[Rezension von: Duindam, Jeroen: Vienna and Versailles : the courts of Europe’s dynastic rivals, 1550-1780. - Cambridge : Cambridge Univ. Press, 2006. - XII, 349 S., 40 s/w Abb.]:
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Rezensionen Jeroen Duindam, Vienna and Versailles. The Courts ofEurope’s Dynastic Rivals, 15501780. 2. Aufl. Cambridge: Cambridge University Press 2006 (New Studies in European History). XII, 349 S., 40 s/w-Ahb., ISBN 978-0-521-71476-1, £ 40,An Literatur zu den Höfen der habsburgischen Kaiser und denen ihrer königlichen Riva len in Frankreich herrscht nun wahrlich kein Mangel. Seit Norbert Elias gehören die Höfe in Wien und Paris zu den bevorzugten Objekten derartiger Studien. War also ein weiteres Werk wirklich vonnöten? Nach der Lektüre von Jeroen Duindams Arbeit kann man diese Frage guten Gewissens bejahen. Denn statt krampfhaft in einem deutschen Partikularhof das Abbild des Versailler Vorbildes zu suchen oder der Handschrift der jeweiligen Bewoh ner der Hofburg oder von Schönbrunn in der Struktur der gerade aktuellen Hofhaltung nachzugehen, macht Duindam das, was der Titel verspricht, nämlich auf der Grundlage solider und umfassender Quellenstudien die Entwicklung dieser beiden Höfe über mehr als 200 Jahre vergleichend zu beschreiben. So kann allein das Verzeichnis der Quellen, gleich ob es sich um Archivalien handelt oder um gedrucktes Material, wirklich überzeugen. Ob Archives Nationales oder Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Bibliothèque Mazarine oder Österreichische Nationalbibliothek, alle für das Thema relevanten Quellenbestände hat sich der Autor angesehen. Dies kann auch für das gedruckte Quellenmaterial gesagt werden; so sind die vorhandenen Briefwechsel der in Frage kommenden Potentaten allesamt ausgewertet worden. Gleiches gilt für die Sekundärliteratur -
selbst Rainer Müllers EdG-Band1 und Aloys Winterlings hervorragende, doch für dieses Thema nur am Rande interessante Studie zum Hof der Kurfürsten in Köln2 wurden herangezogen. Fünf Kapitel, bis auf das letzte in jeweils zwei Abschnitte eingeteilt, stellen, neben dem kritischen Apparat, die grundlegende Struktur des Buches dar. Das erste, „Prelude“ überschriebene Kapitel (1-42) widmet sich der Vorgeschichte. Neben einer Einführung in das Thema (3-20) stellt Duindam die Entwicklung des vor- und frühmodernen Hofes vor (2142), wobei der Bedeutung des burgundischen Hofes für die habsburgische Hofkultur viel Platz eingeräumt und auf den im Vergleich dazu fast schon „bourgeoisen“ Hof Ludwigs XL besonders verwiesen wird (22-27). Die folgenden Kapitel 2, „Contours“ (43-128), 3, „Court Life“ (129-219), und 4, „Power“ (221-297), bilden dann den Kern der Studie. Das zweite Kapitel widmet sich mit den Abschnitten „Numbers and costs“ (45-89) und „Status and income“ (90-128) der eigentlichen Haushaltung. Hier gibt es viel an Statistiken zu lesen, die in übersichtlichen Tabellen gut aufbereitet werden. „The similarities of these households are perhaps more striking than the differences“ (127), und doch sind die Unterschiede höchst interessant — wo Versailles mit gut dotierten Posten und ruhmreichen Tätigkeiten rund um den König aufwarten konnte, war es in Wien damit eher schlecht bestellt. Viele der Hohen Position waren unbesoldet und wurden des Dienstes für den Monarchen wegen angenommen (122f). Und während der Hof der Habsburger, von den kleinen Hofstaaten für die ver witweten
Kaiserinnen abgesehen, sich unmittelbar in der Residenzstadt keinerlei weitere Hofhaltungen leistete (77f.), wurde in Frankreich in dieser Hinsicht nicht gespart, so dass so mancher Bourbonenprinz seinen eigenen Hofstaat sein Eigen nennen konnte (65, 93). Südost-Forschungen 68 (2009) 629
Geschichte: „Frühe Neuzeit“ bis 1848/1878 Kapitel 3 ist eingeteilt in die Abschnitte „A calendar of court life“ (131-180) und „Cer emony and order at court: an unending pursuit“ (181-219). Hofordnungen (144f.), die sich beide Höfe gaben, Tagesabläufe, die im Falle Ludwigs XIV. dem Repräsentationsbedürfnis geschuldet waren (162-165) oder praktischen Bedürfnissen entsprachen wie im Falle von Joseph II. (196, 211), die Frage nach der Organisation der Hofzeremonien (208-211), stark abhängig von der jeweiligen Herrscherpersönlichkeit — um diese Bereiche dreht sich hier alles. Im vierten Kapitel geht es um Macht ֊ die Abschnitte „Levels and forms of power at court“ (223-259) und „The court as focus of the realm“ (260-297) formulieren dies aus. Hier zeigt sich Duindam von seiner schon aus früheren Werken3 bekannten Elias-kritischen Seite, wenn er den angeblich so durchdringenden Absolutismus französischer Prägung als Fehlschlag sieht und die,Affektbeherrschung“ in Zweifel zieht (261,295). Im Zentrum steht aber die Frage nach Leben und Stellung des Monarchen mit allen Aspekten - das Verhältnis zu Familie und Freunden, die Arbeit mit Ministern und Hofbeamten, Gesellschaft und Einsamkeit gehören zu den Fragen, die Duindam interessieren. Und nicht nur die Monar chen beschäftigen ihn, auch die Rolle der Kaiserwitwen wird erneut zum Gegenstand der Betrachtungen (232, 250). Leider wird gerade der mögliche Ausbruch aus dem Hofleben durch das Inkognito nicht einmal angerissen. Auch die Stellung und der Einfluss von Hof fraktionen wird analysiert; hier kommt Duindam zu dem Schluss, dass
deren Einfluss mit der Zeit immer mehr zugunsten der (ausgebildeten) Fachminister abnahm (248f., 256f). Der Epilog, aus einem Abschnitt „Conclusions and conjectures“ (301-320) bestehend, fasst die Ergebnisse dieser Studie noch einmal zusammen. Es folgen noch das Verzeichnis ungedruckter Quellen (321f.), dasjenige der gedruckten Quellen (323-327), die Sekun därliteratur (327-342) und ein Index (343-349), der im Vergleich zur ersten Auflage doch deudich detaillierter geworden ist. Manches Ergebnis kann nicht überraschen — dass Versailles größer und weitaus kost spieliger war als Schönbrunn, dürfte hinlänglich bekannt sein. Die bekannten Stereotype finden sich auch - dem frivolen und lasterhaften Versailles wird eine mehr religiöse und abgeschottete Wiener Hofgesellschaft gegenübergestellt. Allerdings macht sich Duindam daran, diese Stereotype zu untersuchen, und so muss durchaus korrigiert werden. ist es nicht ein Zeichen von Religiosität, wenn Ludwig XV. 32 Jahre lang die Kommunion frei willig verweigert, da er sich seines lasterhaften Lebenswandels bewusst ist? So sehr man Duindams Arbeit auch bewundern muss, so sollen einige kritische An merkungen nicht verschwiegen werden. So hätte das Buch eher „Habsburg and Bourbon“ heißen sollen, denn für den ins Auge gefassten Zeitraum von 1550 bis 1780 ist Wien zwar ganz überwiegend die Residenzstadt des Habsburgerreiches, Versailles jedoch fur nicht einmal die Hälfte der Zeit das Residenzschloss vor den Toren der Hauptstadt. Und auch der Umzug Ludwigs XIV. von Paris nach Versailles wird nur unzureichend thematisiert. Auch die
Problematik, eine Residenzstadt mit einem Schloss zu vergleichen, hätte eine genauere Diskussion verdient - der unsichtbare Monarch von Versailles und der nahezu täglich in seiner Residenzstadt umhereilende Joseph II. wären durchaus ein interessantes Seitenstück gewesen. Und auch wenn das Buch „Vienna and Versailles“ heißt, so wäre der 630 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen eine oder andere Blick hin zu habsburgischen Höfen in Brüssel oder Pressburg durchaus nicht von Übel gewesen. Nicht allen von Duindams Ergebnissen mag der Rezensent zustimmen. So ist beispiels weise die These des Autors, die eher „düsteren“ Elemente der österreichischen Hofkultur im 16. und 17. Jh. wären „too readily explained by the inevitable Spanish relatives, travels, and influences“ (179), somit also der Einfluss Madrids überschätzt, nicht hinreichend belegt. „The tendency of courts to aspire to well-organised, aloof, and dignified forms surely goes further than any specific courtly idiom“ (ebenda) ist mit Sicherheit nicht falsch, und doch geht die Ähnlichkeit des Hofzeremoniells weit darüber hinaus, ganz abgesehen davon, dass Habsburger Erzherzoge im Escorial keine Seltenheit waren und oft genug durch Heirat die Habsburgischen Familienbande gefestigt wurden. Geht dem Elias-Kritiker hier das zugegebenermaßen halbtot gerittene spanische Pferd ein wenig durch? Fazit: Jeroen Duindam legt eine materialreiche und in ihren einzelnen Ergebnissen unmöglich zu beschreibende Studie zu den Höfen in Versailles und Wien vor, die wirk lich komparatistisch arbeitet und eine Unzahl von Ergebnissen vorzuweisen hat. Weniger im allgemeinen Aufbau als vielmehr in den Details und in den die Höfe bestimmenden Herrscherpersönlichkeiten liegen die Unterschiede. Hofhaltung findet statt und hat reprä sentative Aufgaben, doch dient diese keinesfalls einer „Zähmung des Adels“ im Eliasschen Sinne. Manche Schwäche sei dem Werk verziehen, dessen vielleicht einziger Nachteil es ist,
aufgrund der Fülle an Material sehr viel Zeit zur Lektüre einfordern zu müssen. Regensburg Peter Mario Kreuter 1 Rainer A. Müller, Der Fürstenhof in der frühen Neuzeit. München 1995 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 33). 2 Aloys Winterling, Der Hof der Kurfürsten von Köln 1688-1794. Eine Fallstudie zur Bedeutung „absolutistischer“ Hofhaltung. Bonn 1986. 3 Vgl. Macht en mythe. Een kritische analyse van de hoftheorieën van Norbert Elias en Jürgen von Krüdener. Utrecht 1992. Dimitrie Cantemir: Fürst der Moldau, Gelehrter, Akteur der europäischen Kulturge schichte. Hgg. Maus Bochmann / Vasile Dumbrava. Leipzig: Leipziger Universitäts verlag 2008 (Veröffentlichungen des Moldova-Instituts Leipzig, 3). 312 S., zahir. Abb., ISBN 978-3-86383-237-3, € 39,Dimitrie Cantemir (1673-1723) gehört zweifellos zu den herausragendsten Figuren der rumänisch-moldauischen Geschichte - sofern man ihn denn überhaupt in dieses enge natio nalstaatliche Korsett einzwängen kann. Der Horizont dieses im späten 17. und frühen 18. Jh.s wirkenden polyglotten Universalgelehrten und glücklosen Woiwoden (Fürsten) reichte weit über die Grenzen seines kleinen Heimatlandes, der unter osmanischer Oberhoheit ste henden Moldau, hinaus. Bereits von Haus aus mit einer soliden Bildung ausgestattet (sein Südost-Forschungen 68 (2009) 631
Geschichte: „Frühe Neuzeit“ bis 1848/1878 analphabetischer Vater, der aus einem Freibauerngeschlecht zum Woiwoden aufstieg, vor allem aber seine gebildete Mutter scheinen großen Wert auf die Ausbildung ihres Sohnes gelegt zu haben), konnte er seine Studien vertiefen, als er als Pfand für das Wohlverhalten seines Vaters Constantin (1685-1693 moldauischer Woiwode) nach Istanbul geschickt wurde. Der Aufenthalt am Bosporus eröffnete ihm einen weiten intellektuellen Horizont, der unter anderem das Studium orientalischer Sprachen umfasste. Dies sollte ihm nicht nur bei der Abfassung seiner Werke ֊ neben landeskundlichen, kartographischen, musiko logischen, religionswissenschaftlichen, philosophischen und literarischen auch historische, so seine bekannte Geschichte des osmanischen Reiches — von unschätzbarem Nutzen sein, sondern ihn später während seines Exils im Russland Zar Peters des Großen auch zu einem wichtigen Experten bei dessen militärischen Expeditionen machen. Cantemir war so zugleich intimer Kenner des Osmanischen Reiches, orientalischer Sprachen und Kultur, in seinen letzten Lebensjahren im russischen Exil Vertrauter Peters des Großen, aber auch Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften. Sein in aufklärerischer Tradition stehendes Wirken verband somit mehrere kulturelle Großräume. War ihm das Schicksal in Bezug auf seine intellektuelle Tätigkeit gnädig gestimmt, so agierte er weit glückloser als moldauischer Woiwode. Nach einer ersten ephemeren Episode von 20 Tagen im März/April 1693 war ihm auch nach der zweiten Thronbesteigung im Spätherbst
