorgestellt, die nicht von einem Bruch, sondern von einer Elitentransition ausgeht. Ein letzter Abschnitt wendet sich der
Kunstgeschichte zu. In einem abschließenden Teil zieht Egro Bilanz und formuliert Forderungen für die Verbesserung der schwierigen Lage der albanischen Geschichtswissenschaft, insbesondere ein nichtinterventionistisches, doch nachhaltiges Bekenntnis von Staat und Gesellschaft zur Förderung der Geschichtsforschung, eine entschiedene Öffnung nach außen, eine Internationalisierung und Professionalisierung der Forschung. Mit seinem Buch weist Egro einen gangbaren Weg. Es ist im Anschluss an die interna tionale Forschung geschrieben, sowohl mit Blick auf die Historiographiegeschichte wie die osmanistische Fachdiskussion. Derzeit steht es recht vereinzelt in der weitgehend von sterilem kommunistischem Gedankengut geprägten Welt der albanischen Historiographie, deren Deutungsmuster von albanischen Historikern in Kosovo und Makedonien weitgehend unkritisch übernommen werden und die, beinahe noch gravierender, durch Schulbücher, Medien, vor allem aber das im albanischen Raum rege benützte Internet weiteste Verbrei tung erhalten haben. Wien Oliver Jens Schmitt 1 Vgl., nach früheren Arbeiten Armin Hetzers und besonders auch Nathalie Clayers, Raim Belüli, Ludwig von Thałlóczy: Те ndodhunat e Shqypnis prej nji Gegë që don vendin e vet. Përktheu nga gjermanishtja Stefan Zurani [Geschichte Albaniens von einem Gegen, der sein Land liebt. Aus dem Deutschen übersetzt von Stefan Zurani]. Shkodër 2008. Es sei auch auf den Beitrag von Krisztián Csaplár-Degovics in diesem Band der SOF, 205-246, verwiesen. Südost-Forschungen 68 (2009) 555
Historiographie Basilēs К. Gunarēs, Τα Βαλκάνια των Ελλήνων. Από τον Διαφωτισμό έως τον А ' Παγκόσμιο Πόλεμο [Der Balkan der Griechen. Von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg]. Thes saloniki: Epikentro 2007. 663 S., Farbabb. im Anhang, ISBN 978-960-458-145-0, € 37,Die vorliegende Arbeit von Vasilis Gunaris, der durch einschlägige Monographien als Experte für die Geschichte Makedoniens im 20. Jh. ausgewiesen ist,1 behandelt die Balkanperzeption der griechischen Gesellschaft während des „langen“ 19. Jh.s in einer Gesamtschau, die sich auf ein ebenso umfangreiches wie heterogenes Quellenmaterial stützt. Dieses umfasst neben der griechischen Presse des Zeitraums, die systematisch untersucht wurde und einen erkennbaren Schwerpunkt bildet, verschiedenste Kategorien der zeitgenössischen Publizistik, deren Spektrum von Schulbüchern, Historiographie über Belletristik bis hin zu Liedern sowie volkstümlichen Allegorien und Karikaturen reicht. Der breite Quellenfundus liefert die Grundlage für ein diskursanalytisches Vorgehen, das von dem insgesamt erfolgreichen Bestreben gekennzeichnet ist, die Ambivalenzen griechischer Balkanwahrnehmungen im Kontext von Nationalismus und Irredentismus aufzuzeigen, dabei Einseitigkeiten zu vermeiden und somit der Komplexität des Phänomens, dessen Nachwirkungen bis in die Gegenwart hinein reichen, gerecht zu werden. Dies wird durch die ansprechende Textgestaltung gefördert, die von einer souveränen Beherrschung des nicht gerade übersichtlichen Materials zeugt, wobei es dem Verfasser in hohem Maße gelingt, Quellen für sich sprechen zu lassen, ohne
dabei jedoch selbst zu verstummen. Auch die methodologische Struktur der Arbeit entspricht dem Anliegen, trotz möglichst differenzierter und ausgewogener Würdigung der recherchierten Befunde Orientierungspunkte zu setzen und dem Hauptziel, nämlich der Erstellung einer Synthese, gerecht zu werden. Zu diesem Zweck ist der erste Teil der Arbeit (Kapitel 1-3) nach chronologischen Kriterien organisiert, womit ein historisches Grundgerüst geschaffen wird, während der zweite Teil (Kapitel 4-8) nach thematischen Kriterien angelegt ist und einander ergänzende Längsschnitte enthält. In einem dokumentarischen Anhang befinden sich ferner einschlägige Quellentexte sowie farbige Reproduktionen von Lithographien aus der zeitgenössischen Publizistik. Das erste Kapitel (21-92) fungiert als Einleitungsteil und liefert eine gediegene Skizze von Raum- und Identitätskonzeptionen, die in griechischsprachigen Quellen seit der Frü hen Neuzeit artikuliert wurden, jedoch insbesondere während des 18. jh.s im Kontext der Aufklärung eine nachhaltige Ausformung erfuhren, wobei neben dem Sprachaspekt vor allem auf die Bedeutung der sich damals entwickelnden Fachdisziplinen der Geographie und Historiographie hingewiesen wird. Das Kernargument des Verfassers liegt dabei in der Betonung der Persistenz ethnischer Unterschiede sowie damit einhergehender Alteritätswahrnehmungen seit dem Mittelalter, die trotz gewisser Unscharfen hinreichend funktional gewesen seien, um ökumenische Identitätskonzepte zu relativieren: „die Idee der Einheit des christlichen romäischen Geschlechts koexistierte mit vielen Aspekten
der Alterität, die Ergebnisse von Erfahrung waren“ (91 ). Diese Feststellung bildet einen zentralen argumen tativen Ausgangspunkt für die nachfolgende Untersuchung, bei welcher der kontrastive Vergleich von integrativen und segregativen Aspekten des griechischen Balkan diskurses einen wichtigen Platz einnimmt. So behandelt das zweite Kapitel (93-167) den Zeitraum vom Beginn des griechischen Unabhängigkeitskrieges von 1821 bis zur großen Orientkrise 556 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Mitte der 1870er Jahre, wobei als Wendemarken für die Binnengliederung die Jahre 1830 (griechische Staatsgründung), 1853 (Krimkrieg) sowie 1865 (Gründung der „Demo kratischen Orientalischen Föderation“/„Ar][xoicp£miCT] Ανατολική Ομοσπονδία“) angesetzt werden. Der Verfasser behandelt dabei u. a. die Erfahrung des Unabhängigkeitskrieges in seiner balkanischen Dimension, die Idee der Balkanföderation sowie die Verschiebungen im tektonischen Gefüge der Balkannationalismen seit den 1860er Jahren und ihre poli tischen wie ideologischen Implikationen für Griechenland. Diese werden bereits im Titel des dritten Kapitels (169-229) angedeutet: „Der klägliche Anblick des Zwistes“. Dort wird der Zeitraum von der Orientkrise bis zum Beginn der Balkankriege untersucht, wobei als Binnenzäsuren die Ostrumelienkrise (1885), der griechisch-osmanische Krieg (1897) sowie die Jungtürkische Revolution (1908) dienen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Nachzeichnung eines nationalen Paradigmenwechsels, der mit Verschiebungen von Feind bildern und außenpolitischen Perspektiven einherging, denen der Verfasser bei allen damit verbundenen Friktionen eine wichtige Funktion für die nationalstaatliche Konsolidierung Griechenlands zuschreibt: „Ob als Vorbild oder als Schreckbild, der Balkan war in dieser kritischen Phase der Konstituierung des griechischen Nationalstaates präsent“ (228), und, wohl mit einem Hauch Sarkasmus: „Nachdem alle wussten, wer ihre Feinde waren, war Griechenland endlich ein Nationalstaat“ (229). Im zweiten Teil der Arbeit erfolgt eine Untersuchung von Teilaspekten
griechischer Balkanperzeption im 19. und beginnenden 20. Jh. anhand von Stereotypenbildungen und deren Ambivalenzen, wobei die einzelnen Balkanvölker in den Blickpunkt rücken, nament lich Albaner, Serben, Montenegriner, Bulgaren und Rumänen. Der Verfasser eröffnet auf diese Weise vielschichtige Panoramablicke, bei denen sich jedoch an einigen Stellen fragen lässt - etwa im Hinblick auf Feindbildkonstruktion oder Wertungen von Zivilisiertheit und Barbarei - ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, diese um eine türkische bzw. osmanische Komponente zu erweitern. Das vierte Kapitel (231-306) behandelt schwerpunktmäßig wertende Wahrnehmungen der sich national emanzipierenden Balkannachbarn bezüglich ihres vermeintlichen historischen wie kulturellen Stellenwertes, wobei der Verfasser die starke Abhängigkeit solcher Stereotypenbildungen von jeweils aktuellen außenpolitischen Konstellationen aufzeigt, die zunehmend von Konkurrenz geprägt wurden und dement sprechend regelmäßig zur Aberkennung nationaler Vollwertigkeit der als „Natiönchen“ [εθνάρια] bezeichneten Nachbarn führte. Die beiden anschließenden Kapitel 5 und 6 sind einer gegenüberstellenden Betrachtung von balkanischen Konvergenzen und Divergenzen im griechischen Identitätsdiskurs gewidmet. Erstere werden am Beispiel von Projektionen der Albaner als einem national integrierbaren Brudervolk, der Wahrnehmung von Serben und Montenegrinern als historischer Verbündeter sowie der Vision einer christlichen Balkan föderation untersucht, wobei es dem Verfasser ein offensichtliches Anliegen ist, die Grenzen dieser Konzepte aufzuzeigen,
die im Laufe der Zeit einem fortschreitenden Erosionsprozess ausgesetzt waren. Im Hinblick auf die Divergenzen verweist er demgegenüber auf Faktoren wie den Niedergang der in den unabhängigen Balkanstaaten unter Assimilierungsdruck stehenden griechischen Diasporagemeinden sowie auf die damit in Zusammenhang gestell te Ausformung von Feindbildern. Diese bezogen sich neben den Rumänen insbesondere auch auf die Bulgaren („Von der Slawophobie zur Bulgarophobie“, 375-388), wobei der Südost-Forschungen 68 (2009) 557
Historiographie Verfasser eindringlich die dramatische Verschärfung herausarbeitet, die diese Feindbilder um die Jahrhundertwende im Kontext des Makedonienkonflikts erfuhren, dem überhaupt eine zentrale Bedeutung für die Ausformung der griechischen Balkanperzeption bis zum heutigen Tage, aber auch ein konsolidierender Effekt bezüglich der nationalen Abgrenzung der Griechen nach Norden hin zugeschrieben wird (41 Of. und 424). Als Zwischenbilanz, die freilich bereits auf das Endergebnis der Untersuchung hinweist, ergibt insofern der Vergleich von Konvergenzen und Divergenzen ein eindeutiges Übergewicht der letzteren. Im siebten Kapitel werden Paradigmenfünktionen der Balkanstaaten für den griechi schen Gesellschaftsdiskurs untersucht, was einerseits ihre Wahrnehmung als Vergleichs größe, andererseits aber auch als Konkurrenten betrifft. Hierbei werden eine Reihe ganz unterschiedlicher Aspekte beleuchtet, darunter etwa das Bild der Balkanmonarchen in der griechischen Öffentlichkeit, der Vergleich der politischen Systeme, der wirtschaftlichen Entwicklung sowie der militärischen Schlagkraft, darüber hinaus aber auch der Grad der Modernisierung und der Stellenwert der Balkannachbarn im Kontext der europäischen Großmachtdiplomatie und umgekehrt der Einfluss der Großmächte auf sie selbst. Das abschließende achte Kapitel ist mediengeschichtlich orientiert und behandelt zunächst die praktischen Aspekte der Vermittlung von Balkanbildern in der griechischen Öffentlichkeit während des Untersuchungszeitraums. Ins Blickfeld rücken dabei die Multiplikatoren von Informationen,
Journalisten, Diplomaten und Reisende sowie deren Kommunikationsnetze, ferner die technischen Aspekte der Balkanberichterstattung in Griechenland, u. a. die Bedeu tung von Eisenbahn- und Telegraphennetzen, nicht zuletzt aber auch die Abhängigkeiten von der europäischen Presse. Weitere Unterkapitel sind der meinungsbildenden Funktion von Satire, Bilddarstellungen, Karikaturen etc., aber auch von persönlichen Begegnungen in Form von Staatsbesuchen oder organisierten Smdentenreisen gewidmet. Der Verfasser kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Mediatisierung des Balkans keineswegs zu einem besseren Verständnis der Balkannachbarn geführt habe, sondern im Gegenteil nachhaltig zur Verbreitung und Verfestigung nationaler Stereotype beitrug, in denen das Trennende sich als mittelfristig weit wirksamer erwies als das Verbindende: „Die Vertrautheit mit den Anderen1 hatte statt Annäherung Abneigung hervorgerufen; sie begünstigte jedoch - und das ist vielleicht wichtiger — das Aufkommen einer neuen Form griechischer Selbster kenntnis“ (586). Diese Überlegungen leiten bereits zum Gesamtresümee über, das der Verfasser am Ende seiner breitangelegten Untersuchung zieht. Seine Quintessenz besteht in der Konstatierung einer Steuerungsfunktion, welche die Balkanstereotypen im Rahmen nationalstaatlicher „Selbstfindung“ Griechenlands gehabt hätten: Sie „ermöglichten es Griechenland, sich irgendwann im Jahrzehnt von 1910 erstmals seit seiner Unabhängigkeit ganz als ein echter Staat zu fühlen. Es hatte sein Gleichgewicht gefunden und die nationalen Stereotype über die Balkanvölker mit all ihren
Facetten waren [dafür] die wertvollsten Ge gengewichte“ (596). Eben diese „Gegengewichte“ hätten es Griechenland ferner auch in den 1990er Jahren gestattet, seinen „europäischen“ Weg zu stabilisieren, wie es am Schluss des Buches heißt. Eine solche retrospektive Sinnstiftung mag im Hinblick auf gesellschaftlich politische Systemstabilisierung ihre Berechtigung haben, über ihre inhaltliche Schlüssigkeit kann man jedoch durchaus geteilter Meinung sein - jedenfalls drängt sich dem Leser dabei unwillkürlich die Frage auf, wie es dann wohl erst ohne „Gegengewichte“ um die nationale 558 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Selbstfindung und den vielbeschworenen Weg Griechenlands im 20. und 21. Jh. bestellt gewesen wäre. Diese sinnstiftende Interpretation mag, ebenso wie die unüberhörbare politische Botschaft, die sie vermittelt, durchaus einiges für sich haben, jedoch fragt man sich un willkürlich, wie es denn wohl um die nationale Selbstfindung Griechenlands zu Beginn bzw. seinen europäischen Weg zum Ende des 20. Jh.s bestellt gewesen wäre, hätten diese „Gegengewichte“ nicht zur Verfügung gestanden. Zusammenfassend bleibt dennoch festzustellen, dass mit dem „Balkan der Griechen“ von Gounaris ein wichtiges Referenzwerk zum weiten Themenfeld südosteuropäischer Stereotypenbildung im Zeitalter des Nationalismus vorliegt, das durch Quellenreichtum, methodische Vielseitigkeit sowie überzeugende Textgestaltung besticht und dem eine bal dige Übersetzung in eine der internationalen Wissenschaftssprachen zu wünschen wäre. Wien Ioannis Zelepos 1 Siehe exemplarisch Steam over Macedonia: Socio-Economic Change and the Railway Factor. Boulder 1993, und „Εγνωσμένων κοινωνικών φρονημάτων“: Κοινωνικές και ά)λες άγεις του αντικομμουνισμού στη Μακεδονία του Εμφυλίου Πολέμου (1945-1949) [„Mit den bekannten politischen Überzeugungen“: Soziale und andere Aspekte des Antikommunismus im Makedonien des Bürgerkrieges (1945-1949)]. Thessaloniki 2002. Ylber Hysa, Shqiptarët dhe të tjerët: nga Madona e Zezë deri te Molla e Kuqe [Die Albaner und die anderen: Von der Schwarzen Madonna bis zum Roten Apfel]. Prishtina: Instituti Albanologjik 2009. 270 S„ ISBN 978-9951-411-91-2. Die albanische
Geschichtsforschung in Südosteuropa kennt einen festen Themenkanon, dem die meisten Historiker bis heute folgen. Umso überraschter nimmt man einen Band zur Hand, der neue Wege zu gehen versucht und bewusst unkonventionelle Themen aufgreift. Ylber Hysa, für die im November 2010 gestürzte kosovarische Regierung verantwortlich für die Integration Nord-Kosovos, legt einen Band vor, der mit einer bemerkenswerten Wahl von Aufsätzen aufwartet. Er beschäftigt sich mit der Frage der dualistischen Häresie und Heterodoxie im mittelalterlichen Albanien (welche die Herolde des Atheismus im Albanien Enver Hoxhas gerne als historisches Argument für die Distanz der Albaner zu den beiden Kirchen anführten) (11-39); es folgt ein Aufsatz zu den Steed (41-60); ein Kernstück des Bandes gilt der afrikanischstämmigen Bevölkerung von Ulcinj (alb. Ulqin) (61-107); der Autor geht dann den „Spuren der Orthodoxie bei den Albanern in Makedonien“ nach (113-142); „Sinan Pascha und der Safran in Kaęanik“ (serb. Kačanik) bildet den Gegenstand des folgenden Kapitels (143-177): die beiden Schlusskapitel greifen den Titel des Buches auf — „Die Schwarze Madonna im Kosovo“ (185-234) und der „Rote Apfel“ (235-267). In der Einleitung legt Hysa seine methodologischen Überlegungen dar. Dabei geht er zunächst auf die Darstellung der albanischen Geschichte durch jene serbischen und bulgariSüdost-Forschungen 68 (2009) 559
Historiographie schen Historiker ein, die in den Albanern überwiegend geschichtslose Bergbewohner sahen, die im von Milan Sufflay konstruierten Viereck Shkodra—Prizren-Ochrid-Vlora abseits der großen Straßen gelebt hätten. Hysa spricht mit Blick auf den Satz „was für die Griechen das Meer und für die Slawen die Ebenen, das sind für die Albaner die Berge“ (7) von einer „horizontalen“ Sichtweise. Die Darstellung der serbischen Forschung fallt aber differenziert aus, da sich Hysa nicht nur gegen nationalistisch ausgerichtete Autoren wendet, sondern auch die Arbeiten von Gelehrten von Ilarion Ruvarac bis Olga Zirojević hervorhebt. Eine „vertikale“ Sichtweise konstatiert Hysa aufseiten der albanischen Geschichtsschreibung, die von einer geradezu „metaphysischen“ illyro-albanischen Dauerpräsenz in den heutigen albanischen Siedlungsgebieten und „über diese hinaus“ (9) ausgehe. Hier versucht er, dy namische Elemente in diesem so statischen Geschichtsbild herauszuarbeiten. Zwar nicht durchgehend, doch in einigem, schreibt Hysa quer zur gängigen albanischen Geschichtsforschung; sehr deutlich wird dies am Beispiel der albanischsprachigen schwarzen Bevölkerung im Piratenhafen Dulcigno. Wie ist diese nun einzuordnen? Da ist aufder einen Seite der Stolz auf die Vergangenheit der Stadt, die in der Frühen Neuzeit ein Räubernest sondergleichen in der Adria gebildet hatte, auf der anderen Seite die Verwirrung, die in einem auf Abstammung beruhenden Nationalverständnis entsteht, wenn dieses mit dem Phänomen albanophoner Afrikaner konfrontiert wird. Dass sich ein Historiker mit der
osmanischen Vergangenheit jenseits von Aufstand und Repression beschäftigt, ist ebenfalls hervorhebenswert: Hysa untersucht als einer der ersten albanischen Historiker überhaupt ein Thema der materiellen Kultur, den zur osmanischen Zeit wichtigen und in ganz Süd osteuropa bekannten Safran, der auf dem Amselfeld angebaut wurde. Bei der Behandlung der bosnischen Stećci schlägt sich Hysa auf die Seite jener Forscher, die in ihnen nicht Zeugnisse der Bosnischen Kirche, sondern alt-balkanische ֊ genauer illyrische — Denkmäler sehen wollen. Bezüge zu bekannten Denkfiguren werden auch bei der Behandlung albanischer Orthodoxer des slawischen Ritus erkennbar. In der Regel wird in der albanischen Forschung und im albanischen Geschichtsbild die Orthodoxie auf das heutige Südalbanien beschränkt, das bis zum 20. Jh. dem griechischen Ritus folgte. Für das Kosovo wird die Zugehörigkeit von Albanern zum serbischen Ritus mit dem Hinweis abgestritten, dass alle christlichen Albaner dem römischen Ritus gefolgt seien. Selbst wenn die Frage der albanophonen Orthodoxen des slawischen Ritus (Peć und Ochrid) untersucht wird, ist die Betrachtung nicht immer frei von nationalem Beiwerk; denn geht man davon aus, dass sich diese Gruppe von Orthodoxen allmählich der slawischen - in diesem Falle makedonischen - Mehrheit auch sprachlich angeglichen hätte, stehen Tür und Tor für die Theorie offen, einige, viele oder alle - je nach politischer Zielrichtung - makedonischen Or thodoxen einer bestimmten Region seien „eigentlich“ assimilierte albanophone Orthodoxe oder besser: orthodoxe Albaner. Hysa bringt
interessante Beispiele für die Schreibung des Albanischen in kyrillischer Schrift ( 122f, Grabinschrift des Andçe, Sohn des Duko, in Teto vo) 1 und verweist auf den Publizisten Josif Bageri aus Reka, den Herausgeber der „Shqypeja e Shypënis/Albanski orel'“ in Sofia. Für Hysa ist die Assimilierung der orthodoxen Albaner ein „Kollateralschaden“ (141) der Schaffling makedonischer Staatlichkeit und makedoni scher nationaler Identität. Dem setzt er die albanische Tradition überreligiöser ethnischer 560 Südost֊Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Identität entgegen. Die Gruppe der makedonisierten albanischen Orthodoxen sieht er im Spannungsfeld von „vollkommener Assimilierung oder Bewahrung derTrikonfessionalität“. Für die albanische Geschichtsforschung ungewöhnlich ist die breite Verwendung in ternationaler Bibliographie und besonders auch von Literatur in slawischen Sprachen; dass manches im Einzelnen nicht unumstritten bleiben wird und sich auch der eine oder andere Fehler eingeschlichen hat, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eines der originellsten Werke der albanischen Geschichtsforschung in den letzten Jahrzehnten handelt. Man muss mit dem Verfasser nicht in allem einer Meinung sein, seine in vielem unideologische Fierangehensweise und seine Distanz zu den Verkrampfungen der natíonalstalinistischen Geschichtsschau erwecken aber einen sehr positiven Eindruck. Ein Buch, dessen Lektüre sich lohnt. Wien Oliver Jens Schmitt 1 Zuerst publiziert von Milenko Filipovič in der Zeitschriftßir Balkanologie 7 (1969/70), 22f. Südost-Forschungen 68 (2009) 561
Rezensionen Geschichte: Übergreifende Darstellungen Balkan Strongmen. Dictators and Authoritarian Rulers of South Eastern Europe. Hg. Bernd J. Fischer. West Lafayette/In.: Purdue University Press 2007 (Central European Studies). 494 S., ISBN 978-1-55753-456-9, US-$ 69,95 Das 20. Jh. war in mehrfacher Hinsicht ein sehr unruhiges und von verschiedenen gewaltsamen Brüchen gekennzeichnetes Jahrhundert für den Südosten Europas: das Ende des Osmanischen Reiches, verbunden mit mehreren Kriegen um dessen territoriales Erbe, politische, soziale und ethnische Unruhen in den jungen, ungefestigten Nationalstaaten, die Gewaltexzesse während des 2. Weltkrieges, daran anschließend die Herrschaft der Kommunisten, die ihre politischen und Sozialrevolutionären Ziele mit unzimperlichen Methoden umsetzten bzw. - außerhalb des kommunistischen Machtbereiches - die rechte Militärdiktatur in Griechenland, und schließlich die gewaltsamen Konflikte im Namen eth nisch-/ nationaler Gruppen im Kontext des zerfallenden Jugoslawien in den 1990er Jahren. Zweifellos lohnt sich also ein Blick hinter die Kulissen dieser Krisen- und Gewaltgeschichte, welche die Machtstrukturen der Region in den Blick nimmt. Der vorliegende Band vereinigt insgesamt 13 Beiträge in zwei chronologischen Abschnit ten. Der erste Abschnitt nimmt mit der Zeit bis zum Ende des 2. Weltkrieges vor allem rechtsgerichtete autoritäre und diktatorische Regime ins Visier, wobei das Spektrum von den Königsdiktamren Albaniens (König Zog, verfasst vom Herausgeber des Bandes, Bernd J. Fischer), Jugoslawiens (König Aleksandar, Birgit Farley),
Rumäniens (Carol IL, Maria Bucur) und Bulgariens (Zar Boris IIL, Frederick Chary) über den Gründer der modernen Türkei, Kemal Atatürk (Feroz Ahmad), der aufgrund seiner Herkunft aus Thessaloniki Eingang in den auf den südosteuropäischen Raum fokussierten Band gefünden hat, bis zum rechtsautoritären Regime von Ioannis Metaxas in Griechenland (S. Victor Papacosma) und zu Ante Pavelič (John K. Cox), Führer der faschistischen Ustaša und des „Unabhängigen Staates Kroatien“ (NDH) von Mussolinis und Hitlers Gnaden, reicht. Der zweite Teil zur Nachkriegszeit umfasst vier kommunistische Machthaber, die ihr Land derart nachhaltig geprägt haben, dass ihr Name mit der sozialistischen Phase schlechthin assoziiert werden kann: Enver Hoxha in Albanien (Bernd J. Fischer), Josip Broz Tito (John V A. Fine), Nicolae Ceauşescu (Robert Forrest) undTodor Živkov (Stefan Krause). Darüber hinaus haben George Papadopoulos (Despina Papadimitriou), der Anführer des Obristenregimes in der Zeit der griechischen Militärdiktatur, sowie Slobodan Milosevic, der serbische Machthaber während der jugoslawischen Zerfallskriege, Eingang in den zweiten Teil gefunden. Der Titel des Bandes wie auch dessen Aufbau verweisen auf eine stark personenbezogene Perspektive. Der plastische Begriff der „Balkan strongmen“ suggeriert einen spezifischen, der untersuchten Region eigentümlichen Typus von Herrschaft. Das Kompositum strongman, das im Englischen stark mit dem Kraftsport konnotiert ist, wird nicht theoretisiert. Intuitiv taucht dabei das Klischee des Balkans als einer archaisch-patriarchalen Randregion Europas mit
einer auf hierarchischer Männerherrschaft basierenden Gesellschaftsstruktur vor dem geistigen Auge auf. Der Band spielt zwar mit diesem Klischee, problematisiert es jedoch nicht explizit. Der Herausgeber beschränkt sich in seiner Einleitung auf die Feststellung, 562 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen wonach die vorgestellten Personen „were part of a tradition of Balkan authoritarianism and dictatorship“, die das ganze 20. und Teile des 19. Jh.s umfasst habe (S. 1). Im Weiteren beschränkt er sich aber darauf, auf knapp drei Seiten die Problemlage der südosteuropäi schen Staaten in der ersten Hälfte des 20. Jh.s summarisch zu skizzieren, um dann jeweils kurz auf die im Band behandelten Fallbeispiele einzugehen. Die Lektüre der einzelnen Beiträge verstärkt dann den aus der Einleitung gewonnenen Eindruck: die vorgestellten Herrscher werden nicht miteinander verglichen, sondern isoliert aneinandergereiht. Die Aufsätze bleiben Einzelstudien, die über den eigenen Untersuchungsgegenstand hinaus nicht systematisch nutzbar gemacht werden, um ähnliche Strukturen oder vergleichbare Voraussetzungen zu identifizieren. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Beiträge im We sentlichen klassische Nacherzählungen der Politik- und Ereignisgeschichte des jeweiligen Regimes darstellen, wobei stellenweise sogar der Fokus auf die titelgebende Person aus dem Blick zu geraten droht und die Kapitel den Charakter einer politikgeschichtlichen Kurzübersicht zur jeweiligen Epoche annehmen — so etwa die Beiträge zum bulgarischen Zaren Boris III. oder dem jugoslawischen König Aleksandar. Sozial- oder kulturgeschicht liche Ursachen und Zusammenhänge werden in den Einzelbeiträgen kaum systematisch verfolgt, übergreifende Erklärungsansätze bezüglich der Herrschaftsform nur in isolierten Einzelfällen thematisiert. Unter diesen Voraussetzungen blieb der Rezensent nach Lektüre des Bandes auch
etwas ratlos zurück, inwiefern denn aus den vorgestellten Beispielen eine spezifische politische Kultur der Balkanhalbinsel herzuleiten sei, die sich von der anderer europäischer Regionen mit ihren „strongmen“ unterscheidet - immerhin lassen sich im europäischen 20. Jahrhundert auch anderswo zahlreiche vergleichbare autoritäre oder dik tatorische Regimes finden — zu denken wäre etwa, um einen Bogen quer durch Europa von der Ostsee an den Atlantik zu schlagen, an Piłsudski, Tiso, Horthy, Schuschnigg, Musso lini, Pétain, Franco oder Salazar - von den „großen Diktatoren“ Stalin und Hitler ganz zu schweigen. Der Band lässt jedoch nicht nur die Frage nach den Gemeinsamkeiten der Fallbeispiele offen, sondern auch diejenige nach den Unterschieden innerhalb des breiten Spektrums der behandelten Machthaber. Die Umstände der Herrschaft Pavelies, des von Italien und Deutschland abhängigen faschistischen Führers des ephemeren NDH, waren ganz andere als die rund vier Jahrzehnte dauernde Zeit, die Enver Hoxha als kommunistischem Herrscher Albaniens vergönnt waren, der sich ab den 1960er Jahren weitestgehend von ausländischer Beeinflussung loszulösen vermochte. Der Fall Atatürks oder des bulgarischen Zaren Boris III. sind zwei weitere Beispiele, die wiederum in einem völlig anderen Umfeld anzusiedeln sind. Die recht unterschiedliche Herangehensweise der Autorinnen und Autoren dieses Bandes macht es schwierig, Vergleiche anzustellen. Beispielhaft führt der Beitrag von Maria Bucur zu Carol IL, der gelungenste des Ban des, vor, wie das heterogene Feld stärker hätte strukturiert werden und
wie eine mögliche Typologie der so unterschiedlichen Einzelfälle hätte ausfallen können. Sie legt ihrem klar strukturierten Aufsatz die Frage zugrunde, ob der rumänische König unter den gegebenen Umständen mehr getan hat, als ihm erlaubt war oder weniger, als es seine Verantwortung als Herrscher geboten hätte — wo er also auf einem Kontinuum autoritärer Herrschaft situiert werden müsste. Als Einzige stellt sie auch grundsätzliche Überlegungen zum Wesen der Südost-Forschungen 68 (2009) 563
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Diktatur an und verweist auf die unstabile Situation demokratischer Regierungsformen im östlichen Europa, wodurch sich die Bilanz autoritär-diktatorischer Herrschaft aus westlich demokratischer Sicht weniger eindeutig präsentiere, da auch die Demokratie nur sehr mangelhaft funktionierte. Als Kategorien, an denen die Autorin den Charakter autoritärdiktatorischer Herrschaft festmacht, zählt sie etwa den Umgang mit der Opposition oder die Plünderung der wirtschaftlichen Ressourcen auf. In einer Typologie gemäß Ronald Wintrobe mit vier Ausprägungen, die sich auf das Ausmaß von Loyalität und Repression beziehen, verortet sie Carol als „tinpot dictator“ („Westentaschendiktator“), da in seinem Fall sowohl Loyalität als auch Repression nur schwach ausgeprägt waren. Bucur konstatiert, dass Carol ein schwacher Herrscher gewesen sei, der sich mit einer beschränkten Kontrolle des politischen Lebens begnügt habe, sich seinen Leidenschaften (für Luxus, seine Geliebte Elena Lupescu, für die Jagd) hingegeben habe, der aber viele seiner Ideen nicht habe umsetzen können. Spätestens hier hätte sich die Frage nach der Reichweite des titelgebenden Konzepts der „strongmen“ aufgedrängt. Es wäre reizend gewesen, wenn alle Beiträge in ähnlicher Weise wie Bucur der Frage nachgegangen wären, wie durchsetzungsfähig die jeweiligen Herrscher gewesen waren, wie sehr sie also die Bezeichnung „strongman“ tatsächlich verdient haben. Die Aufsätze sind jeder für sich genommen durchaus informativ, verfolgen aber je unterschiedliche Erkennt nisinteressen. So zeichnet
etwa Stefan Krauses Artikel zu Todor Živkov chronologisch den Aufstieg des Protagonisten nach und zeigt als Grundlage seines Erfolges auf, dass er als Kom promissfigur anfänglich von allen unterschätzt wurde. Dabei war er ein geschickter Taktiker, der an der Macht temporär taktische Allianzen einging, um starke Personen gegeneinander auszuspielen und so einen potentiellen Gegner nach dem anderen zu entmachten. Nicht chronologisch, sondern thematisch baut Lenard J. Cohen seine Ausführungen zu Slobodan Milosevic auf, den er als Meister der kurzfristigen Taktik charakterisiert, dem jedoch jeglicher Sinn für eine langfristige Strategie abgegangen sei. Den Erfolg des serbischen Machthabers, der sich trotz Einführung eines pluralistischen Wahlsystems während der neunziger Jahre behaupten konnte, führt der Autor auf drei hauptsächliche Ursachen zurück: eine tradi tionelle Tendenz zu Konformismus und Konservatismus in der politischen Kultur Serbiens, die Schwäche der Opposition und seine politischen Fähigkeiten, die verfügbaren Vorteile effektiv nutzbar zu machen. Neben solchen durchaus inspirierenden Beiträgen fallen andere Artikel deutlich ab. Die Analyse des verdienstvollen amerikanischen Mediävisten John V. A. Fines zu Tito wird vor allem durch die penetrant immer wieder hervorgehobene Sympathie des Autors für seinen Gegenstand geprägt - der Titel („Strongmen can be Beneficial“) deutet bereits die Richtung an. Die Schilderungen nehmen stellenweise den Tonfall einer Verteidigungsrede an, in der das titoistische Jugoslawien euphorisch gefeiert und idealisiert wird. Erfolge
werden ganz im Sinne des Diktums „große Männer machen Geschichte“ als Titos persönliche Errungen schaften dargestellt („He liberated Yugoslavia from Fascist occupation“, „he raised Yugosla via economically“, „he also worked for an inceasingly liberal (freedom-oriented) society“, alle Zitate 313), während Misserfolge immer mit Blick auf den schwierigen Kontext und Sachzwänge entschuldigt werden. Bei aller Sympathie für den jugoslawischen Sonderweg während des Kalten Krieges befremdet das Argument doch sehr, wonach die über 300.000 564 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Kriegstoten der 90er Jahre (dass aktuellere Schätzungen der Todesopfer aller Kriege auf dem Gebiet Jugoslawiens von 1991 bis 1999 von wesentlich niedrigeren Zahlen ausgehen, sei hier nur am Rande vermerkt) hätten verhindert werden können, wenn das Ausland und insbesondere gutmeinende Gruppen im Westen wie Amnesty International in den 70er und 80er Jahren weniger insistent die Einhaltung der Menschenrechte angemahnt hätten. Hätte das Land konsequenter gegen Extremisten wie Tuđman und Šešelj Vorgehen und langjährige Gefängnisstrafen verhängen können, würde Jugoslawien vielleicht immer noch existieren, so Fines (315). Damit vertritt er einmal mehr eine extrem personenbezogene Sichtweise, nach der einzelne Männer die Geschicke ganzer Nationen bestimmen. Kritische Fragen danach, ob nicht allenfalls hinter der glänzenden Fassade Tito-Jugoslawiens schon früh Strukturen heranwuchsen, die einen Nährboden für den RadikaUsmus der späten achtziger und neunziger Jahre bildeten, ja, ob Titos Politik nicht auch zumindest in Ein zelpunkten mitverantwortlich für die gegenseitige Entfremdung der jugoslawischen Repu bliken gemacht werden kann, werden konsequent ausgeblendet. Standessen bemüht Fines wiederholt schiefe Vergleiche und teilt damit Seitenhiebe an die USA aus. So stellt er das unzulängliche amerikanische Schulsystem den Erfolgen der jugoslawischen Bildungspolitik gegenüber (294) und verkündet ernsthaft, eine Finanzhilfe von 20 Milliarden Dollar (wie sie von der Clinton-Administration Mexiko gewährt worden sei) in den 80er Jahren hätte das Überleben Jugoslawiens
gesichert (311). An diesem Beitrag wird deutlich, wie notwendig eine aktuelle, kritische wissenschaftliche Biographie des jugoslawischen Staatsmannes wäre. Die erwähnten Beispiele mögen genügen, das breite Spektrum aufzuzeigen, in dem sich die Beiträge bewegen. Was für den Inhalt gilt, gilt auch für das Formale: Während einige Beiträge mit knappen, aber gut selektierten Literaturhinweisen die weitere Beschäftigung mit dem Thema erleichtern (verwiesen sei stellvertretend auf die Beiträge zu Atatürk, Metaxas, Ceauşescu und Papadopoulos), wirkt die Literaturauswahl in anderen Beispielen willkürlich, überholt oder zu spartanisch. Zu Todor Živkov wird gar neben drei Zeitungs artikeln und der einmaligen Erwähnung der Erinnerungen eines hohen Kaders nur gerade ein einziger Titel zitiert, dafür dieser umso ausführlicher, wobei dessen Autor konsequent falsch geschrieben wird (Yahiev statt Yahiel). Zusammenfassend bleibt zu konstatieren, dass der vorliegende Band eine Zusammen stellung von dreizehn inhaltlich und qualitativ sehr unterschiedlichen Einzelbeiträgen ist. Jeder ist auf seine Art informativ, doch beschränken sie sich, sofern der Rezensent dies anhand der ihm besser bekannten Beispiele beurteilen kann, zumeist auf eine Wiedergabe bekannten Wissens. Der Band eignet sich daher in erster Linie als Einstiegslektüre für eine grobe Orientierung über die einzelnen Machthaber, aufgrund der Literaturhinweise nicht in allen Fällen jedoch als Wegweiser für eine weitere Beschäftigung mit diesen. Da nur in Einzeliallen eine Einbettung in aktuelle Forschungsdebatten und die
Präsentation neuer Erkenntnisse geleistet wird, werden die Einzelartikel für ein Fachpublikum von nachgeordnetem Interesse sein. Hier macht sich die Unterbssung schmerzlich bemerkbar, die einzelnen Fallbeispiele systematisch zu vergleichen, was bei der Konzeption des Bandes eigentlich auf der Hand gelegen wäre. Einen separaten, synthetisierenden beziehungsweise typologisierenden Artikel zu den vorgestellten Beispielen oder eine stärkere inhaltliche Fokussierung der Einzelbeiträge auf übergreifende Leitfragen hätten hier durchaus einen Südost-Forschungen 68 (2009) 565
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Mehrwert generieren können. So aber bleibt es dem Lesepublikum überlassen, aus dem heterogenen Material weiterführende Schlüsse zu ziehen. Zürich Daniel Ursprung Katrin Boeckh, Serbien/Montenegro. Geschichte und Gegenwart. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2009. 256 S„ zahir. Abb., ISBN 978-3-7917-2169-9, € 26,90 An American journalist once said that the Balkan peoples produced more history than they could consume. Katrin Boeckh was brave enough to take on thousand years long his tories of two Balkan countries in one book. Furthermore, she undertook to explain how two distinct peoples evolved from common ethnic ancestors — and all that on 250-odd pages. Mission impossible, one would think. Indeed, it would be for many other historians of smaller format. However, Mrs. Boeckh proved her mettle and wrote one of the best short syntheses of Serbian/Montenegrin history. The book is not meant, at least not primarily, for experts on the South-East European history. It is more attuned to the needs of interested general readers, journalists, politi cians, businessmen and tourists, which made the authors task that much more difficult. That histories of two and not just of one country were presented in this volume was at first due to the fact that it was meant for a series of state histories - at the time Serbia and Montenegro still formed (a kind of) a common state. Nevertheless, even after the dissolu tion of their state union, the scholarly justification for regarding the histories of the two countries parallely remained valid, as the
author clearly proved: not only were they part of one state throughout the largest part of 20th century, but their histories were inextricably intermingled ever since the Middle Ages. This doesn’t mean the two countries shared the same past throughout that period, but only that their histories were interconnected. Katrin Boeckh knew how to depict their common traits, but also their differences, defying those nationalist historians in both Serbia and Montenegro who often try to prove that Serbs and Montenegrins either shared completely the same past, or that they had nothing in common whatsoever. The book consists of an introduction and 14 chapters of unequal length. The size of each chapter is not mechanically commensurate to the length of the time-period it deals with. Thus, parts of the book on the Medieval Serbia and Montenegro and the Ottoman rule fill only 36 pages, the 19th century some 20, whereas 150 pages are devoted to the 20th and the first years of the 21st century. This is in keeping with the targeted audience. That, however, doesn’t mean older periods were neglected. On the contrary, enough was said about them to enable the reader to understand the Serbian and Montenegrin past as a whole, as well as to understand the present of these two countries. The work is written in a well-weighed tone and many moot topics which had been dealt with in a distorted and rather propagandistic manner during the past 20-odd years, were 566 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen analyzed with the aid of solid historiographical facts. Thus Mrs. Boeckh clearly explains the importance of Kosovo, not only for the medieval Serbian state, but also for the creation of Serbian national consciousness. She doesn’t fail to point out to the mythical roots of some notions about history shared by large parts of the Serbian population, but without condemnation or labeling — being aware that other peoples often cherish similar myths. The author sees the roots of the Kosovo problem in the (relatively) late immigration of the Albanians, but also in the expulsion of the Albanian population from parts of Serbia liberated from the Ottoman rule in the 1876-1878 wars. Although they overstep the geo graphical boundaries of the work, Serbian migrations towards the North-West were also depicted, since they had created territorial dispersal of the Serbian people which led to bloody conflicts, particularly in the 20th century. The thorny question of the Montenegrin ethnogenesis is tactfhlly dealt with: by relying on the historical evidence Mrs. Boeckh describes the evolution of their national consciousness from Serbian (which they shared throughout larger part of their history) to the evolution of a distinct ethnic feeling among large parts of the Montenegrin population during the 20th century. Her explanation is a level-headed example for nationalists, by no means only Serbian or Montenegrin, that ethnic affiliations are not eternal, but to a great extent histori cal and situational. Another important point is, that not the language, common ancestry, culture or
religion are decisive for national consciousness, but rather the feeling of ethnic distinctness which doesn’t need strong factual backing. Another painful question ֊ that of the break-up of Yugoslavia - was depicted with cir cumspection and objectivity. One has the impression that the author said too little about the economic background of the break-up, but for this larger part of responsibility lies with the Serbian historiography which sorely neglected economic topics. On the other hand, one cannot accept her claim that the Milosevic regime deliberately caused economic difficulties: indeed, the economic crisis had already been very deep when he came to power, and some of his economic measures have only aggravated it. Despite this and a few other tiny mistakes, the work of Katrin Boeckh is probably the best of its kind. If one takes into account histories of Serbia and Montenegro of comparable size, than it is certainly the best. It would be very good if this book were translated into English. In that way it could at least partly undo some of the damage the spate of superficial, biased and unscholarly works on Serbian and Montenegrin history have wreaked in the world public during the last 20 years. Belgrade Südost-Forschungen 68 (2009) Zoran Janjetović 567
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Central European History and the European Union. The Meaning of Europe. Hg. Stanislav J. Kjrschbaum. Hampshire, New York: Paigrave Macmillan 2007. XXII, 258 S„ ISBN 978-0-230-54937-1, £ 50,Es gehört zu den naheliegenden Fragen zum Verlauf der europäischen Geschichte, den Zwischenraum zwischen „West“ und „Ost“ immer wieder neu definieren zu wollen und angesichts dieser Mittellage nach dessen Entwicklungsprofil zu fragen. Dabei steht meist der Objektcharakter im Vordergrund, und die Facetten, welche gestalterischen Kräfte von dort in westliche und östliche Richtung ausgegangen sind, bleiben in der Regel auf Deutschland im Zeitalter der NS-Herrschaft reduziert. Ein nicht geringeres kategoriales Problem ist die Abgrenzung, was „Central Europe“ abdecken soll, und es ist kein Zufall, dass der Be griffsinhalt in der deutschen Sprache divergiert, je nachdem, ob man von „Zentraleuropa“ oder von „Mitteleuropa“ spricht. Im vorliegenden Sammelband wird, unterstützt durch mehrere Karten, ein Einzugsgebiet ins Blickfeld genommen, das sich vom Baltikum bis zu den Balkanländern (mit Ausnahme Griechenlands!) erstreckt. Das Konzept des Buches liegt in der Verschränkung zweier Achsen: der chronologi schen (vertikalen) Achse aus der Vergangenheit in die Gegenwart, repräsentiert durch eine Reihe von Beiträgen über die unterschiedlichen Zugänge zu „Europa“ (Teil 2), und der strukturell-komparatistischen (horizontalen) Achse (Teil 3), womit die zeitgleich laufende Phase der „Herausforderungen der Mitgliedschaft in der Europäischen Union“ beleuchtet wird.
