Sećanje na titoizam: između diktata i otpora
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Veröffentlicht: |
Beograd
Čigoja Štampa
2011
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9
PREDGOVOR
I deo
ANTITITOIZAM IZMEĐU
TRANSNACIONALNOG DIKTATA
PAMĆENJA I LOKALNIH SEĆANJA
23
LIČNO SEĆANJE I KOLEKTIVNO PAMĆENJE
31
POJAM TITOIZAM I OSNOVE ISTRAŽIVAČKOG
PRISTUPA
33
Zašto se danas
secamo
titoizma?
42
Mitovi i ideologizacije u pamćenju titoizma
50
Činioci selektivnog sećanja i novi sklop sećanja
II
deo
UPOTREBA TITOIZMA
65
ASIMETRIJA PERSPEKTIVA I HEGENOMl OKVIR
SEĆANJA
76
Etnocentrična i
procedur
alna
„
žablja
perspektiva
91
Sociološka „ptičja
perspektiva
103
Filozofskoistorijska
„
avionska
perspektiva
120
DANAŠNJA SIMBOLIZACIJA I SVOJATANJA TITA
123
Ti
t
os
tal gij
a
138
Mesta
sećanja: ulice i muzeji
151
Tito kao
b
rend
153
Tito
kao vrednosni simbol
156
TITOIZAM U UDŽBENICIMA ISTORIJE
III deo
TITOIZAM I EVROPEIZACIJA PRAKSE
SEĆANJA: STRUKTURE MOĆI I
KOLEKTIVNO PAMĆENJE
187
DIKTAT SEĆANJA U KOLEKTIVNOM PAMĆENJU EU
200
TITOIZAM U NOVIM OKVIRIMA PAMĆENJA EU
207
BUDUĆNOST TITOIZMA
214
SEĆANJE NA TITOIZAM IZMEĐU KRITIKE I
APOLOGIJE KAPITALIZMA
220
KAKO ZABORAVLJATI TITA
235
ZAKLJUČAK
245 ZUSAMMENFASSUNG
251
LITERATURA
263
REGISTAR LIČNIH IMENA
ZUSAMMENFASSUNG
Die Erinnerung an den Titoismus: zwischen Diktat und
Widerstand
Nach dem blutigen Zerfall Jugoslawiens haben sich in den neu
entstandenen Staaten jeweils „eigene Versionen der Geschichte ge¬
schrieben. Ein Kernelement ist die Darstellung der „jeweilige(n) Na¬
tion als Opfer . Auf den Krieg der Waffen folgte Krieg der Erinne¬
rungen - der nach wie vor im Gange ist. Im Mittelpunkt der Ausein¬
andersetzung steht der Kommunismus als Hauptschuldiger von Krieg
und sozialer Misere. Besonders in den nationalistisch aufgeheizten
Jahren 1990 bis 1995 diente die Idee vom »nationenfeindlichen Titois¬
mus« als Argument gegen den Vielvölkerstaat. Forschungsgegenstand
des Buches ist der Wandel der Vergangenheitspolitik (verstanden als
diskursiver Umgang mit dem titoistischen Regime) in den nach dem
Zusammenbruch Jugoslawiens neu entstandenen Staaten. Es handelt
davon, welche Ideen von Jugoslawien und dem Sozialismus heute vor¬
herrschend sind und es handelt von der Rolle, die Tito im heutigen Ser¬
bien, Kroatien und Bosnien - noch immer oder wieder - spielt. Die
zentrale Fragestellung ist die nach einer zunehmenden Standardisie¬
rung der Aufarbeitung des jugoslawischen Sozialismus. Hierfür wird
die neokonservativ und neoliberal motivierte Revision von Geschichte
der vergangenen zwanzig Jahren untersucht und die Frage nach einer
Verschiebung der kulturellen Hegemonie in
punkto
Geschichtspolitik
gestellt.
Die Aufarbeitung des Titoismus wird entlang der politischen Um¬
schwünge 1990 bis 2010 verfolgt. Wie verhalten sich die politischen
Entwicklungen - vom sozialistischen Jugoslawien über die autoritären
Regime von
Tuđman
und Milosevic bis hin zur konsolidierten plura-
listischen Demokratie nach den Wendewahlen - zur Vergangenheits¬
politik, wie sie in Kroatien und Serbien betrieben wird? Wie lässt sich
245
TODOR KULJIC
schließlich das Spannungsverhältnis zwischen der „Europäisierung
der Erinnerung , in deren Fokus der Holocaust als negativer europä¬
ischer Gründungsmythos steht, mit den konkurrierenden nationalisti¬
schen Erinnerungen vereinbaren? Welche Rolle kommt der Figur Tito
in der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen nationalen Er-
innerungs - und Opfergemeinschaften zu? Kann das kommunistische
Zeitalter überhaupt als Teil der Nationalgeschichten angesehen wer¬
den? Und wie kann es sein,
dass
die Nationalismen, die doch Wert auf
ihre Einzigartigkeit legen, das negative Bild des Titoismus weitgehend
teilen?