1710 kein Jahr in diesem Amt vergönnt. Als Peter der Große sich anschickte, gegen die Osmanen ins Feld zu ziehen, verbündete sich Cantemir heimlich mit dem Za ren gegen seinen Herrn, den Sultan. Nach der militärischen Niederlage des christlichen Heeres gegen die osmanischen Truppen in der Schlacht von Stănileşti (8.-12. Juli 1711) sah Cantemir sich gezwungen, den Weg des Exils ins Reich Peters des Großen auf sich zu nehmen, wo er seinen Lebensabend verbrachte. Dieser schillernden Figur widmet sich der vom Moldova-Institut Leipzig herausgegebene Sammelband, der auf den Beiträgen einer 2007 organisierten Tagung basiert. Anlass bot das in der Republik Moldau für 2008 ausgerufene „Jahr der Dynastie Cantemir“. Das Vorwort des Botschafters des jungen, in seinem Identitätsdiskurs zwischen Rumänien, Russland und einem eigenständigen „Moldovanismus“ schwankenden Staates macht dabei deutlich, dass das Projekt durchaus auch im weiteren Kontext des moldauischen nation-buildings zu verorten ist. Die Teilnahme von Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern - neben der Republik Moldau vor allem aus Deutschland und Rumänien - leistet dabei jedoch Gewähr für eine multiperspektivische Annäherung an das Thema. Im Folgenden werden aus Platzgründen nur die primär historisch ausgerichteten Beiträge näher vorgestellt. Ganz im Sinne Cantemirs ist der Band polyglott (mit Beiträgen in deutscher, rumäni scher und französischer Sprache) gehalten und umfasst ein breites Spektrum an Themen. Aus den insgesamt 18 Tagungsbeiträgen lassen sich, die vier thematischen Sektionen des Bandes übergreifend, grob
zwei große Themenschwerpunkte herausfiltern. Einerseits werden einzelne Aspekte von Cantemirs Gelehrtentätigkeit untersucht, andererseits die Rezeptions und Wirkungsgeschichte wie auch die Erinnerung an seine Person thematisiert. Ganz aus diesem Rahmen fällt die an den Anfang gestellte Quelle, eine von Cantemirs Sohn Antioch (der selbst als Gelehrter in der russischen Aufklärung eine wichtige Rolle spielen sollte) 632 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen verfasste Lebensbeschreibung seines Vaters, die hier in der Übersetzung von Klaus Bochmann erstmals aus dem französischen Original ins Deutsche übertragen wurde (24-41). Anschließend daran analysiert Wim van Meurs Cantemirs Wirken als Stratege und die Rezeption in der rumänischen und moldauischen Historiographie (42-56). Cantemir hatte mit Peter dem Großen ein Abkommen geschlossen, das jedoch aufgrund der Opposition der Bojaren (deren Einfluss nach einem Sieg des Zaren zugunsten einer von Cantemir zu begrün denden Herrscherdynastie beschnitten worden wäre) und der Feindschaft des walachischen Woiwoden Constantin Brâncoveanu, der selbst eine höchst riskante Intrigenpolitik betrieb, dem Sultan zur Kenntnis gebracht wurde. Die Niederlage der verbündeten russischen und moldauischen Heere bei Stănileşti war dem strategischen Fehler geschuldet, nicht recht zeitig bis an die Donau vorgerückt zu sein, um das Übersetzen der osmanischen Truppen womöglich zu verhindern oder dann angesichts der misslichen Lage des Nachschubs zuerst die eigene Position auszubauen, ohne einen zu schnellen und zu weiten Vorstoß zu wagen. Aufgrund dieser Niederlage war die Rezeption Cantemirs in der Geschichtsschreibung nicht einfach, zumal er oft nur als Randfigur im größeren Kontext russisch-osmanischer Auseinandersetzungen wahrgenommen wurde. In Rumänien wurde Cantemir bis in die Zwischenkriegszeit nicht als Nationalheld verehrt, zwar gelegendich für seine antiosmanische Haltung gelobt, ohne aber die militärische Niederlage auszublenden. In der ersten Phase des sozialistischen Regimes
wurde er als Beispiel für die rumänisch-russische Freundschaft gefeiert, nur um danach unter veränderten politischen Voraussetzungen ab den 1960er Jahren zum Helden erhoben zu werden, wobei der antiosmanische Kampf betont, der Pakt mit dem Zaren jedoch bagatellisiert wurde. In der sowjetischen Moldau wurde Cantemir erst gegen Ende der 1970er Jahre beachtet und auch dann eher die nichtmilitärischen Aspekte seines Wirkens gewürdigt. Er wurde als russophiler Held (und implizites Gegenstück des „rumänischen“ Feindbildes) einer russisch-moldauischen Völkerfreundschaft dargestellt. Ion Eremia argumentiert in seiner ausführlichen, gar etwas idealistischen Darstellung (57-79) der diplomatischen Beziehungen der Moldau Cantemirs mit dem Reich Peters des Großen, dass das im April 1711 vom Zaren Unterzeichnete Diplom nicht als moldauisch russischer Vertrag angesehen werden könne und auch nicht den Status des Fürstentums im Falle eines Sieges über den Sultan festgelegt habe. Vielmehr habe es sich um eine erste Etappe im Rahmen von Verhandlungen gehandelt. Die ideologische Basis des russischen Verhältnisses zu den orthodoxen Völkern Südosteuropas sei die christliche Religion gewesen, was es dem Zarenreich nicht erlaubt hätte, als mehr denn als bloßer Freund und Befreier aufzutreten, etwa durch die Inkorporierung von „befreiten“ Territorien. Vielmehr habe der Zar vor der verlorenen Schlacht gegen die Osmanen explizit auf sämtliche Formen der Unterordnung der Moldau unter das Zarenreich verzichtet, dessen Verhältnis zum Fürstentum das eines befreundeten Landes sein sollte. Cătălin Turliuc
geht der Frage nach, welche Beziehungen Cantemir zu Geheimgesell schaften seiner Zeit unterhalten habe (80-87). Ein Hinweis auf solche Beziehungen seien die esoterischen Züge seines Werkes, vor allem der „Istorie ieroglificä“, das intellektuelle Umfeld, in dem er sich lange aufhielt, seine Kontakte wie auch einschlägige Gerüchte nach seinem Ableben. Der Autor kommt jedoch zum Schluss, dass es keine Belege für Südost-Forschungen 68 (2009) 633
Geschichte: „Frühe Neuzeit“ bis 1848/1878 eine Mitgliedschaft Cantemirs bei einer Geheimgesellschafr, im vorliegenden Fall bei den Rosenkreuzern, gäbe, wenn auch viele Indizien dafür sprächen. Hans-Christian Maner untersucht Cantemirs „Geschichte des Osmanischen Reiches“ unter dem Aspekt der Aufklärung und damit verbunden des Kulturtransfers (88-100). Das Werk, das in erster Linie an die russische politische Öffentlichkeit, aber auch an ein europäisches Lesepublikum gerichtet war, hatte einen explizit aufklärerischen Anspruch. Exemplarisch zeigt Maner auf, dass es sich hier wie auch bei anderen Werken Cantemirs um einen Transfer von Ost- nach Westeuropa handelte und Cantemir diesem damit ein facettenreicheres Bild des Osmanischen Reiches präsentierte, als es durch den Topos der Türkengefahr verbreitet war. Einem anderen Bereich des vielfältigen Wirkens Cantemirs, der Kartographie, widmet sich Krista Zach (101-117). Sie diskutiert eine dem Gelehrten zugeschriebene und in vier voneinander abweichenden Stichen zwischen 1737 und 1770 gedruckte Moldaukarte, deren Original genauso verschollen ist wie eine für das Jahr 1726 belegte Karte, wobei nicht klar ist, ob es sich bei letzterer um eine von Cantemir autorisierte Fassung handelte. Die Autorin zieht auch Ungarn- und Südosteuropakarten heran, um eine Genealogie der Moldaukarten des 18. Jh.s zu erstellen, was sich jedoch aufgrund der Quellenlage und insbesondere der Unauffindbarkeit von Cantemirs vermutlich unvollendet gebliebener Originalkarte als schwierig erweist. Als mögliche Vorlagen werden die Dacia-Karte von Hontems, eine
1544 erschienene Polen-Ungarn-Karte sowie die Karte zu Reicherstoffers Chorographia Moldáviáé genannt. Rodica Ursu Naniu geht der humanistischen Dimension im Werk Cantemirs nach (118123), Marcel Ciortea beschäftigt sich mit dessen Religionsphilosophie (124-140) und Klaus Heitmann zeigt auf, wie das Werk Cantemirs von Jean-Louis Carra in seinem Werk „Histoire de la Moldavie et de la Valachie“ plagiiert wurde (141-149). Die Vielsprachigkeit des gelehrten Fürsten behandelt Klaus Bochmann, der unter anderem einen Überblick über die Sprachen bietet, die Cantemir gesprochen hat (150-160). Mit Sicherheit hatte er Kenntnisse in Rumänisch (in damaliger Terminologie Moldauisch), Griechisch, Lateinisch, Türkisch, Persisch, Arabisch, Russisch und Kirchenslawisch, vermutlich auch Italienisch, Französisch und Polnisch. Der Übersetzertätigkeit von Cantemirs Sohn Antioch widmet sich Larisa Schippel (161-168), während Alin-Mihai Gherman argumentiert, dass die von Martin Opitz übersetzten Romane von John Barclay das Werk Cantemirs stark beeinflusst hätten (169-175). Ebenfalls mit Rezeptionsgeschichte setzt sich Iacob Marza auseinander (176-197), allerdings geht es ihm um das Nachwirken von Cantemirs Werk, vor allem seiner Ideen zur römischen Herkunft der Rumänen, im intellektuellen Milieu des geistigen Zentrums der siebenbürgischen Schule in Blasendorf (Blaj) während des Vormärz. Wie Ştefan Lemny zeigt (198-204), erklang das Echo, das der berühmte Gelehrte hatte, am 22. April 1788 sogar in einer Sitzung in der Londoner Westminster Hall, als der Abgeordnete Edmund Burke Fragmente aus
Cantemirs Geschichte des Osmanischen Reiches vorlas. Våsile Dumbrava hat es auf sich genommen, die Publizistik in der sozialistischen So wjetrepublik Moldau bzw. der unabhängigen Republik Moldau auf Bezüge zu Cantemir hin durchzusehen (205-214). Die Erinnerung an ihn diente in sowjetischer Zeit dazu, die moldauisch-russische Völkerfreundschaft zu legitimieren, doch verblasste diese Sichtweise 634 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen in den achtziger Jahren und wurde ersetzt durch die Wahrnehmung als moldauischer Pa triot, die im Zuge der Unabhängigkeit in eine nationale Deutung seiner Person überging. Ebenfalls der Wahrnehmung Cantemirs in der Presse, aber auch in Schulbüchern und der Fachliteratur widmet sich Răzvan Pârâianu in seinem ausführlichen Beitrag (215-252). Er zeigt auf, wie Cantemir nach dem 2. Weltkrieg von der kommunistischen Führung in Rumänien als Vorbild für die brüderliche Solidarität zwischen Russen und Rumänen nutzbar gemacht wurde. Mit den politischen Veränderungen verschwand er einige Jahre aus dem Diskurs, um danach wieder mehr Beachtung zu finden, jetzt aber in neuer Interpretation als Symbol für die Unabhängigkeit. Sein Werk wurde nun aus dem russischen Kontext gelöst und in einen europäischen Rahmen gesetzt, wobei die offiziöse Cantemir-Verehrung im Jubiläumsjahr 1973 einen Höhepunkt erreichte. Im gleichen Jahr wurde in der sozialistischen Sowjetrepublik Moldau ein historischer Spielfilm zu Cantemir uraufgeführt, dessen Entstehungsgeschichte und Cantemirbild Maria Dumbrava thematisiert (253-272). Einige Jahre zuvor hatte es Pläne für eine rumänisch sowjetische Koproduktion gegeben, die jedoch an den unterschiedlichen Vorstellungen der beiden Seiten über die Geschichte und die damit verbundenen politischen Implika tionen scheiterten. Auf sowjetisch-moldauischer Seite wurde der eigene Cantemirfilm in der Folge ein Prestigeprojekt erster Güte. Gemäß den Vorgaben der staatlichen Behörden hatte der Film populäre und unterhaltende Elemente zu integrieren, während die