Den Vorspann (nach der Allgemeinen Einleitung des Herausgebers) bildet Teil 1, der den wichtigsten Strebepfeilern des Gesamtthemas gewidmet ist: dem Längsschnittzugang des jeweiligen Nationalstaates zur europäischen Integration, dargestellt am Beispiel der Slowakei durch Stanislav Kirschbaum (11-22), dem Ordnungsgefüge zwischen Zentra lismus und Föderalismus in Vergangenheit und Gegenwart durch Francesco Leoncini (23-31) und der legitimen Frage, welche Rolle dem Systembruch seit dem Jahr 1989 für den vorliegenden Zusammenhang zukommt (Oskar Gruenwald, 32-59). Teil 2 enthält fünf Artikel, die sich folgenden Schauplätzen widmen: Juliane Brandt behandelt den säkularisierten Kult um Stefan den Heiligen im modernen Ungarn (63-80), Stefan Samērksi stellt den Hl. Wenzel als Symbol für den tschechischen Staat vor (81-91), Krista Zach verfolgt Analoges am Beispiel Stefans des Großen für Rumänien (92-101), Mieczysław В. B. Biskupski ergänzt das Thema mit der Frage nach dem Symbolgehalt Marschall Pilsudskis für das moderne Polen (102-122), und John J. Kulczycki schließt den Rundblick ab, indem er den Mangel an nationaler Selbstbestimmung der Polen thematisiert (123-141). Dieser Teil macht exemplarisch ersichdich, wie sehr mangels eigener Traditionen für die Integration in größeren Organisationshorizonten nationale Fokussierung nach wie vor eine Rolle spielt und als Gegengewicht zur „Vereinnahmung“ durch „Europa“ fungiert. Teil 3 folgt strukturellen Gesichtspunkten, die anhand der folgenden Beiträge abgedeckt werden: Başak Z. Alpan stellt die Frage nach der Funktion der Europäisierung
in geistiger und politischer Hinsicht, nach Bruch oder Kontinuität (145-158), Laure Neumayer zielt auf den Euroskeptizismus in „Central Europe“ hin (159-178), Ingrid Röder bringt die aktuellen Integrationsprozesse in Tschechien und der Slowakei in den Kontext der Gender Studies ein (179-188), und An Schrijvers wirft die Frage nach der Kompatibilität der Rechts- und Verfassungsvereinheitlichung am Beispiel Polens auf (189-214); Mojmír 568 Südost-Forschimgen 68 (2009)
Rezensionen Križan betrachtet die Zusammenhänge zwischen der Europäischen Union und der Interkulturalität in Kroatien seit 2000 (215-235). Den Abschluss des Bandes bildet eine Schlussfolgerung des Herausgebers sowie ein Orts-, Personen- und Sachregister. Das Generalthema ist unzweifelhaft hochbrisant und bedarf einer fundierten Analyse, wie sie in diesem Sammelband auch betrieben wird. Die detaillierte Erörterung aller Beiträge würde die Besprechung allerdings ausufern lassen, und eine Auswahl könnte als Willkür interpretiert werden. Daher beschränkt sich der Rezensent auf ein paar Randbemerkun gen. Der räumliche Horizont zwischen Titel und Beiträgen klafft deutlich auseinander, denn von den Balkanländern gleichwie von den baltischen Staaten ist nicht die Rede. Die zweite Facette, die Berücksichtigung hätte finden können, betrifft die Frage, inwieweit kollektive Erfahrungen aus früheren fntegrationsereignissen im Hier und Heute noch oder wieder eine Rolle spielen können; damit ist vorwiegend die Funktion der ehemaligen Habsburgermonarchie gemeint, deren historisches Erbe und dessen Auswirkungen in den sogenannten Nachfolgestaaten immer noch unzureichend erforscht sind. Der dritte nicht behandelte Gesichtspunkt, der den Weg der Erkenntnis noch mehr in die Vergangenheit zurückwiese, besteht in der Frage nach dem Gewicht traditionell regional-provinziellen Denkens und Handelns, das weniger aus den Hauptstädten als den Peripherien kommt und auch weniger vom Kopf ausgeht, sondern von Gefühlslagen und Mentalitäten. Derartige Faktoren bedürfen stärkerer Berücksichtigung, um die
Bodenhaftung mit der Wirklichkeit sicherzustellen. Graz Harald Heppner Christen und Muslime. Interethnische Koexistenz in südosteuropäischen Periphe riegebieten. Hgg. Thede Kahl/Сау Lienau. Münster, Berlin: LIT Verlag 2009 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa, 11). 361 S., ISBN 978-3-643-50058-8, € 44,90 Schon die Balkankriege zu Beginn des 20. Jh.s und der Zerfall von drei Vielvölkerreichen, dann der 2. Weltkrieg, die Konflikte um Zypern und schließlich jüngst die Jugoslawienkriege in den frühen 1990er Jahren haben uns mehrfach Prozesse (gewaltsamer) Entmischung von Volks- und Religionsgruppen, die abrupte Zerschlagung von über Jahrhunderte gewachse nen Strukturen interethnischer Koexistenzen von Christen und Muslimen in Südosteuropa und ihre fatalen Folgen vor Augen geführt. Seit dem Erscheinen von Huntingtons Werk „Kampf der Kulturen“ (1996) ist die Problematik der interethnischen Koexistenz von Chris ten und Muslimen zum medialen Dauerbrenner geworden. Das Hauptinteresse galt und gilt bis heute allerdings den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien, insbesondere Bosnien und Mazedonien, Albanien sowie dem noch jungen Staat Kosovo. Regionen des östlichen Balkans, etwa Rumänien und Griechenland, wo Traditionen interethnischer (weitgehend friedlicher) Koexistenz von Christen und Muslimen bis in die Gegenwart fortbestehen, wurde bisher hingegen kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Südost-Forschungen 68 (2009) 569
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Der von Thede Kahl und Cay Lienau in der Reihe „Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa“ herausgegebene Band will diese Forschungslücke schließen. Kern des Bandes bilden Ergebnisse eines Forschungsprojekts, durchgeführt zwischen 2005 und 2007 am Institut für Geographie der Westfalischen Wilhelms-Universität in Münster und am (mitderweile aufgelösten) Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut in Wien, zum Thema „Interethnische Beziehungen zwischen orthodoxen Christen und Muslimen in Südosteuropa — Beispiele aus konfessionell gemischten Siedlungen in Griechenland und Rumänien“. Das Hauptaugenmerk richtet sich also auf die bisher nur wenig erforschten ethnisch und religiös gemischten Gemeinden im bislang friedlichen östlichen Balkan, namentlich in der Norddobrudscha (Rumänien) und in Westthrakien (Griechenland). Dieses so lohnenswerte Vorhaben schränken die Herausgeber aber bereits im Vorwort ein mit dem Hinweis, dass zahlreiche Forschungs(zwischen-)ergebnisse dieses Projekts bereits in publizierter Form vorliegen (vgl. 8, Anm. 1). Daher ist der Band nicht streng projektbezogen aufgebaut, sondern enthält perspektivisch erweiternde Beiträge, die auf zwei (identisch titulierte) projektbezogene Tagungen „Interethnische Beziehungen zwischen Christen und Muslimen in Südosteuropa“ (2006 und 2007) zurückgehen. Zusätzlich sind in dem Band noch weitere Beiträge von Wissenschaftlern publiziert, deren Forschungen für die Gesamtthematik nützlich erschienen. Diese perspektivische Erweiterung der Kernunter suchungsräume
„Norddobrudscha“ und „Westthrakien“ auf einen Blickwinkel, der nun sämtliche südosteuropäische Peripheriezonen einbezieht, rechtfertigt zwar der Untertitel des Bandes, dennoch ist bei derartigen Konzeptionen, um den Blick auf die Generalthematik nicht zu verlieren, stets anzustreben, die einzelnen Schauplätze durch einen roten Faden miteinander zu verbinden - ein Desiderat, das dieser Band dem Leser schuldig bleibt. Denn weder gemeinsame methodische Ansätze, wie etwa die die zentralen Ausgangsstu dien zur Norddobrudscha und zu Westthrakien dominierenden und aus der empirischen Sozialforschung, der Sozialgeographie und Ethnologie entlehnten Konzepte noch einheitli che bzw. Kontinuitäten zeichnende zeitliche Rahmen vermögen, die Beiträge untereinander schlüssig zu vernetzen: Während der Beitrag über die Projektergebnisse (Maria Bara, Thede Kahl, Gerassimos Katsaros, Cay Lienau) und noch einige weitere Kapitel zu Westthrakien (Domna Michail, Vermund Aarbakke, Hermann Kandler) bzw. Nord griechenland (Johann-Bernhard Haversath) einen zeitgeschichtlichen Schwerpunkt setzen, befasst sich beispielsweise der Beitrag „Zur Geschichte der Muslime auf Kreta“ (Mama Six-Hohenbalken, 121-140) mit der Periode zwischen 1645 und der Mitte des 19. Jh.s, reicht also nicht einmal bis zur Befreiung Kretas von der osmanischen Herrschaft 1913 bzw. der daran anschließenden Umsiedlung kretischer Muslime u.a. nach West thrakien. Aufgrund fehlender übergeordneter Abschnitte, die etwa (1) einen allgemeinen Teil mit Hintergrundinformationen zur Stellung und Alltagskultur von Muslimen und Christen im
Osmanischen Reich und in den heutigen Nationalstaaten, gewissermaßen als Hinführung zum Thema, hätten umfassen können, (2) Beiträge zu den Schauplätzen des Projekts, und schließlich (3) weitere Schauplatzanalysen, die einen Vergleich mit den Untersuchungsräumen des Projekts ermöglichen, muss sich der Leser in einem Potpourri von 22 mehr oder weniger zufällig aneinandergereihten Einzelbeiträgen zurechtfinden: Lediglich fünf Beiträge - jedoch nicht einmal hier hintereinandergereiht - befassen sich mit 570 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Wes u: h raide n bzw. dem weiteren Nord(ost)griechenland, gar nur zwei - ein Beitrag ganz vorne im Buch, einer ganz hinten - mit der Norddobrudscha bzw. mit muslimischer Kultur in Rumänien. Die restlichen 15 Beiträge behandeln entweder allgemeine Fragestellungen zum Zusammenleben von Christen und Muslimen in Südosteuropa (ohne länderspezifische Schwerpunktsetzung), wie etwa zur religiösen Identitätsbestimmung (Assaad E. Kattan, Fikret Adanir, Ernst Christoph Suttner), zu rechtlichen (Suttner), administrativen (Marlene Kurz), alltagskulturellen (Gabriella Schubert, Stefan Rohdewald), musika lischen (Wolf Dietrich), sprachlichen und ethnischen (Christian Voss) Besonderheiten oder untersuchen diese Spezifika anhand einzelner Fallbeispiele an unterschiedlichsten Schauplätzen Südosteuropas (Kosovo/Luca Maiocchi; Kreta/Six-Hohenbalken; Bosni en / Maiocchi; Bulgarien/Marina Liakova; Pomaken Bulgariens / Evangelos Karagiannis; Krim/Swetlana Czerwonnaja) und selbst Österreichs (Valeria Heuberger). Zu weiterer Verwirrung trägt auch die Tatsache bei, dass der erste Beitrag des Bandes (Μ. Bara, Th. Kahl u. a.) - wenn auch seitenmäßig sehr umfangreich (9-50) ֊ in nur äußerst straffer Form die Untersuchungsräume Norddobrudscha und Westthrakien behandelt: Für den Leser, der das Vorwort nicht gelesen hat, entsteht dadurch der fälschliche Eindruck, als würde es sich um ein einführendes Kapitel zu im weiteren Verlauf des Bandes dann noch ver tieften Aspekten handeln. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Beiträge zu Westthrakien bzw. Nordgriechenland, die weiter hinten im Band
ja tatsächlich noch folgen, liefern teilweise jene allgemeinen Informationen, die der Leser benötigt, um dem einleitenden Kapitel folgen zu können. Für jenes Publikum, das den Hinweis im Vorwort wahrgenommen hat, dass mehrere Publikationen zu den Kernräumen des Forschungsprojekts bereits vorliegen, hat der erste Bei trag Uberblickscharakter, wie man es einem Projekt(ergebnis)bericht abverlangt. Dies ist zwar aus dem genannten Umstand nachvollziehbar, rechtfertigt aber nicht Ungenauigkeiten, die für den Insider zwar vielleicht als Selbstverständlichkeiten unwichtig und daher vernachläs sigbar erscheinen mögen, für den mit dem Untersuchungsraum jedoch nicht vertrauten Leser schnell zu Fehlschlüssen führen können. Folgende Kritikpunkte gilt es daher anzuführen: 1. Wahl der Untersuchungsräume. Zentrale Fragen, wie etwa die, warum in der Nord dobrudscha ausgerechnet die Stadt Medgidia und das Dorf Cobadin bzw. in Westthrakien die Stadt Xanthi und die dörfliche Siedlung Evlalo als Untersuchungsschauplätze gewählt wurden, bleiben offen. Bei Medgidia/Mecidiye/Karasu mit ihren rund 44.000 Einwohnern (Stand 2003) handelt es sich um eine verhältnismäßig junge Gründung (1860 unter Sultan Abdülmecid I.). Mit Stolz weist die Stadt auf ihrer Webseite auf ihre gemischte Bevölkerung hin, der Rumänen, Türken, Tartaren, Aromunen, Griechen und Armenier angehören. In kommunistischer Zeit erlebte Medgidia einen wirtschaftlichen Aufschwung und wuchs rasch zu einer bedeutenden Industriestadt an, die erneut eine große Zahl an Arbeitskräften aus ver schiedenen Regionen des Landes, insbesondere
aber aus der rumänischen Moldau anlockte. Das südlich von Medgidia gelegene Dorf Cobadin/Kutbudin/Kobadin war ursprünglich eine türkische Siedlung, wo sich 1862 Krim-Tataren niederließen. Noch bis 1934 gab es keine orthodoxe Kirche im Dorf. Erst in den 1930er Jahren siedelten sich gleichzeitig mit den Rumänen auch Familien deutscher Herkunft aus dem südlichen Bessarabien an. Nach der Abwanderung letzterer in den frühen 1940er Jahren traten an ihre Stelle weitere rumänische Zuwanderer. Südost-Forschungen 68 (2009) 571
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Diese knappe Information (13f.), jedenfalls aber der Hinweis auf die zwar verhältnismäßig junge multikulturelle Tradition der Stadt Medgidia, und auf die im Gegensatz dazu über Jahr hunderte fast ausschließlich muslimische - dennoch ethnisch differenzierte - dörfliche Sied lung Cobadin, die erst in den 1930er Jahren mehr und mehr um „andere“ (christliche) Kultu relemente bereichert wurde, mag dem Leser als Erklärung für die Schauplatzwahl ausreichen. Fehlgeleitet wird er hingegen bei den Untersuchungsräumen in Westthrakien, der Stadt Xanthi/iskeçe und der dörflichen Kleinsiedlung Evlalo/Inhanh/Ilanli (ca. 800 Einwohner, Stand 2001), beide im Nomos Xanthis. Hier entsteht nämlich der Eindruck, als würde es sich um Orte handeln, die als pars pro toto für ganz Westthrakien die Situation des Zu sammenlebens zwischen Christen und Muslimen wiedergeben. Dem Leser vorenthalten werden jedoch die für das Begreifen des Sonderfalls Westthrakien so entscheidenden von Nomos zu Nomos deutlich wahrnehmbaren regionalen Unterschiede, die nicht nur auf variierende topographische bzw. kulturgeographische Gegebenheiten zurückzuführen sind, sondern vielmehr noch aus der unterschiedlichen Aufteilung der einzelnen (ethnographisch differenzierbaren) muslimischen Gruppen (Nomos Xanthis: mehrheitl. Pomaken; Nomos Rhodopis: mehrheitl. Türken; Nomos Evrou: mehrheitl. Muslimische Roma) erklärbar werden. Daraus ergibt sich letztlich auch ein dementsprechend unterschiedliches Agieren, mitunter auch Zusammenspiel von Staat/Stadtverwaltung, Metropolie und Müfteia.
Ins besondere die jeweiligen Medien (Regionalzeitungen) und die (kulturelle) Vereinsvielfalt spiegeln dieses Interagieren eindrucksvoll wider. Ob ihrer Größe mit rund 55.000 Einwohnern (Stand 2007) eignet sich die als Unter suchungsfeld gewählte Stadt Xanthi/iskeçe, am Fuße der Rhodopen gelegen, zwar gut für einen Vergleich mit dem rumänischen Beispiel Medgidia. Ihre lange urbane Tradition (Bischofssitz seit 1344) und die folglich jahrhundertelang gewachsenen und prägenden urbanen Strukturen Xanthis, die diese Stadt zum städtischsten Ort des vorwiegend rural geprägten Westthrakien werden ließen, stellen eine Vergleichbarkeit mit einer Neugrün dung aus dem späten 19. Jh., noch dazu einem Industriezentrum, allerdings in Frage. Es muss auch betont werden, dass Xanthi, eben aufgrund seiner für westthrakische städtische Siedlungen gewissermaßen atypische Entwicklung, keineswegs ein repräsentatives Beispiel für die Gesamtregion Westthrakien abgibt! Nicht wirklich schlüssig ist auch die Wahl des zweiten Schauplatzes in Westthrakien, des ebenfalls im Nomos Xanthis gelegenen Dorfes Evlalo/Inhanh/Ilanli: Es mag zwar durch seine für den Nomos Xanthis atypische Besonderheit hervorstechen, dass dort mehrheit lich muslimische Roma und Nachfahren muslimischer Soldaten aus dem Sudan leben, die exonym als Araber bezeichnet werden, sich endonym aber als Türken sehen. Doch stellt diese ethnische Zusammensetzung für den mehrheitlich von Pomaken besiedelten Nomos Xanthis einen absoluten Sonderfall dar. Naheliegenderweise beeinflussen daher auch nicht erstere sondern letztgenannte das
alltagskulturelle Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen, im Weiteren auch das Verhalten von Staat, Kirche und Müffeia im Nomos Xanthis einschließlich seiner Hauptstadt, Xanthi, maßgeblich. Daher wäre gerade im Hinblick auf die zentralen Fragen des Projekts nach der Bewältigung alltagskulturellen Zusammenlebens eine Feldstudie in einem der unzähligen Pomakendörfer im Hinterland von Xanthi (z. B. Sartres, Thermes, Echinos) wohl zielführender gewesen. 572 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen 2. Aussagefahigkeit und Repräsentativität der Quellen. Bezüglich Quellen stützte sich die Forschergruppe auf schwerpunktmäßig in den vier genannten Orten durchgeführte le bensgeschichtliche Interviews. Die geringe Zahl an befragungswilligen Zeitzeugen und Zeit zeuginnen (25 in Westthrakien; 28 in der Norddobrudscha) machte es jedoch notwendig, weitere mündliche Daten zu sammeln durch Experten-, Gruppen- und Spontaninterviews (auf der Straße, am Markt) sowie durch eigens aufbereitete Fragebögen, die an Schüler in Absprache mit deren Lehrern verteilt wurden. Weitere erkenntnisleitende Aufschlüsse lieferte den Forschern die teilnehmende Beobachtung von Festen, Taufen und Begräbnissen, kurz von Veranstaltungen, die in enger Verbindung mit religiösen Einrichtungen stehen. Doch auch hier ist ein für die Beurteilung des Zusammenlebens zwischen Christen und Muslimen in Westthrakien, für die Durchmischung christlicher und islamischer Traditionen, sehr wesentliches kulturelles Moment unberücksichtigt geblieben: Nämlich der besonders in Westthrakien bis heute von Muslimen und (!) Christen praktizierte Bektaschismus. Elätte die Forschergruppe ein paar der zahlreichen in ganz Westthrakien und so auch im Nomos Xanthis mit einiger Ortskenntnis leicht aufzufindenden Tekkedes oder Türbes des BektaşıOrdens besucht, hätte man dem Leser das eindrückliche Ineinandergreifen christlicher und islamischer Andacht anschaulich (durch entsprechendes Bildmaterial) näherbringen können. Auch wenn Domna Michail in einem knappen Beitrag (113-119) das Phänomen des Bektaschismus in Westthrakien
beschreibt, bleiben dem Leser solche kulturellen Prak tiken unverständlich, wenn nicht entsprechendes Bildmaterial illustrativ beigegeben wird! 3. Subjektive Eindrücke und kritische Reflexion. So strukturiert auch die einzelnen Hypothesen dargelegt und durch eine Reihe von Statements einzelner Zeitzeugen illustriert werden, so sehr vermisst der Leser eine eingehend kritische Reflexion dieser subjektiven Eindrücke und Erfahrungen. Durch eine solche hat man als Befrager beispielsweise stets im Hinterkopf, dass die Muslime Westthrakiens ein außerordentlicher Konservativismus eint, der ihre Grundeinstellung weit vom Kemalismus einer modernisierten Türkei entfernt hat, sie vielmehr in osmanischen Strukturen verharren lässt. Diese Haltung wird von Athen sogar noch unterstützt, will man doch einer vollständigen Türkisierung dieser Minderheit soweit wie möglich entgegenwirken (selbstsprechend die offizielle (griechische) Bezeichnung „muslimische“ Minderheit) bzw. diese bestmöglich retardieren. Somit ist es nur zu logisch, dass sich diese Haltung auch, ja gerade in der öffentlichen Erinnerungskultur durch eine verglichen zum Rest Griechenlands auffallend geringe Zahl an Denkmälern manifestiert; und wenn doch Denkmäler beispielsweise in muslimischen Dörfern aufgestellt werden, so sind diese namenlos, d. h. ohne erklärende Beschriftung, und weisen - ganz der osmanischen Tradition folgend - stark abstrakten bzw. symbolhaften Charakter auf. Die Feststellung, dass die osmanische Zeit aus der Erinnerungskultur ausgeblendet bliebe (49), ist daher äußerst fragwürdig, denn eigentlich wird
sie ja gerade durch das beschriebene Verhalten öffentlich kommuniziert! Es erscheint aber auch sehr kühn und realitätsfremd, in diesem Zusammen hang von „Rücksichtnahme auf die Minderheit“ (44) oder von einer gezielten Wahl von Motiven und Symbolen zu sprechen, „mit denen sich beide Seiten identifizieren“ (ebenda). Abschließend bleibt festzuhalten, dass hier ein interessantes und in der bisherigen Süd osteuropaforschung leider viel zu wenig beachtetes Thema, nämlich die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft der beiden nicht nur geographisch, sondern eben auch rezeptiv periSüdost-Forschungen 68 (2009) 573
Geschichte: Übergreifende Darstellungen pheren Regionen Norddobrudscha in Rumänien und Westthrakien in Griechenland, von einem internationalen Forscherteam aufgegriifen wurde. Umso bedauerlicher ist es deshalb, dass die vielen Erträge, die aus diesem forschungsmäßigen Neuland gezogen wurden, in zahlreichen Einzelpublikationen zwar veröffentlicht wurden, jedoch nicht in einem Band geschlossen vorliegen. Damit bleibt die Nachhaltigkeitswirkung des hier besprochenen Bandes fragwürdig, was nicht nur den die Projektkernthematik ergänzenden allgemeinen Beiträgen, sondern auch den weiteren Schauplatzanalysen zum Nachteil gereicht. Graz Ulrike Tischler-Hofer Constantin Dobrilă, Entre Dracula et Ceauşescu. Les représentations exogènes et endogènes de la tyrannie chez les Roumains, du milieu du XVIe à la fin du XXe siècle. Bucureşti: Institutul Cultural Român 2006 (Colecţia Augur). 384 S., ISBN 978-973-577-484-4 Constantin Dobrilă hat sich für seine an der Université Laval (Québec, Kanada) ent standene Dissertation vom Nimbus der beiden international bekanntesten Figuren der rumänischen Geschichte leiten lassen. Der walachische Fürst Vlad III. „Dräculea“ (um 1431-1476) und der kommunistische Diktator Nicolae Ceauşescu (1918-1989) stellen die beiden Pole dar, in deren Spannungsfeld er den Begriff der Tyrannei vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende des 20. Jh.s untersucht. Die Frage nach der Tyrannei und im Weiteren die nach dem Tyrannenmord dienen ihm dabei als eine Art Sonde, mit deren Hilfe er die Rolle der Gewalt im politischen Diskurs bzw. das Bild der „schlechten Regierung“
bei den Rumänen aus der Perspektive der longue durée nachvollzieht. Dabei berücksichtigt der Autor exogene und endogene Diskurse und analysiert sie mit einer Kombination aus „linguistischer Archäologie und anthropologischem Blick“ (350), um sowohl die semantische Entwicklung des Begriffs der Tyrannei als auch seine symbolische Dynamik darzustellen. Drei erkenntnisleitende Fragen prägen die Arbeit: die nach der semantischen Evolution des Konzepts der Tyrannei in der politischen Sprache und in der politischen Repräsentation bei den Rumänen, die nach dem Verlauf des Diskurses im Westen und die nach der Verortung des speziellen Begriffs der Tyrannei im endogenen Diskurs über die „schlechte Regierung“. Dobrilă beginnt seine Überlegungen beim endogenen Diskurs und zieht dazu die Texte rumänischer Chronisten des 16. Jh.s heran. Der Begriff des Tyrannen ist ihnen nicht be kannt, dennoch beobachtet der Autor eine implizite Anwendung des Konzepts auf einige in den analysierten Texten beschriebene Persönlichkeiten. Erst gegen Ende des 17. Jh.s sei durch den Kontakt der rumänischen Gelehrten mit der klassischen Literatur der Tyran nenbegriff im endogenen Diskurs rezipiert worden. Im 19. Jh. sollte sich, um „schlechte Herrschaft“ zu beschreiben, jedoch der Begriff des „Despotismus“ durchsetzen, während die Totalitarismen des 20. Jh.s die Vorherrschaft des Begriffs der „Diktatur“ förderten. Be sonders nach dem Ende des Kommunismus habe der „Westen“ seine wichtigste Antithese 574 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen verloren, gleichzeitig sei aber in Rumänien — nun, wo sich der Begriff der Tyrannei vom politischen KampfbegrifFzur Kategorie der Erinnerung gewandelt habe - durch Ceauşescus Erbe wieder ein intensiverer Tyrannen-Diskurs aufgeflammt. Dem Autor gelingt es, die großen Marksteine des politischen Diskurses bei den Rumänen bzw. Rumäniens herauszuarbeiten: die große Wende durch den „Import“ der okzidentalen politischen Ordnung und Sprache im 18. Jh., die veränderte Interpretation der Tyrannei von einer diabolischen Plage im Mittelalter bis zu einem politischen Krankheitsbild, das die Demokratie herausfordert (347f.). Die Untersuchung verdeutlicht zudem die Logik, die hinter der „Tyrannisierung“ einer historischen Persönlichkeit steht: Niemals erweist sie sich als irreversibel, nationaler Heldenkult und Dämonisierung scheinen mitunter keine exklusiven Vorgänge zu sein. Exogene und endogene Perspektiven tragen ebenso zu dieser Ambivalenz bei, wie besonders am Beispiel des „Dracula“-Bildes zu sehen ist: Im „Westen“ als das eines blutrünstigen Tyrannen konstruiert, gilt Vlad III. im innerrumänischen Diskurs als harter, aber gerechter „Nationalheld“. Die Gleichsetzung Ceauşescus mit „Dracula“ funktioniert demnach nur im exogenen Diskurs. Auch wenn sich das methodische Fundament letztlich als tragfähig erweist, muss angemerkt werden, dass bezüglich des „Titelhelden“ Dracula eine genauere Darstellung seiner Popularisierung vonnöten gewesen wäre. Der Autor nennt Vlad III. einen „prince vampire“ (16), ohne darauf einzugehen, dass die Verbindung zwischen dem walachischen
Fürsten und dem literarischen Grafen erst gegen Ende des 19. Jh.s (und das eher zufällig) vom Romanautor Bram Stoker hergestellt und letztlich in den Arbeiten der beiden ameri kanischen Historiker Radu Florescu und Raymond McNally ab den 1970ern zementiert wurde.1 Problematisch erscheint auch der Beginn des nominellen Untersuchungszeitraums mit der Mitte des 16. Jh.s, denn der exogene Tyrannen-Diskurs zu Vlad III. beginnt schon zu seinen Lebzeiten in den frühen 1460er Jahren.2 Die historische Darstellung des Autors bezieht sich großteils auf eine von Anachronismen durchsetzte Meistererzählung der nationalistischen Phase des rumänischen Sozialismus, die außerhalb des (nicht zu kleinen) traditionalistischen Teils rumänischer Historiker kaum mehr Anhänger findet. Symptomatisch ist in diesem Zusammenhang die Aussage, in Siebenbürgen seien die „Rumänen“ von den anderen drei dort ansässigen „Nationen“ marginalisiert worden, ohne daraufhinzuweisen, dass es sich dabei um Nationen in einem vormodernen Sinn handelte und die „Unterdrückung“ konfessionell, keinesfalls national motiviert war. In derselben Tradition stehend suggeriert die durch die Hauptkapitel ge gliederte Periodisierung („II. La tyrannie avant ľepoque moderne“ und „III. La tyrannie durant ľépoque des nations“) den nahtlosen Übergang eines überlangen Mittelalters in ein „modernes“, weil durch Revolution befreites, Zeitalter ab dem 19. Jh. Das dichotomische Schema (Orient vs. Okzident bzw. endogener vs. exogener Diskurs) er laubt zwar eine von Mehrdeutigkeiten nahezu freie Darstellung der Wechselbeziehungen zwi schen
zwei Hälften Europas bzw. der Rumänen mit den „Nicht-Rumänen“, stellenweise würde jedoch eine Relativierung dieser scheinbaren Antagonismen, besonders für Zonen, die keine deutliche Zuordnung zu einer „Seite“ zulassen, einen größeren Erkenntnisgewinn ermöglichen. Trotz dieser Einschränkungen ist es dem Autor gelungen, die wesentlichen Merkmale des politischen Diskurses in der rumänischen Tradition und gleichzeitig auch die exoSüdost-Forschungen 68 (2009) 575
Geschichte: Übergreifende Darstellungen genen Einflüsse darzustellen wie die Umkehrbarkeit eines „Images“ vom Tyrannen zum Nationalhelden (jüngste Umfragen belegen tatsächlich das erhöhte Aufkommen einer der wirtschaftlichen Situation geschuldeten Ceauşescu-Nostalgie), die Instrumentalisierung der Geschichte zu diesem Zwecke, die wechselseitige Beeinflussung des exogenen und des endogenen Diskurses, die permanente Reflexion über den Missbrauch von Macht und der selbstbestätigende Blick des Westens auf den „rückständigen“ Osten. Es ist daher nur konsequent, wenn Dobřila Nationalismus, religiösen Fundamentalismus und Terrorismus als neue Synonyme der Tyrannei nennt. Dass zur vom Autor festgestellten „Gegenwart der Vergangenheit“ auch immer eine „Gegenwart der Gegenwart“ kommt und die (vampirische) Popkultur zu einer Konstante wechselseitig wirkender politischer Diskurse geworden ist, belegen die jüngsten Ereignisse um die Budgetkürzungen in Rumänien, als Demonstranten bei der symbolischen Pfählung ihrer Regierung rote Mäntel trugen, wie man sie im zweiten Teil der populären US-amerikanischen Vampirfilmreihe „Twilight“ (2009) zu sehen bekam. Wien Florian Kührer 1 Vgl. dazu die Arbeiten der kanadischen Literaturwissenschaftlerin Elizabeth Miller, Auszüge online verfügbar unter http://www.ucs.mun.ca/-emiller , 2.7.2010. 2 Nach wie vor maßgeblich dazu Dieter Harmening, Der Anfang von Dracula. Zur Geschichte von Geschichten. Würzburg 1983, sowie die vom Autor teilweise in der Bibliographie berücksich tigten Arbeiten Matei Cazacus. Die Dobrudscha. Ein neuer Grenzraum der
Europäischen Union: Sozioökonomische, ethnische, politisch-geographische und ökologische Probleme. Hgg. Wilfried Hel ler/ Josef Sallanz. München, Berlin: Verlag Otto Sagner2009 (Südosteuropa-Studien, 76). 234 S„ ISBN 978-3-86688-068-9, € 19,80 Die Dobrudscha ist sowohl auf rumänischer als auch auf bulgarischer Seite eine der struk turschwächeren Regionen Europas. Der Potsdamer Geograph Josef Sallanz hat seit 2003 in mehreren Abhandlungen und Sammelbänden dieses an der Peripherie der Europäischen Union gelegene und weithin unbekannte Gebiet thematisiert. Geschah dies bisher überwiegend unter dem Blickwinkel der Ethnizität, so deckt der nun von ihm gemeinsam mit Wilfried Heller herausgegebene Band ein breiteres Spektrum ab. Die aus einer Tagung in Constanţa 2007 hervorgegangenen Beiträge deutscher, rumänischer und bulgarischer Wissenschaftler gruppieren sich um die sozioökonomische, ethnische, politisch-geographische und nicht zuletzt um die besonders prekäre ökologische Situation des Gebietes am Schwarzen Meer. Der erste und umfangreichste Abschnitt analysiert die sozioökonomische Lage. Detailrei che Statistiken belegen den wirtschaftlichen Wandel und die einschneidenden Verschiebun gen zwischen den wirtschaftlichen Sektoren nach 1989/1990 (Floarea Bordano/Vasile Nicoară / Marius Popescu / Zoia Prefac, „Present changes in the structure of Dobrudjas economy“, 43-64). Diese Besonderheiten im Transformationsprozess vertiefen Ioan Ianoş 576 Südost-Forschungen. 68 (2009)
Rezensionen und Andreea-Loreta Cepoiu („Sozioökonomische Folgen der wirtschaftlichen Umstruk turierung in der rumänischen Dobrudscha“, 19-42) mit dem grundlegenden und überra schenden Hinweis, dass die Transformation im industriellen Sektor die Dobmdscha weniger getroffen habe als andere Regionen Rumäniens, da sich die ansässigen Industriezweige (Werften, chemisch/petrochemische Werke und vor allem das 1996 in Betrieb gegangene einzige Kernkraftwerk Rumäniens in Cernavodă) dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb stellen konnten. Die Landwirtschaft hingegen leidet unter dem Verlust von Absatzmärkten, Parzellenzersplitterung, schlechter Ausstattung und unzureichender Bewässerung. Der ter tiäre Sektor stagniert, mit Ausnahme Constanţas, noch immer. Dies gilt vor allem für die desolate touristische Infrastruktur; diese hat die Chance, die die Vermarktung des touristisch interessanten Weltnatur- und Weltkulturerbes „Donaudelta“ bietet, bisher zu wenig aufgegriffen. Eine besonders interessante Entwicklung in der bulgarischen Dobrudscha greift Christian Giordano auf („Sozioökonomische Prosperität und privates Vertrauen: Zur verblüffenden Karriere kapitalistischer Großunternehmer im bulgarischem Agrarsektor: Das Fallbeispiel Dobrudscha“, 89-106). Seine Beobachtungen belegen, dass die Ziele der Agarreformgesetzgebung nicht erreicht wurden und im landwirtschaftlichen Sektor soziale Muster unter anderen Vorzeichen weiterbestehen. Frühere Eliten nutzten die Gelegenheit der zu kleinzellig angelegten Parzellierung, um durch Pachtsysteme zu „arendatori“ aufzu steigen, die früheren
Arbeitskräfte in ein Klientelsystem einzubinden und alte Machtstruk turen zu übernehmen. Eine detailliert verfolgte Beispielkarriere belegt dies eindrucksvoll. Unter multiethnischem, -religiösem und -kulturellem Aspekt bietet die Dobrudscha noch heute ein interessantes Feld, auch wenn von der bis ins 20. Jh. bestehenden Vielfalt nur mehr Spuren vorhanden sind. So sank in beiden Teilen der Dobrudscha der Anteil der Muslime im rumänischen Teil von über 40 % (1878) auf 8,5 % (1930) bis auf heute 5,2 % und in der südlichen Dobrudscha von ebenfalls 40% (1910) auf aktuell 15,6%. Für die nördliche Dobrudscha stellt Josef Sallanz, basierend auf den Ergebnissen eines größer angelegten Forschungsprojektes der Uni Potsdam von 2003/2004, die Lage dar („Zur Bedeutung von Ethnizität in der rumänischen Dobrudscha: die aktuellen Lebenslagen der ethnischen Minderheiten“, 107-139). Positive Folgen der Transformation sind ein Mehr an Meinungsfreiheit und Pluralismus; negative Folgen zeigen sich auch für die Minder heiten vor allem auf ökonomischem Gebiet, was in leichter Abwanderung resultiert. Die Wiederbelebung eines ethnischen Selbstverständnisses fand wenig Unterstützung durch die jeweiligen Patronagestaaten. Nach wie vor problematisch ist die Lage der Roma, die wirtschaftlich und sozial (besonders deutlich sichtbar in überproportional geringen Schul abschlüssen, die mit einer beinahe 3fach erhöhten Armutsrate korrelieren) eindeutig zu den großen Verlierern des Transformationsprozesses gehören und zudem mit Ausgrenzung zu kämpfen haben. Dies stellt Dobrinka Kostova auch für die