Im ersten Teil „Titoismus zwischen lokalen Erinnerungsdiskur¬
sen und transnationalem Diktat der Verarbeitung werden verschiede¬
ne Mythen und Ideologien auseinandergesetzt, denen die Erinnerung
an den Titoismus zugrunde liegt. Um den vorher gestellten Fragen
nachzugehen, wird zunächst der theoretische Zugang offen gelegt,
bei dem die identitätsstiftenden Konstruktionen von Vergangenheit in
Nationalismus - und Gedächtnistheorien sowie in den Konzepten der
»Geschichts - und Vergangenheitspolitik im Vordergrund stehen. Da¬
nach werden Methoden der Ideologiekritik vorgestellt.
Daraus ergeben sich folgende Fragen: Wie hat sich der politische
und wissenschaftliche Umgang mit dem Titoismus in Serbien, Kroati¬
en und Bosnien von 1990 bis heute gewandelt? Welche Rolle kam den
Dissidenten der sozialistischen Zeit zu und welche den „politischen
Konvertiten der Wendejahre? Auffällig ist im jugoslawischen Kon¬
text,
dass
fast alle ehemaligen Marxisten, die sich wissenschaftlich
mit marxistischer Theorie, der jugoslawischen Idee der „Selbstver¬
waltung , Tito oder ähnlichem auseinandergesetzt hatten, buchstäb¬
lich über Nacht zu Anti-Kommunisten und völkischen Nationalisten
wurden. Während früher die Apologie des Sozialismus im Zentrum
stand, bildet heute die Kritik des Sozialismus die Basis für ihre man¬
nigfaltigen Interessen und Identitäten. Ihre frühere Glorifizierung
Titos und der Kommunistischen Partei erzeugt bei den heutigen In¬
tellektuellen Schamgefühle. Die starke Kluft zwischen der „linken
Vergangenheit und der „rechten Gegenwart erzeugt bei vielen Ab¬
wehrreaktionen. Welche Ereignisse haben diese geschichtspolitische
Umkehr vorbereitet? Welche Ereignisse lassen sich als Kernereignisse
der politischen Wendejahre und welche als diskursive Wenden und
Höhepunkte bestimmen (in Serbien das Jahr 2000, in Kroatien 1995)?
Diese Fragen werden anhand verschiedener empirischer Untersuchun¬
gen diskutiert.
246
SECANJENATITOIZAM
Im zweiten
Tei] „Die
Instrumentalisierung des Titoismus ist
die Asymmetrie der verschiedenen Perspektiven und
hegemonialen
Erinnerungsrahmen Thema. In gewisser Weise ist Tito die Signatur
des postjugoslawischen Raums geblieben. Im schon zu Lebzeiten kon¬
troversen Machthaber sieht
Author
eine „vielschichtige Figur , die aus
drei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann: Aus der
heute vorherrschenden „Froschperspektive erscheint Tito als der gro¬
ße, unantastbare, totalitäre Herrscher. Dazu gehören die Nationalisten,
die davon überzeugt sind, der Titoismus sei von außen in die Natio¬
nalgemeinschaft hineingetragen worden. Die „Vogelperspektive zeigt
hingegen,
dass
Jugoslawien unter dem autoritären Herrscher Tito einen
außerordentlichen Modernisierungs - und Mobilitätsschub erlebte. Die
„Flugzeugperspektive (oder „Wiener Perspektive , wie man sich auch
nennen könnte) legt eine Sicht auf Tito als den „letzte Habsburger des
Balkans nahe - wobei Habsburg hier als „Metapher für den Herrscher
in einem multinationalen Staat gilt.
Was der heutigen Aufarbeitungsdebatte fehlt, ist der Blick auf
den Sozialismus aus der Perspektive eines anderen Epochen - und Ge-
schichtsbewusstseins, d. h. aus einer Perspektive, aus der die Linke im
Weltmaßstab mehr bedeutete als heute. Hierin sieht der Autor auch den
Grund für das Fehlen einer einflussreichen hermeneutischen, alltags¬
geschichtlichen Strömung innerhalb der Geschichtswissenschaften.