heroische Geschichte als Widerspiegelung des zeitgenössischen sowjetischen Kontextes konzipiert werden sollte. Dennoch macht die Autorin auch auf einige unorthodoxe Momente im Film aufmerksam. Cantemir wurde im Film als Ideologe der russisch-moldauischen Freundschaft und entschlossener Türkenkämpfer porträtiert. Die Gestaltungsmittel des Films, etwa die Lichtführung, weisen hingegen ganz klar Peter den Großen als überlegen aus. Am Schluss kontrastiert Dumbrava in einem interessanten, aber kurzen Ausblick den moldauischen Film mit den rumänischen Monumental- und Historienfilmen der Ceauşescu-Ara, die dank Koproduktionen mit westlichen Ländern auch international große Verbreitung fanden. Robert Born zeichnet in seinem Aufsatz die 1935 erfolgte Überführung der sterbli chen Überreste Cantemirs von Russland, wo er 1723 im Exil gestorben war, ins nunmehr rumänische Iaşi nach (273-285). Mit einer aufwändig gestalteten Überführung vom Hafen Constanţa in die ehemalige moldauische Hauptstadt wurde das Ereignis als „Rückkehr“ Cantemirs in seine Heimat gefeiert. Der Artikel von Alina Tofan beschließt den Band mit Überlegungen zur Rolle Cantemirs im bessarabischen Identitätsdiskurs der Zwischen kriegszeit (286-303). Die Autorin zeigt, dass anfänglich einerseits das Bild eines Flüchtlings gezeichnet wurde, der in einem ihm fremden Russland weit von der Heimat sein Exil verbringen musste, andererseits das eines Gelehrten, der Sinnbild für die Lebendigkeit und Fruchtbarkeit des rumänischen Geistes gewesen sei. In den 1930er Jahren wurde Cantemir dann als Symbol der Selbstbehauptung der
jungen Generation entdeckt. Die Beiträge des Bandes vermitteln ein facettenreiches Bild der faszinierenden Per sönlichkeit Cantemirs. Die sich teilweise sehr detaillierten Einzelaspekten widmenden Aufsätze ermöglichen einen analytischen Blick auf unterschiedliche Wirkungsfelder und Themenbereiche. Darunter leidet bedauerlicherweise der große Blick aufs Ganze. Zwar ist insbesondere in Rumänien wie in der Republik Moldau schon viel über den berühmtesten Südost-Forschungen 68 (2009) 635
Geschichte: „Frühe Neuzeit“ bis 1848/1878 Gelehrten aus dieser Gegend geschrieben worden, aber im Westen ist er immer noch wenig bekannt. Der Band wäre eine Gelegenheit gewesen, neben den zahlreichen punktuellen Schlaglichtern mit einem synthetisierenden Beitrag das Wirken Cantemirs (das im Band gegenüber der Nachwirkung und der Rezeption etwas zu kurz kommt) einem breiteren Pu blikum in kompakter Form zugänglich zu machen. Dennoch leistet der Band einen Beitrag zur Wissensvermittlung über eine hierzulande wenig gewürdigte Gelehrtenpersönlichkeit, die selbst einen nicht geringen Anteil zum ost-westlichen Kulturtransfer beisteuerte. Zürich Daniel Ursprung Constanţa Vintilă-Ghiţulescu, Focul amorului. Despre dragoste şi sexualitate în so cietatea românească (1750-1830) [Das Feuer der Liebe. Uber Liebe und Sexualität in der rumänischen Gesellschaft (1750-1830)]. Bucureşti: Humanitás 2006. 270 S., ISBN 973-50-1241-3, 22, RON 22,Historische Studien zum Themenbereich Familie, Verwandtschaft, Ehe und Sexualität haben seit einigen Jahren Konjunktur in der rumänischen Historiographie.1 Eine Ursache für diesen Trend dürfte sicher im französischen Einfluss zu finden sein, der traditionellerweise, der sprachlichen Nähe und des kulturellen Verbundenheitsgefühls wegen, einen bedeutenden Einfluss auf die rumänischen Eliten ausübt. Ohne in der postsozialistischen Historiographie ein klares Paradigma zu identifizieren kann doch die Bedeutung der Annales-Schule als bedeutsam erachtet werden. Schon in der Ceauşescu-Zeit wurden derartige Einflüsse auf der Suche nach einer Alternative zur
nationalistisch-deskriptiven linientreuen Geschichts schreibung rezipiert, konnten aber als punktuelle Einzelarbeiten über ihr engeres Thema hinaus keine größere Wirkung entfalten. Mit dem politischen und gesellschaftlichen Umbruch finden nun lange Zeit unterbe lichtete Themen das Interesse primär einer neuen Generation von Historikerinnen und Historikern, für welche die Rezeption auswärtiger Debatten eine Selbstverständlichkeit geworden ist. An die Stelle der offiziösen sozialistischen Historiographie mit ihrer politikund ereigniszentrierten, dem Historismus nicht unähnlichen Herangehensweise treten nun vermehrt alltags- und mentalitätsgeschichtliche Arbeitsweisen. In diesen größeren Kontext ist auch das vorliegende Buch zu setzen, dessen Autorin sich bereits mit zahlreichen Aufsätzen und einer früheren einschlägigen Monographie zum 18. Jh.1 einen Namen gemacht hat. In gewissem Sinne ist der hier zu besprechende Band eine Fortsetzung dazu, umfasst er doch, chronologisch daran anschließend, die zweite Hälfte des 18. und die ersten drei Jahrzehn te des 19. Jh.s. Nur vage angedeutet wird der untersuchte geographische Raum („in der rumänischer Gesellschaft“), wobei die vorgestellten Beispiele sich praktisch durchgehend auf die Walachei und insbesondere auf Bukarest beziehen. Es ist ein Kontext zahlreicher gesellschaftlicher Veränderungen, häufiger Kriege zwischen habsburgischen, russischen und osmanischen Heeren und jahrelanger Besetzungen, die das 636 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Liebes- und Sexualleben und die Vorstellungen davon geprägt haben, wie die Autorin mit vielen Beispielen belegen kann. Krieg und Flucht gingen mit geringerer Sozialkontrolle, zugleich aber oft mit einer größeren (physischen) Nähe einher, was zahlreiche Gelegenheiten zu ansonsten in dieser Form kaum möglichen Liebesabenteuern bot. So verlor beispielweise Ana aus Bukarest 1802 ihre Jungfräulichkeit, als sie mit ihrer Mutter und einer Tante auf der Flucht außerhalb von Bukarest im Kloster Černica Zuflucht gefunden hatte und dort auf den ebenfalls geflohenen Ionitä traf (39). Wie freiwillig sie dabei und in anderen Fällen mitmachte bzw. die Männer gewähren ließ, entzieht sich unserer Erkenntnis, da Ana phy sische Gewalt nie erwähnte. Nach ihrer Flochzeit jedoch entdeckte ihr Mann die fehlende Jungfräulichkeit. Gerichtsprotokolle, die in solchen und ähnlichen Fällen, wenn eine der beteiligten Personen Mage einreichte, angefertigt wurden, stellen die wichtigste der von der Autorin ausgewerteten Quellengattungen dar. Die Quellennähe und die ausführlich geschilderten anschaulichen Beispiele lassen die walachische Gesellschaft der Wende vom 18. zum 19. Jh. vor dem geistigen Auge leben dig werden. Von zahlreichen Schicksalen, Wünschen und Begierden einzelner Frauen und Männer erfährt das Lesepublikum. Die Autorin entfaltet damit ein breites Spektrum an Situationen und Handlungsstrategien und zeigt auf, wie flexibel in vielen Fällen von allen Beteiligten auf die besondere Konstellation des jeweiligen Falles reagiert wurde. Trotz kodifizierter Gesetze blieb der Spielraum
der Richter in der Beurteilung sexueller Vergehen gegen den Mrchenkanon groß, wobei die zum Teil vorgesehenen drakonischen Strafen kaum je verhängt wurden ֊ das Abschneiden der Nase etwa gar nie (81). In der untersuchten Periode war es Brauch, außerehelichen Geschlechtsverkehr mit einer Buße zu sühnen, im Falle einer Entjungferung musste die Frau mit einer Mitgift ausgestattet werden. Zahlreich sind daher die Magen verführter Frauen, welche die Bezahlung dieses Strafgeldes einfordern - auch aufgrund des sozialen Drucks ihres Umfeldes, um nicht als Hure zu gelten und dank Mitgift doch noch über Heiratsmöglichkeiten zu verfügen (3134, 102). Bei Männern spielte die Reputation bezüglich sexueller Kontakte nicht dieselbe Rolle wie bei Frauen und wenn, dann am ehesten bei bessergestellten Männern, die auf ihren guten Ruf bedacht waren. Das ermöglichte es Frauen, gezielt Gerüchte zu streuen oder mit Verführungsklagen zu drohen, um ihre — echten oder angeblichen - Freier zu erpressen und so an Geld zu gelangen (103-105). Das Bemühen der (zumeist kirchlichen) Gerichtsinstanzen scheint es allem Anschein nach gewesen zu sein, nicht dem Buchstaben des Gesetzes Folge zu leisten, sondern einen Ausweg aus den Konflikten zu finden und den Frieden in der Gemeinschaft wiederherzu stellen (159). Das zeigt sich etwa im Falle einer entjungferten Frau mit einem unehelichen Mnd, welches das Gericht dem Vater in Obhut gab. Da eine Frau mit Mnd nicht auf eine reguläre Hochzeit hoffen konnte, versuchte das Gericht mit dieser Maßnahme das Abgleiten in die Prostitution zu verhindern, die Frau mit
einer bescheidenen Mitgift auszustatten und sie so wieder in den Meis der heiratsfähigen Frauen zu integrieren (119f). Wenn Frauen Verführungsklagen anstrengten, empfahl die Metropolie den Männern meist, einer Heirat zuzustimmen - manchmal wurde dazu sogar Beugehaft angeordnet (106f.). Auch hier zeigt sich das Bemühen, in einer den Normen widersprechenden Situation die Ordnung wiederherzustellen. Ganz in diesem Sinne ist auch die Strategie zu sehen, wonach eine Frau Südost-Forschungen 68 (2009) 637
Geschichte: „Frühe Neuzeit“ bis 1848/1878 die Eheschließung mit einem unerwünschten Mann verhindern konnte, indem sie sich von ihrem Geliebten vergewaltigen ließ (140). Durch diese Entjungferung vor vollendete Tatsachen gestellt, stand nun die Schadensbegrenzung im Vordergrund, die am einfachsten durch die Hochzeit der Frau mit ihrem Geliebten erreicht werden konnte. Ein richtiggehender Kriminalfall, den die Autorin ausführlich aus den Quellen wiedergibt und der auch exemplarisch die zentrale Bedeutung sozialer Hierarchien aufzeigt, ist der Fall, der sich 1794 zwischen Dragomir, einem Fronbauern, und Uţa, einer dem Kleinbojarentum entstammenden Dorfbewohnerin, abspielte. Mit Hinweis auf seinen niederen sozialen Status lehnte Uţa die Avancen Dragomirs ab. Mit Hilfe von Komplizen heckte dieser einen Plan aus: Einer der Gehilfen quartierte sich als Reisender getarnt bei Uţa ein und veranlasste sie dazu, des Nachts das Haus zu verlassen, um Wasser zu holen, wo sie von anderen Kumpanen des verschmähten Liebhabers gepackt und entführt wurde. Dragomir vergewaltigte Uţa in der Hoffnung, so die Heirat forcieren zu können. Sie konnte sich jedoch befreien, während Dragomir und seine Helfer gefasst wurden. Das Vergewaltigungsopfer, das die Möglichkeit gehabt hätte, den Vergewaltiger durch Heirat vor seiner Strafe zu retten, verzichtete darauf, worauf die Täter in den Kerker geworfen und ihre Besitztümer konfisziert wurden ( 142-145). Das Verhalten kirchlicher Instanzen in der Rechtsprechung ist dabei immer wieder auch Ausdruck der Furcht, Einfluss an Laien (Fürsten, Bojaren, lokale
Amtsträger) zu verlieren, die sich immer mehr in bislang rein kirchliche Belange einzumischen begannen und häufig auch missbräuchlich Bußen eintrieben (74fi). So wehrte sich die Kirche gegen Fälle, wo weltliche Amtsträger oder gar der Fürst (der Phanariot Nicolae Mavrogheni, 1786-1790, war diesbezüglich besonders berüchtigt) Männer mit Gewalt zwangen, der Ehe mit einer Frau zuzustimmen, die sie zuvor ohne Heiratsabsicht verführt hatten. Die Kirche beharrte darauf, dass das Sakrament der Ehe nur denjenigen zuteilwerden könne, die sich aus Zu neigung und Liebe dazu entschlossen hätten. Strikt suchte der Klerus, die Einmischung oder Mitarbeit politischer Instanzen in solchen Fragen zu verhindern, erließ dagegen an die Popen die Weisung, jeden Fall genau zu untersuchen (109). Diese Besorgnis ist ein Anzeichen für den allmählichen Säkularisierungsprozess der walachischen Gesellschaft. Das zugrunde liegende Problem war jedoch, dass die Zuständigkeit für die Jurisdiktion gerade in solchen, in moderner Terminologie „standesamtlichen“ Fällen nicht klar geregelt war und diesbezügliche Gerichtssachen sowohl von der Metropolie wie auch von den weltlichen Ämtern der Bezirkshauptleute (isprăvnicia judeţului) oder der Abteilung für Strafsachen (departamentul de cremenalion) entschieden wurden (62). Der von der Autorin untersuchte Zeitraum zeichnet sich durch einen akzentuierten Wandel gesellschaftlicher Normvorstellungen aus. Als wichtigen Ausgangspunkt bezeichnet sie die zunehmenden Kontakte zumindest der Bukarester Oberschicht mit westeuropäi schen Sitten und Moden ab dem späten 18.