bulgarische Dobrudscha dar („Interethnic relations and multicultural existence in the Bulgarian Dobrudja“, 139150). Sie sieht generell eine Wiederbelebung des multikulturellen Charakters durch die Nivellierung der sozialistischen Einheitstendenzen und weist daraufhin, dass dieser Prozess zwischen Bulgaren und Muslimen harmonisch verlaufe. Politisch-geographisch steht die Frage nach der Grenzpositionierung der Dobrudscha im Zentrum. Über die Dobrudscha hinaus geht der Beitrag von Bernd Belina, der die Südost-Forschungen 68 (2009) 577
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Erweiterungs- und Einflussstrategien der EU v. a. gegenüber den unmittelbaren „Nach barn“ Ukraine und Moldau kritisch diskutiert („Die ENP - eine imperialistische Politik“, 157-169). Alexandru Ilieş und Vasile Grama untersuchen die neue Stellung und die Bedeutung und Entwicklung der Euroregion Danube-Dobrudja in der grenzübergreifenden Kooperation („Dobrudja in the cross-border Euroregional System. Political-geographical peculiarities, 173-188). Bulgarien und Rumänien haben heute in der Dobrudscha eine EUInnengrenze. Dass dies trotz der gemeinsamen Teilhabe am „Lower Danube“-Programm bis heute eine „Nicht-Beziehung“ (189) ist, versucht Klaus Roth („Die Dobrudscha und die bulgarisch-rumänischen Nachbarschaftsbeziehungen“, 189-198) aus historischen und mentalitätsgeschichtlichen Entwicklungen abzuleiten. Nicht stimmig scheint hier die Argumentation, das Verhältnis der beiden Nachbarländer und der Dobrudscha sei bis ins 19. Jh. nicht belastet gewesen (190) - gehörte doch die Dobrudscha bis 1878 zum Osmanischen Reich und war nach ihrer Teilung durch den Berliner Kongress bis zur sozialistischen „Verbrüderung“ permanentes Konfliktfeld. Im abschließenden Sektor stehen ökologische Fragen im rumänischen und bulgarischen Teil der Dobrudscha im Mittelpunkt. Alle drei Beiträge (Dan Bälteanu / Petre Tran dafir/ Diana Dogaru, 199-213; Petre Găştescu / Basarab Drigat, 213-222; Rossen TzoNEW, 223-232) weisen daraufhin, dass die ökologische Situation sich angesichts der unaufgearbeiteten Folgen der sozialistischen Umweltverschmutzung, des
Klimawandels und seiner Auswirkungen auf die Vegetation sowie der neuen Vorhaben im Bereich des Massen tourismus, der Energiegewinnung und des Kanalbaus im Delta weiter verschärfen dürfte. Sehr knapp fallen Beiträge zur Transportinfrastruktur (Cristian Tăi.ánga/Cristian Braghină), zum historischen Kontext (Wilfried FIeller), zur Frage von europäischer Dynamik und doppelter Peripherisierung (Anton Sterbling) und - dies ist besonders bedauerlich - zu den Lipowanern (Nichifor Vorobiov) aus. Insgesamt merkt man den Beiträgen den Vortragscharakter an, fehlt doch ein wissenschaftlicher Anmerkungsapparat, ein Manko, dass die den einzelnen Beiträgen angefügten Literaturverzeichnisse (die zu mindest für historische Abschnitte nicht vollständig sind) nicht ganz ausgleichen können. Regensburg Andrea Schmidt-Rösler Griechische Kultur in Südosteuropa in der Neuzeit. Beiträge zum Symposium in memoriam Gunnar Hering (Wien, 16.-18. Dezember 2004). Hgg. Maria A. Stassinopoulou / Ioannis Zelepos. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2008 (Byzantina et Neograeca Vindobonensia, 26). 405 S., ISBN 9783-7001-3829-7, €67,80 Der hier zu rezensierende Band enthält die Beiträge eines im Dezember 2004 vom Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien, der Balkan-Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Österreichischen Gesellschaft 578 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen für Neugriechische Studien organisierten Symposiums im Andenken an Gunnar Hering (1934-1994). Die Breite der Interessengebiete des großen Südosteuropa-Historikers wird im Band in der Zusammenstellung der Beiträge seiner Kollegen und Schüler reflektiert; mehrere Beiträge beziehen sich auf Fragestellungen aus seinem Werk. Die drei großen Sektionen des Symposiums (Sozial-, Kultur- und Mentalitätengeschichte, Geschichte Südosteuropas im 19. und 20. Jh. und schließlich Diaspora) sorgten für eine grobe Gliederung der Vorträge. Ihre Reihenfolge wurde im Band behalten. Nach dem Vorwort der Herausgeber leitet Pavlos Tzermias mit seinen „Methodologi schen Überlegungen zur Geschichtsschreibung über das neuzeidiche Griechenland“ (15-27) die Reihe der Beiträge ein. Der essayistisch verfasste Aufsatz (der ohne Literaturangaben auskommt, dagegen wird auf Monographien des Autors verwiesen) stellt eher eine Kritik an der älteren marxistischen Geschichtsschreibung in Griechenland dar. Hans-Michael Miedligs Beitrag {„Homo Heroicus - Homo Quietus? Chancen und Probleme eines men talitätsgeschichtlichen Ansatzes in der historischen Balkanforschung“, 29-44) zählt zu den anregendsten des Bandes. Nach einer prägnanten Einführung in den Bereich der Menta litätengeschichte und ihrer Konzepte, zeigt er anhand des Gegensatzes zwischen einem in den patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen der west- und zentralbalkanischen Gebirge angesiedelten „homo heroicus“ und einem im ostbalkanischen agrar bestimmten Raum ansässigen „homo quietus“ die Problematik von übergreifenden
Mentalitätsmodellen auf. Dagegen plädiert er für ein kleinräumiges, den fließenden Kulturgrenzen angepassteres Vorgehen. Edda Binder-Iijima arbeitet in ihrer vergleichenden Studie „Ausländischer Monarch und Konstitution: Die monarchische Herrschaft in Griechenland, Rumänien und Bulgarien im 19. Jahrhundert“ (45-63) Gemeinsamkeiten und Unterschiede der südosteuropäischen Dynastien mit einem verfassungeschichtlichen Schwerpunkt heraus. Michael Metzeltin („Das Werden der rumänischen Identität. Herrscher und Aufständi sche in den rumänischen Ländern aus Sicht eines rumänischen Politikers“, 65-83) befasst sich vor allem mit der Vorstellung von ethnischen Stereotypen in Schriften von Ion Ghica (1816-1897). Max Demeter Peyfuss („Die Πρωτοττεφία des Kaballiotes. Bibliophil-bibliologischbibliographische Bemerkungen zu einem angeblichen Unicum“, 85-90) bietet bislang unbekannte Informationen aus dem Bereich der Literatur- und Buchgeschichte, dem auch die beiden folgenden Beiträge gelten. Julia Chatzipanagioti-Sangmeister geht in ihrem Aufsatz, „Εκ του οράν το εράν. Der Eros und seine Wirkungen in der phanariotischen Lyrik der Aufklärung“ (91-112), der Frage nach, wie der aufklärerische Diskurs über die Affekte, die Liebe und die Leidenschaften in der griechischen Literatur der Aufklärung, insbesondere im Werkfÿtyrap ¿»готеЯйтртг (1792), rezipiert wird. Die doppelte Abgrenzung gegenüber kirchlichem Rigorismus und moralischem Nihilismus sowie seine komplexe innere Strukturierung machen das Werk zu einer Art säkularisierter Predigt, die ein mo derates, auf der Namrhaftigkeit des Eros
beruhendes, normatives Prinzip aufstellen will. Nadia Danova („Lachen an der Schwelle zur Neuzeit“, 113-127) zeichnet anhand von Beispielen griechischer und bulgarischer Texte des 18. und 19. Jh.s die Entwicklung von einer asketisch-ablehnenden zu einer lebensbejahenden, die Satire als politisches Mittel einsetzenden Haltung nach. Südost-Forschungen 68 (2009) 579
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Claudia Römer („Griechische Untertanen des Osmanischen Reiches im Registerbuch der Beschwerden“, 129-134) und Helen Angelomatis-Tsougarakis („The Codices of the Bishoprics as a source of Social History“, 135-151) weisen auf den Stellenwert sowie die Probleme und Beschränkungen bestimmter Quellengattungen hin. Dimitris G. Apostolopoulos („Die orthodoxe Kirche als Objekt der Politik in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts“, 153-163, auf Griechisch) stellt die Hypothese einer Verbindung zwischen dem päpstlichen Projekt einer Bekehrung des Sultans (der berühmte Brief von Pius II. an Mehmed II. um 1461) und internen Entwicklungen in der Hierarchie des ökumenischen Patriarchats (die Achtung bestimmter Kleriker als Unionsfreunde um 1462) auf. Vasilios N. Makrides spürt in seinem Beitrag („Evgenios Voulgaris und Voltaire: Ihre vermeintliche Begegnung und Auseinandersetzung am Hof Friedrichs des Großen“, 165-183) der Entste hung der einschlägigen Legende nach und verknüpft sie mit der Tradition des griechischen antiaufklärerischen und antiwestlichen Diskurses. Katerina Papakonstantinou („Greek Maritime History of the 18th Century: A new project“, 185-194) stellt ein inzwischen abgeschlossenes, auf die Erstellung von archivalischen Datenbanken zielendes Forschungs projekt vor. Maria Efthymiou schildert in ihrem Beitrag („Testing Human Feelings and Reactions in Conflict: The Case of the Greek Revolution of 1821“, 195-219) jene Aspekte des griechischen Unabhängigkeitskrieges, die ihn teilweise als einen Bürgerkrieg erscheinen lassen zwischen
einheimischen, eine über Jahrhunderte gewachsene, gemeinsame Mentalität und Lebenswelt teilenden Griechen und Türken. Antonis Liakos’ Überlegungen („On negative consciousness“, 221-228) handeln von unterschiedlichen Formen der negativen Selbstpositionierung im südosteuropäischen Zusammenhang. Die Verinnerlichung der Diskrepanz und des Abstandes zum westlichen Idealtypus und zum Kanon der Modernisierung generiert bestimmte, für die Selbstwahr nehmung der südosteuropäischen Gesellschaften konstitutive Muster, die anhand von exemplarischen Texten kategorisiert werden. Maria Christina Chatziioannous Beitrag („Im Grenzbereich zwischen Spekulation und Korruption im griechischen Staat im 19. Jahr hundert“, 229-242, auf Griechisch) kombiniert wirtschafts- und mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen. Die Investitionen vermögender Griechen aus den städtischen Zentren des Osmanischen Reiches und der Diaspora in die Wirtschaft des griechischen Staates im letzten Drittel des 19. Jh.s stellten eine Herausforderung für die einheimische Gesellschaft dar. Chatziioannou beschreibt die Einführung eines neuen kapitalistischen Ethos und dessen Rezeption, indem sie auf die zentralen Begriffe „Spekulation“ und „Korruption“ fokussiert. Demetrios Stamatopoulos hinterfragt in seinem gut dokumentierten Aufsatz („The Splitting of the Orthodox Millet as a Secularizing Process: The Clerical-Lay Assembly of the Bulgarian Exarchate, Istanbul 1871“, 243-270) die gängigen Thesen der bulgarischen und griechischen Nationalhistoriographie zur Frage des bulgarischen Exarchats. Er zeigt, dass seine
Konstituierung weniger dem Vorbild Griechenlands und der Autokephalie seiner Staatskirche folgte und sich vielmehr an der konstitutiven Versammlung des orthodoxen Millets von 1858-1860 (die infolge des Sultandekrets Hatt-i Hümâyûn von 1856 berufen wurde) orientierte. Stamatopoulos wendet den Blick auf bislang übersehene Sachverhalte: etwa die Festlegung der Machtverhältnisse zwischen Klerus und Laien, die in beiden Fällen die zentrale Frage gewesen ist, oder die entscheidende Rolle von — ethnische Trennlinien 580 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen übergreifenden - Netzwerken und Interessengruppen. Agathoklis Azelis („Die Aufteilung der Sparten in der griechischen Presse am Anfang des 20. Jahrhunderts“, 271-292) unter sucht die Rolle der Presse in der griechischen Öffentlichkeit anhand von statistischen Daten. In Michaela Prinzingers Beitrag geht es um „Literarische Wanderungen eines Sol daten: Erhärt Kästner auf Kreta“ (293-304). Die Griechenland-Aufzeichnungen Kästners aus der Zeit des 2. Weltkriegs werden vor dem Hintergrund seiner Beziehungen und seiner Korrespondenz zu Gerhart Hauptmann und Martin Heidegger analysiert. Im Zentrum der Interpretation steht der Begriff der literarischen „inneren Emigration“ als Rückzug auf die bürgerlichen Bildungsideale angesichts der Kriegserfahrungen. Hagen Fleischer („. noch nichtganz vergessen: Die deutsche Okkupation Griechenlands und ihre .Bewältigung1 durch die Nachfolgestaaten des (Groß-)Deutschen Reiches“, 303-319) als bester Kenner der Thematik beschreibt den schwierigen Umgang der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und der Republik Österreich in der Nachkriegszeit mit den Kriegsverbrechen im besetzten Griechenland. Während die Vertreter Österreichs und der DDR bei griechischen Forderun gen nach Reparationszahlungen in der Regel jegliche rechtliche Kontinuität zum NS-Staat ablehnten, reagierten westdeutsche Diplomaten wiederholt mit - zumindest aus heutiger Sicht - peinlichen „Rückfällen in die Terminologie und Denkmuster der Besatzungszeit“. Bei der Regelung bzw. Verschiebung der mit der Besatzungszeit zusammenhängenden Fragen sind deutliche Züge von
wirtschaftlicher Erpressung auf westdeutscher Seite und auffälliger Selbstzensur auf griechischer Seite zu beobachten. Polymeris Voglis’ Beitrag („Den Wider stand durch den Bürgerkrieg deuten: Die Kommunistische Partei Griechenlands und das Erbe des Widerstands in den Jahren des Bürgerkriegs“, 319-333, auf Griechisch) gehört in den Zusammenhang einer im vergangenen Jahrzehnt ausgetragenen und noch andauernden Debatte zum griechischen Bürgerkrieg. Voglis plädiert für eine getrennte Betrachtung der Besatzungszeit bzw. der internen Konflikte von 1943/1944 und des Bürgerkriegs von 19461949, indem er auf die qualitativen Unterschiede zwischen den beiden Phasen verweist. Evanthis Hatzivassiliou („Greek Foreign Policy Towards the Soviet Bloc, 1944-1959“, 335-349) beschreibt die griechische Sowjet- und Ostblock-Politik in der Nachkriegszeit und ihre Schwankungen zwischen Pragmatismus und Ideologisierung. Andreas Kappeler skizziert „Die griechische Diaspora im Zarenreich“ (351-362), wobei er besonders auf die Aktivitäten der griechischen „mobilized diaspora“ der Schwarzmeer häfen im 19. Jh. fokussiert. Christian Hannick („Slavische Publizisten im griechisch sprachigen Milieu in der osmanischen Zeit“, 363-374) befasst sich mit der Bedeutung der griechischen Sprache und Bildung sowie mit der allmählichen Herausbildung von einem antigriechischen Abgrenzungsdiskurs in der bulgarischen Publizistik des 19. Jh.s. Ioannis Karachristos und Michail Varlas („Immigrants in Smyrna ֊ Refugees in Greece: Sub sequent Transformations of Identity among Kytherian Migrants“, 375-386) untersuchen in
ihrem theoretisch untermauerten Aufsatz das Verhältnis zwischen Gedächtnis und Identität am Beispiel einer bestimmten Gruppe der griechischen Kleinasien-Flüchtlinge. Erst die „Katastrophe“ von 1922 und der darauffolgende Bevölkerungsaustausch haben eine neue imaginäre Identität geschaffen, jene der kleinasiatischen Flüchtlinge, welche die älteren, mehrdeutigen Identitäten überlagert oder verdrängt hat. Ulrike Tischler geht in ihrem Beitrag („Bilder in den Köpfen: Der Mythos von Pera. Σταυροδρόμι im ΚοινότηταSüdost-Forschungen 68 (2009) 581
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Bewusstsein der Istanbuler Griechen im 20./21. Jahrhundert“, 387-396) einer verwandten Fragestellung nach, wobei der Fokus auf Pera als Gedenkort in der Gegenwart liegt. Veneţia Apostolidou beschließt den Band mit einem Aufsatz über „Die literarische Erfahrung des Exils: Griechische Literatinnen und Literaten in Osteuropa“ (397-405). Im Mittelpunkt stehen hier die vielfachen Gründe, weshalb die Schriftstellerinnen und Schriftsteller unter den politischen Flüchtlingen des griechischen Bürgerkriegs es vermieden, ihre Erfahrungen im osteuropäischen Exil literarisch zu verarbeiten. Gemäß dem Charakter des Bandes ist kein unmittelbarer inhaltlicher Zusammenhang vorhanden, jedoch bietet er eine Mehrzahl von anregenden Beiträgen zur Griechenlandund Südosteuropa-Forschung. Berlin Nikolas Pissis Marko Attila Hoare, The History of Bosnia. From the Middle Ages to the Present Day. London: Saqi 2007. 510 S., ISBN 978-0-86356-953-1, £ 35,Seine Geschichte Bosniens hat Marko Atilla Hoare aus einer besonderen Perspektive her aus geschrieben. Im Zentrum seines Interesses stehen die staatliche Entwicklung Bosnien und Herzegowinas und die Konstruktion nationaler Identitäten seiner Bewohner. Dem Autor geht es also darum darzulegen, „what Bosnia-Hercegovina means, and what it means to be Bosnian“ (31). Konsequenterweise beleuchtet er in seiner Darstellung in erster Linie die Zeiten der Umbrüche wie Rebellionen und Kriege. Schließlich hatten diese Ereignisse den stärksten Einfluss auf die Identitätsbildungsprozesse aller bosnischen Nationen ausgeübt. Das
Buch ist in sieben Kapitel aufgeteilt, die chronologisch die nach Hoare identifizierten Meilensteine bosnischer Staatsgeschichte von seiner ersten Erwähnung im Jahre 958 bis heute wiedergeben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Zeit des 2. Weltkriegs. Mit zwei Kapiteln, „Bosnia-Hercegovina Under the Axis, 1941-5“ und „The Bosnian Revolution, 1941-5“, nimmt diese Periode bosnischer Geschichte fast ein Drittel des gesamten Werks ein. Hier spielt Hoare seine Stärken aus, denn die Passagen zur bosnischen Partisanenbewe gung gehören zu den besten und spannendsten Teilen des Buches. Das dritte Kapitel, „The Seeds of a New Bosnia-Hercegovina, 1878-1941“, sprengt die chronologische Gliederung, unterstreicht aber Hoares These von der enormen Bedeutung der Kommunistischen Partei für die Entstehung des modernen bosnischen Staates. Im ersten Kapitel, „Bosnia-Hercegovina Before Yugoslavia, 958-1918“, fasst Hoare den Forschungsstand zusammen und beschreibt die Entwicklungen, die die Entstehung von drei bosnischen Nationen — den bosnischen Muslimen, den bosnischen Serben und den bosnischen Kroaten - beeinflusst haben. Die religiöse Spaltung in Muslime, Orthodoxe und Katholiken, die in der osmanischen Zeit mit dem sozialen Status verknüpft wurde, spielte nach Hoare eine große, aber nicht die entscheidende Rolle für die Formierung dreier unterschiedlicher nationaler Bewegungen. „Yet it was the ethno-religiously ‘pure’ character 582 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen of the villages that ultimately imposed its stamp on the national movements, ensuring that they would be unable to bridge the religious divide“ (57). Aber auch wenn in Bosnien keine bosnische Nation im modernen Sinne entstand, so haben sich seine Bewohner, so Hoare, mit ihrer Heimat identifiziert und seine Autonomie angestrebt. Im ersten jugoslawischen Staat hat das Land verwaltungspolitisch seine besondere Stellung verloren, die es in unterschiedlicher Form unter unterschiedlichen Herrschern innehatte. War Bosnien nach der Vidovdan-Verfassung von 1921 noch innerhalb seiner Grenzen in sechs օեևտէէ unterteilt und als Summe dieser als administrative Einheit sichtbar, tilgte die territoriale Neueinteilung Jugoslawiens nach der Januardiktatur das Land von der Landkar te. Präzise beschreibt Hoare das Ringen um Bosnien zwischen serbischen und kroatischen Politikern, das im Cvetković-Maček-Abkommen von 1939 und einer Aufteilung des Landes gipfelte. Diesen Prozess begleitete das Verschwinden genuin bosnisch-kroatischer, respektive bosnisch-serbischer Parteien. Die ersten wurden von der HSS, der Kroatischen Bauernpartei, und die zweiten überwiegend von der Radikalen Partei verdrängt. Die Ent fremdung bosnisch-kroatischer und noch stärker bosnisch-serbischer politischer Eliten von ihrer Heimat führte dazu, dass nur noch zwei Parteien für eine Autonomie Bosniens kämpften: die politische Vertreterin bosnischer Muslime, die Jugoslawische Muslimische Organisation (JMO), und die Kommunistische Partei Jugoslawiens. Während sich die JMO fur eine Autonomie Bosniens einsetzte,
um die Position bosnischer Muslime zu stärken, kritisierten die Kommunisten exklusiv nationale Modelle und kämpften für die Gleichheit aller bosnischen Nationen. Das Land gehöre allen seinen Bewohnern, betonte die kommunistische Jugend Bosniens. Eine Parole, die während des 2. Weltkrieges Eingang in viele offizielle Proklamationen und Dokumente fand. Schade, dass der Autor in diesem Teil nicht stärker auf die sozioökonomische Situation in der Zwischenkriegszeit eingegangen ist, nämlich auf die stufenweise Radikalisierung bosnischer Bevölkerung und insbesondere darauf, mit welchen „Erzählungen“ die Parteien ihre Anhänger mobilisiert haben. So bleibt die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass der 2. Weltkrieg in Jugoslawien einen Bürgerkrieg ausgelöst hatte, nur teilweise beantwortet. Detail- und kenntnisreich beschreibt Hoare dafür die Zeit zwischen 1941 und 1945 mit allen ihren Konflikten und Widersprüchen. Stets berücksichtigt er in seiner Darstel lung die Dynamik des Krieges und legt dar, wie sich die wechselnden Bündnisse und das Kriegsgeschehen auf die Identitätsbildungsprozesse ausgewirkt haben. Sein Bild setzt sich aus vielen kleinen Mosaikteilen zusammen, und so schildert er sowohl die Spaltung bos nischer Bevölkerung, die Vertreibungen und den Genozid als auch den innerethnischen Widerstand gegenüber faschistoiden und chauvinistischen Bewegungen. Oft setzten sich muslimische und kroatische Nachbarn gegen die Terrorisierung ihrer serbischen Nachbarn ein und umgekehrt. Nach Hoare ein Beweis dafür, dass: „Inter communal solidarity of this nature was the product of a
society in which the borders between the nationalities, and between the faiths, were not rigid; [.] The society was at no time religiously or nation ally homogeneous, but nor did it possess the sharp inter-ethnic borders it was to develop during the 1990s“ (221). Diese Situation nutzten auch die Kommunisten, um auf ihrer Plattform Kräfte zu versammeln, die nationalistischen Entwürfen von Großserbien oder NDH (Unabhängiger Staat Kroatien) eine Absage erteilten. Ausführlich erläutert Hoare, wie Südost-Forschungen 68 (2009) 583
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Bosnien in den Mittelpunkt ihres Interesses rückte, wie sie seine Staatlichkeit begründeten und bei der bosnischen Bevölkerung um Unterstützung warben. An dieser Stelle ist Hoares Darstellung ganz plastisch und lebt davon, dass der Autor auch Bezug darauf nimmt, auf welchen Boden bestimmte Narrative gefallen waren und wie sie von den Kommunisten aufgegriffen und modifiziert wurden. Konkret zitiert er die jahrhundertelange multiethnische Koexistenz, die Erzählung vom „stolzen Bosnien“ und seinen widerspenstigen Bewohnern, die sich immer gegen die Unterdrücker erhoben haben, unabhängig von der jeweiligen nationalen Zugehörigkeit. Diese Motive flossen auch in die kommunistische Gründungserzählung nach 1945 ein. Bei der Gestaltung einer neuen bosnischen Flagge und des Wappens verzichteten die neuen Machthaber fast komplett aufTraditionen ֊ im Wappen ist allerdings im Hintergrund der Umriss von Jajce zu erkennen, ein Hinweis sowohl aufAVNOJ1 als auch auf den mittelalter lichen bosnischen Staat - und kreierten neue Symbole. Eine bosnische Nation entstand aber nicht. Und erst 1968 akzeptierten die Kommunisten die Tatsache, dass sich die bosnischen Muslime ethnisch weder als Serben noch als Kroaten deklarieren würden und erkannten die Existenz einer muslimischen Nation an. Hoare erklärt die Auswirkungen dieser Ent scheidung mit allen ihren sozioökonomischen und politischen Konsequenzen allerdings stets aus einer machtzentrierten Perspektive. So entsteht manchmal der Eindruck - auch wenn Hoare betont, dass 1992 alles offen stand -, der
Bosnien-Krieg 1992-1995 sei nicht zu vermeiden gewesen. Eine Diskussion der Frage, wie es zu diesem Krieg kam, unter einer stärkeren Einbeziehung der Alltagsebene, hätte dem Buch sicherlich gut getan. Im letzten Kapitel „The War of Independence and its Aftermath, 1992 to the Present“ geht Hoare auf die politischen Entwicklungen ein, die den Bosnien-Krieg begleiteten. Er kritisiert scharf die internationale Gemeinschaft für ihre tragischen Fehler, die unter anderem das Massaker von Srebrenica ermöglicht haben. Paradoxerweise ist es gerade die internationale Gemeinschaft, die sowohl eine Teilung Bosniens als auch sein Bestehen als Staat gesichert und durchgesetzt haben. Und als Alternative zu nationalistischen, separatistischen und desintegrierenden Tendenzen entwirft Hoare das Szenario eines bosnischen EU-Beitritts. Es scheint, als könne nur die Zugehörigkeit zu einer übergeordneten föderalen Einheit zu der auch seine östlichen und westlichen Nachbarn Serbien und Kroatien gehören - für Bosnien Stabilität bedeuten. Hoare hat eine gut lesbare und insbesondere in ihren Hauptteilen sehr gut dokumen tierte Studie zur nationalen Frage Bosniens vorgelegt. Seine Analyse der Dynamiken des jugoslawischen Bürgerkriegs und des Bosnien-Krieges 1992-1995 zeigt eindrucksvoll, wel chen Einfluss diese auf die Entstehung und den Wandel nationaler Identitäten bosnischer Bevölkerung hatten und bis heute noch haben. Konstanz Sabina Ferhadbegović 1 AVNOJ [,Antifašističko vijeće narodnog oslobođenja Jugoslavije“, Antifaschistischer Rat der na tionalen Befreiung Jugoslawiens], der vom 21. bis
29.11.1943 in Jajce zum zweiten Mal zusammentrat und Entscheidungen zum künftigen föderalen Aufbau eines gemeinsamen jugoslawischen Staates traf. 584 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Brigitte Moser/Michael W. Weithmann, Kleine Geschichte Istanbuls. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2010. 184 S., zahir. Abb., ISBN 978-3-7917-2248-1, € 14,90 Gerade passend zum Jahr der Europäischen Kulturhauptstadt Istanbul 2010 haben die Osmanistin Brigitte Moser und der einem breiten Leserkreis durch seine „Balkan-Chronik“ bekannte Südosteuropahistoriker Michael W. Weithmann eine kompakte Geschichte Istanbuls herausgegeben. Der Band richtet sich nicht ausschließlich an Wissenschaftler und Fachkollegen, sondern primär an eine interessierte breitere Öffentlichkeit. Durch sein handliches Format sowie seine Übersichtlichkeit und leichte Lesbarkeit, frei von Fuß- oder Endnoten und komplizierten Fachtermini, eignet er sich hervorragend als Reiselektüre. Die beiden Autoren liefern einen kompakten, dennoch fundierten und kenntnisreichen historischen Überblick über die Stadtgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart. Für den Leser hilfreich ist die vom Verlag vorgegebene wohlüberlegte Strukturierung des Bändchens.1 Denn der Leser wird beim Studium der Lektüre nicht von einem sterilen ereignisgeschicht lichen Überblick gelangweilt oder davon regelrecht erschlagen, sondern immer wieder durch zu den Epochen passende und optisch eigens hervorgehobene Themenschwerpunkte (z. B. „Geçekondu: Über Nacht gebaut“; „Spätantike Monumente im modernen Stadtbild“; „Auf der Suche nach der Stadtseele: Orhan Pamuk“; „Çelik Gülersoy“) mit der Komplexität des Phänomens Istanbul konfrontiert, gleichzeitig aber auch motiviert, sich in den einen oder anderen Themenschwerpunkt zu
vertiefen. Die Vorbereitung eines solchen Bändchens stellt an Wissenschaftler hohe Anforde rungen: Ein allgemein verständlicher Text soll verfasst werden, frei von erläuternden Anmerkungen, der gleichzeitig aber keine falschen Informationen vermitteln darf. Dass dennoch fehlerhafte oder zumindest widersprüchliche Informationen zustande kommen können, mögen zwei Passagen veranschaulichen. Diese dürften allerdings wohl kaum aus Unwissenheit der Autoren, denn vielmehr aus dem Zwang entstanden sein, die Zusammen fassung der Zusammenfassung liefern zu müssen. Wenn etwa vom (griechisch-türkischen) Bevölkerungsaustausch (1923) die Rede ist und die Autoren völlig korrekt anmerken, dass „die Griechen Konstantinopels ausdrücklich von diesem Transfer ausgespart blieben“ (152), dann sollte der Leser doch auch informiert werden, warum diese Entscheidung so getroffen wurde, dass nämlich im Gegenzug den Muslimen in Westthrakien ebenfalls ein Bleiberecht verbrieft worden war. Weit störender, weil schlichtweg falsch, ist aber der daran gleich anschließende Hinweis, dass sie (die Istanbuler Griechen) damals (1923) dennoch „mehrheitlich die Stadt verließen“ (152). Der wirklich große Exodus kündigte sich erst viel später an, nämlich im Umfeld der von der türkischen Regierung eingeführten Varlık Vergisi/Vermögenssteuer (1942-1944), durch die die Minderheiten über die Maßen hoch besteuert wurden, um ihre wirtschaftlich scheinbar unbezwingbare Dominanz - natürlich ganz gezielt ֊ nun doch nachhaltig zu schwächen. Damals erst trafen vorausschauende Griechen konkrete Vorkehrungen für ihre
Emigration nach Athen, erwarben dort Im mobilien, sicherten dort ihr Vermögen, transferierten Teile ihrer Großfamilien dorthin. Den tiefsten Einschnitt in der Geschichte der Istanbuler Griechen allerdings brachten die minderheiten- und ausländerfeindlichen Ausschreitungen im September 1955 in Istanbul vor dem Hintergrund des Zypernkonfliktes. Südost-Forschungen 68 (2009) 585
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Erklärungsbedürfdg ist aber auch der Hinweis auf das Ende Istanbuls als (Reichs-) Hauptstadt 1923. Zu pauschal und widersprüchlich für Laien fällt das Urteil aus, wenn es heißt: „Atatürk und seine nach Europa [sic!] tendierenden Republikaner [.] wollten weg von der muslimischen Vergangenheit, weg von den Sultanmoscheen [.]“ (152). Der Hinweis auf die Radikalität des Bruches mit der Vergangenheit als Ausdruck der Ideologie der Republik Türkei ist natürlich richtig. Doch auch wenn der Rezensentin klar ist, dass mit „den nach Europa tendierenden Republikanern“ die Jungtürken gemeint sind, ging es zunächst - und das muss dem Laien deutlich gemacht werden - wohl nicht um eine Hinwendung nach Europa, sondern ganz wesentlich um eine Schwerpunktverlagerung der „Mitte“ des neuen Staates, die sich mit der ideologisch neuen Verwurzelung des Staates im Osten (Asien) erklären lässt, d.h. also gerade um eine ideelle Abwendung von der übernatio nalen (osmanischen, Europa zugewandten) Identität Istanbuls hin zu einer Staatsideologie, wonach Anatolien das genuin „türkische Stammland“ sei. Somit war die Staatsideologie, die die Jungtürken durch ihre Auslandsstudien und -kontakte in Europa bzw. durch den Import von aufklärerischen, aber auch nationalen und rassistischen Ideen, spezifisch auf die Anforderungen der neuen Republik Türkei abgestimmt, entwickelten, zunächst einmal antieuropäisch. Dass Atatürk dann Fachleute aus Europa rief, um Ankara mit modernen westlichen Bauten auszustatten, dass er 1928 das lateinische Alphabet einführte usw. mag
als Bekenntnis zu Europa aufzufassen sein, vielmehr noch steht aber hier der Ausdruck des radikalen Bruchs mit dem osmanischen Vielvölkerreich bzw. eines Neubeginns bei der (fiktiven) „Stunde Null“ im Vordergrund. Graz Ulrike Tischler-Hofer 1 In gleicher Ausstattung sind auch die Kleine Geschichte St. Petersburgs, Kopenhagens und Stockholms erschienen. Nachbarn in Europa. Länderbeziehungen im Laufe der Zeit. Hg. Georg Kreis. Basel: Schwabe Verlag 2008.127 S„ ISBN 978-3-7965-2240-0, € 17,Georg Kreis legt mit dem von ihm herausgegebenen Band eine Sammlung von Beiträgen sehr unterschiedlicher Autoren vor, in denen sieben besonders prägnante „Nachbarschafts beziehungen“ in Europa exemplarisch behandelt werden. Dabei stellt Kreis im Vorwort einen Kontext zur Ende 2007 stattgefundenen Erweiterung des Schengenraums der EU her und erklärt, es seien ganz bewusst auch Beiträge über die Nachbarschaffsbeziehungen zwischen den neun neuen Mitgliedsstaaten ausgewählt worden, zwischen denen nun freier Reiseverkehr ohne Passkontrollen möglich ist. Die im Band ebenfalls enthaltenen Beiträge über die nachbarschaftlichen Verhältnisse zwischen Großbritannien und Frankreich sowie zwischen Frankreich und Deutschland sollen dagegen als Beispiele dafür dienen, wie sehr Nachbarschaftsbeziehungen einem Wandel im Laufe der Zeit ausgesetzt seien. 586 Siidost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Georg Kreis selbst macht den Anfang mit einem einleitenden Beitrag über die „Proble matik des Nachdenkens über Länderbeziehungen im Allgemeinen und die Produktion entsprechender Vorstellungen“ (9-18). Er betont dabei die Problematik der Vorstellung von „Beziehungen“ zwischen „Staaten“ an sich, da diese Begriffe offen ließen, ob es sich um Kontakte zwischen Regierungen, der Bevölkerung einzelner Städte oder einzelnen Personen und um wirtschaftliche, sportliche oder kulturelle „Beziehungen“ handle. Er sieht die beim Sprechen von „Länderbeziehungen“ unvermeidlichen Generalisierungen und Vereinfachungen zwar als Problem, fordert aber keine Abkehr von den entsprechenden Begriffen, die so sehr dem menschlichen „Bedürfnis nach Ordnen, Sammeln, Kategorisie ren“ entsprechen würden. Nach einer Reihe von Beispielen für unkritische Weitergabe von, aber auch kritische Auseinandersetzung mit Stereotypen vom 18. bis ins 21. Jh. spricht er auch die Problematik von „Nachbarschaft“ an: In der heutigen globalisierten Welt könne ja in gewisser Weise jeder jedermanns „Nachbar“ sein. Letztlich verteidigt er aber auch hier die Bedeutung von unmittelbarer geographischer Nachbarschaft zwischen Staaten als „Sonderfall“, da diese geographische Nähe „gegenseitige Abhängigkeit“ und „besondere Aufmerksamkeit“ impliziere. Die Relevanz historischer Auseinandersetzung mit solchen Nachbarschaftsbeziehungen sieht er darin, dass die Geschichte zwischen benachbarten Staaten die Zukunft zwar nicht vorherbestimme, sehr wohl aber „positive und negative Potentiale“ hinterlasse, die jederzeit