Die
hegemóniáié
Ideologie des Antitotalitarismus schuf einen neuen
Rahmen für den Umgang mit dem Titoismus. Er unterminierte die So¬
zialgeschichte und favorisierte die Politikgeschichte, ein Zugang, der
leicht in Verschwörungstheorien übergehen kann. Mit Hilfe des An¬
titotalitarismus wurden „alte durch „neue Opfer (die Arbeiterklas¬
se durch die Nation) und „alte durch „neue Täter (den Kapitalismus
durch den Kommunismus) ersetzt, Konservatismen verschiedener
Prägung wiederbelebt, die Idee des Monarchismus und romantische
Geschichtsschreibung der Dynastien erneuert und schließlich der Fa¬
schismus und seine Kollaborateure rehabilitiert usw.
In diesem Teil des Buches findet sich auch eine Darstellung und
Analyse der Symbole des Antititoismus: umgewidmeter Erinnerungs¬
orte, Straßen und Museen. Zunächst werden die politische und die
symbolische Ebene beleuchtet, etwa die Umbenennung der zahllosen
Marschall Tito-Straßen oder deren Rekontextualisierungen in Zag¬
reb, Sarajevo oder Belgrad. Auch die neuen Schulbücher der einzel¬
nen Staaten und deren Schwerpunksetzung in der Geschichtssektion
werden einer diskursanalytischen Untersuchung unterzogen. Hierbei
247
TODOR KULJIC
kristallisiert sich heraus, das in Serbien das Regime Milosevic die ge¬
schichtspolitische Wende vorbereitete, obgleich dieser Prozess in ser¬
bischen Geschichtslehrbüchern etwas langsamer vor sich ging als in
jenen der anderen ex-jugoslawischen Staaten.
Auch die Meinungen der Menschen über den Titoismus werden
diskutiert. Die „Titostalgie , die verbreitete Nostalgie nach der Zeit,
in der Tito ein weltweit anerkannter Staatsmann war, ist einerseits ein
Zustand der Melancholie, trägt aber auch Züge eines Vergleichs des
heutigen gesellschaftlichen Situation mit jener in der Zeit des Tito¬
ismus. Dieses Kapitel setzt die Frage auseinander, ob die Titostalgie
eine melancholische oder kritische Art der Erinnerung ist. In einigen
der ex-jugoslawischen Staaten dominiert heute die nostalgische, ver¬
klärte Erinnerung an den verlorenen Vielvölkerstaat. Nach dem Mot¬
to „Früher war alles besser schwelgt von Mazedonien bis Slowenien
vor allem die ältere Generation in melancholischen Erinnerungen. Die
Person
Josip
Broz Tito befindet sich im Zentrum dieser „Jugo-Nostal-
gie Während also die einen Jugoslawien und den Titoismus vor dem
Hintergrund neuer nationaler Ideologien dämonisieren, herrschen an¬
dernorts „Jugo-Nostalgie und Titostalgie vor. Eine Vielzahl empiri¬
scher Untersuchungen zeigt dies. Interessant ist dabei vor allem der
Umstand,
dass
viele junge Menschen nostalgische Gefühle haben ge¬
genüber und Sehnsucht nach einem Land verspüren, das sie nicht mehr
kennen gelernt haben. In diesem Zusammenhang ist der symbolische
Umgang mit der Vergangenheit besonders interessant, Tito taucht hier
z.B. als entpolitisiertes Label auf Weinflaschen oder als Namensgeber
von
Cafés
auf.
Besonderes Augenmerk wird auf die verschiedenen positiv kon¬
notierten Zusammenhänge gelegt, in die Tito in den unterschiedlichen
ehemaligen Republiken gesetzt wird (in Bosnien im z.B. Kontext der
Islamisierung, in Kroatien im Kontext der Katholischen Kollektiven¬
symbolik und in Serbien im Kontext Jugoslawiens), aber auch auf dä-
monisierende Zuschreibungen (in Serbien als kommunistisch apostro¬
phierter Feind der Serben, in Kroatien als jugoslawisch apostrophierter
Feind der Kroaten). Anhand der jeweiligen nationalen Opfermythen
werden Parallelen und die gegenseitige Beeinflussungen der Erinne¬
rungskämpfe in den ehemaligen jugoslawischen Republiken aufgezeigt.