Jh., bedingt durch die häufig längerfristig anwesenden österreichischen und russischen Besatzungstruppen und die Einrichtung von Konsulaten. Tänze und Bälle hielten Einzug in den Bukarester Salons, während manch eine Bojarentochter sich einem der fremden Offiziere zur Verfügung hielt (178). So begannen überkommene Normvorstellungen sich einem neuen Zeitgeist anzupassen. Der Wandel erfasste zuerst die Bojaren und die städtische Oberschicht, dann Kaufleute und Handwerker und die städtischen Unterschichten, um mit Verzögerung schließlich auch das Bauerntum 638 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen zu erreichen. So lassen sich in allen sozialen Schichten Veränderungen konstatieren, die Ghimlescu in ihrem resümierenden Schlusswort (245-251) zusammenfasst. Scheidungen nahmen im frühen 19. Jh. zu, ökonomische Faktoren traten gegenüber Emotionen als Gründe für das Eingehen einer Beziehung zurück, und allgemein nahm der Grad der In dividualisierung und die Unabhängigkeit von der Familie zu, was sich etwa in der größeren Freiheit der Frauen bei der Partnerwahl äußerte. Kirchliche Vorgaben wie Jungfräulichkeit, frühe Heirat, Treue und Unterordnung der Frau unter den Mann verloren an Bedeutung, während außereheliche Beziehungen häufiger wurden. Der Kirche begann im untersuchten Zeitraum die juristisch-moralische Kontrolle über den Bereich der Ehe und der Sexualität zu entgleiten. Der Klerus reagierte darauf bloß mit unzähligen Ermahnungen, die auf die überkommene Ordnung verwiesen, ließ die Popen im alltäglichen Machtkampf auf lokaler Ebene aber allein. Dank intensiven Quellenstudiums kann Ghimlescu bei ihren Ausführungen aus dem Vollen schöpfen und sehr anschaulich anhand von Einzelschicksalen verschiedenste Facetten menschlicher Zuneigung — juristische, emotionale, sexuelle, materielle, moralische, sozia le - au Izei gen. Gelegendich drohen die Schilderungen jedoch in einen literarischen Stil zu verfallen, wobei dann nicht immer klar hervorgeht, was sich quellenmäßig belegen lässt und was der Phantasie der Autorin entsprungen ist. Wünschenswert wäre es auch gewesen, wenn die Autorin ihre Erkenntnisse in prägnantere Schlussfolgerungen gekleidet hätte. Bei der
gelegentlich eingestreuten Rezeption der französischen Historiographie überträgt sie zudem Thesen manchmal gar unkritisch und unreflektiert auf den rumänischen Kontext. Hier wäre eine kurze systematische Reflexion des Forschungsstandes und der methodi schen Debatten ֊ sowohl für den rumänischen wie für den französischen Fall - hilfreich gewesen. Inwiefern nur summarisch angeführte (etwa 129) und in der Wissenschaft nicht kritiklos gebliebene Konzepte wie etwa das von Norbert Elias zum Prozess der Zivilisation im vorliegenden Kontext erkenntnisfördernd sind, wird nicht thematisiert. Insgesamt ist Ghimlescu aber ein sehr lesenswertes Buch gelungen, das eine wichtige Lücke in der rumänischen Historiographie zu schließen hilft und dank der reichhaltigen Quellenbelege zahlreiche wertvolle Einsichten in den Alltag der walachischen Gesellschaft im Zeitraum von der Mitte des 18. Jh.s bis 1830 liefert. Zürich Daniel Ursprung 1 Stellvertretend sei hier nur auf folgende beiden Monographien verwiesen: Liliana Andreea Vasile, Să nu audă lumea. Familia românească ín Vechiul Regat. Bucureşti 2009; Violeta Barbu, De bono coniugali. O istorie a familiei din Ţara Românească în secolul al XVTI-lea. Bucureşti 2003. 2 Constanţa Ghituleseu, In şalvari şi cu işlic. Biserică, sexualitate, căsătorie şi divorţ în Ţara Românească a secolului al XVIII-lea. Bucureşti 2004. Südost-Forschungen 68 (2009) 639
Rezensionen Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Péter Krisztián Zachar, Ellenforradalom és szabadságharc. Az 1848. őszi nyílt dinasz tikus ellenforradalmi fordulat politikai-katonai háttere (szeptember 29. - december 16.) [Konterrevolution und Freiheitskampf. Der politisch-militärische Hintergrund der dynastischen, offen konterrevolutionären Wende im Spätherbst 1848 (29. September- 16. Dezember)]. Budapest: L’Harmattan 2008. 224 S., ISBN 978-963-236-131-4, HUF 2300,Im Leben jeder Nation gibt es Jahre, die in der Geschichte der Nationalidentität eine entscheidende Rolle spielen. Die Erforschung dieser Jahre findet größere Aufmerksamkeit als andere Epochen, da auf die Ergebnisse und Neuigkeiten der Recherchen ein weitaus breiteres (National-)Publikum wartet. In der Historiographie Ungarns stellt die Revolution 1848/1849 eine besonders wichtige Station dar. Die Geschichte dieser beiden Jahre ist auch deswegen interessant und speziell, weil sie nicht nur einen Höhepunkt in der Entwicklung der ungarischen Nationalidentität bedeuten; die ungarische Revolution und der darauf folgende Freiheitskampf spielten - wenn auch mit verschiedenen Vorzeichen — selbst im Nationswerden der verschiedenen Nationalitäten des Königreichs Ungarn eine wichtige Rolle. Die Voraussetzungen zur Erforschung dieser Mikroepoche sind aus der Sicht der Historiker ideal: Sie ist nicht nur einfach gut dokumentiert, sondern besonders reich an Quellen, die eine vielseitige und vergleichende Bearbeitung der verschiedenen politischen, gesellschaftlichen, militärischen usw. Geschehnisse und Tendenzen ermöglichen.
Péter Krisztián Zachar war ein Nachwuchswissenschaftler, der die Tradition der Forschung der ungarischen Militärgeschichte von Haus aus mitbringt, da sein Vater, József Zachar, einer der ausgewiesenen Experten dieser Disziplin ist. Sein erster Band befasst sich mit einer bislang wenig erforschten Epoche des Revolutionsjahres 1848 und ist eine weiterentwickelte Version der Dissertation des Autors. Die Arbeit beschäftigt sich mit einem zwar relativ kurzen, aber bestimmenden Zeitab schnitt der gemeinsamen österreichisch-ungarischen Geschichte, den Ereignissen der Revo lution und des Freiheitskampfes im Herbst des Jahres 1848. Es wird vor allem untersucht, wie aus den beiden großen Zentren der politischen und militärischen Konterrevolution, aus dem kaiserlichen Hofstaat in Olmütz und der Kaiserstadt Wien, die nach der Okto berrevolution gezüchtigt und befriedet worden war, die endgültige Abrechnung mit der revolutionären Leitung der Heiligen Krone Ungarns vorbereitet worden ist. Der Band versucht unter Einbeziehung der österreichischen Archivquellen (HHStA, KA) und der reichen Literatur der Revolutionsjahre 1848/1849 die Ereignisse zwischen September und Dezember 1848 in neues Licht zu rücken. Das Hauptaugenmerk liegt dabei darauf, die Meinung und Politik der tragenden Persönlichkeiten, und in Verbindung dazu die bislang nicht vollends aufgearbeiteten Ereignisse der Haupt- und Nebenkriegsschauplätze (in West- und Nordungarn) vorzustellen. Hierfür war der Autor bemüht, einige Detailfragen zu klären und damit eine bislang nicht genug beachtete Zeitspanne der ungarischen
Revolution darzustellen. Die Vorstel lung der beiden „konterrevolutionären Zentren“, Olmütz und Wien, die unterschiedliche 640 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Situationsbeurteilung, die divergierenden Meinungen und die Zusammenstöße der unter schiedlichen Politikkonzeptionen der beiden Hauptfiguren (Schwarzenberg und WindischGrätz) tragen hoffentlich zu einem ausgeglicheneren Bild der Epoche bei. Die dargestellten Persönlichkeiten und politisch-militärischen Ereignisse können ganz sicher auch in weiteren Arbeiten verwendet werden und dazu beitragen, die Ereignisse des Herbstes und Winters 1848 in Überblicksdarstellungen detaillierter als bislang zu behandeln. Dadurch kann der interessierte Leser auch ein differenzierteres Bild über die einander gegenüberstehenden politischen und militärischen Entwicklungen in den Anfangsmonaten des wohlbekannten ungarischen Freiheitskampfes erhalten. Der Verfasser stellt die neuesten Ergebnisse der österreichischen und ungarischen His toriographie einander gegenüber. Er verfährt mit den Archivalien ebenso: Die Angaben der zeitgenössischen Quellen werden ständig miteinander konfrontiert, und so versucht Zachar, eine mehr oder weniger haltbare Chronologie der Herbstereignisse des Jahres 1848 aufzustellen und die Geschehnisse zu analysieren. Die Ereignisse sind in mehreren parallel laufenden Gedankenlinien dargestellt und in einen breiteren historischen Kontext gut eingeordnet. Die Analysen berühren auch solche Teilthemen, die unsere Kenntnisse aufjeden Fall bereichern. Zachar weist oft auf die Schwie rigkeiten der Kommunikation in der Mitte des 19. Jh.s hin, die für die zeitgenössischen Politiker und militärischen Leiter einen sehr unberechenbaren Faktor bedeuteten. Es ist auch sehr
spannend zu sehen, wie die bei ungarischen Regimentern dienenden Militäroffiziere der k.k. Armee im Jahre 1848 zweimal vor einem Scheideweg standen: Infolge der April gesetze wurden ihre Truppenkörper dem ungarischen Kriegsminister untergeordnet, aber gleichzeitig waren sie durch ihren Eid an den König, der zugleich Kaiser des Reiches war, gebunden. Die überwiegende Mehrheit der Offiziere politisierte früher gar nicht, deshalb waren sie oft gar nicht erst in der Lage, sich in den chaotischen Geschehnissen des Jahres 1848 zurechtzufinden. Der entscheidende Zeitpunkt kam aber für jeden einmal im Laufe des Jahres 1848, als man - im Besitz der zur Verfügung stehenden Informationen und Er fahrungen - die Entscheidung darüber treffen musste, ob man die Treue zum Monarchen oder den Dienst für die Nadon im Freiheitskampf wählt. Aus dem Buch geht eine weitere beachtenswerte Tatsache hervor, und zwar, welch intensive und rege Korrespondenz der Wiener Hof mit Sankt Petersburg über die poten tielle Intervention Russlands schon im Herbst des Jahres 1848 führte. Aus der Sicht der ungarischen Militärgeschichte ist ebenfalls interessant, dass in den Zusammenstößen der ersten Monate, in den Erfolgen der ungarischen Honvéd-Armee (oder in der Vermeidung größerer Niederlagen), die Husaren-Regimenter eine entscheidende Rolle spielten. In den Anlagen des Buches findet der Leser anhand zeitgenössischer Quellen rekonstruier te Schlachtordnungen und drei farbige Landkarten. Eine solche Arbeit, die in verschiedenen Angaben so reich ist, braucht jedoch ein Personen-, Orts- und Sachregister, die
in diesem Buch fehlen. Ohne diese Register ist die Orientierung in konkreten Fragen sehr schwierig. Ab und zu kommt es vor, dass sich die Aussagen einiger Abschnitte in dem zur Verfügung stehenden Reichtum der Quellen verlieren. Es wäre wünschenswert, wenn diese Abschnitte (oder ein Teil der Fußnoten) weniger Angaben enthalten würden. Die Ausdrucksweise des Südost'Forschungen 68 (2009) 641
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Buches ist anspruchsvoll und gewählt, deshalb ist es bedauerlich, dass der Verfasser die Leser hin und wieder ex cathedra oder mit hintergründigem Pathos anredet. Als Fazit kann man festhalten, dass die Arbeit den erforschten Zeitraum auf einem hohen Niveau analysiert; es wäre wünschenswert, wenn die neuen Erkenntnisse der Forschungen von Zachar auch in einem deutschsprachigen Aufsatz veröffentlicht werden könnten. Sollte in Zukunft eine zusammenfassende Monographie über die Militärgeschichte Ungarns des 19. Jh.s publiziert werden, wird sich der Name von Péter Krisztián Zachar ganz bestimmt unter den Namen der Verfasser finden. Budapest Krisztián Csaplár-Degovics András Vari, Herren und Landwirte. Ungarische Aristokraten und Agrarier auf dem Weg in die Moderne (1821-1910). Wiesbaden: Harrassowitz 2008 (Studien zur Sozi al- und Wirtschaftsgeschichte Ostmitteleuropas, 17). 273 S., 15 Abb., 19 Tab., ISBN 978-3-447-05758-5, € 38,Der ungarische Wirtschafts- und Sozialhistoriker András Vári legte 2008 diese aus führliche Studie vor. Das Buch erscheint als Band 17 der Reihe „Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Ostmitteleuropas“ - erstmals - im Harrassowitz Verlag Wiesbaden und setzt somit in modifizierter Form die Reihe „Frankfurter Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Ostmitteleuropas“ fort, deren Bände 1 bis 16 im Berliner Wissenschafts verlag erschienen. Der neue Verlag, Harrassowitz, legt einen bestens redigierten, technisch und optisch einwandfreien Band auf hochwertigem, gestrichenem Papier vor. Einziger Kritikpunkt ist