aktiviert werden könnten. Es folgt ein Beitrag des Historikers Christopher Andrew von der Universität Cambridge über die Britisch-Französischen Beziehungen im 20. und 21. Jh. (19-30). Er verbindet darin seine persönlichen Erfahrungen mit offenbar während seiner Tätigkeit als offizieller Historiker des britischen Geheimdienstes MI5 gewonnen Erkenntnissen, um die sehr großen Unterschiede der „Nachbarschaftsbeziehungen“ zwischen der Bevölkerung einerseits, auf staatlicher und professioneller Ebene andererseits zu verdeutlichen: So hätte es zwischen den Staaten Frankreich und Großbritannien bis zur Kapitulation und Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht 1940 ein ungewöhnlich enges Bündnisverhältnis gegeben, dessen Intensität besonders angesichts der teils bis heute bestehenden Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten erkennbar sei und das den Vergleich zur späteren „special reUtionship“ Großbritanniens mit den Vereinigten Staaten nicht zu scheuen brauche. Für die britische Bevölkerung dagegen sei Frankreich noch Mitte des 20. Jh.s ein vollkommen fremdes, unbekanntes Land gewesen, in das man höchstens zum Kriegführen reiste. Auch nach dem Verlust des kolonialen „Empire“ sei Europa für viele Briten lange Zeit „fremder“ geblieben als etwa Indien oder Australien, was Andrew mit dem gelungenen Aprilscherz der BBC in Gestalt einer fiktiven Dokumentation über die „Spaghettiernte“ in Italien illustriert. Erst in jüngster Vergangenheit habe sich auch zwischen der Bevölkerung Frankreichs und Großbritanniens eine echte Nachbarschaft entwickelt, da nun 300.000 junge Franzosen
in der „Weltfinanzhauptstadt“ London leben und arbeiten, während die Briten insgesamt 600.000 Häuser in Frankreich als Ferienhäuser und Altersruhesitze besitzen. Die an der Universität Bern tätige Historikerin Marina Cattaruzza beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit den Beziehungen zwischen Italien und Slowenien (31-46), wobei sie stark auf ihre Erfahrungen als mehrjähriges Mitglied der italienisch-slowenischen historisch-kul turellen Kommission zurückgreift. Auch hier werden wieder die Unterschiede zwischenstaatSüdost-Forschungen 68 (2009) 587
Geschichte: Übergreifende Darstellungen lieber Beziehungen gegenüber dem „Nachbarschaftsverhälmis“ der durch unterschiedliche Erinnerungskulturen geprägten Bevölkerung beiderseits der seit Ende 2007 frei passierbaren Grenze aufgezeigt: Während die italienische Regierung sich seit der Unabhängigkeit Slo weniens stark für dessen Integration in die EU engagiert habe und es eine enge politische und wirtschaftliche Partnerschaft gäbe, werde das Verhältnis immer wieder durch in Teilen der Bevölkerung weitertradierte Differenzen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges getrübt. Während die auf lokaler Ebene konservierten alten Ängste und „offenen Rechnungen“ für die italienische Regierung im Grunde nur ein peripheres Problem seien, würden die loka len Interessensgruppen auf slowenischer Seite seit der Unabhängigkeit über ein gestärktes Selbstvertrauen und Eigenstaatlichkeit verfügen. Diese Asymmetrie und der nach 1994 unter der Regierung Berlusconi auch auf italienischer Seite betont nationalistische Kurs hätten den zwischen Italien und Jugoslawien begonnenen Aufarbeitungsprozess stagnieren lassen. Cattaruzza warnt davor, dass der zu erwartende verstärkte Zugriff der dynamischen slowenischen Wirtschaft auf die wirtschaftlich stagnierende italienische Peripherie um Triest neue Spannungen unter Rückgriff auf alte, ungelöste Ressentiments wecken könnte. Der Grazer Historiker Moritz Csáky, Mitglied der Österreichischen wie auch der Un garischen Akademie der Wissenschaften, widmet sich in seinem Beitrag den Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn „im Kontext Zentraleuropas“ (47-73).
Er wählt dazu einen kulturanthropologischen Zugang und versucht, die prägenden Einflüsse der in Österreich und Ungarn tradierten „pluralistischen Lebenserfahrungen“ in einer „Region von konkur renzierenden (sic!) und überlappenden Kommunikationsräumen“ zu beschreiben. Dabei ist es ihm ein Bedürfnis, das komplexe soziokulturelle System der Monarchie mit ihrer nie abgeschlossenen „kontinuierlichen Ethnogenese“ keinesfalls „nostalgisch-harmonisierend“ darzustellen. Vielmehr hebt er hervor, dass der wechselseitigen Beeinflussung der Bevölke rungsgruppen in Musik, Literatur und Essgewohnheiten auch ein wechselseitiges Gefühl der „Fremdheit“ gegenübergestanden sei, das sich durch das enge Mit- und Nebeneinander nur verstärkt habe und in Verbindung mit der sozialen Differenzierung der Industrialisierung ein bei vielen Autoren der Monarchie ab den 1830er Jahren nachweisbares Gefühl der „Zerrissenheit“ bewirkt habe. In Ermangelung einer diese „Zerrissenheit“ überwindenden civil society hätte sich sodann der Weg der Homogenisierung durch Nationalismus und nationale Aufteilung durchgesetzt. Die in der gemeinsamen Monarchie von Wien aus gehende Geisteshaltung einer „inneren Kolonisierung“ und „Kulturmission“ sei auf die ungarischen Ansprüche einer ebensolchen „Mission“ getroffen. Während man in Österreich Ungarn mit politischer und sozialer Rückständigkeit assoziierte, habe man in Ungarn Ös terreich mit politischer Unfreiheit und Absolutismus verbunden. Erst die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und des „Ungarnaufstandes“ 1956 hätten diese Topoi in Österreich und Ungarn
zurückgedrängt und durch das Gefühl einer „Schicksalsgemeinschaft“ oder Freundschaft ersetzt. Der Pariser Historiker Etienne François widmet sich in seinem Beitrag der „Verfloch tenheit“ der deutschen und französischen Geschichte, aus der trotzdem „geteilte Erinnerun gen“ entstanden seien (75-92). So schildert er für das 18. und die erste Hälfte des 19. Jh.s eine von beiden Seiten gewollte „kulturelle Befruchtung“ der deutschen Länder durch Frankreich, indem französische Märchen, französischer Stil herrschaftlicher Repräsentation 588 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen und französische politische Ideen in die deutsche Kultur integriert und „deutsch gemacht“ worden seien. Auch wenn die Feldzüge Napoleons die Ideen der Französischen Revolution mit Assoziationen von Krieg, Besetzung, Unterwerfung verbunden hätten, hätten sich deutsche Intellektuelle auch in der gesamten zweiten Hälfte des 19. Jh.s noch intensiv mit allen politischen Entwicklungen und Ideen aus Frankreich - sei es positiv oder negativ ֊ auseinandergesetzt, weshalb François diese Zeit als die „französische Periode“ Deutschlands bezeichnet. In der zweiten Hälfte des 19. Jh.s habe dann das Pendel umgeschlagen, so dass man sich in der „Krise des französischen Denkens“ im Second Empire intensiv mit deutscher Philosophie und deutscher Bildungsreform auseinandergesetzt habe. Gerade die Nieder lage von 1871 habe für die Franzosen Deutschland nicht nur zum Feind, sondern auch zum Vorbild gemacht, dem man durch Reformen ebenbürtig werden wollte. Zur selben Zeit habe die Institutionalisierung der „geteilten Erinnerung“ eingesetzt: François zufolge war etwa die gegensätzliche Interpretation von „nation ‘ und „Volk“ als Konsens- oder Abstammungsgemeinschaft erst eine Konsequenz dieses Bedürfnisses nach gegenseitiger Abgrenzung. Letztendlich habe sich die Verflechtung deutscher und französischer Kultur und Geschichte aber nie ganz auflösen lassen: Aus Strassburg kämen nun einmal sowohl das gleichnamige deutsche Volkslied als auch die Marseillaise“ und Berlin sei die „französischste Stadt Deutschlands“, während Heinrich Heine am Montmartre begraben sei. Für François ist daher
die „Deutsch-Französische Freundschaft“ nach dem Zweiten Weltkrieg nichts Neues, sondern lediglich die Fortführung einer seit Jh.en „verflochtenen“ gemeinsamen Geschichte. Bruno Kaufmann, der Nordeuropa-Korrespondent des Zürcher Tages-Anzeigers, schreibt in seinem Beitrag über die Nachbarschaftsbeziehungen im „großen Skandinavien“ (93-102), zu dem er neben Dänemark, Schweden und Norwegen auch Finnland, die Aland inseln, die Färöerinseln, Island und Grönland zählt. Ein besonders enges, nachbarschaftliches Verhältnis zueinander, das er mit persönlichen Erlebnissen illustriert, ist Kaufmann zufolge ein wesentliches Merkmal dieser Staaten. Kaufmann sieht die Ursache dafür nicht nur in grundsätzlichen Gemeinsamkeiten wie der lutheranischen Reformation und der Herrschaft eher progressiv denkender Königshäuser, sondern vor allem in „gemeinsamen historischen Erfahrungen und Lehren“, also in einem erfolgreichen Lernen aus der Geschichte: Nach den heftigen Machtkämpfen im Mittelalter und den lange Zeit beinahe regelmäßigen „großen nordischen Kriegen“ um die Vorherrschaft im Baltikum hätten die Erfahrungen der 1905 erfolgten friedlichen Loslösung Norwegens von Schweden durch demokratische Volksabstimmung, die 1921 erfolgte Schlichtung des finnisch-schwedischen Streits um die Alandinseln durch den Völkerbund und die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs ein Umdenken gebracht. Die Erkenntnis, dass man Konflikte am besten durch demokratische Mitbestimmung und Verhandlung lösen könne, sei gewissermaßen Bestandteil der kollek tiven Erinnerung geworden, so dass die Notwendigkeit starker,
auch direkter Demokratie, die Mitwirkung auch neutraler Staaten an internationalen Organisationen und eine prag matische Kooperation zwischen Staaten ohne die Notwendigkeit einer „Supranationalität“ allgemein als vorteilhaft anerkannt worden seien. Eine wirkliche Antwort auf die Frage, wieso man gerade in Skandinavien und nicht anderswo aus ähnlichen geschichtlichen Erfahrungen ebendiese Lehren gezogen habe, gibt Kaufmann allerdings nicht. Südost-Forschungen 68 (2009) 589
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Anschließend widmet sich wieder Georg Kreis selbst den Beziehungen zwischen Öster reich und der Schweiz (103-114). Nach einer Auflistung offensichtlicher Gemeinsamkeiten wie Kleinstaatlichkeit, Neutralität, der alpinen Geographie und der Bedeutung des Tou rismus, stützt sich Kreis bei seiner Darstellung der Gegensätze sehr stark auf ein 2004 von der damaligen österreichischen Botschafterin in der Schweiz, Ursula Plassnik, verfasstes Papier. Darin wird die Schweiz mit „alter Geschichte“, Kontinuität, aber auch Stagnation und daraus resultierender Verunsicherung assoziiert, Österreich dagegen mit „neuer Ge schichte“, Brüchen statt Kontinuitäten, Dynamik und Selbstvertrauen verbunden. Diese recht einseitig wertenden, ungewöhnlich wirkenden Zuschreibungen werden von Kreis leider ebenso wenig kritisch hinterfragt wie die eigentlich schon durch einen Blick auf die Selbstdarstellung Österreichs im Tourismus widerlegbare Behauptung, in Österreich reiche die Geschichtswahrnehmung nicht weiter zurück als 1945. Vielmehr übernimmt er die These der angeblich überlegenen Progressivität, Zukunftsorientierung und Dynamik Österreichs im Vergleich zur Schweiz und versucht sie mit einer Reihe von Beispielen zu untermauern, die von der österreichischen „Aufholjagd“ im „hochsymbolischen Käsesek tor“ bis zur Übersiedlung des OPEC-Sitzes von Genf nach Wien reicht. Während nach dem Zweiten Weltkrieg noch österreichische Kinder zur Erholung ins „Paradies“ Schweiz geschickt worden seien, und dieses „Paradies“ bis 1980 als Vorbild Österreichs gegolten
hatte, sei Österreich nun im Begriff, das Pro-Kopf-Einkommen der Schweiz zu überflügeln und rufe beim ehemaligen Vorbild „beinahe unterwürfige Bewunderung“ hervor. Es sei höchste Zeit für die Schweiz, die vereinzelt erhaltene „gewisse Überheblichkeit“ gegen über dem östlichen Nachbarn abzulegen. Kreis appelliert, man möge standessen aus dem Austausch zwischen schweizerischer „Westerfahrung“ und österreichischer „Osterfahrung“ in den internationalen Beziehungen beiderseitig vorteilhafte Partnerschaften entwickeln. Im letzten Beitrag des Bandes widmet sich Werner van Gent, Korrespondent des Schweizer Radios DRS in Istanbul und Athen der griechisch-türkischen Nachbarschaft (115-126). Van Gent stellt pointiert fest, die Schwierigkeiten begännen schon bei der Frage, ob man vom Griechisch-Türkischen oder vom Türkisch-Griechischen Konflikt sprechen solle. Er spannt daraufhin den Bogen vom Ersten Weltkrieg und dem darauffolgenden „Bevölkerungsaustausch“ über den Krieg auf Zypern und den Konflikt um Schürfrechte in der Ägäis in den 1970er und 80er Jahren, bis zum Streit um „europäische Ausrichtung“ und EU-Mitgliedschaft und den seit den 1990er Jahren immer wieder aufflackernden Konflikt um die unterschiedliche Auslegung von See- und Lufthoheitszonen. Letzterer führte erst 2006 zu einer Kollision zwischen türkischen und griechischen Kampfflugzeugen und dem Tod eines griechischen Piloten. Van Gent hält fest, dass diese „Feindschaft“ scheinbar völlig im Gegensatz zur Haltung der Bevölkerung stehe, und in Interviews mit jungen Türken und Griechen häufig erklärt würde, der Konflikt
bestehe nur zwischen den Politikern. Auf internationalen Tagungen und Veranstaltungen würden Türken und Griechen häufig nebeneinander sitzen und kämen aufgrund gewisser Ähnlichkeiten sogar besonders gut miteinander aus. Der in Griechenland durch von einer eigenen Kommission erarbeitete neue Schulbücher ohne „nationale Feindbilder“ entfesselte Sturm der Entrüstung über den „Verrat“ an den „Helden“ der Nation belege aber, dass die alten Ressentiments auch in der Bevölkerung unter der Oberfläche jederzeit verfügbar seien. Gerade weil sich das Osmanische 590 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Reich zwischen 1453 und 1821 ganz wesentlich auf die Unterstützung seiner Herrschaft durch griechischsprachige Eliten gestützt habe, seien die Ressentiments der Türken gegen das verräterische' kleine Griechenland, das sich gemäß nationalistischer Lesart der Geschichte vom ,Dolchstoß' 1821 bis zur Frage des EU-Beitritts den Türken bei jeder Gelegenheit in den Weg gestellt habe, so heftig. Griechischerseits wiederum ließe sich von 1821 über den „Bevölkerungsaustausch“ nach dem 1. Weltkrieg und die Zypernkrise bis zum Streit um den Festlandsockel der Ägäis eine vermeintliche Kontinuität türkischer Expansions und Verdrängungsbestrebungen und damit ein bedrohliches Feindbild konstruieren. Eine Lösung dieser Konflikte sei nur durch Integration der Türkei in die EU denkbar, diese stehe aber - wie Van Gent betont, auch aus eigener Schuld der Türkei ֊ in weiter Ferne. In seiner Gesamtheit betrachtet stellt der Band eine interessante Mischung unterschied lichster Autoren und Methoden dar. Die Palette der Betrachtungsweisen reicht von klas sisch historischen über kulturgeschichtliche und politische Abhandlungen bis hin zu eher locker journalistisch-feuilletonistisch verfassten Artikeln. Wenngleich somit einige Beiträge wissenschaftlicher wirken als andere und einzelne Betrachtungen auch mit persönlichen Erfahrungen und Meinungen aufgeladen sind, zeichnet sich der Band dadurch in jeder Hinsicht durch Vielseitigkeit aus. „Nachbarn in Europa“ bietet somit einen ebenso abwechs lungsreichen wie umfassenden Überblick über die Vielfalt unterschiedlichster Beziehungen zwischen
benachbarten Staaten in Europa. Wien Andreas Rathberger Angel Nicoiau-Konnari, Η Γαληνότατη και η Ευγενεστάτη. Η Βενετία στην Κύπρο και η Κύπρος στη Βενετία /La Serenissima and la Nobilissima. Venice in Cyprus and Cyprus in Venice. Nicosia: Bank of Cyprus Cultural Foundation 2009. 327 S., 7 Abb., 12 Farbtafeln, ISBN 978-9963-42-879-3, € 25,Der dem Gedenken des zypriotischen Historikers Kostas Kyrris gewidmete, von der Kulturstiftung der Zypriotischen Bank herausgegebene und von Angel Nicoiau-Konnari redigierte Aktenband geht auf ein Symposium zurück, das am 21. Oktober 2006 im Rah men einer Italien-Woche der Stiftung in Zusammenarbeit mit der italienischen Botschaft auf Zypern und der Universität Zypern stattfand. Die Venezianerherrschaft: auf dem Eiland der Aphrodite (1489-1570/71) stand und steht fast immer im Schatten der mit vehementer Dynamik sich entwickelnden Forschungen zur Kulturgeschichte der vorausgegangenen Kreuzfahrerherrschaft der Lusignans. Umso willkommener sind die 14 z.T. ausführlichen Beiträge, die freilich einen bilateralen Ansatz haben und auch die Zyprioten in Venedig miteinbeziehen, ein Thema, zu dem Kostas Kyrris wegweisende Studien geliefert hat. Der Band ist an sich zweisprachig angelegt, Griechisch und Englisch, doch nach Maßgabe der Internationalität der einschlägigen Forschungen fehlen auch andere Sprachen nicht. Prolog, Grußadressen und Einleitung der Herausgeberin sind somit in beiden Sprachen gehalten Südost-Forschungen 68 (2009) 591
Geschichte: Übergreifende Darstellungen (11-14, 15-28, 31 -44), dann folgen die Referate in der jeweils vom Vortragenden gewählten Sprache. Den Einführungsvortrag hält Benjamin Arbel, „The Venetian domination of Cyprus: Cui bonoC (45-58). Die manchmal umfangreichen und zahlreichen Fußnoten sind jeweils am Ende der Vorträge gebracht. Die Vorträge sind in vier Themenbereiche gegliedert: Venice in Cyprus, Cyprus in Venice, The Past in the Present: the Testimony of the Sources und Appendices. Der erste Abschnitt über die Venezianerherrschaft auf Zypern umfasst sechs elaborierte Studien, die über einen Kongressbeitrag jeweils weit hinausgehen: David Jacoby, „The Venetians in Byzantine and Lusignan Cyprus: Trade, Settlement, and Politics“ (59-100), einen griechischen Vortrag zu Verwaltung und Wirtschaft von Aikaterini Aristeidou (101-119, mit detaillierten statistischen Angaben zur landwirtschaftlichen Produktion), einen ebenfalls griechischen Vortrag zu Literatur und Literarität Zyperns im Übergang vom Mittelalter zur Renaissance von Michalis Pierris (120-144, über den historischen Liederzyklus der „Arodaphnousa“, zur Literarität der „Chronik“ von Leontios Machairas und zu den petrarchischen Liebesliedern des 16. Jh.s); ebenfalls auf Griechisch berichten MarinaTerkouraphi über die Sprache im venezianischen Zypern (145-156) sowie Maria Konstantoudaki-Kitromilidou über Ikonenmalerei während der Venezianerherrschaft und ihre Beziehungen zu Venedig (157-193, mit zahlreichen Farbabbildungen aufTafeln). Gilles Grtvaud widmet seinen Beitrag der Endphase dieser Periode: „Une société en
guerre: Chypre face à la conquête ottomane“ (194-201). Der zweite Teil über Zyprioten in Venedig umfasst bloß zwei Studien: Paschalis Kitromilidis referiert auf Griechisch über Zyprioten in Venedig (207-217) und gibt eine Art prosopographische Übersicht über die Westwanderung von Gelehrten, Kopisten und Dich tem; Angel Nicolau-Konnari berichtet ebenfalls auf Griechisch über die Zyprioten der Diaspora in Italien nach 1570/1571, und zwar speziell über die Familie Denores (218-239). Der dritte Teil, der den Zeitzeugen und Quellen gewidmet ist, weist vier Studien auf: Marino Zorzi, „Manuscripts Concerning Cyprus in the Library of Saint Mark and Other Venetian Libraries“ (243-263, mit Auszügen aus Dokumenten), Francesca Cavazzana Romanelli, „Oltre la mappa di Leonida Attar. Itinerari di ricerca archivistica“ (264-280), auf Griechisch berichtet Lefki Michailidou über Quellen aus der Venezianerherrschaft in der Sammlung der Kulturstiftung der Bank von Zypern (281-290), und eine ähnliche Übersicht bietet Loukia Loizou Hatzigavriil über die Bestände des Leventis-Museums in Nicosia (290-298). Im letzten Teil, dem Anhang, fasst Ioannis Taiphakos die Kongressergebnisse zusam men (303-318, ab 311 auf Englisch). Der geschmackvolle Band endet mit einem Abbil dungsverzeichnis, dem Symposiumsprogramm und einer Autorenliste. Die Initiative des Geldinstitutes darf durchaus zur Nachahmung empfohlen werden. Athen, Wien 592 Walter Puchner Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Public Istanbul. Spaces and Spheres of the Urban. Hgg. Frank Eckardt / Kathrin Wildner. Bielefeld: transcript Verlag 2008. 300 S., ISBN 978-3-89942-865-0, € 33,80 Obwohl Istanbul seine Rolle als Hauptstadt 1923 an Ankara verloren hat, ist die Metro pole am Bosporus seit alters her stets Anziehungspunkt für Migranten, damit auch Ort kultureller Durchmischung geblieben. Dennoch fiel Istanbul im Laufe des 20. Jh.s durch ein ihm oktroyiertes, widernatürlich nach innen gerichtetes Selbstverständnis über viele Jahrzehnte in einen Dornröschenschlaf: Besonders ab der Jahrhundertmitte bis hinein in die 1980er Jahre machten sich Peripherisierung, wirtschaftliche Isolation und ein regelrechtes Aushungern sowie De-Europäisierung als Folge zunehmender Türkisierung, Zustände urbaner Anarchie, der fundamentale Elitentausch infolge von Massenzuwanderung aus Anatolien und kontinuierlicher Abwanderung einer durch repressive staatliche Maß nahmen verunsicherten bodenständigen (nichtmuslimischen) bürgerlichen Schicht nach „Europa“, schließlich noch der unkontrollierte Auswuchs der Stadt deutlich bemerkbar. Erst der politische Umschwung in den frühen 1980er Jahren, mit dem Dezentralisierung, Liberalisierung sowie die Internationalisierung der Wirtschaft einhergingen, erweckte Istanbul langsam aus diesem Dornröschenschlaf: Nun öffnete sich die Stadt wieder gegen Europa für Wirtschaft und Tourismus, fing an, sich ihrer genuinen Identität zu besinnen und diese durch eine von Ankara mehr oder weniger autonome Stadt- und Kulturpolitik neu zu definieren. Istanbul ist wieder das
Reiseziel Nr. 1 in derTürkei, jüngst (2010) sogar als Stadt eines Nicht-EU-Mitgliedsstaates zur Kulturhauptstadt Europas gekrönt worden. Doch aufgrund dieser wiedergewonnenen Offenheit ist die Stadt gerade in der letzten Dekade auch zum Gradmesser von Globalisierungstendenzen geworden: Dies zeigt sich nicht nur in der rasanten Etablierung von mehr und mehr Filialen der bekanntesten Fast foodketten (Starbucks, Gloria Jeans, Burger King), wodurch gerade im kulinarischen Sektor stadtspezifische Eigentümlichkeiten zusehends verloren gehen, sondern vor allem daran, dass Globalisierung bekanntermaßen eine Rückbesinnung auf das „Besondere/Detail im Kleinen“, d. h. auf Regionales, Altvertrautes, auf Orientierunggebendes fördert.1 Genau dieses für Istanbul wie für viele urbane Zentren in Südosteuropa besonders typische und doch noch so junge Phänomen des Aufeinandertreffens von Lokalem und Globalem ist Thema des hier zur Debatte stehenden Bandes. Zentral geht es um ein ständiges Neu verhandeln bzw. Aushandeln öffentlichen Raumes, d. h. um jene Spannungssituation, die dann entsteht, wenn sich Identitäten beharrlich an solchen lokalen Pfaden festhalten und verorten, die jene zwar als bodenständig ansehen, die jedoch vielmehr während der Jahr zehnte massiver Anatolisierung (bes. ab Mitte des 20. Jh.s) überhaupt erst nach Istanbul „importiert“ wurden, ohne aber vom genuin kosmopolitisch-urbanen Wesen (Habitus) der Stadt je wirklich vollständig, um mit Bourdieu zu sprechen, inkorporiert worden zu sein. Kulturelle Konflikte im Aufeinanderprall von Lokalem und Globalem treten dann auf,
wenn - meist im Zuge touristischer Erschließung mit Blick auf Profit und globale Vermarktung - in die mitunter recht starren Strukturen solcher lokal stark vereinnahmten Lebensräume „unsanft“ eingegriffen wird. Der von dem Stadtsoziologen Frank Eckardt und der Stadtanthropologin Kathrin Wildner herausgegebene Band geht auf eine Tagung mit dem Titel „Public Istanbul - Spaces and Südost-Forschungen 68 (2009) 593
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Spheres of the City“ zurück, die im Januar 2007 an der Bauhaus Universität in Weimar stattfand. Aus den Blickwinkeln der Geographie, der Ethnographie und Geschichte, den Cultural Studies, der Architektur und der Stadtplanung wurde diese komplexe Thematik sowohl von jungen Nachwuchswissenschaftlern als auch von bereits etablierten Forschern aus der Türkei und aus Deutschland interdisziplinär ausgeleuchtet. Die Konferenz war an vier Themenkomplexen orientiert: (1) „Geteiltes“ Istanbul bezog sich auf soziale und demo graphische Faktoren im stark fragmentierten urbanen Raum der Metropole am Bosporus; (2) in der Sektion „erfahrbares“ Istanbul ermöglichten Ethnographen und Künstler Einblicke in alltägliche (kulturelle) Praktiken dieser Stadt; (3) „Planbares“ Istanbul fokussierte auf Fragestellungen der Typologisierung urbaner Räume und auf die Vorstellung großangelegter Stadtplanungsprojekte sowie neuartiger Formen des Urbanismus; schließlich stand (4) die Sektion „repräsentierendes“ Istanbul für Maßnahmen und Anstrengungen zur (historischen) Untersuchung der Identität, des Selbst-/Fremdbildes wie überhaupt des Images der Stadt Istanbul und die Reflexion all dessen in Kino und weiteren Ausdrucksformen der Kunst. Diese thematischen Schwerpunkte sind im Tagungsband in zwei großen Abschnitten zusammengefasst: In den Beiträgen des ersten Teils „Contested Spaces“ werden aus geo graphischen und soziologischen Perspektiven Fragen der Stadtplanung untersucht, wobei öffentlicher Raum (public space) bzw. organisierter öffentlicher Raum (public
sphere) in einem funktionalisierten bzw. instrumentalisierten räumlichen (contested/conquered spaces) und politischen Verständnis analysiert werden vor dem Hintergrund der rasanten, planlosen und unkontrollierten Auswüchse der Stadt seit der zweiten Hälfte des 20. Jh.s, ein Phänomen, das an Stadtplaner und Architekten gleichermaßen wie an die lokale Stadtund Kulturpolitik hohe Anforderungen stellt. Besonders in den Beiträgen dieses Abschnitts wird die Vielschichtigkeit des oben erläuterten Phänomens des Aufeinandertreffens und Ineinandergreifens von Globalem und Lokalem deutlich. Im zweiten Teil des Bandes „Experiencing Istanbul“ wird ein Perspektiven- und Metho denwechsel vollzogen, weg von der Vogelperspektive hin zu konkreten ethnographischen und historischen Fallstudien in Istanbul, die das Eintauchen in die Mikrowelt (local places) des Alltags, in die kulturelle Praxis einer Vielvölkermetropole ermöglichen: Mit Methoden der „multi-sited ethnography“ (G. Marcus), der „dichten Beschreibung“ (C. Geertz), der „urban ethnography“ und der „teilnehmenden Beobachtung“ analysieren die Autorinnen und Autoren soziales Interagieren, individuelle Lebensgeschichten und herausragende Sehenswürdigkeiten mit dem Ziel, Einblick in mögliche Interpretationen von öffentlichen Räumen (public spaces) als Orte für die Produktion und Reproduktion des Urbanen zu geben. Die einzelnen Fallbeispiele sind vor allem durch ihren äußerst klar strukturierten Aufbau repräsentativ: Nach kurzen historischen, fallweise auch topographischen Abrissen, die die Rahmenbedingungen bzw. die gewachsenen und somit
nicht völlig ausblendbaren (historischen) Strukturen der jeweiligen Untersuchungsräume wiedergeben und somit den konkreten Fall kontextualisieren, wird der kulturelle und soziale Ist-Zustand den angestrebten Neuerungen gegenübergestellt, wobei sich der Blick insbesondere auf die ge sellschaftlichen, infrastrukturellen und kulturellen Veränderungen, aber auch auf mögliche (gesellschaftliche) Widerstände gegen solche Transformationsprozesse richtet. Es beginnt also der Aushandlungsprozess urbaner Räume, somit der Konflikt zwischen den oft mittellosen 594 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Zuwanderern einerseits, die den umstrittenen Raum im Laufe der letzten Jahrzehnte langsam „besetzt“ haben, und einer einflussreichen Gruppe privater, kapitalkräftiger Investoren im Umfeld oder Freundeskreis des Bürgermeisters bzw. der Stadtverwaltung andererseits, die diesen Raum schnell und unkompliziert durch käuflichen Erwerb der Bausubstanz „erobern“ und ihn durch umfangreiche - der Stadt für ihr (touristisches) Image zum Vorteil gereichen de - Sanierungsmaßnahmen attraktiv stylen (vgl. Eda Ünlü Yücesoy, „Contested Public Spaces vs. Conquered Public Spaces“, 29-48, und Susanne Peehl, „Whose Space, Whose Culture? Struggle for Cultural Representation in ,French Street“ of Istanbul“, 319-332). Eine aufstrebende türkische Mittelschicht von Architekten, Hochschulprofessoren und Künstlern steht diesen Maßnahmen sehr kritisch gegenüber, sieht sie doch das Hauptinte resse der Investoren allein im wirtschaftlichen Profit, jedoch weit entfernt von den Zielen eines professionellen Denkmalschutzes zur Erhaltung von Kulturerbe. Was diesen Band für die Südosteuropa-Forschung insgesamt besonders wertvoll macht, ist seine Aktualität und Gültigkeit für viele (Hafen-)Städte in Südosteuropa. Vor dem Hintergrund des - im Zeitalter stetiger EU-Osterweiterung ganz Südosteuropa tangieren den — Widerstreits zwischen Globalisierung und Lokalisierung werden die (mitunter auf die Konservierung historischer Artefakte langfristig negativen) Auswirkungen2 von massiven Migrationen ebenso behandelt wie das in den letzten Jahrzehnten deutlich wahrnehmbare Interesse an der eigenen
Geschichte, an der Wiederentdeckung historischen Erbes, aber auch dessen Kommerzialisierung (z. B. Transformierung historischer Viertel und Bauten in Themenparks) und die damit stets einhergehende Gefahr des Verlusts historischen Erbes, d. h. der eigenen Geschichte. Damit lässt sich das Generalthema des Bandes, theoretische und praktische Überlegungen zum Neuverhandeln bzw. Aushandeln von städtischen Räumen, auch auf andere (vorzugsweise) südosteuropäische Hafenstädte anwenden. So bleibt abschließend zu hoffen, dass dieser Band in der Fachwelt auf positives Echo stößt und zu weiteren Untersuchungen des so spannenden Interagierens von Raum, Zeit und Mensch in Südosteuropa anregt! Graz Ulrike Tischler-Hofer 1 Osterhammel und Petersson betonen, dass globalisierende Einflüsse einen neuen Antrieb für die Verteidigung lokaler Eigenart und Identität hervorruren, was sich in (mitunter gezielt kultivierten) Provinzialisierungen äußert. Cf. Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson, Geschichte der Globa lisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen. München 32006, llf. 2 Als Beispiele seien hier nur die bekannte Hafenmetropole Thessaloniki und die kleine griechische Stadt Didymoteichon im Evros-Tal an der türkischen Grenze angeführt. In Thessaloniki errichteten Flüchtlingsfamilien ihre Häuser direkt an der Stadtmauer in der Oberstadt und fügten dieser große Schäden zu. Ähnliches geschah in Didymoteichon, wo Roma an bzw. in den mittelalterlichen, mit Sgrafitto ausgeschmückten Wohnhöhlen der Festungsmauer siedelten. In beiden Fällen gelang es dem Denkmalamt, die Siedler - wenn auch unter
massivem Protest ֊ in anderen Teilen der Städte unterzubringen und so diese Artefakte denkmalgerecht zu konservieren. Südost-Forschungen 68 (2009) 595