Die neuen Orte des Gedenkens und Erinnerns, die heute vor allem den
Opfer des jugoslawischen Kommunismus gewidmet sind, werden ge¬
nauso dargestellt wie die museale Bearbeitung der kommunistischen
248
SECANJENATITOIZAM
Erfahrungswelt der postkommunistischen Staaten. Dabei wird die na¬
tionalistische Vergangenheitspolitik nicht als starr und »eingefroren«
begriffen, sondern als dynamisches politisches
Konstrukt.
In diesem Teil des Buches werden nicht nur die eingangs gestell¬
ten Fragen rekapituliert und zu beantworten versucht, auch die aktuel¬
len Debatten um die Aufarbeitung des Titoismus, vor allem innerhalb
der serbischen und kroatischen Erinnerungspolitik, werden verglichen
und in einen breiteren Kontext gestellt, indem ähnliche Entwicklun¬
gen in anderen postkommunistischen Staaten kursorisch umrissen
werden. Zur Einordnung der lokalen Erinnerungspolitik ist die Poli¬
tik der Europäischen Union unverzichtbar. Im dritten Teil des Bu¬
ches „Der Titoismus und die Europäisierung der Erinnerungspraxis:
Machtstrukturen und kollektive Erinnerung wird unter anderem un¬
tersucht, inwiefern die »europäische Integration« eine kritische oder
konformistische Aufarbeitung der sozialistischen Vergangenheit im
Rahmen eines eigenen antitotalitären Diskurses nahe legt. Es stellt
sich die Frage, ob die erwartete Aufarbeitung des Sozialismus unter
dem Diktum des Antitotalitarismus gleichzeitig die Eintrittskarte in
die europäische Wertegemeinschaft ist. Die standardisierten Erinne¬
rungen an den Titoismus sind Ausformungen einer spezifisch euro¬
päischen Gedächtniskultur und deren Normierungsprozesse für den
Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit. Die Erinnerungs¬
kulturen gleichen sich innerhalb der EU an. Es werden die Standards
der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit im Rahmen
der EU aufgezeigt, hierzu gehören Resolutionen und Initiativen zum
„richtigen Umgang mit der diktatorischen Vergangenheit. So ist der
Titoismus in eine zweischneidige Kultur der Erinnerung eingebettet.
Auf der politischen Ebene wird dem antikommunistischen Imperativ
der EU-Gedächtniskultur gefolgt, die „Titostalgie hingegen herrscht
bei der desillusionierten und verarmten Bevölkerung vor. Dazwischen
findet sich die nationalistische Erinnerungskultur, der der Titoismus
primär den Verrat an der Nation bezeichnet. Die Ausschließlichkeit
dieser Modelle der Annäherung und insbesondere des vorherrschen¬
den antikommunistischen Diskurses weißt verschwörungstheoretische
Züge auf.
Abschließend werden noch einmal die Grundmerkmale der post¬
kommunistischen Erinnerungskulturen der postjugoslawischen Staa¬
ten rekapituliert. Einen differenzierten Blick auf den Titoismus, der
dem Balkan fast fünfzig Jahre des Friedens ermöglichte, so lautet das
Zwischenfazit, gibt es bisher nicht. Stattdessen dominiert eine einseitig
249
TODOR KUU
1С
dämonisierende Form der Vergangenheitsbewälligung. Das führte zu
einer sehr selektiven Geschichtsauffassung. Die Beurteilung des Sozi¬
alismus hängt noch immer mehr von nationalen Überzeugungen und
Mythen ab, als vom individuellen oder sozial gewachsenen Zugängen.
Der multinationale und internationale Titoismus gilt heute als wich¬
tigster Gegenpol zur neuen Identität, die sich vor allem aus dem Natio¬
nalismus speist. Der Titoismus wird darum konsequent als „Feind der
Nation denunziert. Erst an zweiter Stelle gibt es eine Kritik am anti¬
demokratischen Einparteiensystem, das ihm zu Grunde lag. Die in der
kommunistischen Ära betriebene Tabuisierung historischer Konflikte
zwischen den jugoslawischen Nationalitäten hat deren öffentliche Auf¬
arbeitung nachhaltig verunmöglicht. Diese Tabuisierung hat die pre¬
käre Reaktivierung historischer und teilweise mythologisierter Ängste
und unbewältigter, schmerzlicher Verluste vor dem Grund aktueller
gesellschaftlicher Probleme begünstigt. Die pauschale Verurteilung
des Titoismus als totalitäres, antinationales System zerstörte dabei vie¬
le supranationale Kompromissmöglichkeiten.
250
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