die Auswahl zweier Abbildungen. Das Blut-und-Boden-Propagandabild „Ernte auf goldwogenen Kornfeldern“ aus einem Budapester Touristenkalender aus dem Jahr 1940 (!) ist fehl am Platz. So auch das (wenn auch sehr aparte) Titelbild, das die Wei zenernte mit Hilfe eines Diesel-Mähdreschers aus den 1920er Jahren zeigt. Diese Art der Mechanisierung und Produktivitätssteigerung ist ein Vorgriff auf das 20. Jh. und spiegelt in keiner Weise den Arbeitsalltag oder Anlageninvestitionen des 19. Jh.s wider. András Vâris Studie ist das Ergebnis etwa zehnjähriger Recherchen, die 2006 zur Ha bilitation an der Universität Debrecen führten und deren deutscher Version, die von der ungarischen abweicht, Forschungsaufenthalte an der Humboldt-Universität und an der Viadrina in Frankfurt/Oder vorausgingen. Die Agrargeschichte des 19. Jh.s ist ein weites Feld. Sie ist im Zeitalter der Revolutionen, der politischen wie der wirtschaftlichen, ein exemplarisches Stück Wirtschaftsgeschichte, aber auch weit mehr als das. Agrarproduzenten waren mit fortgesetzten heftigen Preisschwankungen, sogar „Preisrevolutionen“ konfrontiert. Das volatile Preisverhalten war in den vielen Auf- und Abschwungphasen im kapitalistischen 19. Jh. ungebremst und wurde von der Mehrheit der Produzenten als Achterbahn wahrge nommen, der sie ausgeliefert waren. Tatsächlich waren die Ursachen vielfältig und durch das Regiment von Angebot und Nachfrage für den Einzelnen immer nur teilweise in den 642 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Griff zu bekommen. Als technischer Faktor waren Saatgut, Düngemittel und (fehlender) Schutz gegen Schädlinge und Seuchen entscheidend. Wirtschaftliche Faktoren waren die massive Ausweitung der Produktionsflächen durch Trockenlegungen von Feuchtgebieten ֊ im ungarischen Fall zwischen Donau und Theiß — und der Preissturz der Transportkosten, da die Eisenbahn auch die Ernten der abgelegensten Anbaugebiete rasch zu den städtischen Verbrauchern brachte. Finanzielle Faktoren waren die asymmetrische Verfügbarkeit von Kapital, vor allem der Aufstieg von Industrie- und Finanzkapital und damit verbunden die schleichende Marginalisierung des Agrarkapitals. Soziale Faktoren waren unter den Eliten die Konkurrenz zwischen Grundbesitzern und Industriekapitalisten, zwischen Grundbe sitzern und professionellen Wirtschaftbeamten, sowie auch die ständig drängende soziale Frage. Es war im Interesse der Herren und Landwirte in Ungarn (wie auch andernorts), das wachsende und zur Revolte neigende ländliche Proletariat unter Kontrolle zu halten. Vor diesem Panorama leistet Vâris Studie Herkulesarbeit, in dieser Gemengelage die Interessen der divergierenden Akteure nachzuzeichnen und dabei trotzdem die Übersicht zu bewahren. Sie zieht an drei Strängen, wobei die ersten beiden oben bereits angerissen wurden: einer ist die Wirtschaftsgeschichte, ein zweiter die Neubestimmung sozialer Rollen, die mit dem Aufstieg des Industriekapitals einsetzt. Der dritte Strang ist genauso sozialge schichtlich orientiert: Er analysiert die zunehmende Professionalisierung des Sektors durch
Wirtschaftsbeamte, denen viele Güterverwaltungen unterstehen, sowie die Gründung von Vereinen. Andras Vári identifiziert vier Perioden: die erste von 1821 bis 1848, die zweite bis 1878, die dritte bis 1894, und die vierte und letzte bis 1910. Er wählt damit eine Periodisierung, die weniger politisch als wirtschaftsgeschichtlich geleitet ist. Das Jahr 1867, mit dem durch den Ausgleich die Eigenständigkeit des Königreichs Ungarn begann, war für die Agrarelite keine nennenswerte Zäsur und wird somit ohne Weiteres in die zweite Phase eingearbeitet. Die Phase bis 1848 wird in der ungarischen Geschichtsschreibung gerne als die „Re formzeit“ apostrophiert. Dies gilt auch für die Verwaltung von Agrargütern. Im Geist der Aufklärung öffnen sich ungarische Aristokraten gegenüber dem Rat von Wirtschaftsbeamten und einer damit verbundenen Professionalisierung, die unter anderem in Vereinsgründungen ihren institutioneilen Ausdruck findet. Die lange zweite Phase von 1848 bis 1878 - eine Periode des Wirtschaftsaufschwunges - beschreibt die Dominanz der Herren im Vergleich zu ihren dienstbaren Geistern. Der jährliche Profit war den kostenbewussten kapitalistischen Magnaten das Leitmotiv, zu Lasten langfristiger Modernisierungen, die eine immer besser ausgebildete, jedoch abhängige Beamtenelite in Vorschlag brachte, ohne damit Erfolg zu haben. Ein Einschnitt waren die späten 1870er und die 1880er Jahre (dritte Periode), als sich die Preise auf Talfahrt begaben und die Angst vor dem Kapitalismus und dem Weltmarkt zweierlei Konsequenzen anzeigte: Reformen, initiiert von einigen jüngeren
Aristokraten, verbunden mit anhaltender Treue mit dem liberalen Lager, dem die Agrarier ihren wirt schaftlichen Erfolg der vorhergehenden Dekaden zu verdanken hatten oder Abschottung vom Weltmarkt (und innenpolitisch vom Industriekapital) durch Reformresistenz und Propagierung einer ausgeprägten Schutzzollpolitik. Letzteres setzte sich durch (vierte Pe riode), dominierte die Agenda der Herren und Landwirte und manifestierte sich auch in Bestrebungen, eine eigene konservative Agrarpartei zu gründen. Im Lichte der Zeitspannen Südost-Forschungen 68 (2009) 643
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 ist es spannend zu lesen, wie politisches und wirtschaftliches Interesse auf faszinierende Weise konvergieren und divergieren. So war es Druck in den Perioden eins und drei - im Vormärz und während der Agrarkrise ֊, als politische Macht nur eingeschränkt vorhanden war beziehungsweise die wirtschaftliche Macht aus dem Ruder lief, in denen kapitalistische Unternehmer offen waren für Reformen. Umgekehrt waren es die Perioden zwei und vier, als sich politische Macht konsolidierte beziehungsweise eine tradierte Position zu verteidigen war, die zu einer Politik der Abkapselung und der Reformverweigerung führten. Der Abschnitt „Die Agrarkrise und die Belastungen der Landwirtschaft“ (108-114) ist ein exemplarisches Stück Wirtschaftsgeschichte und erörtert Kosten und Erträge am Höhepunkt jener Krise, als Preise ins Bodenlose zu fallen schienen. Vári schreibt bereits in der Einleitung, dass unter Grundbesitzern in dieser Zeit die „helle Panik“ (21) ausbrach; eine Erkenntnis, die er mit seinem deutschen Kollegen Hans-Ulrich Wehler teilt, der in seiner Gesellschaftsgeschichte Deutschlands zu den Depressionen der 1870er und 1880er Jahre Ähnliches festhielt und allgemeiner formuliert, dass Statistiken, die einen längeren Zeitraum nachzeichnen (und einen etwaigen Rückgang anzeigen), uns Nachgeborenen in einem viel milderen Licht erscheinen, als sie von den involvierten Akteuren damals wahr genommen wurden. Mit Hilfe zeitgenössischer Daten kann András Vári nachweisen, dass die Preise absolut tatsächlich durch dreißig Jahre - bis 1908 ֊ stagnierten. Relativ
besehen jedoch konnte die Produktivität pro Hektar (bzw. pro Flächeneinheit) erhöht werden, die den Verlust durch den schwachen Preis wieder wettmachte. Eine detaillierte Analyse der Steuerlasten zeigt weiter, dass die Agrarier durch ihren Einfluss auf die Regierungen jener Zeit in der Lage waren, Steuerbelastungen zu modifizieren, und zwar so, dass kleinere Landwirte relativ stärker belastet wurden (112). Später nützten Agrarier ihren Einfluss auf die regierenden Liberalen, um eine Schutzzollpolitik zu fordern. Dies erfolgte jedoch erst ab den 1880er Jahren (145-153). Die Ursachen für die Panik sind wohl anderswo zu suchen, und Vári findet einen wunden Punkt: die Verschuldung der Großgrundbesitzer. Hier ergeht sich der Autor in naheliegenden wie klugen Hypothesen, denen leider keine eingehende Erörterung folgt. Unkluge Landkäufe zu oft überhöhten Preisen waren ein Grund. Unzureichende Ertragskalkulationen führten zu akkumulierten Belastungen, die über Jahre mitgezogen wurden. Dies fand lange in einem mit Mängeln behafteten Bank wesen statt, das von jederzeit kündbaren Krediten und teils überhöhten Zinsen geprägt war. Die mangelhafte Professionalität in Wirtschaftsfragen war zudem off verbunden mit einem sozialen Faktor: der verschwenderischen Lebensweise, die den Aristokraten und der Gentry angemessenen erschien. In Zeiten der Krise war es also kein Wunder, dass den hoch verschuldeten Herren die Luft auszugehen drohte. Im abschließenden Kapitel geht es dem Autor noch einmal um das zweite und dritte seiner eingangs konstatierten Anliegen. Wie änderten sich die sozialen
Rollen der Agrarier beziehungsweise der Wirtschaftsbeamten und der Agrarintelligenz nach den als Achterbahn fahrt wahrgenommenen Preisen, finanziellen Belastungen, einsetzenden hohen Schutzzölle und einer zunehmenden Professionalisierung im Agrarsektor (Abschnitt „Herren und Landwirte ֊ die Aristokraten, die Wirtschaffsbeamten und die ,Agrarintelligenz1“, 221241)? András Vári kann überzeugend nachzeichnen, wie die Aristokraten gesellschaftliche Führungspositionen nach und nach mit aufsteigenden Gruppen teilen mussten, ein Um644 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen stand, der die begüterten Herren vor neue Herausforderungen stellte: „Führungsanspruch, Wirtschaft und Einfluss behutsam zu modernisieren erforderte in den allermeisten Fällen, in dieser modernen Welt Partner und Handlanger zu finden“ (225). Desgleichen geschah, der Autor weist jedoch auf die Heterogenität der Gruppen und die Komplexität hin, wenn es um die Suche nach neuen Rollen ging. Es gab gebildete Aristokraten wie etwa die Grafen Széchényi, Dessewffy, Pallavicini und Mailáth, die die soziale Frage und gesamtstaatliche Fragen, etwa Verschuldung, im Blick hatten und zu diskutieren bereit waren, während andere ausschließlich blanke Interessenpolitik als kapitalistische Großgrundbesitzer mach ten. Im Aufstieg begriffen war die „Agrarintelligenz“ (229), deren Abhängigkeit von den Herren im Laufe der Zeit geringer wurde durch den Aufstieg alternativer und teilweise in Konkurrenz stehender Institutionen wie Vereine und Ministerien, Fachräte und die Presse. In diesem für die Oberschichten trotz aller Probleme recht heiteren Spannungsfeld in den letzten Jahren des ancien régime klingt dieser lesenswerte Band von András Vári aus. Sein Verdienst ist es, Erde umgegraben zu haben. „Herren und Landwirte“ ist ein Dokument dafür, dass die Anliegen der Aristokraten und Landbesitzer kein monolithischer Block waren, sondern in Maßen divergierten. Dieser Komplexität und Differenziertheit wird die Studie in jeder Hinsicht gerecht. Budapest Christopher Walsch Johannes Berchtold, Recht und Gerechtigkeit in der Konsulargerichtsbarkeit. Bri tische Exterritorialität im
Osmanischen Reich 1825-1914. München: Oldenbourg Verlag 2009 (Studien zur internationalen Geschichte, 22). 317 S., 3 s/w-Abb., ISBN 978-3-486-58946-7, € 49,80 Seit etwa 15 Jahren ist die Rolle der europäischen Ausländer im späten Osmanischen Reich wieder ein beliebtes Forschungsthema. Während die ältere Literatur meist von einem starken zivilisatorischen Gefälle zwischen den Ausländern und der alteingesessenen Bevöl kerung ausging und häufig den Europäern a priori Ausbeutung der Ortsansässigen vorwarf, zeichnet sich die neuere Forschung dadurch aus, dass sie durch detaillierte Lokalstudien ein weitaus komplexeres Bild zeichnet, das unter anderem Interaktion und Akkulturation sichtbar macht und mitunter die Opposition von europäisch und orientalisch in Frage stellt. An diese Forschungstradition sucht die Dissertation von Johannes Berchtold anzuschlie ßen. Die Konsulargerichtsbarkeit war einer der Eckpfeiler der sogenannten Kapitulationen, den rechtlichen Sonderregelungen, denen viele Ausländer auf osmanischem Boden unter standen: In vielen Fällen wurde über sie nicht durch die örtlichen Gerichte, sondern durch das Konsulat ihres Heimatlandes Recht gesprochen. Bekannt ist die Konsulargerichtsbar keit vor allem aus antiimperialistischen Polemiken, die sie als Verletzung der nationalen Souveränität darstellten. Berchtolds Anliegen ist es, die exterritoriale Rechtsprechung unvoreingenommen zu untersuchen und sich dabei auf die Praxis zu konzentrieren, im Südost-Forschungen 68 (2009) 645
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Gegensatz zu älteren, meist mit normativen Texten operierenden Studien. Entsprechend basieren seine Quellen überwiegend auf Prozessakten der britischen Konsulargerichte von Smyrna (Izmir) und Konstantinopel (Istanbul). Dennoch befasst sich das erste Kapitel zunächst mit dem Wortlaut der britisch-osmanischen Verträge und der Londoner Gesetzgebung bezüglich der Konsulargerichtsbarkeit und das zweite mit dem Aufbau der Gerichtsinstitutionen. Bereits hier vermag Berchtold, einige gängige Annahmen über die exterritoriale Rechtsprechung zu widerlegen, beispielsweise die Behauptung, die Konsulate hätten an der Ägäis englisches Recht 1:1 umgesetzt: Die Übernahme und Anwendbarkeit englischen Rechts wurde ab 1843 in Kronakten geregelt. Das angewandte Recht stellte insofern eine Mischung aus ortsüblichen Traditionen, engli schem Recht und britischem Kolonialrecht dar (61-65, 104-113). Eine andere widerlegte Behauptung betrifft die osmanischen Untertanen unter britischem rechtlichen Schutz (,beratli): Anders als gemeinhin behauptet zeigt Berchtold, dass die Zahl dieser Personen, die ebenfalls das Objekt von souveränitätsbezogenen Polemiken wurden, im britischen Fall vernachlässigbar gering war (71-77). Auch waren die Untertanen der Kapitularmächte keineswegs gänzlich von osmanischer zivil- oder strafrechtlicher Verfolgung befreit: Die Zuständigkeitsfrage war zumindest in der Theorie für verschiedene Fälle klar geregelt, wenn auch in der Praxis Kompetenzen aufgrund der komplizierten rechtlichen Lage sich häufig überlappten. Im dritten Kapitel kommt