Geschichte: Übergreifende Darstellungen Antun Sbutega, Storia del Montenegro. Dalle origini ai giorni nostri [Geschichte Montenegros. Von den Anfängen bis in unsere Zeit]. Rubbettino: Soveria Mannelli 2006. 542 S„ ISBN 978-88-4981489-7, € 20,Im Jahre 2004 schrieb Serbo Rastoder: „Montenegro still has no complete synthesis of its history.“1 Im Verlauf weniger Jahre hat sich die Situation geändert, vor allem dank der von Rastoder selbst zusammen mit Živko Andrijašević verfassten Geschichte Montenegros,2 aber auch dank einer vor Kurzem auf Englisch erschienenen Synthese.3 Diesen muss man jetzt Sbutegas Werk, das erste dieser Art auf Italienisch, hinzufügen. Vor dem Hintergrund der spärlichen Literatur ist das Werk mehr als willkommen, weil es eine offensichtliche historiographische Lücke ausfüllt. Dank Sbutega kann sich der italienische Leser nun bequem über die historischen Wechselfälle, welche die Gebiete, die jetzt als Republik Montenegro bekannt sind, gekennzeichnet haben, informieren. Das Buch ist auch deswegen nützlich, weil es sowohl die Geschichte eines Landes (Montenegro) als auch die Geschichte einer Region (des Balkans) anbietet. Das Buch bietet ein Fresko montenegrinischer Geschichte und stellt zugleich den Balkan über ein von der Historiographie relativ unbeachtetes Land vor. Der osmanische Vormarsch und die serbischen Ziele werden zum Beispiel nicht nur einander gegenübergestellt, sondern auch ins Verhältnis zum montenegrinischen Territorium und seinen Institutionen gebracht; so gewinnen sie die dunkle Farbe des schwarzen Berges und vor allem die helle Farbe der
See. Ein Wert des Werkes ist nämlich, dass es den Leser immer über die Unterschiede innerhalb der montenegrinischen Mikrowelt informiert. Die Geschichte der Bucht von Kotor wird meist durch spezifische Sektionen dargestellt und man kann ständig nützliche Unterscheidungen zwischen Küsten- und Bergregionen, zwischen Clans, religiösen Gruppen, politischen Ausrichtungen finden. Die Frage, die dem Autor, und sicher auch vielen Lesern, am meisten am Herzen liegt, ist ohne Zweifel die Nationalitätenfrage. Das Werk illustriert sehr gut die Existenz nicht nur eines Panserbismus mit serbischem, sondern auch mit montenegrinischem Charakter. Dies bedeutet, dass ein wichtiges Segment der montenegrinischen Intellektuellen seit jeher zur Idee der montenegrinischen Identität als Variation der serbischen Identität neigte und damit die Vereinigungsprojekte unterstützt hat. Gleichzeitig maß man nicht nur der Idee und dem politischen Programm eines als „Piemont des Balkans“ gesehenen Serbien Gewicht bei, sondern es wurde auch die gleiche Idee für Montenegro vertreten. Das Gesamtbild, das daraus entsteht, ist natürlicherweise kompliziert, aber deswegen nicht unverständlich, was sicher von Wert für ein solchermaßen populäres Werk ist. Man kann diese Arbeit nicht allgemein für „unausgewogen“ halten: es genügt dafür, den Abschnitt über die Debatte um die mittelalterliche Ethnogenese der Montenegriner zu lesen (36). Dennoch fehlt es nicht an Formulierungen mit einem antiserbischen Beigeschmack, z. B. als die Gelegenheit nicht ausgelassen wird, daraufhinzuweisen, dass „Serbien in jener Zeit [X.
-XII. Jh., S. R] keine bemerkenswerte Kultur entwickelt hatte“ (57). Es lassen sich auch moralistische Urteile finden („die feige Tat“, 1914 in Sarajevo begangen, S. 344), aber im Allgemeinen wird versucht, die Narration ausgewogen sein zu lassen. 596 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Die politische Eingebung überwiegt deutlich die historiographische Inspiration, und zwar in Bezug auf eine essentielle Frage - die der Unabhängigkeit der montenegrinischen Nation. Der Autor, der nach der Erlangung der Unabhängigkeit seines Landes Botschafter im Vatikan geworden ist, hat das ganze Werk mit einer klaren Überzeugung geschrieben: dass die montenegrinische Nation einen eigenen Staat verdiene. Die logische und kohärente Auswirkung davon ist, dass die ganze Narration durch ein binäres Schema strukturiert ist: es gibt „dunkle“ und „negative“ Zeiten der Gefangenschaft, und andere, „leuchtende“ und „positive“, der Unabhängigkeit oder einer starken Autonomie. Das historiographische Urteil ist, im Ganzen gesehen, diesem politischen Urteil unterworfen. Wenn es auch innerhalb dieses Rahmens einfach ist, die osmanische Periode zu behandeln (sie also radikal negativ zu interpretieren) oder auch die Periode des ersten Jugoslawien unter der serbischen Monarchie, so erweist es sich als beschwerlicher, die sozialistich-jugoslawische Erfahrung zu analysieren: versicherte die Föderation doch bekanntermaßen der Volksre publik Montenegro eine formale Anerkennung und einen hohen Grad von Autonomie. Deswegen lesen wir in Bezug auf die Tito-Periode, dass „eins ins andere gerechnet, [die Montenegriner; S.P.] die glücklichste Periode ihrer modernen Geschichte erlebt hatten“ (433), was ein wenig dem Urteil widerspricht, das man in der Einführung des Kapitels lesen kann und das im Einklang mit einigen gerade im öffentlichen und historiographischen Diskurs herrschenden
Interpretationen des 20. Jh. ist, wenn nämlich der Autor die „Bi lanz“ jenes Jahrhunderts als „ausgesprochen negativ“ betrachtet (344). Uns scheint es, dass ersteres Urteil das eigentlich historiographische ist, da es auch die sozialen und kulturellen Entwicklungen in Betracht zieht, während für das zweite, ideologischere, im Wesentlichen nur die Autonomie und Unabhängigkeit des Landes der Maßstab ist. Weil dies die grundlegende Sorge des Autors ist, kann es nicht verwundern, dass es sich um ein Werk handelt, das sich vor allem mit institutioneller, diplomatischer und militäri scher Geschichte beschäftigt. Es gibt Einschübe von (traditioneller) Kulturgeschichte, aber der Ansatz entspricht der traditionellsten nationalen Historiographie. Es fehlen die dichten interpretativen und methodologischen Fragen, welche die internationale Historiographie in den letzten Jahrzehnten zum Osmanischen Reich, den modernen Nationalismen, den gesamten Fragen der Balkangeschichte gestellt hat. Die Bibliographie wiederspiegelt den Inhalt des Werkes getreulich und zeugt von der Erudition des Autors in Bezug auf die Fragen der montenegrinischen Geschichte. Eine andere Achse, über die sich die historiographische Interpretation entfaltet, ist die klassische Ost-West Beziehung: mit dem ersten werden negative Werte assoziiert, während der Einfluss des Westens ausdrücklich „wohltätig“ definiert wird (93). Der Autor beruft sich oft auf die Opposition zwischen „westlichem“ Rationalismus und Modernität einer seits, und der gegenteiligen Natur einer levantinischen Welt andererseits. Dieser Gegensatz
habe lange die montenegrinischen Ereignisse beeinflusst, bis heutzutage, als — während der Milošević-Zeit - „die Montenegriner [.] nicht imstande [waren], einmal für immer zu beschließen, welcher Zivilisation sie gehörten, entweder der westlichen oder der östlichen“ (443). Besonders die Einführung gibt verschiedene Gemeinplätze wieder, einschließlich der Rhetorik des „Bollwerks der Christlichkeit“, in diesem Falle Montenegro, von der der Autor, der lange bei der vatikanischen Kongregation für die Evangelisierung der Völker Siklóst-Forschungen 68 (2009) 597
Geschichte: Übergreifende Darstellungen gearbeitet hat, die katholischen Elemente betont. Der Autor teilt auch die Meinung, dass der osmanische Vormarsch einer „rohen Unterbrechung des Mittelalters auf dem Balkan“ entspricht (33), was bedeutet, dass er eine historische Periode mit einer politisch-kulturellen Region (dem westlichen Europa) identifiziert, mit dem Ergebnis, dass die dichte osmanische Erfahrung dieser Zeit ausgeschlossen wird. Wenn somit der Rahmen des Werkes klar ist, so ist das, was der Leser bekommt, aus den oben erwähnten Gründen dennoch von großer Nützlichkeit. Hier sei noch hinzugefugt, dass der Autor interessante Fragen aufwirft, die es verdienen würden, vertieft und über prüft zu werden, zum Beispiel über die Rolle, die die Freimaurerei in der Geschichte jener Region gespielt hat. Der Autor schreibt ihr oft eine wichtige Rolle zu. Die Beziehungen Montenegros mit Serbien sind überzeugend dargestellt und das Buch zeigt die zahlreichen Phasen und Optionen auf, mit denen in der Geschichte Montenegro und die verschiede nen politischen Repräsentationen der montenegrinischen Identität konfrontiert waren. In Anbetracht dessen, dass das Buch auf Italienisch und somit für ein primär italienisches Publikum geschrieben wurde, ist es auch in kultureller und politischer Hinsicht nützlich für die Vertiefung der italomontenegrinischen Beziehungen. Padua Stefano Petrungaro 1 Serbo Rastoder, The Development of Historiography in Montenegro, 1989-2001, in: Ulf Brunnbauer (Hg.), (Re)Writing History. Historiography in Southeast Europe after Socialism. Münster 2004,
201-235, 210. 2 Živko M. Andrijašević / Serbo Rastoder, Istorija Crne Gore. Od najstarijih vremena do 2003. Podgorica 2006. Gekürzte englische Ausgabe u. d.T. The History of Montenegro From Ancient Times to 2003. Podgorica 2006. 3 Elizabeth Roberts, Realm of the Black Mountain: A History of Montenegro. London 2007. 598 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Geschichte: Mittelalter Peter Schreiner, Byzantinische Kultur. Eine Aufsatzsammlung, II: Das Wissen. Hgg. Niels Gaul / Silvia Ronchey. Roma: Edizioni di Storia e Letteratura 2009 (Opuscula Collecta, 6). XXVIII, 256 S., ISBN 978-88-8498-211-7, € 68,Der Name Peter Schreiner ist mit der internationalen Byzantinistik untrennbar ver bunden. Das liegt nicht nur daran, dass er bereits seit geraumer Zeit als Präsident der „Association Internationale des Etudes Byzantines“ fungiert, sondern auch daran, dass wohl jeder Studierende der Byzantinistik oder sonst am Fach Interessierte schon nach kurzer Zeit auf den Namen Schreiner stößt. Seine im Jahre 1986 erstmals in der Reihe „Oldenbourg Grundriss der Geschichte“ veröffentlichte Einführung mit dem schlichten Titel „Byzanz“1 hat den Vorteil, dass sie nicht nur einen Überblick über die politische Ge schichte des byzantinischen Millenniums darstellt, sondern auch Kirche und Mönchtum, kulturelles und geistiges Leben etc. umfasst sowie eine umfangreiche Bibliographie zu den unterschiedlichsten Forschungsgebieten der Byzantinistik bietet. Der Erfolg dieser Studie ist nicht zuletzt dadurch dokumentiert, dass sie nun bereits in dritter Auflage (2008) vorliegt, was für kulturwissenschaftliche Publikationen geradezu als sensationell zu werten ist. Die dritte Auflage ist - wie im Untertitel zu lesen ist - tatsächlich eine „völlig überar beitete Auflage“, so z. B. insofern, als Schreiner das eigentliche byzantinische Zeitalter erst mit dem Ende der justinianischen Herrschaft (565) beginnen lässt und die Jahrhunderte davor als „die
Vorgeschichte des byzantinischen Staates“ bezeichnet, was zuletzt heftigen Widerspruch auslöste.2 Breit gefächert wie die Themen in seinem Einführungsband „Byzanz“ ist auch das wis senschaftliche Œuvre Schreiners, was sich auch in der über mehrere Jahrzehnte laufenden wissenschaftlichen Lehre — vor allem in seiner Zeit als Ordinarius für Byzantinistik an der Universität Köln — widerspiegelte.3 Die Idee, seine wichtigsten in Aufsatzform veröffent lichten Arbeiten nochmals herauszugeben, war daher naheliegend und ist selbstverständlich zu begrüßen. Eine besondere Stärke solcher Reprints stellt nämlich auch die Tatsache dar, dass dadurch an weniger gut zugänglichen Stellen publizierte Aufsätze besser erreichbar werden. Dies trifft im vorliegenden Band vor allem auf die Aufsätze V, VI, XI und XV zu. Ob der Fülle des interessanten Materials - in der Festschrift aus dem Jahre 2000 sind bereits über 400 Publikationen genannt4 - war es unumgänglich, die Beiträge auf mehrere Bände, nämlich vier an der Zahl, aufzuteilen. Auf den 2006 publizierten Band „Die Macht“5 folgte 2009 der hier zu besprechende Band „Das Wissen“. Was unter „Wissen“ zu verstehen ist, versuchen Silvia Ronchey und (vor allem) Niels Gaul in ihren einleitenden Bemerkungen (IX-XXVI) darzulegen. Sie subsumieren unter „Wissen“ jene Studien Schreiners, die „potremmo chiamare і protocolli primari delle sue indagini, e cioè і suoi studi di paleografìa“ (X). Die ausgewählten Artikel des Bandes stellen in der Tat eine Auswahl von Schreiners paläographischen Studien dar, als deren Höhepunkt die sorgfältige Beschreibung der
Codices 867-932 der Vaticani graeci6 zu sehen ist (XIV). Die Bedeutung der Paläographie wird in der Einleitung des Sammelbandes richtigerweise unterstrichen mit Bemerkungen wie „la filologia non esiste senza la paleografia“ (X) oder Südost-Forschungen 68 (2009) 599
Geschichte: Mittelalter „in order to study and understand any historical attempt at propagating any ideology or law [.] one needs to go back to such very‘basics’ as the production of parchment [.], the craft of copying, calligraphy or for other purposes [.] or to the storage and maintenance of manuscript books“ (XIII). Die im einleitenden Teil von Niels Gaul kurz paraphrasierten 16 Beiträge7 des mit der Chiffre „Das Wissen“ unterlegten Bandes sind folgende: I. Cristianesimo e paganesimo nella storiografia bizantina; IL Die Historikerhandschrift Vaticanus graecus 977: ein Handexemplar zur Vorbereitung des konstantinischen Exzerptenwerkes?; III. Photios und Theophylaktos Simokates. Das Problem des „Inhaltsverzeich nisses“ im Geschichtswerk; IV. Literarische Interessen in der Palaiologenzeit anhand von Gelehrtencodices: das Beispiel des Vaticanus gr. 914; V Der Austausch von literarischen Motiven und Ideen zwischen Ost und West im Mittelmeerraum; VI. Formen der Kaiserbio graphie in Byzanz; VII. Johannes Chortasmenos als Restaurator des Vat. gr. 2126; VIII. Ein gescheiterter Büchertausch. Zur Notiz des Johannes Chortasmenos im Vat. Pal. gr. 90 und den übrigen Besitzvermerken; IX. Zwei Bilder aus dem byzantinischen Schulleben; X. Zur Pergamentherstellung im byzantinischen Osten; XI. Kosten der Handschriftenherstellung in Byzanz; XII. Giovanni Aurispa in Konstantinopel. Schicksale griechischer Handschriften im 15. Jahrhundert; XIII. Klosterkultur und Handschriften im mittelalterlichen Griechen land; XIV Klosterbibliotheken in Ost und West. Unterschiede und
Gemeinsamkeiten; XV. Handschriften auf Reisen; XVI. Kopistinnen in Byzanz. Mit einer Anmerkung zur Schreiberin Eugenia im Par. lat. 7560. Aufsatz I wurde bewusst an den Anfang gestellt, da dieser „a splendid introduction to the whole volume“ (XV) darstellt. Anspielend aufArnaldo Momigliano, „The Conflict between Paganism and Christianity in the Fourth Century“ (Oxford 1963) skizziert Schreiner auf wenigen Seiten die für Byzanz typische Symbiose von Paganem und Christlichem mit be sonderer Berücksichtigung der Historiographie. Die übrigen Beiträge sind den verschiedenen Forschungsschwerpunkten Schreiners entnommen, wobei paläographische Einzelstudien im Vordergrund stehen. Einige Bemerkungen zu ausgewählten Aufsätzen: Schreiners besonderes Interesse für das Geschichtswerk des Theophylaktos Simokates ist nicht nur durch Aufsatz III dokumen tiert, sondern in erster Linie durch seine kommentierte Übersetzung aus dem Jahre 1985.8 Schreiners Bemühen, byzantinische Texte auch einem breiteren Lesepublikum zugänglich zu machen, ist auch durch die Übersetzungen der byzantinischen Meinchroniken9 und der Abschnitte in seiner finanz- und wirtschaftsgeschichtlichen Studie zu vatikanischen Handschriften10 ersichtlich. Ein weiterer, reichhaltig dokumentierter11 Forschungsschwerpunkt Schreiners stellt die Untersuchung der Beziehungen zwischen Ost und West und des einhergehenden Kul turtransfers dar (Aufsätze V und XIV, gewissermaßen auch Aufsatz XII). In Aufsatz XIV arbeitet Schreiner u. a. den grundlegenden Unterschied der Buchproduktion in Klöstern des Westens und Ostens heraus: Ein
Skriptorium, in dem Mönche gemeinsam Bücher abschrieben, stellte in Byzanz die Ausnahme dar; wir treffen vielmehr auf den Kopisten, der in seiner Zelle gegen Entlohnung Bücher kopierte (Aufsatz XIV, 29). Doch was kostete eigentlich eine Handschrift in Byzanz? Mit dieser Frage beschäftigt sich Schreiner in Auf600 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen satz XI. Für das 9.-14. Jh. kann er aufgrund von repräsentativen Beispielen feststellen, dass die Pergamentkosten relativ stabil waren, dass die Entlohnung der Kopisten jedoch großen Schwankungen unterworfen war. Inwieweit und wie gut ein Kopist von seiner Tätigkeit leben konnte, hing nicht zuletzt von der Geschwindigkeit des Abschreibens ab (Aufsatz XI, 342). Bemerkungen zur Pergamentherstellung in Byzanz ist Aufsatz X gewidmet. Dabei steht im Mittelpunkt die deutsche Übersetzung armenischer,12 überwiegend aus postbyzantinischer Zeit stammender Rezepte, die sehr anschaulich die verschiedenen Schritte der Gewinnung des Schreibstoffes skizzieren; aus Byzanz selbst gibt es kein einziges vollständiges Rezept zur Pergamentbehandlung (Aufsatz X, 122), sondern nur einzelne Bemerkungen. Gleich am Beginn dieses Aufsatzes wird Johannes Chortasmenos zitiert, der auch im Mittelpunkt der Aufsätze VII und VIII steht, und Aufsatz X stellt in Wahrheit auch einen Appendix zu Aufsatz VII dar (XXI), in dem wir den spätbyzantinischen Autor und Gelehrten als Hand schriftenrestaurator kennenlernen. In Aufsatz XVI geht Schreiner einer höchst interessanten Frage nach, nämlich der Identifizierung von Kopistinnen. Dass diese kaum zu greifen sind, lag auf der Hand, aber immerhin gelang es ihm, vier sichere kopierende Frauen ausfindig zu machen. Man darf - so Schreiner - aber vermuten, dass Frauen in Byzanz — anders als im Westen - im Großen und Ganzen keine Kopistentätigkeit ausübten (Aufsatz XVI, 40). Der kurze Aufsatz IX bietet zwei kurze Texte aus dem byzantinischen Schulalltag,
nämlich zwei Verträge, wobei in dem einen die Schüler dem Lehrer versprechen, zur Zeit der Hitze nicht zu schlafen und auch vom Essen abzusehen; im anderen verspricht ein Lehrer, einem Schüler die Minuskelschrift beizubringen. Ebenso wie in Band 1 der gesammelten Werke Schreiners finden sich am Ende knapp gehaltene, nur Wesentliches berücksichtigende Addenda et Corrigenda zu den wiederabge druckten Aufsätzen sowie ein Personen- und Ortsregister. Dem inhaltlichen Schwerpunkt des Buches entsprechend ist diesem Band auch ein Handschriftenregister beigegeben, in dem — wenig überraschend - die Einträge zu den vatikanischen Handschriften zahlenmäßig herausstechen. „Das Wissen“ stellt ebenso wie „Die Macht“ eine gute Übersicht über einen weiteren Forschungsschwerpunkt Peter Schreiners dar. Die Auswahl der Beiträge ist nachvollzieh bar, wenngleich eine solche letztlich immer willkürlich bleiben muss. Weitere einschlägige Titel seien der Publikationsliste in der Festschrift für Peter Schreiner aus dem Jahr 2000 entnommen.13 Mit Interesse sind nun die beiden ausstehenden Bände der Sammlung zu erwarten. Anzuregen wäre, dem in einigen Jahren zu erwartenden vierten und letzten Band der Sammlung eine vollständige oder zumindest ergänzende Bibliographie beizugeben, die das wissenschaftliche Schaffen Peter Schreiners, der nicht nur nach Silvia Ronchey den -.Alter tu ms Wissenschaftler per eccellenza“ in sich verkörpert (XI), seit dem Jahr 2000 dokumentiert. Wien Andreas Rhoby 1 Peter Schreiner, Byzanz. München 1986 (21994,320 08) (Oldenbourg Grundriß der Geschich te, 22). Südost-
Forschungen 68 (2009) 601
Geschichte: Mittelalter 2 Ralph-Johannes Lilie, Byzantinische Zeitschrift 101 (2008), 851-853; Günter Prinzing, SOF 65/66 (2006/2007), 602-606. 3 Zur Würdigung der Lehre vgl. A. YLvlzvr, Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik 59 (2009), 304f. 4 Cordula Scholz/Georgios Makris (Hgg.), ΠΟΛΥΠΛΕΥΡΟΣ ΝΟΥΣ. Miscellanea für Peter Schreiner zu seinem 60. Geburtstag. München, Leipzig 2000 (Byzantinisches Archiv, 19), 415-429. 5 Peter Schreiner, Byzantinische Kultur. Eine Aufsatzsammlung, I: Die Macht. Hgg. Silvia Ronchey/Elena Velkovska. Roma 2006 (Opuscula Collecta, 3). 6 Codices Vaticani Graeci. Codices 867-932, rec. Peter Schreiner. Vatikan 1987. 7 Band 1 „Die Macht“ umfasst 20 Aufsätze. 8 Peter Schreiner, Geschichte. Theophylaktos Simokates. Stuttgart 1985 (Bibliothek der grie chischen Literatur, 20). 9 Ders., Die byzantinischen Kleinchroniken, I-III. Wien 1975-1979 (Corpus Fontium Históriáé Byzantinae, XII/1-3). 10 Ders., Texte zur spätbyzantinischen Finanz- und Wirtschaftsgeschichte in Handschriften der Biblioteca Vaticana. Città del Vaticano 1991 (Studi e Testi, 344). 11 Pars pro toto seien etwa die Sammelbände erwähnt: Odilo Engels /Peter Schreiner (Hgg.), Begegnung des Westens mit dem Osten. Kongreßakten des 4. Symposions des Mediävistenverbandes in Köln aus Anlaß des 1000. Todesjahres der Kaiserin Theophanu. Sigmaringen 1993; Anton von Euw / Peter Schreiner (Hgg.), Kunst im Zeitalter der Kaiserin Theophanu. Akten des Internationalen Colloquiums veranstaltet vom Schnütgen-Museum Köln 13.-15. Juni 1991. Köln 1993. 12 Aufgrund der Unzugänglichkeit des armenischen
Originals aus der russischen Vorlage (Auf satz X, 123). 13 Siehe Anm. 4. Laszlo VeszprËmy / Tünde Wf hli / József HapáK, The Book of the Illuminated Chronicle. Budapest: Kossuth Publishing House 2009- 200 S., zahir, farb. Abb., ISBN 978-96309-6042-7, HUF 8990,Die Bilderchronik, wegen ihres langen Aufenthaltes in der Hofbibliothek von (spätestens) 1636 bis 1932 oft als „Wiener“ bekannt, ist zweifelsohne eines der schönsten Bücher, das aus dem mittelalterlichen Ungarn - vor der Zeit der Corvinén - auf uns gekommen ist (allein das sog. „Anjou-Legendär“ kann danebengestellt werden). Sie enthält den am besten überlieferten Text historischer Tradition der Ungarn, von den mythischen Anfängen bis 13303 Die ältesten Teile dürften im 11. Jh. geschrieben und dann mehrfach erweitert und redigiert worden sein. Die Entstehung und das Verhältnis dieser Chronik in Bezug auf die anderen Geschichtswerke des ungarischen Mittelalters (die „Gesta“ des sog. Anonymus und die „Gesta Hunnorum et Hungarorum“ aus der Feder des Simon von Kéza) ist umstritten (darüber berichtet László Veszprémy, 11-36), doch soll das hier nicht aufhalten, denn der vorliegende Band ist vor allem den Bildern gewidmet. Als Prachtwerk wurde das Buch um 1358 geschrieben und wohl gleichzeitig (spätestens aber 1374) illuminiert. Sein ursprünglicher Zweck ist nicht klar; wahrscheinlich wurde es 602 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen als Verlobungsgeschenk von Katkerina, der Tochter König Ludwigs I., an den Dauphin nach Paris gesandt. Das weitere Schicksal des Werkes ist unbekannt, doch dürfte der Kodex 1462 an Dorde Brankovič, Despot von Serbien - vielleicht aus Istanbul ֊ weitergeschenkt worden sein. Von dort kam er möglicherweise nach Ungarn und schließlich nach Wien - und (nach dem Vertrag von Venedig, der die Habsburgischen Schätze unter den Nachfolgestaaten aufteilte) zurück nach Budapest. Der Kodex enthält 43 Miniaturen und 98 illuminierte Initialen, nebst 61 eleganten Randdekorationen. Diese vorzustellen ist das Ziel des vorliegenden Bandes. Tünde Wehli beschreibt jede Illumination, sei es figurengeschmückte Initiale, sei es Vollminiatur, und legt auch die Anordnung der Bilder — mit mehreren Bifolien voll abgebildet — sehr lehr reich aus. Das Format des Buches (24 mal 32 cm) erlaubt, dass sowohl ganze Miniaturen als auch deren Details in so vergrößertem Format zu genießen sind wie nie zuvor. Die Farbfotos von József Hapák werden den höchsten Ansprüchen gerecht und die Qualität von Druck und Papier kann sich - trotz des sehr günstigen Preises - mit den teuersten Faksimile-Ausgaben messen. Der Illuminator hatte keine leicht übertragbare Vorlage für die Illustration eines solchen Geschichtswerkes. Die „Grandes Chroniques de France“, vielleicht das beste Vergleichs beispiel, wurden in etwa zur gleichen Zeit illuminiert. Daher lassen sich nur gelegentlich Anlehnungen an biblische und liturgische Bildkompositionen nachweisen, aber besonders die Kompositionen vielfiguriger Darstellungen -
wie Kampfszenen, der Einzug der Ungarn, oder der Mongolensturm - zeugen von inventionsreicher Originalität. Tünde Wehli weist auf eine ganze Reihe von meist norditalienischen Handschriften hin, die Verwandtschaft mit den Bildern der Chronik zeigen; manche von ihnen, wie die Bibel des Demeter Nekcsei, waren in Ungarn gewiss bekannt. Einflüsse aus Bologna sind mehrfach zu bemerken, aber auch Hinweise auf mögliche Kontakte mit Ostmitteleuropa, besonders mit Böhmen. Die Bilder sind reich an heraldischen Details, teils historisch belegt, teils der Phantasie entsprungen. Unzählige Einzelheiten sind der Diskussion wert, wie z. B. die sehr ausführliche Darstellung Attilas (mit einem durch ein Kreuz erhöhten Reichsapfel in der Hand!), die verschiedenen orientalischen Elemente der fremden Völker, aber auch bei der Kleidung „ungarischer“ Figuren und vieles andere mehr. In einem solchen für interessierte Laien entworfenen Band konnte dies freilich nur angedeutet werden. Der Rezensent möchte anmerken, dass er die Zuweisung der häufig abgebildeten Kronen (Kronenreif, vielleicht Lilienkrone) zur sog. Stefanskrone für etwas übertrieben hält, da kein einziges Mal eine Bügelkrone zu sehen ist. Leider lässt die englische Übersetzung viel zu wünschen übrig, und anscheinend wurde der Text nie richtig durchgesehen (so fehlen z. B. vielfach die diakritischen Zeichen in unga rischen Ortsnamen). Doch, wie Veszprémy unterstreicht, wurde das Buch schon seinerzeit nicht des Textes, sondern der einmalig eleganten Illustrationen wegen gerühmt. Dies gilt mutatis mutandis auch für die vorliegende
Publikation. Budapest János M. Bak 1 Alexander Domanovszky (Hg.), Chronici Hungarici compositio saeculi XIV. In: Emericus (Hg.), Scriptores rerum Hungaricarum c. Vol. 1. Budapest 1937. SzENTPÉTERY Südost-Forschungen 68 (2009) 603
Geschichte: Mittelalter DirkMoLDT, Deutsche Stadtrechte im mittelalterlichen Siebenbürgen. Korporations rechte - Sachsenspiegelrecht — Bergrecht. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag 2009 (StudiaTransylvanica, 37). IX, 259 S., ISBN 978-2-412-20238-5, € 34,90 Mit der vorliegenden Monographie zur mittelalterlichen Rechtsgeschichte Siebenbürgens gelangt die Dissertation des Berliner Historikers Dirk Moldt in der Hochschulschriftenreihe des Arbeitskreises fur Siebenbürgische Landeskunde zur Publikation. Zugleich veröffentlicht der Autor, der sich bisher primär im zeitgeschichtlichen Feld bewegt hat, damit auch sein mediävistisches Erstlingswerk. Wie bereits in der Einleitung festgehalten wird, befasst sich der Autor primär mit der Rechtsgeschichte der deutschen Bevölkerung innerhalb Siebenbürgens und zum Teil auch des restlichen mittelalterlichen Ungarn. Besonders geht es ihm dabei um die Anknüpfungs punkte und Parallelen zwischen dem Recht der Siebenbürger Sachsen und deutschem Recht, insbesondere Sachsenspiegelrecht und Magdeburger Recht. Der untersuchte Zeitraum erstreckt sich dabei von der Ansiedlung dieser Bevölkerungsgruppe am Ende des 12. Jh.s bis in das 16. Jh. hinein. Das Buch beginnt mit einer Darstellung der ungarischen Rechtsentwicklung und -rezeption und dem damit eng verbundenen Recht der Siedler, in den Quellen zumeist Hospites genannt. Bei letzteren handelt es sich dabei vornehmlich um die Siebenbürger Sachsen, deren vielfach gewährte Privilegien eine besondere rechtliche Entwicklung innerhalb Sie benbürgens ermöglichten. Dabei hebt Moldt die drei Mindestrechte
jeweils der Einwohner und des Königs besonders als Grundlage der weiteren Rechts- und Stadtentwicklung in Siebenbürgen hervor. Es folgt eine geographisch gegliederte Darstellung der spezifischen Rechtsentwicklung in den jeweiligen Regionen Hermannstadt, Bistritz und Bistritzer Land, Kronstadt und Burzenland, Winz und Burgberg sowie Klausenburg. Dabei stellt der Hermannstädter Rechtskreis eine sich langsam ausbreitende Norm siebenbürgischen Rechts dar, während vor allem die außenpolitische Rechtsfähigkeit Kronstadts betont wird. Nach dieser geographischen Abhandlung folgt anhand sachlicher Kriterien die Abhand lung des siebenbürgischen Phänomens der Grafen und deren Abgrenzung zu den Grafen nach deutschem Recht sowie der Institute des Zunftwesens und des Bergrechts. Bei der Behandlung des Bergrechts wird auch die besondere Bedeutung der „Bergorte“ in der Ver teidigung gegen die osmanische Gefahr erwähnt. Schließlich wird noch kurz auf die Frage nach der Existenz „echter“ Städtebünde nach deutschem Vorbild eingegangen. Erst am Ende der Monographie befasst sich Moldt konkret mit seiner eigentlichen Fragestellung der Anknüpfungspunkte und Parallelen zum deutschen Recht und deren Rezeption. Hierbei stellt er auch erstmals in seiner Arbeit die Quellen, die er zum Ver gleich heranzieht, kurz vor, was bereits zu Beginn der Abhandlung der einzelnen Kapitel wünschenswert gewesen wäre. Die einzelnen Kapitel enden mit einer Zusammenfassung der jeweils behandelten Thematik, deren Wert jedoch den einer bloßen Repetition deutlich übersteigt. Der Autor fasst darin die jeweils
vorangegangene Darstellung und Untersuchung zu weiterfuhrenden Thesen und Fragestellungen zusammen. Diese Zusammenfassungen geben einen raschen 604 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Überblick über das jeweilige Themengebiet, weshalb sich die Abschnitte auch hervorragend als Nachschlagewerk eignen. Die Monographie selbst endet ebenso mit einer Zusammenfassung. Neben einer Zusam menschau der gesamten behandelten Thematik wird ein Ausblick für weitere Forschungen und Perspektiven auf diesem Gebiet gewährt, wobei außer einem Aufruf zur stärkeren Be schäftigung mit den vorhandenen Quelleneditionen leider keine neuen Ansätze präsentiert werden. Die Publikation wird schließlich durch ein beinahe umfassendes Literaturverzeich nis zur mittelalterlichen siebenbürgischen Rechts- und Sozialgeschichte sowie durch ein Ortsnamenverzeichnis abgerundet. Zu einem überwiegenden Teil gibt Moldt in der vorliegenden Arbeit lediglich die Sekundärliteratur wieder und bringt nur selten neue Erkenntnisse zu den einzelnen The mengebieten. Gerade darin liegt jedoch zugleich auch ein besonderes Verdienst des Autors. Durch das Zusammentragen und Aufbereiten eines sehr großen Teiles der verfügbaren Sekundärliteratur zum Thema liefert Moldt nahezu den ersten monographischen Ansatz seit der nach wie vor als Standardwerk anzusehenden Publikation des ausgehenden 19. Jh.s zur Rechtsgeschichte Siebenbürgens von Georg Eduard Müller, zuletzt in der Reihe „Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens“ wiederveröffentlicht.1 Dabei geht das Werk auch oftmals über eine reine rechtsgeschichtliche Betrachtung hinaus und berührt neben der damit zusammenhängenden ungarischen Politik auch sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte. Trotz einigen wertvollen neueren Aufsätzen stellen
Monographien zur mittelalterlichen Rechtsgeschichte Siebenbürgens, wie etwa das ebenfalls in den „Studia Transylvanica“ erschienene Werk von Konrad Gündisch zum Vorhandensein eines siebenbürgischen Städtepatriziats im Mittelalter,2 eine Ausnahme dar. Neben der Wiedergabe von Thesen aus der Sekundärliteratur hat sich der Autor jedoch auch mit den einschlägigen Quellen zum Thema befasst. Doch wenngleich nahezu jedes Element der Darstellung neben der Quellenangabe auch mit minutiösen Quellenzitaten daraus untermauert wird, so stellt dieser Aspekt doch einen entscheidenden Schwachpunkt der vorliegenden Arbeit dar. Wie vom Autor in der Einleitung bereits selbst festgestellt wird, wurde ein Großteil der unveröffentlichten Dokumente aus Hermannstadt, Kronstadt und Klausenburg nicht in die Betrachtung miteinbezogen. Dieser Beigeschmack, der durch die gesamte Arbeit hindurch bestehen bleibt, lässt bei der Lektüre mehrmals den Wunsch aufkommen, der Autor hätte sich nur mit einem geographischen Gebiet oder einem en geren Zeitraum befasst, dafür jedoch gründlicher. Oftmals entsteht insbesondere in den Vergleichen mit deutschem Recht der Eindruck, dass nur stichprobenartig Analogien gesucht und aufgestellt wurden, was den Aussagewert eben jener leider schmälert, wenngleich sie sicherlich zutreffend sind. Zusätzlich strebt Moldt eine Quelleninterpretation im Sinne einer zunehmenden Gleich berechtigung zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen - insbesondere Deutschen und Ungarn - an, die zwar sicherlich letzdich in einigen Aspekten auch rechtlich existiert haben wird, aber in der
Analyse doch oftmals anachronistisch wirkt. Neben dem Verdienst einer sich auf neuestem Stand befindlichen Zusammenfassung und Darstellung der siebenbürgischen Rechtsentwicklung mit Fokussierung auf das Recht der Siebenbürger Sachsen wäre es wünschenswert, wenn der Band auch zu einer vermehrten Südost-Forschungen 68 (2009) 605