Berchtold schließlich zu seinem Kernanliegen, der Untersu chung der Rechtsprechungspraxis. Anhand der untersuchten Fälle komme er zu dem Schluss, dass das Ziel der Gerichte keineswegs der Schutz der eigenen Untertanen vor zivil- oder strafrechtlichen Konsequenzen war. Vielmehr sollte gegenüber den osmanischen Untertanen und den anderen Ausländern eine mustergültige Rechtsprechung demonstriert werden, die auch eine angemessene Bestrafung der eigenen Landsleute mit einschloss (159). Im vierten Kapitel hingegen steht die Frage nach der Akzeptanz der Konsulargerichtsbar keit in den britischen „Kolonien“ vor Ort im Vordergrund. Nach Berchtold rebellierten die ortsansässigen Kaufmannsfamilien gegen die schleichende Transformation einer stärker an lokalen Gebräuchen orientierten Rechtspraxis hin zu einer durch London erlassenen Form; als Teilerfolg konnte die Einführung von Schöffenprozessen nach 1861 betrachtet werden. Das fünfte Kapitel schließlich widmet sich der Interaktion mit anderen Konsulargerichten und den osmanischen Institutionen, hierunter auch den gemischt osmanisch-europäischen Zivil- und Handelsgerichten (Mahkeme-i Ticaret), die ebenfalls noch keiner neueren aus führlichen Besprechung unterzogen worden sind. Obwohl der Autor in der judikativen Interaktion tatsächlich eine gewisse nationale Voreingenommenheit und Verfahrenskniffe zugunsten von Landsleuten ausmacht, bilanziert et, dass die rechtlich äußerst komplizierte bis widersprüchliche Kooperation der verschiedenen Rechtssysteme letztendlich vergleichs weise gut funktioniert habe. Berchtold löst die selbst
gesetzte Aufgabe überzeugend und auf guter Quellenbasis. Die Frage bleibt jedoch, ob bei einer weiter gefassten Fragestellung nicht eine größere Aussagekraft hätte erreicht werden können. Zu fragen wäre nicht so sehr, ob die Konsu largerichtsbarkeit gemessen an ihren eigenen Maßstäben funktionierte, sondern wo sie nicht oder nicht zweckmäßig funktionierte und was dies über die osmanische Hafenstadt646 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen gesellschaft und die ausländische Präsenz in ihr aussagt. Mehrere mögliche Diskussionen werden angedeutet, aber der Autor lässt sich auf keine von ihnen näher ein. Dies ist umso erstaunlicher, da er zahlreiche der innovativen Studien zu Ausländern in der Levante an führt. Insbesondere hätte sich eine intensivere Erörterung der Frage empfohlen, inwiefern sich die Konsulargerichtsbarkeit zumindest ihrem Anspruch nach in ein kolonialistisches Suprematiestreben einfügt. Wenn es im grundlegenden „Foreign Jurisdiction Act“ heißt, es soll Recht gesprochen werden „in the same and as ample a Manner as if Fler Majesty had acquired such Power or Jurisdiction by the Cession or Conquest ofTerritory” (63), so muss die Konsulargerichtsbarkeit in den Kontext eines tendenziellen Weltherrschaftsanspruchs gerückt werden. Gleichfalls stellt sich die Kolonialfrage im Hinblick auf die Mehrheit der Malteser unter den britischen Untertanen auf osmanischem Boden, die, wie Berchtold beobachtet, als Untertanen zweiter Klasse behandelt wurden: So war beispielsweise kein ein ziger Geschworener im gesamten Untersuchungszeitraum maltesischer Abstammung. Wenn Berchtold hingegen dennoch behauptet, „Konsulargerichtsbarkeit war in hohem Maße identitätsstiftend, weil es unter ihrem Regime zwingend war zu bestimmen, wer innerhalb und wer außerhalb ihres Einflussbereichs stand“ (189), so scheint dies erklärungsbedürftig, zumal er gleichzeitig positiv Bezug nimmt auf Oliver Jens Schmitt und Marie-Carmen Smyrnelis, die eine tiefere Verbundenheit der levantinischen Bevölkerung mit nationalen
Identitäten in Abrede stellen.1 Ferner wird die Frage nach der Stigmatisierung, Überwachung und Normierung der Subjekte durch Kriminalisierung nicht gestellt, obwohl auch dies bereits erfolgreich für den mediterranen Kontext und insbesondere die dortigen Ausländer diskutiert worden ist.2 Vagabunden, Betrüger, Prostituierte und Menschenhändler mit Pässen einer der Großmächte (insbesondere britische Untertanen maltesischen Ursprungs) sorgten unter Zeitgenossen für viel Aufsehen und waren ein beliebtes Streitobjekt zwischen den Botschaftern und der Hohen Pforte. Hier wäre Kriminalität nicht als Konstante, sondern als Ergebnis bestimmter hegemonialer, sozialer und diskursiver Prozesse ein interessantes Untersuchungsfeld gewesen. Stattdessen fallen im Text mehrere unkritische Verwendungen kriminalistischer Sprache auf.3 Nichtsdestotrotz bietet die Studie einen genauen Blick auf die Funktionsweise eines wichtigen Elements der europäischen Präsenz im späten Osmanischen Reich und emp fiehlt sich als Einführung wie auch Nachschlagewerk zu zahlreichen Fragen bezüglich der exterritorialen Rechtsprechung. Istanbul Malte Fuhrmann 1 Marie-Carmen Smyrnelis, Une société hors de soi. Identités et relations sociales à Smyrně aux XVIIIe et XIXe siècles. Paris, Leuven 2005; Oliver Jens Schmitt, Levantiner. Lebenswelten und Identitäten einer ethno-konfessionellen Gruppe im Osmanischen Reich im „langen“ 19. Jahrhundert. München 2005. 2 Eugene Rogan (Hg.), Outside In. On the Margins of the Modern Middle East. London 2002; Will Hanley, Foreignness and Citizenship in Alexandria, 1880-1914
(unveröffentlichte Dissertation, Princeton-Universität 2007). 3 Beispielsweise „trieben notorische Vagabunden in den Hafenquartieren von Galata und Smyrna ihr Unwesen“ (140) oder „Rädelsführer“ (210). Südost-Forsch un gen 68 (2009) 647
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Meropē Anastasiadu, Θεσσαλονίκη 1830-1912· Mta μητρόπολη την εποχή των Οθωμανικών μεταρρυθμίσεων [Thessaloniki 1830-1920. Eine Metropole zur Zeit der Osmanischen Reformen], Übers. Basilēs Patsogianněs. Athen: Hestia-Verlag 2008. 656 S., Km., Statistiken, Diagramme, ISBN 978-960-05-1359-2, € 33,50 Es handelt sich um die griechische Übersetzung der französischen Monographie „Salonique, 1830-1912. Une ville ottomane à l’âge des Réformes“1 samt neuem Prolog (11-23), die 2006 in Straßburg verfasst wurde; auf die inzwischen erschienene Literatur wird hinge wiesen.2 Die Monographie beschäftigt sich vorwiegend mit der griechischen Bevölkerung, die, neben den Slawophonen, unter der christlichen Population tonangebend gewesen ist. Die hebräischen Dokumente zur Stadtgeschichte sind erst kürzlich in Russland aufgefunden worden und harren in Tel Aviv der Auswertung. Thessaloniki war eine Art Musterstadt des tanzimat der „alafranga“-Epoche; dort waren in den letzten Jahrzehnten des 19. Jh.s auch die Truppen des Osmanischen Reiches stationiert, und von dort nahm auch die Jungtür kische Revolution ihren Ausgang. Die Einleitung (25-76) wendet sich vor allem methodischen Fragen der Stadtgeschichte von Thessaloniki zu: Forschungslage und urbane Strukturen; Wirtschaft (Handel, Manu fakturen, Industrie); Architektur und Stadtbild; schließlich die Quellenfrage (französische Archive, Lokalarchive, Periodika, salname, Register usw.). Der Aufbau der Arbeit folgt den chronologischen Kriterien einer Phasenabfolge und versucht das Bild einer systematischen
Alltagsgeschichte zu geben. Der erste Teil beschäftigt sich mit dem Beginn der tanzimat-Periode (77-134): die Haupt charakteristika des urbanen Bereichs (Mauern, Hafen, Kulträume: Kirche, Moscheen und Koran-Schulen, Synagogen); die Bevölkerungsgruppen (Juden, Christen, Muslime); die Fragilität der Bürgerschicht (Brände, Wasserverteilung, Epidemien). Der zweite Teil ist dem neuen Gesicht der Stadt in der Zeit der Reformen gewidmet (135-286): wirtschaftlicher Aufschwung und Wachstum (Verbesserung der hygienischen Verhältnisse, demographische Bewegungen); die ersten Vororte; Gesundheitswesen und Ordnung (bürgerliche Verwaltung, Schleifen der Stadtmauern, neuer Hafen, die Rückseite des Fortschritts); Verbesserung des Alltagsleben (Trinkwasserversorgung, Gas, Straßenbahn, Eisenbahn); die Gebäude der Modernisierung (Schulen, Banken, Hotels und Kaffeehäuser, Luxusgeschäfte, Fabriken). Der dritte Teil wendet sich dem Haushaltswesen der breiten Bevölkerung zu (287-418): die „Spuren“ der gewöhnlichen Menschen (Inventurlisten der Verstorbenen im islamischen Gerichtswesen, im französischen Konsulat); das Haushaltswesen zu Beginn des tanzimat (Demographie und Wirtschaftsprofil, Inventurlisten, Manufakturen, Reisende, die isla mische Hausfrau an der Peripherie); das Haushaltswesen um 1900 (Demographie und Wirtschaftsprofil, Inventurlisten, Militärs und Militärbürokratie, öffentliche Bedienstete, Handwerker, Verstorbene in Absteigen oder Krankenhäusern); Einblicke in die französi sche Kolonie (ökonomische und soziale Charakteristika, Wohnkukur, Haushaitswcsen, Fallbeispiele). Der
vierte Teil führt den Titel „Eine Gesellschaft im Umbruch“ (425-580) und geht auf folgende Themen ein: die Welt des Marktes und der sogenannten traditionellen Berufe (osmanische Quellen, Berufe, „geschlossene“ Berufe der Muslime, Christen und Juden, 648 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Verteilung, Privilegien); das Berufswesen um 1900 (Manufakturen, Frühindustrie, öffent licher Dienst, freie Berufe, Rechtsanwälte, Gesundheitswesen); die „gute Gesellschaft“ der Stadt um 1900: Identität und Lebensstil (um 1840, um 1900, Geselligkeit und Reisen, Clubs, Vereinswesen, Logen, Wohltätigkeit, Almosen) ; die Stadt während der Balkankriege (Abspaltung der bulgarischen Kolonie, 1890-1908 als Epoche des Chauvinismus, Gewaltakte in der Stadt, 1908-1912 die Jungtürkische Revolution und der Anschluss an Griechenland). Es folgt noch eine Zusammenfassung (581-600): bürgerliche Entwicklung; der Weg zur Provinzhauptstadt; gesellschaftliche Entwicklungen; Änderung des Haushaltsprofils; Spuren der osmanischen Zeit in der griechischen Co-Metropole. Den Band beschließen eine ZeittabeUe 1808-1912 (601-610), ein Quellenverzeichnis (611-613), eine ausführli che Bibliographie (615-636) und ein Generalregister (637-656). Der umfangreiche Band ist zügig zu lesen und bildet einen wichtigen Baustein zur Stadtgeschichte Thessalonikis während des 19. Jh.s. Athen, Wien Walter Puchner 1 Leiden 1997 (Diss. bei der EHESS 1995). 2 Speziell zur Frage des Unternehmertums die Studien von Euaggelos Hekimoglou; zum Schulund Gildenwesen ders., Administration and Funding of Schools at Times ofProfound Social Change: The Example of Thessaloniki (1792-1912), in: Education in the Balkans: from the Enlightenment to the Founding of the Nation-States. Thessaloniki 2000, 333-352; zur Rolle der großen Judengemeinde vgl. Rena Molcho, Οι Εβραίοι της Θεσσαλονίκης 1856-1919. Athen 2001; zur
Stadtgeschichte nach 1912 vgl. Régis Darques, Salonique au XXe siècle: de la cité ottomane à la métropole grecque, Paris 2000; zur polyethnischen Synthese unter osmanischer Herrschaft vgl. Mark Mazower, Sakmica, City of Ghosts. Christians, Muslims and Jews. 1430-1950. London 2004. H ανάπτυξη της ελληνικής οικονομίας κατά τον 19ο αιώνα (1830-1914) [Die Ent wicklung der griechischen Wirtschaft während des 19. Jh.s (1830-1914)]. Hgg. Köstas Kőstés / Sokrates Petmezas. Athen: Ekdoseis Alexandria 2006. 500 S., ISBN 960-221335-3, € 35,Der hier zu besprechende Band versammelt die Beiträge, die anlässlich einer im Oktober 2004 auf Hydra von der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Athener Universität sowie dem Historischen Archiv der Alpha Bank veranstalteten Tagung entstanden sind. Das Fehlen regelmäßig geführter, international vergleichbarer Wirtschaftsstatistiken macht die Untersuchung der griechischen Wirtschaft im 19. Jh. zu keiner einfachen Aufgabe. Die ökonomischen Daten müssen mehr oder weniger rekonstruiert werden, so dass sich letztlich nur vorläufige Schlüsse ziehen lassen. Dies unternimmt Giorgos Kostelenos in seinem Beitrag „Die makroökonomischen Dimensionen der griechischen Wirtschaft“ (39-79). Von einigen Phasen wie etwa den 1840er Jahren abgesehen, war das 19. Jh. von einem zwar gemächlichen, aber kontinuierlichen Wachstum geprägt. Das BIP pro Kopf Südost-Forschungen 68 (2009) 649
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 stieg zwischen 1833 und 1911 jährlich durchschnittlich um 0,95-1,1 %. In den entwi ckelten Ländern in Westeuropa lag das Wachstum leicht höher, in Süd- und Südosteuropa dagegen oft niedriger. Fraglich ist allerdings, ob der Rückgang des Pro-Kopf-Wachstums, der sich regelmäßig einstellte, wenn Griechenlands Territorium sich vergrößerte, also 1864 (Ionische Inseln), 1881 (Thessalien, Arta) und 1912/1913 (Makedonien, Ägäisinseln, Epirus), auf eine geringere Wirtschaftsleistung der neuen Gebiete zurückzuführen ist, wie dies Kostelenos (53) tut. Eher ist anzunehmen, dass nicht alle wirtschaftlichen Leistungen der neu eingegliederten Gebiete von Anfang an erfasst wurden, es sich also mehr um ein statistisches als um ein reales Phänomen handeln dürfte. Darauf deutet auch hin, dass diese Rückgänge stets nur von kurzer Dauer waren. Der Wachstumsrückgang 1912/1913 dürfte in direktem Zusammenhang mit den Balkankriegen stehen. Violeta Chionidu (Demographie, 81-102) setzt sich kritisch mit den die historische Demographie bisher dominierenden Arbeiten von V. Valaoras auseinander. Dieser setzte den Übergang vom ersten zum zweiten demographischen Stadium, verbunden mit einer deutlichen Minderung der Mortalitätsrate, für Griechenland auf die Zeit nach 1890 an. Ge stützt auf eigene Studien, insbesondere zu Mykonos und Ermupoli/Syros, sieht Chionidou diese Phase erst in der Zeit nach 1920 erreicht. Neben den Faktoren Mortalität, Natalität und Heiratsverhalten spielte auch die Migration eine wichtige Rolle. Diese bewirkte, dass beispielsweise auf Mykonos trotz
hoher Geburtenrate die Bevölkerungszahl stagnierte. Der Landwirtschaft ist der Beitrag von Sokratis Petmezas (103-152) gewidmet. Diese stellte bis 1950 den wichtigsten Sektor der griechischen Wirtschaft mit einem BIP-Anteil von über 50 % dar. Der Rückgang der ländlichen Bevölkerung vollzog sich nicht im gleichen Maß, wie der Anteil der Landwirtschaft am BIP schrumpfte; die Produktivität wuchs also langsamer als in den anderen Sektoren, während gleichzeitig die Unterbeschäftigung im ländlichen Bereich stieg. Dabei blieb der Bodenertrag in Griechenland nur 25 % unter dem Italiens und Großbritanniens, die Arbeitsproduktivität betrug indessen lediglich die Hälfte der italienischen und ein Viertel der britischen. Dennoch sicherte die Landwirtschaft direkt oder indirekt die Selbstversorgung des Landes mit Lebensmitteln; der Mangel an Getreide und Hülsenfrüchten wurde durch den Überschuss bei anderen Produkten ausgeglichen. Alexis Frangiadis Beitrag „Landwirtschaft und Außenhandel“ (153-174) ist Grie chenlands Exportgut par excellence im 19. Jh. gewidmet, den Korinthen. Deren Anbau galt lange Zeit als negatives Beispiel einer auf eine Monokultur fixierten Fehlentwicklung. Doch wie Frangiadis zeigen kann, erfolgten Anbau und Export der Korinthen durchaus rational unter Ausnutzung einer spezifischen ökonomischen und ökologischen Nische. Hauptabnehmer war - bereits seit dem 14. Jh. - England; im 19. Jh. nahm dort mit der zunehmenden Kaufkraft infolge der Industrialisierung auch die Nachfrage zu. 1879 kam Frankreich als weiteres wichtiges Importland hinzu, dessen Weinbau schwer durch
die Reblaus geschädigt worden war. Waren anfänglich die Ionischen Inseln das Hauptanbau gebiet, so traten später die nördliche, westliche und südliche Küstenregion der Peloponnes hinzu. Aufgrund der wachsenden Nachfrage wuchs die Produktion von jährlich 5.000 t Anfang des 19. Jh.s auf fast 200.000 t Ende der 1880er Jahre. Im Außenhandel machte die Korinthenausfuhr über 60 % der gesamten griechischen Exporte aus. Mit den aus dem Korinthenhandel erwirtschafteten Devisen konnte Griechenland jene landwirtschaftlichen 650 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Produkte importieren, an denen es im Lande mangelte. Erst als die französische Regierung 1893, nachdem der eigene Weinbau sich von der Reblausplage erholt hatte, diesen durch hohe Einfuhrzölle schützte, geriet der Korinthenanbau in eine Krise. Die griechische Re gierung kaufte Teile der Produktion auf und ermöglichte deren Vermarktung durch ein sich rasch entwickelndes Monopol. Der institutioneile Rahmen der Landwirtschaft machte im 19. Jh. einen entscheidenden Wandel durch, wie Evi Karuzu in ihrem Beitrag „Der institutioneile Rahmen und die Landwirtschaft“ (173-218) verdeutlicht. Unter osmanischer Herrschaft kannte man keinen eigentlichen Landbesitz, sondern nur Nutzungsrechte. Nach dem Ende der osmanischen Herrschaft wurde meist als Eigentümer anerkannt, wer eine Urkunde {tapti) vorweisen konn te, in der im Grunde nur die Nutzungsrechte festgehalten waren. Zum Staatsbesitz wurde alles gerechnet, was sich in osmanischer Zeit in muslimischer Hand befunden hatte. Hinzu kam der Landbesitz der nach 1833 aufgelösten orthodoxen Klöster. Mehr als die Hälfte dieser staatlichen Ländereien machten Wälder und landwirtschaftlich weitgehend nicht nutzbares Gelände aus. Die Verteilung des Staatslands an die Bauern, die bereits während des Unabhängigkeitskrieges angekündigt worden war, fand erst 1871 eine gesetzliche Regelung. Bei der Angliederung neuer Gebiete zeigten sich rasch Unterschiede im institutionellen Rahmen. So waren die Ionischen Inseln zum Teil noch von ihrer feudalen Vergangenheit und schärferen sozialen Unterschieden geprägt. Nach der Inkorporation
Thessaliens erkannte die Regierung Trikoupis zwar das Eigentumsrecht der Großgrundbesitzer an, nicht jedoch das der Pächter. Sie tat dies bewusst, weil sie in Thessalien, das für den Getreideanbau die besten Bedingungen bot, den dafür produktiveren Großgrundbesitz fördern wollte. Damit beschwor sie jedoch einen schweren Agrar- und Sozialkonflikt herauf, der erst im 20. Jh. gelöst werden sollte. Wie Karuzu in einem abschließenden Vergleich mit Italien und Spanien feststellt, waren die sozialen Gegensätze im Unterschied zu diesen Ländern in Griechenland mit seinen kleinbäuerlichen Strukturen deutlich schwächer ausgeprägt. Christina Agriantoni arbeitet in ihrem Beitrag zur Industrie (219-251) drei Phasen der Industrialisierung heraus. In der Zeit von 1830 bis 1870 kamen neue, industrielle Formen bei für den Export bestimmten Produkten (z. B. Seidenherstellung und -Verar beitung) auf, ebenso waren unternehmerische Initiativen in der Weinproduktion und der Marmorgewinnung festzustellen. Die zweite Phase (1865/1870-1890) war gekennzeichnet durch eine zunehmende Mechanisierung der Produktion. Verfügten 1867 erst 22 Fabriken über Dampfmaschinen, so belief sich 1875 ihre Zahl bereits auf 110. Diese Fabriken waren vor allem in Hafenstädten konzentriert, ihre Produktion war auf den Binnenmarkt aus gerichtet. In der dritten Phase (1890/1895-1912) weitete sich die industrielle Produktion aus. Dennoch blieb das Profil der griechischen Industrie damals wie auch später vor allem von kleinen Einheiten geprägt, die kaum oder überhaupt nicht mit Maschinen ausgestattet waren. In Piräus lag
der Schwerpunkt der industriellen Produktion, daneben spielten Volos und Ermupoli eine Rolle. Wie Lida Papastefanaki in ihrem Beitrag zur Lohnarbeit (253-291) ausführt, wurde das Ausbleiben einer weitgreifenden Industrialisierung in der Forschung längere Zeit mit dem Mangel an Kapital erklärt, seit den 1970er Jahren dann mit dem Mangel an Arbeits kräften, da der vorherrschende bäuerliche Kleinbesitz und die Tendenz zur Auswanderung Südost-Forschungen 68 (2009) 651
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 den Übergang von Arbeitskräften in andere Bereiche, insbesondere die Industrie, behindert hätten. Doch sie stellt fest, dass man beispielsweise in Ermupoli, einem der wirtschaftli chen Zentren des neuen Staates, nach 1821 stets über genügend Arbeitskräfte verfügte. Ausländische Arbeitskräfte wurden in erster Linie als Fachleute angeworben, wie es im Zusammenhang mit der Industrialisierung auch aus anderen Ländern bekannt ist. Die auf die Volkszählungen zurückgehenden Statistiken differenzieren zu wenig und wechseln oft von Erhebung zu Erhebung die Kategorien. Erst seit 1907 werden sie genauer und damit für die historische Forschung nützlicher. Unter den Arbeitskräften, die in modernen, mit Maschinen ausgestatteten Fabriken tätig waren, fällt ein hoher Frauenanteil auf. In diesem Bereich gab es nur wenige rein männliche Domänen. Die Regulierung des Arbeitsmarktes durch den Staat erfolgte erst seit dem Beginn des 20. Jh.s durch die Arbeitsgesetzgebung, so 1912 durch ein Gesetz zum Schutz der Kinder- und Frauenarbeit. Zur Herausbildung eines einheitlichen Arbeitsmarkts, der im 19. Jh. noch stark fragmentiert war, kam es nicht vor der Zwischenkriegszeit. Kostas Kostis zeigt in seiner Darstellung der Staatsfinanzen (293-335), dass das hohe Militärbudget, das den größten Ausgabenposten darstellte, eine Konstante während des ganzen 19. Jh.s war. Damit verbunden war auch die Ausweitung der staatlichen Verwaltung, denn die allgemeine Wehrpflicht konnte nicht ohne Standesämter verwirklicht werden. Zu Ottos Zeiten waren auch die Ausgaben für das
Staatsoberhaupt und dessen Hofhaltung beträchtlich, gingen unter Georg I. aber deutlich zurück. Auf der Einnahmenseite verla gerte sich der Schwerpunkt von den direkten zu den indirekten Steuern sowie Abgaben und Staatsmonopolen. Diese waren leichter und sicherer einzunehmen. Die Steuerlasten waren ungleich verteilt. So wurden die Unterschichten in den Städten deutlich stärker belastet als jene auf dem Land. Das Steuersystem blieb komplex und uneinheitlich, bei der Angliederung neuer Gebiete wurde meist auch das dort zuvor übliche Steuersystem übernommen und noch geraume Zeit fortgeführt. Trotz der eher schwachen Steuerbasis lag die Hauptursache für die beständigen Haushaltsdefizite auf der Ausgaben- und nicht auf der Einnahmenseite. Der hohe Finanzbedarf des Staates ergab sich anfangs aus den Aufbauinvestitionen des jungen Staates, später aus der irredentisdschen Außenpolitik, im Zusammenhang mit äußeren Krisen und Kriegen. Zweimal, 1843 und 1893, wurde der Schuldendienst eingestellt. 1897, nach der Niederlage im Krieg gegen das Osmanische Reich, wurde der bankrotte Staat einer internationalen Finanzverwaltung unterstellt, der es gelang, die Staatsfinanzen einigermaßen zu sanieren. Wie Michalis Psalidopulos in seinem Beitrag über Wirtschaftslehre und -politik (337-377) zeigt, entsprachen sich wirtschaftspolitische Rhetorik und Praxis nur selten. Bereits zur Zeit Ottos dominierte ein pragmatischer Ansatz, der sich wenig von wirtschafts politischen Prinzipien leiten ließ. Das Machtgeflecht aus Krone, politischer Klasse sowie größeren und kleineren wirtschaftlichen Akteuren
sah seine Interessen durch eine solche Polidk am besten gewahrt. Liberal ausgerichtete Ökonomen übten von ihrem Standpunkt aus deutliche Kritik, so z. B. am ineffizienten und ungerechten Steuersystem, und forderten Reformen. Nach 1890 wurde der Einfluss der (deutschen) historischen Schule spürbar, die dem Staat eine zentrale Rolle zuschrieb. Die Geschichte der Banken, darauf weist Giorgos Stasinopulos in seinem Beitrag „Währung und Banken“ (379-408) hin, lässt sich seit dem 652 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Ende der 1970er Jahre besser erforschen. Zahlreiche Geldinstitute haben ihre eigenen Archive eingerichtet; umfangreiches Quellenmaterial wurde publiziert. 1841 entstand die Nationalbank von Griechenland, die neben ihrer Aufgabe als Quasi-Zentralbank auch als Geschäftsbank fungierte. In den Städten unterschied sich der Finanzmarkt cum grano salis kaum von den in Westeuropa üblichen Strukturen, auf dem Land dagegen trug er viel stärker informelle und meist nichtschriftliche Züge, was zu erheblichen Schwierigkeiten führte. Die Zahlungsbilanz des Landes war fast immer negativ. Seit dem Ende des 19. Jh.s entstanden neue Banken, die auf Privateinlagen beruhten und auf den Privatkundenbereich orientiert waren, wobei sie sich zum Teil auch den unteren Schichten öffneten. Die Auslandsgriechen, mit denen sich Vasilis Kardasis in seinem auf die Zeit vor der Staatsgründung konzentrierten Beitrag zur Diaspora (409-420) beschäftigt, tätigten in Griechenland nur wenige Investitionen. Der Handel lag fast ausschließlich in der Hand der Diaspora. Der Seefahrt, die einen besonders wichtigen Aspekt der griechischen Wirt schaft ausmachte, ist der Beitrag von Tzelina Charlavti (421-462) gewidmet. In der griechischen Handelsflotte, die Mitte der 1870er Jahre fast 2.500 Schiffe zählte, wurden die Segelschiffe erst Ende des 19. Jh.s durch Dampfschiffe ersetzt. 1870 wurden zwei Drittel der Schiffe auf griechischen Werften gebaut, von denen die bedeutendsten auf Syros lagen. Zu den wichtigsten Häfen und Standorten zählten im Ionischen Meer Galaxidi, Kefalonia und khaki, in der