Geschichte: Mittelalter Beschäftigung und Erschließungder ungedruckten Quellen zur siebenbürgischen Rechtsge schichte des Mittelalters auch durch eine jüngere Forschergeneration, zu der auch der Autor hinzuzurechnen ist, anregen würde. Neben dem Erscheinen kommentierter Neuauflagen, die durch den Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde betrieben werden, wären auch die zum Teil unter suboptimalen redaktionellen Verhältnissen edierten gedruckten Quellenbände einer Neubearbeitung zu unterziehen oder mit Nachträgen zu versehen. Das vorliegende Werk stellt sicherlich einen wichtigen Ansatz zur weiteren Erforschung der mittelalterlichen Politik-, Rechts- und Sozialgeschichte Siebenbürgens dar und regt gewiss auch weitere Autoren aus diesem Feld an, fehlenden Quellenfragen nachzugehen und einzelne Aspekte zu ergänzen. Wien Markus Peter Beham ' Georg Eduard Müller/ Konrad Gündisch (Hgg.), Stühle und Distrikte als Unterteilungen der Siebenbürgisch-Deutschen Nationsuniversität 1141-1876. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Krafft Drotleff, Hermannstadt 1941. Köln 1985 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 10). 2 Konrad Gündisch, Das Patriziat siebenbürgischer Städte im Mittelalter. Wien, Köln, Weimar 1993 (Studia Transylvanica, 18). Jelena Mrgić, Severna Bosna. 13-16. vek. [Nordbosnien. 13.-16. Jahrhundert]. Beograd: Istorijski Institut 2008 (Posebna izdanja, 55). XIII, 469 S., 7 Km., Abb., ISBN 97886-7743-071-9 Nach einer mehr als erfolgreichen Studie über „Donji Kraji“ (Beograd 2002), die förmlich eine Erfrischung in der Historiographie über das mittelalterliche Bosnien
war, folgt nun das neue Buch von Jelena Mrgić. Es ist der Region Nordbosnien gewidmet und bildet eine natürliche Fortsetzung der vorangegangenen Studien. Gleichzeitig bestätigt Mrgić damit die Untersuchung regionaler Geschichte als ihren wissenschaftlichen Schwerpunkt. Wäh rend die Historiographie über das mittelalterliche Bosnien immer noch auf Experten auf den Gebieten der Heraldik, Numismatik und Genealogie wartet, so kann man das jedoch für einzelne Regionen wie z. B. Hum, Trebinje oder Podrinje nicht sagen. Ihnen wurden in der vergangenen Zeit einige Studien von ungleich größerem wissenschaftlichem Wert gewidmet. Für eine solche regionale Vorgehensweise der Forschung der geschichtlichen Problematik zählt als Grund nur eines. Man sollte sich an dieser Stelle (Fernand) Brau dels Gedanken in Erinnerung rufen, nach denen sich das mittelalterliche Europa als eine durch Mauern getrennte Welt festgesetzt hat, in der nur eine kleine Region, enge Heimat eine Bedeutung hatte. Durch dieses Prisma betrachtet, ist das Buch von Jelena Mrgić mit seiner Struktur und Auslegungsart, die außer der politischen Geschichte auch die Welt des Alltags als ein dauerhaftes historisches Phänomen entdeckt, ein Beitrag im Sinne Braudels zur Historiographie über das mittelalterliche Bosnien. Logisch betrachtet wartet auf so 606 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen eine wissenschaftliche Studie auch die Region Zentralbosnien, die von der Autorin als Hauptregion des mittelalterlichen bosnischen Staates genannt wird. Pavao Andelić hat mit seiner multidisziplinären Erforschung dieser Region bereits eine solide wissenschaftliche Grundlage gelegt, auf die sich aufbauen ließe. Außer der leichten Auslegungsart als einer ihrer Konstanten sind die Übersichtlichkeit und das Allumfassende markante Merkmale dieses Buches, die man schon auf den ersten Blick wahrnimmt. Nach den einleitenden Kapiteln (I֊XIII) „Reč autora“, „Hronoloģija (13.-16. vek.)“, „Lista vladara Bosne, Srbije, Ugarske i Osmanskog carstva“ sowie „Uvodna razmatranja“ wurde der umfangreiche und komplexe Stoff in sechs Hauptkapitel unter teilt: „I Prirodna sredina i njene promene“ (13-32), II „Tok istorije“ (33-169), „III Svet u pokretu - dinamika stanovništva“ (171-203), „IV Tipologija i mreža naselja“ (205-226), „V Staro i novo: župe, nahije i naselja“ (227-271), „VI Plodovi zemlje“ (273-365). Das Buch endet mit den abschließenden Kapiteln „Završna razmatranja“ (367-375), Summary (377-401), „Rečnik osmanskih termina“ (403-405), „Spisak karata“ und „Spisak skraćenica“ (406-408), „Neobjavljeni izvori, Kartografski materijal, Enciklopedije, Řečnici, Priručnici“ (408f.). Das Ende des Buches bilden „Objavljeni izvori“, „Literatura“, „Imenski registar“, „Registar geografskih imena“ und „Registar pojmova“ (410-469). Die Region Nordbosnien war ein Gebiet, das von territorialen Verwaltungseinheiten, den „Ländern“ Usora und Soli besetzt war. Diese „Länder“ grenzten an drei
Flüsse; im Norden an die Save, im Osten an den Mittel- und Unterlauf der Drina und im Westen an den Unterlauf des Vrbas, während sie im Südstreifen an andere „Länder“ des bosnischen Staates grenzten: im Südwesten und Westen an Donji Kraji und im Süden an das „Land“ Bosnien und das Gebiet Podrinje. Die Methodologie und das Konzept des Buches beruhen auf dem verfügbaren Quellenma terial und auf der Literatur bzw. auf einigen größeren Quellengruppen wie diplomatischen Materialien (bosnische, serbische, ungarische, päpstliche, venezianische) mit einer beson deren Gruppe der osmanischen Quellen; Überreste der materiellen Kultur, Reiseberichten, ethnographischen und kartographischen Materialien. Der chronologische Grundrahmen zwischen dem 10. Jh. und dem Jahr 1463 ist in allen Aspekten überschritten worden. Auch die Übergangszeit vom Mittelalter zur osmanischen Epoche ist zu umfassend. Diese Studie gehört zu den Pionierversuchen in der simultanen Wahrnehmung der vorosmanischen und osmanischen Periode samt Kontinuität und Diskontinuität der Struktur im Kontext der historischen Geographie, Demographie und Ökonomie. Im ersten Kapitel „Prirodna sredina i njene promene“ ( 13-32) werden naturgeographische Eigenschaften Nordbosniens und die durch gegenseitige Beziehungen zwischen Mensch und Natur entstandenen Kulturlandschaften geschildert. So widmet sich Mrgić zunächst den paläogeographischen Eigenschaften Nordbosniens bzw. der mittelalterlichen „Länder“ Usora und Soli. Die Autorin rundet das Kapitel mit der Schlussfolgerung ab, „da su njeni stanovnici imali na raspolaganje
raznovrsne i relativno izdašne prirodne resurse“ (32), angefangen von der günstigen Anordnung der Reliefformen, dem gemäßigten Klima und dem dichten hydrographischen Netz bis hin zu dem Überfluss an Wäldern, Ackerfeldern, Heuernten und Weiden, die durch Ausrodung entstanden. Damit stellte die Autorin auf der Grundlage historischer Geographie als einer Wissenschaft, die den geographischen Sudost֊Forschungen 68 (2009) 607
Geschichte: Mittelalter Raum mit dem Leben der Menschen in der Vergangenheit verbindet, die Bühne für das große Thema Historiographie auf, das sich mit dem Leben anonymer Menschen und deren Alltagsgeschichte befasst, die den Mediävisten gewöhnlich mit dem Verweis auf den Hiatus in den Quellenmaterialien aus den Händen gleitet. Die Autorin weist daraufhin, dass Begriffe wie „Nord-“, „Süd-“, „Ost-“ oder „Westbos nien“ in den Quellen nicht Vorkommen. Dies zeuge von der Existenz geschichtlicher und geographischer Einheiten. „Länder“ wie Bosnien, Usora, Soli, Donji Kraji, Humska zemlja sowie später Drina, Podrinje, Zapadne strane und Primorje werden in unterschiedlichen Zeitintervallen Teile des politischen Mutterlandes, des mittelalterlichen bosnischen Staates. Eine äußerst wichtige Erkenntnis bei der Beleuchtung des geschichtlichen Schicksals von Usora und Soli ist, dass die Entstehung der territorialen Verwaltungseinteilung des bosni schen Staates in „Länder“ bzw. in Bosnien, Usora, Soli, Donji Kraji usw. mit der Herrschaft von Ban Kulin (vor 1180-um 1204) in Verbindung gebracht wird. Das erste Mal wurde Usora in den Geschichtsquellen (1225) parallel mit Bosnien und Donji Kraji erwähnt, was zweifellos ein Indikator dafür ist, dass es sich hier um eine Verwaltungseinheit mit dem Rang eines „Landes“ handelte und in den damaligen Staatsrahmen der bosnischen Banschaft integriert war. Auf dieser Geschichts- und Forschungsbasis verfolgte man die Entwicklung und Verbreitung des „Landes“ und des Begriffs Usora, mit dem in der Mitte des 14. Jh.s das ganze Gebiet von Nordbosnien
bezeichnet wurde und damit auch die rechte Uferseite des Flusses Drina einbezog. Spätestens 1351 schloss sich an Usora das „Land“ Soli an ֊ die Zeugen „od Soli“ (15) werden zu Vertretern Usoras — das sich aus Pfarreien im Flussgebiet Sprečas zusammensetzte. Mit einer solchen Vorgehensweise beschreibt die Autorin zwei Prozesse gleichzeitig: die Integration einer geschichtlichen und geographischen Region und ihre Anpassung an die breite Gesamtheit, die durch den politischen Rahmen des bosnischen Staates bestimmt war. Auf die gleiche Weise entwickelten sich auf dem ganzen europäischen Gebiet die Prozesse der politischen Konsolidation und der Integration der mittelalterlichen Staaten unter einer ständigen Anspannung zwischen zentrifugalen und zentripetalen Kräften. Einige Provinzen sind nämlich, wie man es am Beispiel des äußerst zentralisierten feudalen Staates Frankreich sehen kann, in Abhängigkeit von konkreten politischen Beziehungen aus der Kontrollzone der Zentralmacht ein- oder ausgetreten. Andererseits zeichnete sich die politische Geschichte des Deutschen Reiches viel mehr durch zentrifugale als durch zentripetale politische Kräfte aus. Zwischen diesen beiden Extremen wahrgenommen, würde der mittelalterliche bosnische Staat ein Beispiel sui generis darstellen. Wie geradezu geschaffen für so ein Beispiel ist Usora. Das zentrale und gleichzeitig umfangreichste Kapitel des Buches, „Tok istorije“ (33-169), beinhaltet die politische Geschichte Usoras und Solis in der Zeitspanne von vorslawischer und slawischer Ansiedlung bis zum Fall des Königreichs Bosnien unter das
Osmanische Reich 1463 bzw. bis zur osmanischen Besetzung Slawoniens 1537 sowie bis zur Gründung des Poiega-Sandschaks 1540. Mit dem Verbinden einer Fülle von Fakten unterschiedlicher Provenienz, der technischen Präzision eines Gobelins und der wechselhaften Beziehung zwi schen der Region und dem bosnischen politischen Zentrum leistet die Autorin eine moderne und ganzheitliche Darstellung der politischen Geschichte Usoras und Solis innerhalb der bosnischen Banschaft/des Königreichs Bosnien. Mrgić geht, indem sie in einigen Fällen auf 608 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen die Kontinuität der Bevölkerungsdichte zwischen der Antike und dem slawischen Zeitraum hinweist, davon aus, dass während der Antike Nordbosnien im Hinblick auf die Wirtschaft keine bedeutende Rolle spielte. Sie führt den Leser in die slawische Epoche dieser Region ein. Diese Epoche nimmt zur Zeit von Ban Kulin klare Formen an, dessen Herrschaft man mit der Entstehung der Landesverwaltung und der territorialen Organisation verbindet. Gänzlich zum Vorschein kamen die Vorzüge des bosnischen Staates in der ersten Hälfte des 13. Jh.s, das erfüllt war von diplomatischen und wahrscheinlich auch militärischen Kämpfen der bosnischen Banschaft gegen das Königreich Ungarn. Genauer gesagt, war dieses erfüllt von Kämpfen um das Bistum Bosnien, das Mitte desselben Jahrhunderts unter die Kontrolle ungarischer kirchlich-politischer Strukturen kam. Das Aufwallen war gerade in der Region Usora und Soli am stärksten, denn nach der Umsiedlung des bosnischen Bischofssitzes nach Đakovo, war sie zum Kern der ungarischen Banschaft geworden, was wiederum die Abtrennung dieses Territoriums vom Regierungs- und Verwaltungsapparat der bosnischen Banschaft bedeutete. Das Ende der Desintegrationsperiode, die länger als ein halbes Jahrhundert dauerte, die Rückkehr der Familie Kotromanić auf den Thron zeichneten das An-die-Macht-Gelangen des Bans Stjepan II. (1322-1353) vor, der seine größte Unterstützung gerade in Usora fand, wo die Familie Kotromanić seit mehr als hun dert Jahren ihre Liegenschaften hatte. Entgegen der Desintegrationsprozesse des vorigen Jahrhunderts wurde das 14. Jh. als
Zeitalter guter Verwaltung dargestellt und durch den Aufstieg der Lokalmacht und der wiederholten „Konstituierung“ von Usora und Soli als „Land“ im Rahmen der bosnischen Banschaft gekennzeichnet. Fest organisiert als einheit liche Verwaltungsganzheit blieb das „Land“ Usora der Hauptsitz der Macht von Ban und KönigTvrtko I. Kotromanić (1353/1377-1391). Nachdem im Laufe des letzten Jahrzehnts des 14. und der ersten Dekade des 15. Jh.s (im Rahmen des Plans des ungarischen Kö nigs Sigismund von Luxemburg (1387-1437), sich mit der bosnischen Krone zu krönen) Usora zum Schauplatz der militärischen Konfrontation zwischen dem ungarischen und dem bosnischen Königreich wurde, packte das „Land“ erneut der Prozess der politischen Desintegration. Es war bis zum Ende der bosnischen politischen Unabhängigkeit 1463 durch die Herrschaft sogar dreier Länder gekennzeichnet: Bosnien, Ungarn und Serbien. Aus den Bemühungen des ungarischen Königs resultierte 1405 die Wiederherstellung der Grenzeinheit - Ungarische Banschaft ֊ zu der Festungen wie Srebrenik, der unbekannte „Branič“, Maglaj, Dubočac, Dobor, Doboj, Sokol, Susjed, Brodar, Brčko an der Save und Grabovica bei Tuzla gehörten. Das Gebiet zwischen Teočak und Srebrenica war zu der Zeit als serbische Despotie organisiert. Nach dem Fall des bosnischen Staates unter die Herrschaft des Osmanischen Reiches 1463 und des kurzlebigen „Bosnischen Königreichs“ (1465-1476) als eine provisorische politische Schöpfung, an der Ungarn und das Osmanische Reich ihre Verhältnisse getestet haben, wird Nordbosnien mit der Banschaft Srebrenica zum
Grenzgebiet und Kampffeld der Regionalmächte. Da Ungarn weder das wirtschaftliche, demographische noch das militäri sche Potential hatte, um sich der Last des ständigen Grenzkrieges zu widersetzen (zunächst mit der Eroberung von Srebrenik als dem Zentrum der ungarischen Grenz-Banschaft, dann vonTešanj und Sokol (1512), Rača (1526), Brčko und Novi (1528), von Slawonien (1537) und der Wiederherstellung des Požega-Sandschaks (1540)), wurde dadurch endgültig die Südost-Forschungen 68 (2009) 609
Geschichte: Mittelalter Einführung der osmanischen Macht gekennzeichnet und für das einstige „Land“ Usora bedeutete dies der Beginn einer neuen Epoche. Das nächste Kapitel „Svet u pokretu — dinamika stanovništva“ (171-203) zeichnet mit Parametern vorindustrieller Gesellschaften, wie es z. B. europäische Indikatoren der Natalität und Mortalität sind, ein Bild einer Region. Sich auf Zahlenmaterial wie die Volkszählung in Bosnien-Herzegowina aus den Jahren 1851 und 1879 stützend, weist die Autorin auf Rah menwerte wie z. B. die Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte pro Quadratkilometer hin. Da die Lebenserwartung bei 40 Jahren lag, bedeutet das, dass die Gesellschaft mit wenigen alten Menschen immer jung bzw. dass es eine dynamische und mobile Gesellschaft war. Wenn man die Fläche des bosnischen Staates in Betracht zieht, wird die demographische Steigerung im 14. Jh. klarer — 22.500 km2 zur Zeit von Ban Ninoslav (ca. 1233 - ca. 1250), 33.500 km2 unter Ban Stjepan II. bzw. 52.000 km2 unter König Tvrtko I. Kotromanić. Ein derartiger Anstieg erklärt auch die Entstehung neuer Pfarreien, größere Investitionen in die Infrastruktur sowie in die Herrscherresidenzen und Kirchenbauten. Die Namen einiger Pfarreien weisen auf die Bodenbearbeitung durch Rodung hin -Trebotić, Tribava, Trebetin. Eine solche innovative Analyse schließt auch die erste Zeit der osmanischen Herrschaft ein, die mit der Kolonisierung der walachischen Bevölkerung weitreichende ethnische Veränderungen mit sich brachte. Das Kapitel endet mit der parallelen Darstellung der Lage dreier kirchlicher Organisationen (der
katholischen, orthodoxen und bosnischen Kirche) sowie dem Prozess der Islamierung. „Tipologija i mreža naselja“ (205-226) - das ist ein Abschnitt, der eine einheitliche und wesentliche Beziehung zwischen den drei Siedlungstypen auf dem Boden des mittelalter lichen bosnischen Landes herstellt. Diese Typen sind: Stadt, Ort und Dorf. Es werden die Entstehung von „šeher“ (Stadt), „kasaba“ (Provinzstadt) und „selo“ (Dorf) als Hauptkatego rien einer Siedlung und deren wirtschaftliche und urbane Entwicklung im osmanischen Staat betrachtet. Wenn man von zwei unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systemen ausgeht, machen sich die verschiedenen Schicksale der mittelalterlichen urbanen Struktur Nordbosniens bemerkbar, die hauptsächlich aus militärisch-strategischen und aus Sicherheitsgründen entstanden sind. Abhängig von zahlreichen Faktoren schreiten diese im Osmanischen Reich fort oder stagnieren und gehen unter. Die Schlüsselrolle in diesem Prozess hatte der osmanische Staat, indem er die Strategie der Urbanisierung durchfuhrte. Dies gilt als Hauptunterschied zum Mittelalter. Ein wirksames Mittel in der osmanischen Gründungspolitik von urbanen Ansiedlungen stellten Stiftungen dar, die eine religiöse, politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Funktion hatten. Im Unterschied zu den mittelalterlichen urbanen Zentren waren Städte die Hauptstütze der Zentralmacht des Osmanischen Reiches. „Staro i novo: župe, nahije i naselja“ (227-271) - am Darstellungsprinzip des Alten und des Neuen, des Mittelalterlichen und des Osmanischen hält die Autorin auch in diesem
Kapitel fest, das der Erforschung von Gemeinden, Bezirken und Siedlungen gewidmet ist. Sie geht davon aus, dass auf der Karte Nordbosniens 13 Pfarreien zu erkennen sind, die als geographische und territoriale Verwaltungseinheiten füngieren, während im 15. und 16. Jh. im Raum der „Länder“ Usora und Soli und im Raum des Zvornik- und Bosnien-Sancaks insgesamt 24 Bezirke entstanden sind. Indem sich Mrgić der osmanischen Volkszählungs610 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen register bediente, gelang es ihr, mehr als 550 Ortsnamen verteilt in Bezirke zu identifizieren und tabellarisch darzustellen. Die Namen gehören fast alle zum slawischen Sprachfonds, was die Lokalisierung der Dörfer der mittelalterlichen Pfarreien wesentlich erklären kann. Das abschließende Kapitel mit der Überschrift „Plodovi zemlje“ (273-365) ist der Wirt schaft Nordbosniens gewidmet, die, gestützt auf breite Forschungsliteratur, als ein Modell vorindustrieller Wirtschaft, zugleich nach dem Prinzip der Analogie mit den benachbarten Regionen Ungarn und Serbien betrachtet wird. Mit einer solchen kreativen Vorgehensweise überbrückt die Autorin die zeitliche Lücke in den Quellen und bietet ein lebendiges Bild der wirtschaftlichen Aktivitäten - inhaltlich und methodologisch ein ganz neues Bild des mittelalterlichen Bosniens. Die Autorin geht von einem wirtschaftlichen Leben in vorindustrieller Zeit, von einer Agrarproduktion aus, die eine „Getreidediktatur“ bei der Ernährung der Menschen voraus setzte und führt zahlreiche Analogien aus der nahen und fernen Nachbarschaft ein, um sie alle in der europäischen Entwicklungskonjunktur unterzubringen. Indem sie meisterhaft die Angaben der frühen osmanischen Register (die die Reichweite der Wirtschaft wider spiegeln und deren Wurzeln bis ins frühe Mittelalter reichen) mit den Ergebnissen der Welthistoriographie kombiniert, kam die Autorin zu einer glaubwürdigen Rekonstruktion des wirtschaftlichen und auch alltäglichen Lebens dieser geschichdichen und geographischen Region in der Epoche des Mittelalters. Das zeigt, dass
Lücken im Quellenmaterial kein Alibi für Historiker sein können, um zahlreiche Fragen des bosnischen Mittelalters offen zu lassen oder sie durch Spekulationen ohne jeglichen wissenschaftlichen Hintergrund zu „lösen“. Mit dieser Eigenart — mit methodologischer Innovation ֊ mit dem Kriterium, mit dem Historiker ihre wahren Möglichkeiten testen, öffnet dieses Buch neue Horizonte und legt ganz deutlich eine neue Richtung und neue wissenschaftliche Standards bei der Erforschung des bosnischen Mittelalters fest. Sarajevo Dubravko Lovrenović Marie-Hélène Blanchet, Georges-Gennadios Scholarios (vers 1400-vers 1472): Un intellectuel orthodoxe face à la disparition de l’empire byzantin. Paris: Institut Français d’Etudes Byzantines 2008 (Archives de l’Orient Chrétien, 20). 539 S., 2 Kt., ISBN 2-901-04921-4, € 80,Die umfangreiche Studie, die auf der Dissertation der Verfasserin (Toulouse 2005) beruht, widmet sich einer ebenso bemerkenswerten wie umstrittenen Persönlichkeit der spätbyzantinischen Geschichte: Georgios Scholarios, der als Gennadios II. erster Patriarch von Konstantinopel unter osmanischer Herrschaft wurde. Es handelt sich jedoch nicht um eine Biographie im eigentlichen Sinne, die streng chronologisch dem Lebensweg des Prota gonisten folgen würde.1 Vielmehr gewinnt Blanchet ihren Ansatzpunkt aus der bisherigen publizistischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Persönlichkeit und Wirken Südost-Forschungen 68 (2009) 611
Geschichte: Mittelalter des Sdholarios, die sich auf zwei Leitthemen zuspitzen lässt: seine Haltung zur griechisch lateinischen Kirchenunion von Florenz (1439) und seine Rolle bei der Retablierung des Patriarchats nach der osmanischen Eroberung Konstantinopels 1453. Dass die Verfasserin sich dabei für eine Umkehr der chronologischen Folge entscheidet und zuerst das Wirken des Scholarios als Patriarch behandelt, erscheint zunächst überraschend. Die Zäsur von 1453 wird dadurch jedenfalls auf den ersten Blick nicht relativiert, sondern eher verstärkt.2 Doch gewinnt das Vorgehen seine eigene Logik vor dem Hintergrund ihres strukturellen Ansatzes: So gelingt es ihr, das Wirken des Scholarios als Patriarch nicht primär unter dem Blickwinkel der Auseinandersetzungen um die Kirchenunion beleuchten zu müssen, damit aber zugleich die von diesem Faktor ausgehende Eigendynamik aufzuzeigen, um schließlich nach deren früheren Wurzeln in Scholarios’ geistiger Biographie suchen zu können. Denn es geht Blanchet darum, eine innere Kohärenz im widerspruchsvollen Leben und Wirken ihres Protagonisten zu erkennen. Der damit verbundene hohe Anspruch wird vor dem Hintergrund der von ihr skizzierten Quellen- und Forschungslage leicht verständlich: Zwar dokumentieren die acht voluminösen Bände seiner Werkausgabe3 die außergewöhnlich fruchtbare literarische Wirksamkeit des Georgios Scholarios, aber die Gewinnung biographisch relevanter Informationen aus diesem Material bedarfminutiöser philologischer Arbeit, die Blanchet im Gang ihrer Untersuchung immer wieder meisterhaft zu erkennen gibt. Zudem
stützt sie sich auf eine ausgesprochen breite Basis weiterer Quellen, unter denen besonders Schriften von Theodoros Agallianos und Silbestros Syropulos hervorzuheben sind. Andererseits erwächst ihr Anliegen, eine kohärente Sicht auf Scholarios zu gewinnen, auf natürliche Weise aus den historiographischen Debatten um seine Persönlichkeit, denen sie das erste Kapitel widmet (Preambule historiographique, 23-60). Diese Analyse zeigt nüchtern und doch eindringlich, wie sehr sich die Geister an der Persönlichkeit Scholarios geschieden haben und noch scheiden, wie verschiedene Versuche der Identitätsstiftung an ihn angeknüpft und sein Bild jeweils einseitig und unvollständig gezeichnet haben. So kann Blanchet mit Recht behaupten, dass Scholarios „un personnage mal connu“ (25) sei. Er selbst habe sich in autobiographischen Schriften als erfolgreicher Bewahrer der Orthodoxie und ihrer kirchlichen Struktur unter der Turkokratie inszeniert, zugleich aber die Erinnerung an seine ambivalente Haltung in der Unionsfrage konsequent verdrängt. Die Parallelisierung mit biblischen Prophetenge stalten sei daher im orthodoxen Verständnis seiner Person bis heute präsent und spiegele sich auch im volkstümlichen Bild des weisen Traumdeuters (38-40). Für die griechische Nationalhistoriographie des 19. Jh. wiederum habe Scholarios als Bewahrer griechischer Identität unter osmanischer Herrschaft eine zentrale Rolle gespielt (36f.). Davon hebt Blanchet eine zweite Dimension des Diskurses ab, die sich mit der Unionsfrage verknüpft und ihren Ausgangspunkt in der römischen Edition bestimmter Quellen zum
Florentiner Konzil im späten 16. Jh. hat, darunter auch einige Scholarios zugeschriebene unionistische Schriften. Den wechselvollen Verlauf dieser Debatte bis hin zur Vorstellung, dass sich hin ter dem Namen Scholarios verschiedene Personen verborgen haben könnten, betrachtet Blanchet detailliert und mit der erforderlichen Distanz (44-60). Der erste Hauptteil des Buches zu Gennadios Scholarios als Patriarch gliedert sich in drei Kapitel: Zunächst wird der Entfaltungsspielraum des Patriarchen unter den Bedin612 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen gungen der Sultansherrschaft beleuchtet (67-122), sodann die Grundausrichtung seiner Kirchenpolitik (123-192), bevor Blanchet schließlich nach den Ursachen seines Scheiterns an der Spitze der geistlichen Hierarchie fragt (193-248). In Übereinstimmung mit dem Ansatz der Gesamtstudie liefern somit weder der äußere Lebenslauf noch die Werke des Scholarios aus dieser Zeit den Leitfaden; vielmehr stellt die Verfasserin sein Pontifikat in den Spannungsrahmen der historischen Situation. Sie charakterisiert Scholarios nicht nur als Akteur, sondern skizziert die Bedingungen seines Handelns, seine Spielräume, Grenzen und Grundanliegen. Die Fülle der dabei erzielten Ergebnisse kann hier nicht angemessen wiedergegeben werden, nur einige bemerkenswerte Aussagen seien erwähnt. So wird her vorgehoben, dass Scholarios dem Sultan auch nach seiner förmlichen Freilassung vor Antritt des Patriarchats noch im besonderen Maße persönlich verpflichtet gewesen sei (70-74). Das Bild Mehmeds II. bei Scholarios gewinne jedoch vor allem nach dem Patriarchat gewisse positive Züge, im Gegensatz zur Sicht auf einige griechische Eliten im Umfeld des Sultans (107-110). Den Machtwechsel von 1453 habe Scholarios zwar als göttliche Strafe für die Sünden der Christen verstanden, jedoch eine direkte Verbindung zur Unionsfrage vermieden (124-128). Vielmehr rücke für ihn nunmehr die Funktion der Kirche als Heilsgarant für die (verbliebenen) Christen in den Mittelpunkt, und konsequenterweise habe Scholarios die pastoralen Aufgaben seines Amtes auch besonders betont (114-118). Sein primäres Anliegen
habe darin bestanden, den Übertritt vieler Christen zum Islam durch eine Poli tik der Nachsicht (oikonomia) zu verhindern. Diese Linie habe ihn etwa zur zeitweiligen Milderung der strengen Regeln des orthodoxen Eherechts veranlasst (siehe 140-154), aber auch zu einem lediglich moderaten Vorgehen gegen Missstände im Klerus, entgegen seiner eigenen Überzeugung (159-168). Ähnlich nachsichtig habe er sich gegenüber reumütigen ehemaligen Anhängern der Kirchenunion mit Rom gezeigt, dabei jedoch seine Haltung nur vorsichtig artikuliert.4 Suchte Scholarios somit Gegensätze innerhalb der Kirche zu reduzieren, so ging er gleichzeitig umso vehementer gegen die polytheistischen Lehren des Philosophen Georgios Gemistos Plethon vor: auch die Geschichte dieser Auseinanderset zung wird von Blanchet gründlich und mit neuen Ergebnissen rekonstruiert (177-192). In Übereinstimmung mit diversen negativen Äußerungen des Patriarchen zu den Resul taten seiner Kirchenpolitik deutet auch Blanchet die zwei Jahre seines einzigen Patriarchats (wohl zwischen Januar 1454 und Januar 1456) als Scheitern („un échec personnel“). Doch relativiert sich dieser Eindruck innerhalb eines breiten von der Verfasserin entworfenen Kräftetableaus. Hier erscheint Scholarios als Repräsentant einer gemäßigt antiunionistischen Partei, die das Patriarchat bis 1466 ununterbrochen unter ihrer Kontrolle halten konnte, während die Protagonisten der kompromisslosen Strömung erst nach Scholarios in der Kirchenhierarchie Fuß fassen konnten, die eine Mittelstellung einnehmenden Trapezuntiner erst nach 1461. Dennoch scheint die
Parteibildung vor allem unterschiedliche Auffassungen im Umgang mit den (ehemaligen) Anhängern der Kirchenunion zu reflektieren, und dabei scheint auch Scholarios selbst, noch nach seinem Rückzug vom Patriarchat, in scharfe Kritik geraten zu sein, da er als Patriarch nicht die vom ehemaligen Führer der unionsfeindlichen Opposition zu erwartende Haltung vertreten hatte. Blanchet gelingt es somit, die relative Schwäche und Angreifbarkeit des Patriarchen Scholarios wesentlich auf seine zweideutige Position im Unionskonflikt vor dem Fall Konstantinopels und seine umstrittene Rolle in Südost-Forschungen 68 (2009) 613
Geschichte: Mittelalter der Nachfolge des maßgebenden Unionsgegners Markos Eugenikos zurückzuführen, die sie schließlich im zweiten Hauptteil des Buches (249-450) thematisiert. Sie wählt dafür einen doppelten Zugang innerhalb des fünften Kapitels (259-314), in dem einerseits plastisch die ekklesiologischen Prämissen des Strebens nach der Kirchenunion und das Spektrum der Haltungen geistlicher Protagonisten vor 1430 beleuchtet werden, wobei sich noch keine Spaltung in Unionisten und grundsätzliche Gegner solcher Projekte erkennen lasse (272-280). Andererseits charakterisiert Blanchet die Position des Georgios Scholarios in diesem Kontext vor allem mit Blick auf dessen Karriereoptionen als junger Intellektueller. Angesichts der begrenzten Möglichkeiten in Konstantinopel habe er unter anderem auch Kontakt mit Rom aufgenommen und eine Laufbahn in Italien erwogen, bevor er 1436 als Sekretär im kaiserlichen Dienst habe Fuß fassen können. Von der Mög lichkeit einer Kirchenunion grundsätzlich überzeugt, habe er aber eine rein pragmatische Vereinigung aus politischen Opportunitätsgründen persönlich abgelehnt (310). Im umfangreichen sechsten Kapitel (315-382) widmet sich die Verfasserin dann der Position ihres Protagonisten zwischen 1438 und 1444/1445. Auf dem Konzil von FerraraFlorenz habe Scholarios als Laie nur eingeschränkt agieren können, zumal er wohl noch nicht über die Position eines Hofpredigers verfügte (320f). Die sechs belegbaren Interventionen im Konzilsverlauf werden teils ausführlich thematisiert, wobei die Diskussion um vier auf Scholarios bezogene Reden5 im
Mittelpunkt steht. Gegen deren Authentizität hatte T. Zeses inhaltliche Zweifel erhoben, die Blanchet mit einer alternativen Strukturierung der Texte und dem Postulat eines (nicht überlieferten) patristischen Florilegiums weitgehend entkräften kann. Die inhaltliche Kohärenz der Textgruppe erscheint somit etabliert, doch betont Blanchet methodisch korrekt, ihre Authentizität damit nicht erwiesen zu haben (344). Zu den Folgen des Konzilsgeschehens gehöre auch der persönliche Bruch zwischen Scholarios und Bessarion, obwohl beide nach dem Konzil unionistische Positionen vertraten (350f.). Scholarios’ langsames Gleiten in den Antiunionismus untersucht Blanchet trotz schmaler Quellenlage sehr gründlich. Zunächst habe er sich gegen massive Anfeindungen von Unionsgegnern gewehrt, aber auch den Ablauf des Konzils bereits kritisiert (358362). Die Loyalität zu Kaiser Ioannes VIIL habe seine Posidon ebenso beeinflusst wie die langsam erfolgte Annäherung an den führenden Unionsgegner Markos Eugenikos, seinen ehemaligen Lehrer. Motive für den Positionswechsel findet Blanchet in Übereinstimmung mit C. J. G. Turner6 auf „psychologischen“, politischen und theologischen Ebenen, weniger jedoch im persönlichen Bereich.7 Das letzte Kapitel (383-450) ist schließlich dem Wirken des Protagonisten als Wort führer der Unionsgegner zwischen 1445 und dem Fall Konstantinopels gewidmet. Den Ausgangspunkt bildet dabei die vermeintliche Designation des Scholarios durch den sterbenden Markos Eugenikos zu seinem Nachfolger. Zwar stellt Blanchet diesen Vorgang nicht grundsätzlich in Abrede, verweist aber
auf die sehr kritische Überlieferungssituation und versteht die Designation im Ergebnis nicht als Nachfolge in einer imaginären kirchli chen Führungsposition, sondern als Auftrag zur Wortführung im konkreten Kontext der vom Kaiser betriebenen Disputationen zwischen griechischen Unionsgegnern und einem päpstlichen Gesandten im Xylalas-Palast 1445 (391-396). Als geistiger Erbe des Markos Eugenikos war Scholarios keineswegs unumstritten, wie Blanchet vor allem am Beispiel von 614 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Markos’ Bruder Ioannes Eugenikos zeigen kann (397-400). Gleichwohl gelang es ihm in den folgenden Jahren, die bisher zumeist isoliert agierenden Unionsgegner als geschlossene Partei zu formieren und dieser mit der Institution der Synaxis eine hierarchische Spitze zu geben. Die Formierung einer „Parallelkirche“ zum unionistischen Patriarchat Gregors III. erscheint somit als wesentliche kirchenpolitische Leistung des Scholarios, der zwar seine einflussreiche Position am Hof zwischen 1447 und 1450 verlor (vgl. dazu 414-425), sich mit dem Eintritt in den Mönchsstand aber umso konsequenter auf den Kampf um die Be wahrung der Orthodoxie habe konzentrieren können. Dabei habe er nach der Vertreibung bzw. Flucht Gregors III. bewusst Kompetenzen eines Patriarchen für sich in Anspruch ge nommen, gegründet auf das Bewusstsein eines gleichsam prophetischen Auftrags (430-432, 448-449). Mit der Profilierung dieser Phase gelingt es Blanchet schließlich tatsächlich, die Zäsur 1453 im Leben ihres Protagonisten zu relativieren: der Weg zum Patriarchat unter Mehmed II. erscheint durch die Rolle an der Spitze der Synaxis bereits vorgezeichnet. Angesichts des beeindruckenden Tableaus der Ergebnisse ihrer Studie ist es sicher mehr als gerechtfertigt, wenn Blanchet selbst resümiert, dass Scholarios nunmehr „un peu moins insaisissable qu’au début de la recherche“ erscheine (453). Sein Wirken hat durch ihre Un tersuchung deutlich an Kohärenz gewonnen. Die Verfasserin sieht Scholarios abschließend geprägt von einer Grundintention: Angesichts des drohenden Untergangs seiner byzan
tinischen Heimat habe er sich die Frage danach gestellt, was bewahrt werden könne und müsse: Während er sich dabei zuerst auf die Bewahrung des byzantinischen Reiches selbst konzentriert habe, stehe der Klostereintritt 1449/50 paradigmatisch für die Abwendung von der politischen Welt und die Hinwendung zur orthodox-religiösen Dimension. Scholarios sei somit vor allem als politischer Denker zu verstehen, aus dessen langfristigem Kalkül wesentliche Elemente für die Identität des Patriarchats unter der Turkokratie erwachsen seien (458). Zu dieser bemerkenswerten Deutung treten andere Aspekte hinzu, die Blanchet in ihrer Untersuchung ebenso aufgewiesen hat, so die Relativierung der Dichotomie von Unionisten und Unionsgegnern oder die Orientierung auf die pastorale Dimension des geistlichen Amtes, die sicher mit einem Primat des Politischen bei Scholarios allein nicht zu erklären wäre. Zu verweisen ist aber auch auf das Corpus der Anhänge zur Studie, in denen Blanchet unter anderem eine Zusammenstellung und teils Neudatierung der auto biographisch relevanten Werke des Scholarios (einschließlich der Briefe) vornimmt (478487). Die kurzen inhaltlichen Zusammenfassungen von fünf dieser Schriften (489-505) verdienen ebenfalls Beachtung. Denn es ist gerade die enge Verknüpfung quellenkritischer Detailforschung und behutsamer Interpretation, die den Charakter dieser grundlegenden Studie prägt und für künftige Forschungen zum späten Byzanz ebenso wie zur frühosmanischen Zeit noch viele Impulse bereithält. Leipzig/Bochum Sebastian Kolditz 1 So kann Blanchet auch darauf verzichten, die
in den Quellen kaum fassbaren frühen Lebens jahre des Georgios Scholarios zu thematisieren, sie setzt standessen faktisch mit dem Beginn seiner eigenständigen intellektuellen Wirksamkeit zu Beginn der 1430er Jahre ein (dazu 295-298). Zur Herkunft und frühen Lebensphase vgl. daher weiterhin vor allem C.J.G. Turner, The career of Südost-Forschungen 68 (2009) 615
Geschichte: Mittelalter George-Gennadius Scholarius, Byzantion 39 (1969), 420-455, hier 421-428. Ebenso versucht Blan ch« nicht, Aussagen zum Lebensende des ehemaligen Patriarchen zu treffen; als spätester Zeitraum seiner Wirksamkeit wird sein Aufenthalt in Konstantinopel um 1464/1467 thematisiert (216-218). 2 Blanchet hebt hervor, dass sie die Zäsur 1453 relativieren möchte, vgl. 14: „Une biographie linéaire m’aurait en effet conduite à mettre encore une fois l’accent sur la fracture médiane de 1453, alors que je cherchais au contraire à surplomber cet événement.“ 3 Œuvres complètes de Gennade Scholarios. Hgg. Louis Petit / Xénophon A. Siderides / Martin Jugie. Paris 1928-1936. Die sprachlich zumeist anspruchsvollen Texte sind ohne Übersetzungen oder inhaltliche Zusammenfassungen herausgegeben worden, was den Zugang zu ihnen zweifellos nicht erleichtert. Blanchets Arbeit leistet daher auch einen wertvollen und nachhaltigen Beitrag zur inhaltlichen Erschließung dieser Werke aus historischer Perspektive. 4 Siehe dazu 175f: Blanchet hebt den scheinbar beiläufigen Aspekt hervor, dass Scholarios den für seine Haltung entscheidenden Brief an den Mönch Joachim des Sinai-Klosters nicht als offizielles Schreiben durch die Kanzlei des Patriarchats ausstellen ließ, so dass er auch nicht ins Register über tragen und der Vorgang möglicherweise geheimgehalten werden konnte. Die Interpretation dieser Überlieferungsnachricht zählt zu den quellenkritischen Glanzstücken in Blanchets Arbeit. 5 Separat ediert durch Joseph Gill (Hg.), Orationes Georgii Scholarii in Concilio Florentino
habitae, Roma 1964 (Concilium Florentinům Documenta et scriptores, VIII/l). 6 Siehe C. J. G. Turner, George-Gennadius Scholarius and the Union of Florence, Journal of Theological Studies Ы.S. 18 (1967), 83-103. 7 Persönliche Motive der Enttäuschung lehnt Blanchet ab, da Scholarios vom Kaiser durchaus „Belohnungen“ für sein unionistisches Engagement empfangen habe, wenn auch nicht vom Papst (376£). Das trifft zweifellos zu, gleichwohl könnten persönliche Momente auf einer anderen Ebene eine wichtige Rolle für die innere Abkehr des Scholarios von der Union gespielt haben: Nach dem Bericht des Syropulos hatte Scholarios in Florenz mit großem Eifer einen theologischen Kompromiss als Basis für die angestrebte Union entworfen, welcher der lateinischen Seite unterbreitet, von dieser aber zurückgewiesen worden ist, vgl. zum Vorgang Blanchet, 328-330. Diese Ablehnung dürfte am selbstbewussten Intellektuellen Scholarios kaum spurlos vorübergegangen sein. Aber auch ein solcher Erklärungsansatz ruht auf einer hypothetischen Basis, ebenso wie die von Blanchet diskutierten Gründe (vgl. 376-382). Oliver Jens Schmitt, Skanderbeg. Der neue Alexander auf dem Balkan. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2009. 432 S., zahir. Abb., ISBN 978-3-7917-2229-0, € 26,90 Georg Kastriota, genannt Skanderbeg, erlangte bereits zu seinen Lebzeiten (1405-1468) europäische Aufmerksamkeit. Der einstige Muslim, von Papst Kalixt III. als „Athleta Christi“ tituliert, leistete überlegenen osmanischen Heeren 25 Jahre lang erfolgreich Widerstand. Im von Papst Pius II. geplanten Kreuzzug war ihm eine führende Rolle
zugedacht gewesen. Sein Nachruhm als heldenhafter Türkenkämpfer sollte im christlichen Europa die Jahrhunderte überdauern, während er im weitgehend islamisierten Albanien allmählich verblasste. Erst in der Zeit der „Wiedergeburt“ wurde er wiederentdeckt und zur nationalen Symbolfigur fur alle Albaner, ganz gleich, welcher Konfession sie angehörten. Es entstand ein Skander- 616 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen begmythos, der dazu dienen sollte, den Albanern eine nationale Identität zu verleihen und deren Berechtigung zur Errichtung eines eigenen Staates zu untermauern. Dieser Mythos hatte mit der historischen Realität wenig zu tun, er fand aber nichtsdestotrotz Eingang auch in die albanische Geschichtsschreibung. Oliver Jens Schmitt versucht in der vorliegenden Biographie den albanischen Nationalhel den zu entmythologisieren. Er stützt sich dabei auf Urkunden und Akten aus italienischen und dalmatinischen Archiven sowie auf Quellensammlungen, vor allem auf die Editionen von Jovan Radonie und Giuseppe Valentini. Für seine Untersuchung zog er auch publiziertes osmanisches Quellenmaterial und natürlich die zeitgenössische Skanderbegbiographie des Skutariner Priesters Marinus Barletius heran, die in fast alle europäischen Sprachen übersetzt worden war und auf der im wesentlichen Skanderbegs Nachruhm beruhte. Ein weiterer Zugang zu Skanderbeg erschloss sich ihm durch die systematische Bereisung des Gebietes, in dem sich dessen Leben abgespielt hatte, des Berglandes von Dibra und Mati. Schmitt verfügt damit über eine wesentlich breitere Materialgrundlage als andere Historiker vor ihm. Schmitt unterteilt die Biographie Skanderbegs in zwei große Abschnitte: Der Mann aus Dibra (1405-1450) und der Held der Renaissance (1450-1468). Die Landschaft Dibra, in der Skanderbeg aufwuchs, hatte eine ethnisch gemischte, slawisch- und albanischsprachige, überwiegend orthodoxe Bevölkerung. Seine Familie gehörte dem von der byzantinisch serbischen Tradition beeinflussten Kleinadel an.
Seine Mutter Vojsava entstammte wahr scheinlich einer Seitenlinie der serbischen Adelsfamilie Brankovič; sein Vater hieß Ivan, und zwei seiner Brüder trugen ebenfalls slawische Namen. Das zeigt allerdings nur auf, dass die Familie Kastriota in einem Übergangsraum zwischen dem slawischen und dem albani schen Sprachgebiet beheimatet war und besagt nichts über die ethnische Herkunft, die im 15. Jh. sowieso keine Rolle spielte. Über Skanderbegs frühe Jahre ist nur bekannt, dass er nach 1423 als Geisel an den Sultanshof kam, dort zum Islam übertrat und in osmanischen Diensten Karriere machte. Diese endete 1443, als Skanderbeg einen totalen Frontwechsel unternahm, zum Christentum zurückkehrte und die Führung eines Aufstandes übernahm, der die Türken aus Albanien zurückdrängen wollte. Für Skanderbegs Entscheidung bringt Schmitt ein neues Motiv ins Gespräch - die Blutrache. Aus einem bisher unbekannten mailändischen Gesandtenbericht geht nämlich hervor, dass Murad II. 1437 Skanderbegs Vater hatte ermorden lassen. Skanderbeg rächte sich dafür auf zweifache Weise: durch die Beteiligung an dem Mordanschlag auf den osmanischen Thronprinzen Alaeddin Ali Çelebi und durch den Aufstand in Albanien, beides geschehen im Jahre 1443. Sehr überzeugend ist diese These nicht, denn es ist nicht erwiesen, dass das albanische Gewohnheitsrecht schon im Mittelalter galt. Selbst wenn das der Fall sein sollte, konnte eine Blutschuld nicht durch eine Beteiligung an einem Anschlag beglichen werden. Rache als Hauptmotiv für einen Aufstand erscheint mir etwas abwegig. Auch Schmitt selbst scheint sich in
dieser Hinsicht nicht sehr sicher zu sein, denn er gibt zu, dass es nur Hinweise, aber keine Beweise für einen Blutrachefall gäbe (45). Nicht zutreffend ist auch Schmitts Behauptung, dass Skanderbeg als einziger adliger Renegat vom Sultan abgefallen sei (42). Das taten bereits sein Vater und viele seiner Standesgenossen. Der Adelsaufstand, der 1443 ausbrach, hatte, das wird aus Schmitts Darstellung deutlich, nicht die Errichtung einer neuen weitläufigen Herrschaft zum Ziel, sondern die Rückkehr Südost-Forschungen 68 (2009) 617
Geschichte: Mittelalter zum Altbewährten, zu den anarchischen Zuständen, wie sie nach dem Ende der serbischen Oberhoheit bestanden hatten. Was die albanischen Territorialherren anstrebten, waren die Kontrolle über Gefolgschaftsverbände und kleinräumige eigene Herrschaften; sie waren deshalb auch nicht bereit, sich Skanderbeg, der von vielen von ihnen als Emporkömmling betrachtet wurde, unterzuordnen. Im Abschnitt,Anatomie eines Aufstandes“ untersucht Schmitt die Bedingungen, unter denen Skanderbeg seinen Kampf gegen die Türken führte. Skanderbeg wird als charismati scher Führer, als Verkörperung des balkanischen Kriegertums geschildert, für den es nicht um Kriegskunst, sondern um Überleben ging, wobei Krieg im Idealfall auch ein gelungener Raubzug war. Er verfügte über kein fest umrissenes Territorium. Einigermaßen dauerhaft beherrschte er nur die städtelosen Berggebiete um Kruja, in Dxbra und in Mati. An den Aufbau einer geregelten Verwaltung war wegen der ständigen türkischen Angriffe nicht zu denken. Seine Gefolgschaft bestand aus albanischen, südslawischen und vlachischen Hirten und Bauern, jungen Adelssöhnen und katholischen Geistlichen. Schmitt stellt Skanderbeg als Herrn der Berge dar, der das Meer und die Städte geringschätzte. Der von ihm entfachte Aufstand spaltete das Land: In den von den Venezianern beherrschten Städten fand er keine Gefolgschaft, erfolglos war er auch im von den Türken behaupteten Süden. Unumstritten war sein Führungsanspruch selbst im Bergland nicht, wo er einen Dauerkonflikt mit der Familie Dukagjin hatte. Schmitt geht auch auf die
Kriegführung Skanderbegs ein: Es war ein ungleicher Kampf, den dieser mit seiner kleinen Streitmacht (nur 2.000-3.000 Krieger folgten ihm dauerhaft) gegen die Truppen des Sultans führte. Diese waren nicht immer Landesfremde, es waren vielmehr zum großen Teil islamisierte Albaner unter der Leitung von albanischen Lehnsmännern des Sultans. Skanderbeg konnte sich militärisch nur durch seine Vertrautheit mit dem Gelände und dank der von ihm praktizierten Guerillataktik behaupten. Eine Rolle spielte natürlich auch, dass Skanderbeg Verbündete im Ausland, in Italien, fand. Dadurch wurde er allerdings notgedrungen auch in das Ringen einbezogen, das Venedig und Neapel um die Vorherrschaft in der Adria führten. Seit 1451 war er Vasall von König Alfons V von Neapel. Durch dessen Vermittlung nahm er Beziehungen zu be deutenden europäischen Fürstenhöfen auf. Der Mann aus den albanischen Bergen wurde ein Held der Renaissance, dessen Erfolge gegen die Türken Bewunderung erregten und die Päpste veranlassten, ihn in ihre Kreuzzugsplanungen einzubeziehen. Zweimal weilte Skanderbeg selbst in Italien: 1461, um König Ferrante, den Sohn seines verstorbenen Lehnsherrn, bei der Bekämpfung eines Aufstandes zu unterstützen, und 1466 als Bittsteller, vergeblich um finanzielle und militärische Hilfe ansuchend. Der Traum vom Kreuzzug war nach dem Tode von Papst Pius II. ausgeträumt. Inneritalienische Machtkämpfe ließen den Gedanken an einen Türkenkrieg in den Hintergrund treten. Skanderbeg stand jetzt allein einem übermächtigen Gegner gegenüber. Obwohl er 1467 einen türkischen Angriff noch einmal
zurückweisen konnte, war er ein Geschlagener. Sein Kerngebiet war verwüstet und durch Flucht und Verschleppung der Bewohner entvölkert. Die Nachwelt, auf die Schmitt im letzten Abschnitt seines Buches „Fama perennis“ ein geht, wollte von dieser Tragik Skanderbegs nichts wissen — für sie blieb er der strahlende, stets siegreiche Held. Im 19. Jh., als die Völker Südosteuropas die osmanische Herrschaft abzu618 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen schütteln begannen, entsann man sich auch auf dem Balkan wieder des Türkenkämpfers, der jetzt auch von Slawen und Griechen für sich beansprucht wurde. Vertreter der albanischen Nationalbewegung versuchten dem durch eine Erhöhung Skanderbegs entgegenzuwirken. Für Sami Frashëri war er der Gründer eines albanischen Nationalstaates, für Ahmed Zogu schließlich wurde er zum ersten albanischen König, also zu seinem eigenen Vorgänger. Der Königstitel entsprang dabei nicht der Phantasie König Zogus, sondern hatte wahrscheinlich mitteleuropäische Vorlagen, wie ein zufälliger Blick in ein Lexikon aus der Goethezeit, den Pierer, zeigt: Dort schrieb ein D. Leidenfrost, Professor in Weimar, dass Skanderbeg 1443 den väterlichen Thron von Albanien übernahm.1 Als die Italiener 1939 Albanien besetzten, wurde diese Interpretation Skanderbegs fortgeführt: König Viktor Emanuel III. von Italien übernahm die „Krone Skanderbegs“. Die Instrumentalisierung Skanderbegs durch Zogu und die Italiener hinderte das kommunistische Regime nicht daran, den Skanderbegmythos fortzuführen und den eigenen Bedürfnissen entsprechend anzureichern. Skanderbeg war nicht nur der Staatsgründer, sondern auch ein Führer der Massen und Partisanengeneral; nach 1967 schließlich wurde er zu einer zentralen Gestalt einer neuen kommunistischen Zivilreligion. In den albanischen Siedlungsgebieten im ehemaligen Jugoslawien, in Kosovo und Makedonien, galt und gilt er als Symbol der albanischen Identität. Schmitt gelang eine große Biographie einer zentralen Gestalt der albanischen Geschichte. Er entkleidete Skanderbeg
nicht seiner historischen Bedeutung, er brachte ihn nur auf den Boden der historischen Tatsachen zurück und stellte ihn in den Rahmen der altbalkanischen Lebenswelt im Spätmittelalter. Schmitt beherrscht die Kunst des Erzählens, was bei Histo rikern durchaus nicht die Regel ist. Es handelt sich um ein Buch, das man lesen kann. In dieser Hinsicht ist dem Verlag für die sonst vom Historiker eher bedauerte Hintanstellung des wissenschaftlichen Apparates zu danken. In Albanien ist das Buch, dessen albanische Übersetzung vor der deutschen Original ausgabe erschien, auf Z.T. heftige und oft auch emotionsgeladene Kritik gestoßen, in die sich auch die Staatsspitze einmischte.2 Es ist offensichtlich schwer, sich von einem einst notwendigen, weil identitätsstiftenden, Mythos zu trennen. Pulladı Peter Bartl 1 Encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe. Altenburg 1825, Bd. 5, 67, s.v. „Castriota“. 2 Vgl. Michael Schmidt-Neke, Skanderbegs Gefangene. Debatten um den Nationalhelden, Alba nische Hefte 38 (2009), H. 1, 8-12; ders., Skanderbegs Gefangene: Zur Debatte um den albanischen Nationalhelden, Südosteuropa 58 (2010), H.2, 273-302. Südost-Forschungen 68 (2009) 619
Rezensionen Geschichte: „Frühe Neuzeit“ bis 1848/1878 Michela Dal Borgo / Guglielmo Zanelli, Zara. Una fortezza, un porto, un arsenale (secoliXV-XVIII) [Zadar. Eine Festung, ein Hafen, ein Arsenal (15.-18. Jahrhundert)]. Roma: Viella 2008 (Interadria. Culture dell’Adriatico, Storia, 3). Ill S., 10 Abb., ISBN 978-88-8334-332-2, € 22,Dem vom Verfasser bereits früher1 festgestellten Desiderat zur kolonialen venezianischen Baugeschichte, Städtebau und Stadtplanung wird mit der hier vorgelegten Quellen- und Materialsammlung auf lokaler Ebene Abhilfe geschaffen. Die Abhandlung verweist auf reichhaltiges, zum größten Teil bisher unbekanntes historisches Quellenmaterial zur Ge schichte, Architektur- und Kunstgeschichte sowie Topographie des venezianischen Zara (kroatisch: Zadar) in Dalmatien, das im Venezianischen Staatsarchiv, Venedig (Archivio di Stato Venezia, ASV) liegt und das auch in selektiven Auszügen zitiert und abgedruckt wird. Die Publikation erscheint als dritter Band in der neuen italienischen heimatkundlichen Reihe „Interadria“, aus der mittlerweile zahlreiche Bände vorliegen, etwa Titel zur Geschichte der Häfen von Triest, Fiume und Pola zwischen den Weltkriegen; ein weiterer Beitrag über Fiume 1870-1914 im spätesten Habsburgerreich; über italienische Leuchttürme der Adria; oder über das Marinearsenal von Otranto. Zara war nämlich 1920-1947 italienisch und wurde erst nach dem 2. Weltkrieg mit dem „Pariser Vertrag“ an die jugoslawische Volksrepublik abgetreten. Die Mitautorin und -herausgeberin Michela Dal Borgo arbeitet beruflich als „direttore coordinatore“ im ASV
und ist u. a. Vizepräsidentin der Universität „Università Popolare di Venezia“. Vielleicht wird deshalb beim Leser vorausgesetzt zu erahnen, dass das hier ausgebreitete Material (inkl. 10 Abb. historischer Planzeichnungen) komplett aus dem ASV stammt, ohne darauf in der Einleitung oder Vorwort einleitend überhaupt einmal zu sprechen zu kommen. Die Publikation geht auf ein bereits 1994 (!) gehaltenes Kolloquium der „Regione del Veneto“ zurück. Zara war bis zum Ende der venezianischen Herrschaft im Jahre 1797 die Provinzhaupt stadt der Doppelprovinz von Dalmatien und Venezianisch Albanien und hat darum eine herausragende Bedeutung für die Analyse der überseeischen Bauleistungen der Serenissima in ihrem „Stato da Mar“. Gerade deshalb ist Zara als Stadt immer mehr gewesen als bloß eine Festung, ein Hafen und ein Arsenal (Flottenarsenal), was anhand des Titels gleich die eigentlich nicht unbedingt notwendige und gar nicht wirklich verständliche Einschrän kung der Präsentation des historischen Materials vorführt. Der Ort ist bis heute auch von zahlreichen anderen frühneuzeitlichen Monumenten aus venezianischer Zeit (etwa den Kirchen und zahlreichen Zivilbauten) geprägt, von denen allerdings viele durch die 1943 und 1944 erfolgten alliierten Luftangriffe, aber auch durch den Beschuss der jugoslawi schen Volksarmee im Bürgerkrieg in den 1990er Jahren schwer gelitten haben. Das Werk gliedert sich neben der Einleitung in fünf Teile, inklusive einem Katalog von graphischen und topographischen Dokumenten („cartografia storica“) und ist als Führer zu den relevan ten Quellen im ASV
zu werten. Teil 1, „II governo veneziano a Zara“ (15-26), beschreibt zunächst einleitend die venezianische Verwaltung von Zara (10. Jh.-1797). Teil 2, „La piazzaforte di Zara nei secoli XVI-XVIII“ (27-47), erläutert, titelgemäß, die Entwicklung 620 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen und den Ausbau der Befestigungsanlagen, des Hafens und der Arsenale der Stadt vom 16. bis zum 18. Jh. In Teil 3, „Appendice documentaria, le relazioni dei rettori“ (48-70), werden schließ lich einige willkürlich ausgewählte Amtsberichte („relazioni“), datierend von 1524-1680, einiger venezianischer Funktionsträger des Zeitraums abgedruckt. Diese werden in der Kapitelüberschrift missverständlich unter ihrer auch möglichen Oberbegriffsverwendung als „rettori“ angesprochen,· eigentlich sind dies aber, Themen entsprechend, Berichte diverser Funktionäre mit militärischen Befugnissen, nämlich der „capitani“, „prov(v)editori a Zara“ (Stadtkommandanten) und „prov(v)editori generali“ (Generalgouverneure). „Rettori“ konn ten nämlich andernfalls auch und gerade venezianische Zivilgouverneure sein. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass es ebenso Berichte und weiters auch noch die Quellengruppe der Amtsdepeschen („dispacci“) vieler weiterer venezianischer Funktionsträger etwa der Rechts-, Wirtschafts- und Sonderbevollmächtigten „sindici inquisitori“, ,,prov(v)editori (e)straor dinari“ oder aber der Finanzbeamten, „camerlenghi“ (vgl. 24£), gibt, die hier merkwürdi gerweise keine Berücksichtigung finden und auf die hiermit aufmerksam gemacht sei. Alle diese Amtsträger entstammten dem traditionellen städtischen Familienadel der Serenissima und wurden im Turnus der traditionellen venezianischen Amtsrotation (zwischen 16 und 32 Monaten, meist aber - wie etwa die „prov(v)editori generali“ - für 2 Jahre) gewählt und von der Republik als Verwaltungsbeamte in das venezianische
Uberseeterritorium entsandt. Dennoch ist dieser, zwar sehr eingeschränkte, Abdruck solcher Dokumente sehr zu loben und gerade für die prosopographische Forschung besonders verdienstvoll, da dadurch viele bisher unbekannte Adelige und Staatsbeamte in ihrer beruflichen Funktion nun erstmals überhaupt zu Worte kommen. Teil 4, „cartografia storica“ (71-92), stellt sich als unkritischer, nur in Auswahl bebilderter Katalog, der im ASV bisher ermittelten historischen Stadtpläne und Planungsunterlagen von Zara dar (u. a. Plan- und Architekturzeichnungen von Gebäuden etc.). Diese sehr zahlreichen Abbildungsverweise und Nachweise können vom geneigten und akkreditierten Benutzer am besten vor Ort im ASV selbst in im Thekenbereich („schede toponomastico“) befindlichen Abbildungsordnern, die auch bildliche Foto-Reproduktionen der Originaldo kumente enthalten, auch visuell überprüft, durchgeblättert und Reproduktionsbestellungen aufgegeben werden. Exemplarisch sind aus diesem sehr reichhaltigen Fundus - offenbar quasi als „Stichproben“ gedacht ֊ zehn Abbildungen im Text (73-81) verkleinert abgedruckt: Während die Abb. 1, 2, 4, 5, 10 Architekturentwurfszeichnungen sind, handelt es sich bei den Abb. 3, 6, 7, 8, 9 um Stadt- bzw. Befestigungspläne von Zara. Weitere Verweise auf solche Dokumente, bezugnehmend auf andere Orte in Dalmatien und die dalmatinischen Inseln, erfolgen auf den Seiten 83-91 (ohne Abb.). Teil 5, „Fonti per la storia di Zara dal ASV“ (93-104), soll endlich abschließend als allge meiner Führer zu weiteren Quellen (12.-18. Jh.) im ASV zum Thema Zara dienen, in dem andere
Fundorte von Aktenbeständen im Sinne eines archivalischen Findbuchs aufgelistet sind (hier mit dem Verweis auf Andrea da Mostos epochales, allgemeines Findbuch des ASV von 19372). Abgeschlossen wird der Band mit einer Bibliographie und dem Abbil dungsverzeichnis mit -nachweis (105-111).3 Hierin sind vor allem die zitierten klassischen Werke des großen italienischen Heimatforschers und Historiographen Zaras Angelo de Siidost-Forschungen 68 (2009) 621
Geschichte: „Frühe Neuzeit“ bis 1848/1878 Benvenuti hervorzuheben (zahlreiche Monographien zur Baugeschichte und Geschichte der Stadt von 1409-1797; 1797-1918 erschienen in den Jahren 1940, 1944, 1951 und 1952). Das Werk hat durch seine Gliederung und Ausrichtung den Charakter eines kleinen Handbuchs und „vademecums“ — einschränkend hervorzuheben - exklusiv für das ASV und ist deshalb für den Zara-Spezialwissenschaftler, aber auch für den venezianischen Kolonialforscher verschiedener Disziplinen (Historiker, Kunsthistoriker, Archäologen, Soziologen und Romanisten) von höchstem Wert. Zu kritisieren ist generell, dass das ASV, so wichtig es aufgrund seiner gewaltigen Aktenbestände auch ist, eben nicht der einzige Ort Venedigs ist, an dem bedeutende und vor allem verwandte und relevante archivalische Unterlagen zum Thema Zara lagern. Auf die zahlreichen anderen Orte kommen die Heraus geber eigentlich gar nicht zu sprechen. Hervorzuheben sind deshalb die Nationalbibliothek Marciana am Markusplatz sowie — nun besonders wichtig - die ebenda, gerade um die Ecke gelegene Bibliothek des Museo Correr (BMC). Lediglich auf dort befindliche gedruckte (!) Literatur wird im Literaturverzeichnis ab und an verwiesen, nicht aber auf die ManuskriptQuellen und Pläne. Dass auf die hier verwahrten besonders interessierenden, verwandten und ergänzenden Dokumente nur ganz gelegentlich und marginalst verwiesen wird (etwa einmal 42, Anm. 60), verwundert und stört den wissenschaftlichen Wert der Publikation nun doch erheblich, da damit eine kritische Auseinandersetzung mit den wichtigen anderen
venezianischen Zara-Archivalien dem Benutzer so gar nicht ermöglicht und diese diesem selbst überlassen wird. Im Katalog gehörten hier Hinweise auf die tatsächlich existenten, verwandten und zeidich ähnlich datierten Karten und Unterlagen an den genannten anderen venezianischen Institutionen doch ganz selbstverständlich aufgezeigt und berücksichtigt. Exemplarisch möchte ich hier den großformatigen Stadtplan von Zara erwähnen, der auf Erweiterungsplanungen von Feldmarschall Johann Matthias Graf von der Schulenburg (1661-1747) zurückgeht und der sich in der BMC befindet (Signatur: MSS PD. C.839/28).4 Dieser Verweis wäre zum Verständnis der hier wiedergegebenen Schulenburg-Pläne (71 f-, 74, 76, Abb. 3, 6), die nur das Stadtzentrum auf der Halbinsel mit dem inneren Hafen zeigen, dringend notwendig. Der ergänzende Plan in der BMC sah nun vor, die Stadt auf dem gegenüberliegenden, nordöstlichen Ufer des inneren Hafens, gegen die Terraferma, durch drei große Vorwerke mit Bastionen großzügig zu decken. Sie erscheinen bei diesem Dokument als aufgeklebte Plan-Applikationen aus Papier zum Ausfalten5. Die Pläne gehen auf ähnliche, venezianische Projekte des 16. und 17. Jh.s zurück, in denen bereits - im Sinne einer Stadterweiterung Zaras - abweichend von den Schulenburg-Planungen an eine komplette Umwallung eines großen unbebauten Areals auf der nördlichen TerrafermaSeite der Stadt (die beiden späteren Ortsteile „Cereria“ bzw. deshalb bezeichnenderweise „I Fortini“ genannten ein- und umschließend), jenseits des Hafens, gedacht wurde.6 Wie auch weitere Zeichnungen in der BMC und der
aktuelle Befund der Ruine einer Bastion des äußersten Vorwerks (heute an der Markgraf-Josip-Jelaäc-Straße, hinter dem Krankenhaus) belegen, ist zumindest das zentrale Vorwerk und das weitere südöstliche Vorwerk später (nach 1765) baulich komplett existent gewesen7. Das nördlichste, dritte geplante Vorwerk der „tre forti esteriori“ ist wohl bis 1797 dann gar nicht mehr zur Ausführung gekommen.8 In diesem strategischen Zusammenhang ist auch der im besprochenen Werk (79, 111, Abb. 9) abgebildete Bauplan eines umwehrten Schiffsanlegers in einer Bucht (der „Valle del 622 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen N. H. Conte“,9 andernorts „Valle Deassenizza“ oder „Valle di Bora“, heute innerhalb der Yacht-Marina Zaras) am nördlichen Ostufer des Hafens von Ingenieur Giovanni Battista Lodoli (datiert: 24.3.1754) zu werten. Dieser wurde als dortige Landungsbrücke und/oder als Evakuierungsstation für Kavallerieeinheiten (im späteren Stadtteil „Barcagno“) geplant. Auf der Hand liegende Interdependenzen sind somit nicht aufgezeigt worden, was den noch dazu beruflich am Ort befindlichen und tätigen Herausgebern nicht hätte schwer fallen dürfen. Damit ist leider die Chance, im Bezug zum Anspruch des Titels einen wirklich fundierten und allumfassenden Quellenführer zu den stadtvenezianischen Fundorten von Archivalien und Zara bezüglichen topographischen und bauhistorischen Dokumenten zu verfassen, einmal abgesehen von seiner thematischen Einschränkung auf „Festung“, „Hafen“ und ,Arsenal“, vergeben worden. Frankfurt/M. Alexander Zäh 1 Rezension zu Maria Georgopoulou, Venice’s Mediterranean Colonies. Architecture and Ur banism, SOF63/64 (2004/2005), 531-535. 2 Als pdf-Datei auch online frei abrufbar, http://archivi.beniculturali.it/Biblioteca/index_dmlTesto.html , 7.2.2010. 3 Der Nachweis des Titelfotos (Stadtplan von Zara als Skulptur von der berühmten Fassade der Kirche Santa Maria del Giglio in Venedig ) erfolgt auf dem Rückumschlag. 4 Opus Anonymus, Disseno formale delle fortificazioni della città di Zara [.] li tré Forti esteriori dal fu Sr. Măresc[iall]o. Sculembourgh [!] per ord.o Pietro Michiel, Prov. Generale di Dalmatia et Albania. Die Gedanken und Pläne von
Schulenburgs wurden auch nach seinem Tode weiter diskutiert und aufgegriffen, wie es dieser Plan dokumentiert. Er wurde für den Generalgouverneur von Dalmatien und Venezianisch Albanien, Proveditore Pietro Michiel (1763-1765), ausgefertigt. 5 Ein weiteres verwandtes Dokument dazu befindet sich ebenso in der BMC (Archivio LazzariPisani-Zusto, Rotolo n. 7, n. 42), P. Corponese, Pianta della città e forti di Zara [.], April 1765. Die erwähnten Applikationen sind bei diesem Plan offenbar abgerissen und verloren. Abgedruckt ist dieser beschädigte alternative Plan bei Antonio Manno, Fortificazioni veneziane dal XV. al XVIII, secolo, in: Gino Pavan (Hg.), Palmanova. Fortezza d’Europa, Venedig 1993, 501-549, 526f. (Fig. 26). 6 Manno, Fortificazioni, Fig. 24 (anonymer Pian „Zara“ ca. 1564-66, nach: BMC, MSS PD. C.848/24). 7 Pierers Universal-Lexikon. Altenburg, Bd. 19, 1865, 523£, s.v. „Zara“. „[.] wird durch neun Bastionen u. zwei Platteformen, einem großen Hornwerk u. zwei Außenwerken jenseits des Kanals vertheidigt [.]“. Falls diese noch unter den Venezianern begonnen wurden, wurden sie zumindest erst von den Österreichern fertiggestellt. Vgl. Franz Petter, Dalmatien in seinen verschiedenen Beziehungen. Gotha, Theil 2, 1857, 4f. „So erbauten sie in den Jahren 1815 und 1816 auf der west lichen Seite ein neues Stück Wall und in den Jahren 1827 und 1828 dem Hornwerk gegenüber am Meeresufer ein mit einem trockenen Graben umgebenes Aussenwerk [sie!] und in dessen Mitte zwei feste Gebäude, welche in Friedenszeiten als Pulvermagazine dienen.“ 8 Vgl. insbesondere den Stadtplan
Zaras, der diese beiden Außenwerke angibt, bei Reinhard E. Petermann, Führer durch Dalmatien. Wien 1899, 96f. s Vgl. Manno, Fortificazioni, Fig. 26. Südost-Forschungen 68 (2009) 623
Geschichte: „Frühe Neuzeit“ bis 1848/1878 The Eastern Mediterranean under Ottoman Rule: Crete, 1645-1840 (Halcyon Days in Crete VI. A Symposium Held in Rethymnon, 13-15 January 2006). Hg. Antonis Anastasopoulos. Rethymno: Crete University Press 2008 (Foundation for Research Technology — Hellas. Institute for Mediterranean Studies). 411 S., ISBN 978-960524-271-8, € 44,Zu besprechen ist, dies sei gleich zu Beginn mit Nachdruck hervorgehoben, ein ausge zeichneter Band, dessen Bedeutung weit über den räumlichen Gegenstand, die Insel Kreta in den ersten beiden Jahrhunderten der osmanischen Herrschaft, hinausreicht, da er für die Bewertung der osmanischen Herrschaft und insbesondere des Verhaltens der muslimischen Herrscherschicht gegenüber den christlichen Untertanen wertvolle Einsichten bietet, die künftighin bei Diskussionen um die angeblich ausgeprägte „Toleranz“ des osmanischen Reiches gegenüber den christlichen Glaubensgemeinschaften - und dies besonders im Vergleich zum vermeintlich viel repressiveren Abendland im Zeitalter des Konfessionalisierung — als unabdingbare Lektüre gelten muss. Gegliedert ist der Band in fünf Hauptteile: „Land Regime and Agricultural Production“, „Muslims and Christians in Ottoman Crete“, „State Policies and Their Impact on Cre te“, „Sources for Ottoman Crete“ sowie „Beyond Crete“. Die Besprechung möchte sich besonders den ersten drei Teilen zuwenden, wobei dies keinesfalls als Wertung der letzten beiden Bereiche verstanden werden soll. In diesen untersucht Svetlana Ivanova die in der Orientalischen Abteilung der Sofioter Bibliothek der Hlg.
Kyrill und Method liegenden osmanischen Quellen zu Kreta (277-316); Antonis Anastasopoulos beschäftigt sich mit osmanischen Grabsteinen in Rethymnon (317-329); György Hazai liefert knappe Hinweise auf Quellen zu Kreta und dem östlichen Mittelmeer (331-336); demgegenüber bietet Tülay Artan eine eigentliche Lokalmonographie zur Herrschaft des Kreters Ali Agaki auf der anatolischen Halbinsel Datça (339-411). Gleich im ersten Aufsatz des ersten Hauptteils wird eine Kernfrage der osmanischen Herrschaft auf Kreta aufgeworfen: Unter dem etwas technisch klingenden Titel „Die os manischen Steuerregiemente für Kreta“ (3-16) behandelt Gilles Veinstein die Frage nach dem Verhältnis von Kanun und Scharia bei der Einsetzung der osmanischen Herrschaft nach der raschen Eroberung der meisten Orte im Jahre 1645. Er weist darauf hin, dass sich im Kanun auch Bestimmungen finden, die im Widerspruch zur Scharia stehen, dass also islamisches Recht im osmanischen Reich nicht in seiner ganzen Strenge angewandt wurde. Auf Kreta, so Veinstein, erfolgt aber um 1670 „un retour en arrière de quelque mille ans“ (6), denn hier nahmen die Eroberer nach dem Abschluss der Kriegshandlungen keine Rücksicht auf regionale Besonderheiten. Die neue Rechtsordnung „war aus jedem räumlichen oder zeitlichen Kontext“ herausgelöst (7), vielmehr handelte es sich um eine „Lektion des fikh“ im Sinne der hanefitischen Rechtsschule. Dies wirkte sich unter anderem im Bodenbesitz aus: Im Gegensatz zum üblichen osmanischen Brauch war auf Kreta frei verfügbarer Privatbesitz ausdrücklich vorgesehen, weswegen Veinstein von einer
„Abkehr vom traditionellen osmanischen Bodenrecht“ (8) spricht. Ebenso wurden die unmittelbar nach der Eroberung verordneten Steuern, die dem osmanischen Brauch entsprachen, nach wenigen Jahren abgeschafft, weil sie nicht schariakonform waren; dafür wurden das im 624 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen islamischen Recht vorgesehene System der cizye mit drei Steuergruppen sowie die beiden Typen des hame (harac-i mukaseme und harac-i mukataa) für „Ungläubige“ eingeführt. In Auseinandersetzung mit Molly Greene, die diese Veränderung mit wirtschaftlich materiellen Motiven erklären will, sieht Veinstein in Großwesir Köprülü Fazıl Ahmed Paşa einen ,„Salafisten‘ vom Ende des 17. Jahrhunderts“ (11), der dieses schariagerechte System auch auf zahlreiche Inseln der Ägäis (Kykladen, Spórádén, Dodekanes) ausdehnte (1671/1672). Vorsichtig zeigt sich Veinstein bei der Frage, ob die sehr konservative Bewe gung der Kadizadeli einen Einfluss auf die Maßnahmen des Großwesirs hatte. Köprülüs Durchsetzung eines Steuermodells nach Schariamuster sieht Veinstein als Versuch, in einer der letzten bedeutenden Eroberungen des osmanischen Reichs eine „pureté chériatique“ im Sinne eines beinahe utopischen Gesellschaftsmodells durchzusetzen. Eugenia Kermeli legt in ihrem Beitrag „Caught in between Faith and Cash: The Otto man Land System of Crete, 1645-1670“ (17-48) einen anderen Schwerpunkt, da sie keinen religiösen Impetus in der osmanischen Bodenrechts- und Steuerpolitik erkennen will („the Islamic rhetoric might seem alien to us“, 47; dies reicht als Argument für eine derartige Einschätzung freilich wohl nicht aus), sondern vielmehr osmanisches Gewinnstreben bei der Ausbeutung einer neu gewonnenen Provinz; sie weist auch daraufhin, dass der einzige Unterschied zwischen vollem Privatbesitz und dem ansonsten im osmanischen Reich ver breiteten Nießbrauch die Vererbbarkeit des Landes
gewesen sei. Ersin Gülsöy setzt sich mit dem „Rechtlichen und wirtschaftlichen Status der Reaya auf Kreta“ im Zeitraum 16451670 auseinander (49-67): 1647 wurde ein beylerbeylik mit Sitz in Chaniä geschaffen - die Inselhauptstadt Candia/Herakleion fiel erst 1669 -, das 1650 in 4 sancaks und 20 nahiyes gegliedert war. Im Folgenden beschreibt Gülsöy jenes Verwaltungssystem, das vor dem Fall Candías - d. h. der endgültigen Eroberung der gesamten Insel (1669) - verankert wurde und das, wie bei der Besprechung des Beitrages von Gilles Veinstein bereits angedeutet, dem üblichen osmanischen Brauch entsprach: Das Land war überwiegend тш-Land, neben dem religiöse Stiftungen (vakıf) und mülk-Dörfer bestanden. Das Staatsland wurde in hass֊, zeamet- und timar-Land unterteilt. Die Höfe der Bauern wurden vom Vater auf den Sohn übertragen, konnten aber nicht verkauft werden, da es sich um tw ^Land oder Schenkungen handelte. Die Steuerabgaben auf Landwirtschaftserzeugnisse (Getreide, Gemüse, Olivenöl, Baumwolle, Traubensaft) betrugen 2/15 und wurden in Naturalien entrichtet. Nichtmuslime zahlten die ispence von 40 akçe, von avarız-Abgaben waren Imame, Müezzine, christliche Priester, Dorfnotabein, Blinde, Kranke und Behinderte befreit. Gülsöy beschreibt im Anschluss daran die völlige Umwandlung des Rechts- und Steuersystems im Sinne der Scharia. Der nächste Abschnitt gilt dem Wandel der Landwirtschaft, vor allem der erheblich verstärkten Erzeugung von Olivenöl — während unter venezianischer Herrschaft der Weinbau vorgeherrscht hatte. Den Bedürfnissen der ein Vierteljahrhundert auf Kreta
kämpfenden osmanischen Truppen ist auch der Anstieg des Getreide- und Gemüseanbaus zuzuschreiben. 1650 erzeugte Kreta nach Angaben der Steuerregister 2.627 t Weizen, eine ebenso große Menge Gerste sowie 567 t Hafer; an Traubensaft - Vorprodukt von Wein - wurden 4,2 Mio. Liter, an Olivenöl 1,9 Mio. Liter verzeichnet. Der Viehbestand umfasste 160.000 Schafe und Ziegen; mit über 88.000 Bienenkörben war auch die Imkerei ausgeprägt. Demgegenüber spielte in den ersten Jahren der osmanischen Eroberung der Südost-Forschungen 68 (2009) 625
Geschichte: „Frühe Neuzeit“ bis 1848/1878 Obst- und Gemüseanbau noch nicht die erwähnte wichtige Rolle. Ein weiteres Verzeichnis von 1670 lieferte folgende Angaben: Von den insgesamt 49.695 ha Ackerland lagen 11 % brach, besonders im Bezirk Sitia. Auf der Insel standen 666.015 Olivenbäume. Die Steu erverzeichnisse erlauben auch einen Blick auf das regionale Wohlstandsgefälle auf der Insel: Am meisten Hab und Gut war im Bezirk Rethymnon konzentriert. In die niedrigste der drei Steuerklassen gehörten im Bezirk Chaniá 28%, in Candía 15%, in Sitia 12% und in Rethymnon 7 % der Steuerpflichtigen. Gülsöy hebt hervor, dass der radikale Systemwechsel nach dem Fall Candías auch zum Verschwinden des sipahi-Systzms geführt habe. Ähnlich wie der Band „Between Venice and Istanbul“1 wendet sich eine Gruppe von Osmanisten und Orientalisten einer regionalen Fallstudie zu, um Schriftquellen und Terrainforschung zu verbinden. Simon R. F. Price, Oliver Rackham, Machiel Kiel und Lucia Nixon untersuchen das osmanische vakıfın Sphakia (69-99) und erörtern besonders, inwieweit diese Gegend osmanisiert war. Es handelte sich um eine arme Randregion ohne Städte, in der, abgesehen von vereinzelten Beamten und Soldaten, keine Muslime dauerhaft lebten, in der keine osmanische Architektur entstand und die osmanische Schriftsprache kaum verwendet wurde — Osmanisierung erfolgte durch die Anbindung an einen weiteren Markt, wobei aber gleichzeitig die Verbindungen nach Süditalien (nicht mehr aber nach Venedig) und Westgriechenland nicht abrissen. Türkischer Spracheinfluss zeigte sich ebenfalls ver einzelt
(tzaki, kaldirimia). Sphakia war als religiöse Stiftung den Pilgerorten Mekka und Medina zugewiesen, denen es eine Globalsteuersumme abzuliefern hatte. Der Aufsatz zeigt, dass die Osmanen wesentliche Elemente des venezianischen Steuersystems weiterfuhrten und ihre Herrschaft auf der Insel alles andere als flächendeckend war. Nach der Institutionengeschichte wendet sich der Band der Frage nach dem Verhältnis von Christen und Muslimen zu. Elias Kolovos’ Detailstudie „Eine Stadt für die Belagerer: gesellschaftliches Leben und Heirat im osmanischen Candía außerhalb Candías, 16501669“ (103-175) untersucht die von den Invasoren seit 1649 errichtete Festungsstadt Kal’a-i Cedid (ital. Candía nova), die auch unter dem Namen Inadiye bekannt wurde. Die Stadt umfasste 500 Steinhäuser, ihre Moschee besaß aus Furcht vor der venezianischen Artillerie kein Minarett. Nach dem Fall Candías wurde die Sperrfeste geschleift. Aufgrund von Gerichtsprotokollen zeichnet Kolovos ein detailliertes Bild der gesellschaftlichen Ver änderungen in den Schanzgräben vor Candía nach. Osmanisierung, d. h. im Wesentlichen Islamisierung, sieht er weniger von der osmanischen Elite gesteuert denn als Versuch der christlichen Bevölkerung, in einem Kriegsgebiet zu überleben. Osmanische Soldaten heira teten christliche Frauen, die nicht alle zum Islam übertraten; zahlreiche christliche Männer nahmen die Religion der Eroberer an, um in deren Heer zu dienen; ihre Frauen wechselten ebenfalls oft den Glauben. So entstand während der Belagerung die ganz überwiegend griechischsprachige Gruppe die „Turkkreter“ (gr.
Turkokretikoi). Der Aufsatz von Rossitsa Gradeva (177-201) verdient besondere Beachtung, da er Kreta auch in einen weiteren südosteuropäischen Zusammenhang einordnet: Sie beschreibt das 17. Jh. als Zeitalter messianischer Vorstellungen und einer Rückkehr zu den Wurzeln der monotheistischen Religionen im Osmanischen Reich, eine Bewegung, die vornehmlich Muslime und Juden erfasste. Die bereits erwähnten Kadizadeli strebten eine „Reinigung“ des Islam an und bekämpften dabei auch Elemente der materiellen Kultur wie Kaffee, 626 Siidost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Tabak, Löffel und Unterwäsche. Ihre Radikalität trug wesentlich zur Verschlechterung der Lage der Christen bei, da sie islamisches Recht auch gegenüber den Nichtmuslimen strikt anwenden wollten. Der abschätzige Begriff kefere ersetzte den neutralen Terminus zimmi·, auch der Begriff reaya wandelte sich und bedeutete nicht mehr die steuerzahlende Bevöl kerung unabhängig von deren Religionszugehörigkeit, sondern die orthodoxen Christen, und zwar besonders in der Abgrenzung von den herrschenden Muslimen. Die Kadizadeli legten Wert auf die Abgrenzung der Lebensräume und betrieben die Homogenisierung von Wohnvierteln, wo sie keine Christen duldeten; sie klagten oft gegen Christen, deren Präsenz allein die Ausübung des Islams stören würde. Die Bekehrung von Andersgläubigen und die Ausbreitung des Islam zulasten der Christen gehörte zu den wichtigsten Zielen der Bewegung. Gradeva weist hier darauf hin, dass die Studie von A. Minkov (Conversion to Islam in the Balkans. Leiden, Boston 2004) „unfortunately very much out of the histori cal context“ (181, Anm. 15) vorgehe. Im 17. Jh. erreichte die Islamisierung des Balkans einen Höhepunkt, nicht zuletzt, da das militärisch gedemütigte Reich harte Repressalien gegen rebellische christliche Untertanen ergriff, besonders aber das Eigentum der katholi schen Kirche verletzte. Der spektakulärste Islamisiemngsvorgang ereignete sich auf Kreta, wo sich der Glaube der Eroberer „explosionsartig und massiv“ (184) ausbreitete. Die Beschlagnahmung und Entfremdung christlicher Kirchen traf vor allem die katholische Gemeinschaft auf
Kreta. Die orthodoxe Kirche wurde durch inneren Zwist zwischen dem ökumenischen Patriarchat und dem Katharinenkloster auf dem Sinai (das im 17. Jh. stark von Kretern beherrscht wurde) geschwächt. Die harsche Haltung der Eroberer zeigte sich bei der Verdrängung der Christen aus der wichtigen Hafenstadt Chaniá (1666-1669); die Christen mussten in einer Vorstadt (varoş) wohnen und durften die muslimische Fes tungsstadt nur tagsüber besuchen. Die Vorstadt wurde bei einem venezianischen Angriff 1692 zerstört, den über 50 orthodoxe Kreter in osmanischen Diensten abzuwehren halfen. Diese osmanentreuen Christen erfuhren aber keine besonders privilegierte Behandlung, sondern unterlagen ebenfalls dem Wohnverbot intra muros, wogegen sie freilich erfolgreich Klage erhoben. Solange die Kampfhandlungen andauerten, zeigten sich die osmanischen Behörden im Umgang mit Großklöstern wie dem Arkadi-Kloster einigermaßen beweglich. Nuriye Adiyeke untersucht „Multi-dimensional complications of conversion to Islam in Ottoman Crete“ (203-209). Sie sieht in der Islamisierung Kretas die dritte „Massenkonver sion“ im osmanischen Reich nach Bithynien und Bosnien. In einer Reihe von Fallstudien bietet sie sehr wichtiges Material zur Frage des Glaubenswechsels. So wurde das Kind eines Renegaten ebenfalls zum Muslim, wollte aber bei Erreichen der Volljährigkeit zu seinem alten Glauben zurückkehren, was gestattet wurde; in einem weiteren Fall behaupteten Mus lime, eine Frau namens Sophia sei in Wirklichkeit eine konvertierte Muslimin mit Namen Hadice, was diese entschieden abstritt und mit Zeugen aus
ihrem Dorf auch belegen konnte. In einem anderen Fall ging es um eine Frau, die von ihrer chrisdichen Mutter auf einem christlichen Friedhof begraben worden war, aber auf Klagen von Muslimen exhumiert und umgebettet wurde, da sie zum Islam übergetreten war - hier zeigt sich die persönliche Tragik der Konversion, welche die Mutter der Renegatin nicht hinnehmen wollte. Interessant ist auch, dass Konvertiten auch als Muslime wie die Christen cizye, haraç und ispence entrich ten mussten - was zu vielen Klagen führte, da zahlreiche Glaubenswechsel aus materiellen Südost-Forschungen 68 (2009) 627
Geschichte: „Frühe Neuzeit“ bis 1848/1878 Gründen erfolgten. Viele Renegaten verlangten massive Steuererleichterungen, die über die Befreiung von jenen Abgaben, die einseitig Christen belasteten, hinausgingen. Schließlich sei auch die Verordnung angemerkt, mit welcher der osmanische Statthalter auf Kreta im Jahre 1658 befahl, dass alle Konvertiten beschnitten werden müssten. Nathalie Clayer und Alexandre Popovič beschäftigen sich mit den Derwischtarikat auf Kreta (Bektaşi, Rifai, Nakşbandi, Mevlevi), zu denen die Quellen nur sehr verstreut vorliegen (211-230). Im dritten Teil wendet sich A. Nükhet Adiyeke der Steuerpacht im osmanischen Rethymnon zu (233-242). Suraiya Faroqhi beschäftigt sich mit den osmanischen Reformen auf Kreta ein halbes Jahrhundert nach der Eroberung (243-254), wobei sie hervorhebt, dass es keinen quellenmäßig bezeugten Zusammenhang zwischen den Kadtzadeli und der oben besprochenen osmanischen Politik auf Kreta gebe — in einer Detailstudie zu den Jahren 1719-1721 behandelt die Autorin dann den Wiederaufbau und die Versorgung osmanischer Festungen; sie verweist auf die Bedeutung kretischer Baumeister (Maurer und Zimmerleute) bei Festungsbauarbeiten im bulgarischen Vidin, untersucht die steigende Bedeutung der Olivenölherstellung und die Frage der Steuerpacht auf Lebenszeit. Marinos Sariyannis analysiert zwei Janitscharenrevolten in Candía (1688, 1712) (255-274). Die eingangs aufgeworfene Frage nach der Bewertung der osmanischen Herrschaft, die um 1670 das Schariarecht zu ihrer eigentlichen Grundlage erhob und dies in Kreta und auf vielen Ägäisinseln auch
in die Tat umsetzte, wird, wie der Durchgang durch die Beiträge deutlich macht, unterschiedlich bewertet: Hier jene, die ideologische Dimensionen hervor heben, da die anderen, die hinter den Regierungsmaßnahmen nur materielle und nichtre ligiöse Motive vermuten. Die Interpretation der osmanischen Herrschaft in Südosteuropa, dies zeigt vorliegender Band, kann nicht auf schlichte Formeln wie „Toleranz“ oder reine „Unterdrückung“ gebracht werden - die von den Beiträgern erarbeitete Evidenz widerlegt solche Kategorien schon in den Ansätzen. Sie zeigen auch, dass im 17. Jh. das osmanische Reich auch nicht als positives Gegenstückzu dem in Konfessionskriegen zerrissenen Abend land gesetzt werden sollte. Denn eine Dichotomie in einen von religiöser Unduldsamkeit zerrissenen Okzident und einen osmanischen Raum, in dem sich die Herrschenden kaum von religiösen Überzeugungen leiten ließen, stellt ebenfalls eine unzulässige Vereinfachung dar. Wie nahe Zwang und Gewalt einerseits, einzelne Fälle von Duldsamkeit (etwa die Rückkehr eines als Kind Konvertierten zum Christentum) andererseits nebeneinander standen, wie sorgfältig bei der Bewertung dieser Erscheinungen - ihrem Einzelcharakter oder ihrem Verallgemeinerungspotential - vorgegangen werden muss, wird die Forschung im Umgang mit diesem vorzüglichen Band feststellen können. Wien Oliver Jens Schmitt 1 Besprochen vom Rezensenten in SOF 67 (2008), 463-466. 628 Südost-Forschungen 68 (2009) |
any_adam_object | 1 |
any_adam_object_boolean | 1 |
article_link | (DE-604)BV002682738 |
author | Kreuter, Peter Mario 1970- |
author_GND | (DE-588)173494242 |
author_facet | Kreuter, Peter Mario 1970- |
author_role | aut |
author_sort | Kreuter, Peter Mario 1970- |
author_variant | p m k pm pmk |
building | Verbundindex |
bvnumber | BV046631437 |
ctrlnum | (DE-599)BVBBV046631437 |
format | Article |
fullrecord | <?xml version="1.0" encoding="UTF-8"?><collection xmlns="http://www.loc.gov/MARC21/slim"><record><leader>01677naa a2200361 c 4500</leader><controlfield tag="001">BV046631437</controlfield><controlfield tag="003">DE-604</controlfield><controlfield tag="005">20200813 </controlfield><controlfield tag="007">t</controlfield><controlfield tag="008">200317s2009 |||| 00||| ger d</controlfield><datafield tag="035" ind1=" " ind2=" "><subfield code="a">(DE-599)BVBBV046631437</subfield></datafield><datafield tag="040" ind1=" " ind2=" "><subfield code="a">DE-604</subfield><subfield code="b">ger</subfield><subfield code="e">rda</subfield></datafield><datafield tag="041" ind1="0" ind2=" "><subfield code="a">ger</subfield></datafield><datafield tag="100" ind1="1" ind2=" "><subfield code="a">Kreuter, Peter Mario</subfield><subfield code="d">1970-</subfield><subfield code="e">Verfasser</subfield><subfield code="0">(DE-588)173494242</subfield><subfield code="4">aut</subfield></datafield><datafield tag="245" ind1="1" ind2="0"><subfield code="a">[Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.]</subfield><subfield code="c">Peter Mario Kreuter</subfield></datafield><datafield tag="264" ind1=" " ind2="1"><subfield code="c">2009</subfield></datafield><datafield tag="336" ind1=" " ind2=" "><subfield code="b">txt</subfield><subfield code="2">rdacontent</subfield></datafield><datafield tag="337" ind1=" " ind2=" "><subfield code="b">n</subfield><subfield code="2">rdamedia</subfield></datafield><datafield tag="338" ind1=" " ind2=" "><subfield code="b">nc</subfield><subfield code="2">rdacarrier</subfield></datafield><datafield tag="655" ind1=" " ind2="7"><subfield code="0">(DE-588)4049712-4</subfield><subfield code="a">Rezension</subfield><subfield code="2">gnd-content</subfield></datafield><datafield tag="773" ind1="1" ind2="8"><subfield code="g">volume:68</subfield><subfield code="g">year:2009</subfield><subfield code="g">pages:536-538</subfield></datafield><datafield tag="773" ind1="0" ind2="8"><subfield code="t">Südost-Forschungen / im Auftr. des Südost-Instituts Regensburg geleitet und hrsg.</subfield><subfield code="d">München, 1940-</subfield><subfield code="g">68 (2009), 536-538</subfield><subfield code="w">(DE-604)BV002682738</subfield><subfield code="x">0081-9077</subfield><subfield code="o">(DE-600)212980-2</subfield></datafield><datafield tag="787" ind1="0" ind2="8"><subfield code="i">Rezension von</subfield><subfield code="a">Kohl, Christine von</subfield><subfield code="t">Eine Dänin am Balkan</subfield><subfield code="d">Klagenfurt : Wieser Verlag, 2008</subfield><subfield code="w">(DE-604)BV035174552</subfield></datafield><datafield tag="856" ind1="4" ind2="2"><subfield code="m">Digitalisierung BSB München 25 - ADAM Catalogue Enrichment</subfield><subfield code="q">application/pdf</subfield><subfield code="r">Test</subfield><subfield code="u">http://bvbr.bib-bvb.de:8991/F?func=service&doc_library=BVB01&local_base=BVB01&doc_number=032042969&sequence=000001&line_number=0001&func_code=DB_RECORDS&service_type=MEDIA</subfield><subfield code="3">Rezension</subfield></datafield><datafield tag="940" ind1="1" ind2=" "><subfield code="f">sla</subfield></datafield><datafield tag="940" ind1="1" ind2=" "><subfield code="n">oeaufsaetze</subfield></datafield><datafield tag="940" ind1="1" ind2=" "><subfield code="q">oeaufsaetze_BSB</subfield></datafield><datafield tag="940" ind1="1" ind2=" "><subfield code="q">BSB_NED_20190930</subfield></datafield><datafield tag="999" ind1=" " ind2=" "><subfield code="a">oai:aleph.bib-bvb.de:BVB01-032042969</subfield></datafield><datafield tag="941" ind1=" " ind2=" "><subfield code="b">68</subfield><subfield code="j">2009</subfield><subfield code="s">536-538</subfield></datafield><datafield tag="942" ind1="1" ind2="1"><subfield code="c">929</subfield><subfield code="e">22/bsb</subfield><subfield code="f">0904</subfield><subfield code="g">48</subfield></datafield><datafield tag="942" ind1="1" ind2="1"><subfield code="c">909</subfield><subfield code="e">22/bsb</subfield><subfield code="f">0904</subfield><subfield code="g">496</subfield></datafield><datafield tag="942" ind1="1" ind2="1"><subfield code="c">306.09</subfield><subfield code="e">22/bsb</subfield><subfield code="f">0904</subfield><subfield code="g">496</subfield></datafield></record></collection> |
genre | (DE-588)4049712-4 Rezension gnd-content |
genre_facet | Rezension |
id | DE-604.BV046631437 |
illustrated | Not Illustrated |
index_date | 2024-07-03T14:11:15Z |
indexdate | 2024-07-10T08:49:45Z |
institution | BVB |
issn | 0081-9077 |
language | German |
oai_aleph_id | oai:aleph.bib-bvb.de:BVB01-032042969 |
open_access_boolean | |
psigel | oeaufsaetze_BSB BSB_NED_20190930 |
publishDate | 2009 |
publishDateSearch | 2009 |
publishDateSort | 2009 |
record_format | marc |
spelling | Kreuter, Peter Mario 1970- Verfasser (DE-588)173494242 aut [Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.] Peter Mario Kreuter 2009 txt rdacontent n rdamedia nc rdacarrier (DE-588)4049712-4 Rezension gnd-content volume:68 year:2009 pages:536-538 Südost-Forschungen / im Auftr. des Südost-Instituts Regensburg geleitet und hrsg. München, 1940- 68 (2009), 536-538 (DE-604)BV002682738 0081-9077 (DE-600)212980-2 Rezension von Kohl, Christine von Eine Dänin am Balkan Klagenfurt : Wieser Verlag, 2008 (DE-604)BV035174552 Digitalisierung BSB München 25 - ADAM Catalogue Enrichment application/pdf Test http://bvbr.bib-bvb.de:8991/F?func=service&doc_library=BVB01&local_base=BVB01&doc_number=032042969&sequence=000001&line_number=0001&func_code=DB_RECORDS&service_type=MEDIA Rezension |
spellingShingle | Kreuter, Peter Mario 1970- [Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.] |
subject_GND | (DE-588)4049712-4 |
title | [Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.] |
title_auth | [Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.] |
title_exact_search | [Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.] |
title_exact_search_txtP | [Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.] |
title_full | [Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.] Peter Mario Kreuter |
title_fullStr | [Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.] Peter Mario Kreuter |
title_full_unstemmed | [Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.] Peter Mario Kreuter |
title_short | [Rezension von: Kohl, Christine von: Eine Dänin am Balkan : zwischen Kosova und Brüssel : kritische Skizzen. - Klagenfurt : Wieser Verlag 2008. - 193 S.] |
title_sort | rezension von kohl christine von eine danin am balkan zwischen kosova und brussel kritische skizzen klagenfurt wieser verlag 2008 193 s |
topic_facet | Rezension |
url | http://bvbr.bib-bvb.de:8991/F?func=service&doc_library=BVB01&local_base=BVB01&doc_number=032042969&sequence=000001&line_number=0001&func_code=DB_RECORDS&service_type=MEDIA |
work_keys_str_mv | AT kreuterpetermario rezensionvonkohlchristinevoneinedaninambalkanzwischenkosovaundbrusselkritischeskizzenklagenfurtwieserverlag2008193s |