Zentralägäis Syros, das mit 700 Schiffen über die mit Abstand größte Flotte verfügte, weit vor Andros und Santorin. In der westlichen Ägäis waren Spetses, Hydra und Piräus von herausgehobener Bedeutung, in der östlichen Chios, Samos und die Dardanellenregion. Erst der Aufstieg der Dampfschifffahrt machte Piräus zu Beginn des 20. Jh.s zum bedeutendsten Hafen. Dort konzentrierten sich dann die Reedereien, die meist über eine Niederlassung in London, dem globalen Schifffahrtszentrum, verfügten. Der geographische Raum der griechischen Seefahrt erweiterte sich vom Mittelmeer und Europa zu einer seit 1910 weltweiten Ausrichtung. Zugleich setzte sich eine Konzentration auf die reine Schifffahrt durch, Handel und Finanzgeschäfte, die zuvor ebenfalls dazugehörten, wurden aufgegeben. Indem sie die Bedeutung des tertiären Sektors für die Entwicklung der griechischen Wirtschaft hervorhebt, stellt Charlavti das Dogma von der für die Entwicklung einer Wirtschaft obligatorischen Industrialisierung in Frage. Ioanna Petelasi Minoglu widmet sich der unternehmerischen Tätigkeit (463-496). 1836 wurde in Patras die erste griechische Aktiengesellschaft, eine Schiffsversicherung, gegründet, bis 1910 entstanden insgesamt 292 AGs. Anfangs waren die meisten in Syros registriert, erst in den 1870er Jahren rückte Athen an die erste Stelle. In den 1860er und 1870er Jahren erreichte die Zahl der Unternehmensgründungen mit 129 Aktiengesell schaften ihren Höhepunkt. Vorwiegend handelte es sich um Unternehmen des tertiären Sektors, Versicherungen, Großhandelsunternehmen, Banken und
Schiffahrtsgesellschaften. Die Anzahl der Aktionäre lag anfänglich hoch, ging nach der Mitte der 1870er Jahre aber deutlich zurück. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jh.s lag sie im Durchschnitt bei weniger als zehn. Die griechische AG war eher eine Familien- oder Freundes-AG, die Führungskräfte stellten meist auch die Hauptaktionäre. Die AG war letztlich keine neue Untemehmensform, sondern passte sich den traditionellen Strukturen an. Der Unternehmer in Griechenland Südost-Forschungen 68 (2009) 653
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 war in erster Linie Kaufmann, der noch weitere Aktivitäten verfolgte. Das Zentrum der unternehmerischen Tätigkeit lag in der Diaspora. Hatten sich in Griechenland früher meist Historiker ohne spezifische wirtschaftswissen schaftliche Ausbildung wirtschaftsgeschichtlichen Themen zugewandt, deren Darstellungen selten den rein faktographischen Rahmen überschritten, so verfügen die heutigen Vertreter dieses Fachs diesbezüglich über ein solides Fundament, wie dieser anregende Sammelband belegt. Auch die theoretische Ausrichtung ist pluralistischer geworden, nachdem einst vorwiegend marxistische bzw. pseudo-marxistische Tendenzen dominierten. Die Autoren, die in ihren Beiträgen keinen wichtigen Bereich auslassen, belegen überzeugend, dass die Wirtschaftsgeschichte, die sich in Griechenland als eigenständiger Wissenschaftsbereich im Grunde erst nach 1974 etablieren konnte, heute durchaus internationalem Standard entspricht. Dossenheim Ekkehard Kraft Ines A. Murzaku, Catholicism, Culture, Conversion: The History of the Jesuits in Albania (1841-1946). Roma: Pontificio Istituto Orientale 2006 (Orientalia Christiana Analecta, 277). 280 S„ Abb., ISBN 978-88-7210-352-4 Nach Benediktinern, Dominikanern und Franziskanern waren die Jesuiten der vierte Orden, der in Albanien tätig wurde und der bestrebt war, den stets gefährdeten Bestand der katholischen Kirche in diesem Lande zu sichern. Die Jesuiten entdeckten erst ziemlich spät, Mitte des 19. Jh.s, Albanien als Missionsgebiet. Obwohl ihre zahlenmäßige Präsenz im Vergleich zu den anderen Orden gering war,
erlangten sie durch ihre bildungspoliti schen Aktivitäten eine Bedeutung, die im katholischen Nordalbanien einzigartig war. Ines A. Murzaku versucht in ihrer Darstellung, einer am Pontificio Istituto Orientale in Rom entstandenen Dissertation, die Geschichte der Jesuitenmission in Albanien von ihren An fängen bis zum Ende des 2. Weltkrieges zu schildern. Sie stützt sich dabei hauptsächlich auf Archivalien jesuitischer Provenienz und auf eine ausgewählte Sekundärliteratur. Murzaku beginnt mit einem einleitenden Abschnitt, in dem sie einen Abriss der Ge schichte der Katholischen Kirche in Albanien durch die Jahrhunderte bietet. Am Anfang stehen dabei natürlich die unvermeidlichen Illyrer, als deren Nachfahren sich die Albaner betrachten. Sie schildert den Slaweneinfall, die bulgarische Expansion nach Albanien und die Auswirkungen des Schismas von 1054, durch das Albanien zum Grenzland zwischen Ost und West, zwischen lateinischer und griechischer Kirche wurde. Sie weist auf den Druck hin, der angeblich unter dem Serbenherrscher Stefan Dušan auf die katholische Kirche ausgeübt wurde. Zu Recht behauptet sie, dass albanische Adelsgeschlechter wie die Balsha und die Thopia die katholische Kirche unterstützten, verschweigt aber, dass sie das nur taten, wenn es politisch opportun war. Der albanische Adel nahm nämlich zwischen Orthodoxie und Katholizismus eine sehr schwankende Haltung ein. Die Eroberung Al654 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen baniens durch die Türken hatte verheerende Auswirkungen auf die katholische Kirche, deren Organisation zunächst vollständig zusammenbrach. Erst nach der Errichtung der von Jesuiten geleiteten Illyrischen Kollegien von Loreto und Fermo und der Gründung der Kongregation der Propaganda Fide in Rom kam es zu einem Wiederaufleben der Ka tholischen Kirche in Albanien. Die weitere Darstellung gliedert sich in neun Kapitel. Zunächst wird relativ ausführlich die Ankunft der ersten drei Jesuiten in Albanien geschildert. Sie kamen 1841 in Skutari an und sollten den katholischen Glauben in einer Gegend bewahren, die in Rom als Ein lasspforte zum Orient betrachtet wurde. Die Propaganda Fide trug sich schon seit 1834 mit dem Gedanken, dort ein Priesterseminar zu eröffnen, dessen Leitung die Jesuiten übernehmen sollten. Schon wenige Wochen nach ihrem Eintreffen eröffneten diese ihre erste Schule und erteilten der Skutariner Jugend italienischen Sprachunterricht. Nach dem sie etwas Albanisch gelernt hatten, begannen sie damit, Knaben und auch Mädchen sonntags in der Christenlehre zu unterweisen. Die Jesuiten wurden, zumal sie auch über medizinische Kenntnisse verfügten, vom Gouverneur und auch von den muslimischen Einwohnern Skutaris gut aufgenommen. Das sollte sich ändern, als sie mit dem Aufbau einer eigenen Residenz begannen: Jetzt wollten die Muslime auf einmal keine Missionare in ihrer Nachbarschaft haben. Die Verfasserin macht klar, dass an dem Widerstand gegen die Jesuiten der einheimische katholische Klerus nicht ganz unbeteiligt war, der um seinen Einfluss
fürchtete. Nachdem eine muslimische Delegation die neue Residenz der Jesuiten besichtigt und dabei festgestellt hatte, dass diese einer Festung glich, wurde das Gebäude Anfang 1843 zerstört. Die Jesuiten kehrten nach Sizilien zurück. Der erste Versuch, in Albanien eine Jesuitenmission zu eröffnen, war damit gescheitert, und zwar am Widerstand der fanatischen und fremdenfeindlichen Muslime von Skutari und an der Ablehnung des ebenfalls fremdenfeindlichen katholischen Weltklerus, der in den Jesuiten Rivalen erblickte, denen er sich intellektuell nicht gewachsen fühlte. So schnell waren die Jesuiten aber nicht bereit aufzugeben. In Kapitel IV werden die Rückkehr der Jesuiten nach Albanien und ihre Versuche behandelt, in Skutari ein zentrales Priesterseminar zu errichten. Seit 1849 weilte der Jesuit Claudio Stanislao Neri in Durazzo, wo er eine Schule betrieb und auch Kranke heilte. Der neue Bischof Giovanni Topich wollte ihn nach Skutari holen, um dort ein Priesterseminar aufzubauen. Nachdem sich auch die Propaganda Fide diesem Plan angeschlossen und beschlossen hatte, das Seminar den Jesu iten aus der Venezianischen Ordensprovinz zu unterstellen, und nachdem Österreich sich bereit erklärt hatte, sich an der Finanzierung des Projekts zu beteiligen, begann 1856 der Aufbau des Seminars, das aber noch im gleichen Jahre von den Skutariner Muslimen zerstört wurde. Erst nach einer österreichischen Flottendemonstration an der Bojanamündung, an der auch Frankreich und England teilnahmen, entschloss sich die osmanische Regierung durchzugreifen und den lokalen muslimischen Widerstand
zu brechen. 1861 konnte das Seminar endlich eingeweiht werden. Kapitel V beschäftigt sich dann mit der inneren Entwicklung des ersten zentralen alba nischen Priesterseminars, das 1862 zum Päpstlichen Albanischen Seminar erhoben wurde. Murzaku behandelt sehr detailliert Organisation und Aufbau des Seminars, das zunächst für 15 Studenten bestimmt war und zuletzt (1943) 60 Studenten zählte, die nach einem Südost-Forschungen 68 (2009) 655
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 festen Proporz aus allen albanischen Diözesen kamen. Sie durften nicht älter als 14 Jahre sein und wurden zunächst in Lesen und Schreiben, dann in Italienisch und Latein und zuletzt in Theologie und Philosophie unterrichtet. Die Unterrichtssprache war Italienisch; als Umgangssprache am Seminar waren nur Italienisch oder Latein erlaubt, nur am Don nerstag und Sonntag durften die Seminaristen in ihrer Muttersprache sprechen. Probleme bereitete den Jesuiten der anwachsende Nationalismus, der sich auch beim albanischen Klerus bemerkbar machte. Murzaku weist darauf hin, dass die neu aufgenommenen Schüler scheu gegenüber Fremden waren, dass sie mit der italienischen Mentalität nicht zurechtkamen. Die Jesuiten blieben, so sehr sie sich auch fur die Albaner einsetzten, in deren Augen Ausländer. Nach der albanischen Unabhängigkeitserklärung waren es vor allem die Franziskaner, die die Jesuiten als Fremde hinstellten und die selbst gerne das Priesterse minar übernommen hätten. Die Jesuiten hatten auch kaum albanischen Nachwuchs: Die Absolventen des Priesterseminars wurden lieber Weltpriester oder Franziskaner als Jesuiten, weil diese sie vermeintlich italianisieren wollten. Murzaku führt ihre Darstellung bis Ende des 2. Weltkrieges fort, unterlässt es dabei aber, auf die Stellungnahme der Jesuiten zu politischen Ereignissen wie die italienische Besetzung, die Entstehung Großalbaniens und die deutsche Besatzung einzugehen. Das zweite große Projekt, das die Jesuiten in Albanien betrieben, war das „Xaverianum“, eine höhere Lehranstalt, die mit der
Grundschule begann und eine Mittelschulausbildung mit technischen und Handelsschulklassen bot. Sie wurde 1878 eröffnet und stand auch Nichtkatholiken offen. Das Xaverianum wurde die Eliteschule Albaniens, an der viele führende Vertreter des politischen und kulturellen Lebens des Landes ihre Ausbildung erfuhren. Sie konnte sich sowohl gegenüber den kostenlosen italienischen Schulen behaup ten als auch sich der Versuche Österreich-Ungarns erwehren, eine direkte Kontrolle über die Schule auszuüben. 1933 fiel sie allerdings unter das Verbot, das König Zogu über alle Privatschulen verhängt hatte. Ein weiteres Betätigungsfeld für die Jesuiten in Albanien war die „Fliegende Mission“ (Missione Volante). Angesichts des Priestermangels waren im Gebirge ganze Dörfer zum Islam konvertiert. Die Jesuiten versuchten dagegen anzugehen und zogen im Bergland von Dorf zu Dorf. Auf Grund des Briefwechsels der Missionare berichtet Murzaku detailliert über die Arbeit der Jesuiten, die nicht nur Seelsorge betrieben und die Bevölkerung in der Christenlehre unterrichteten, sondern auch versuchten, gegen Aberglauben und Bigamie, gegen Räuberei und vor allem gegen die Blutrache anzukämpfen. Letzteres brachte sie allerdings mit den Behörden in Konflikt, die die Beilegung von Blutfehden als Aufgabe des Staates betrachteten. Im letzten Kapitel beschäftigt sich Murzaku mit dem Beitrag, den die Jesuiten zur Entwicklung des albanischen Kulturlebens leisteten. Sie beginnt dabei mit dem „Illyricum Sacrum“, das aufjesuitische Initiative zurückgeht und u. a. die Geschichte der katholischen Diözesen in
Albanien behandelt. Sie schildert ferner die Bemühungen der Jesuiten um die Einrichtung von wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen: Sie schufen nicht nur archäologische, mineralogische und naturkundliche Sammlungen, sondern richteten auch ein meteorologisches Observatorium ein, sorgten für Theater- und Filmauffuhrungen und gründeten auch das erste Orchester in Albanien. Hervorgehoben werden ferner die 65 6 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Verdienste, die sich die Jesuiten Fulvio Cordignano und Giuseppe Valentini durch ihre Arbeiten zur Erforschung der albanischen Geschichte erworben haben. Neu ist dabei die Feststellung der Verfasserin, dass zwischen beiden Männern eine erbitterte Rivalität herrschte. Die kurzen Ausführungen über die Druckerei der Jesuiten und ihre publizisti schen Aktivitäten sind inzwischen durch die umfangreiche Untersuchung von Markus W. E. Peters weitgehend überholt.1 Murzakus Arbeit bietet die erste zusammenfassende Darstellung über das Wirken der Jesuiten in Albanien. Sie ist mit Zuneigung geschrieben und würdigt die Rolle der Jesuiten, die nach Albanien kamen, um dort den christlichen Glauben zu bewahren, die aber auch durch Erforschung von Sprache, Geschichte und Kultur zum Fortschritt des albanischen Volkes beitragen wollten. Auf einige kleinere Ungenauigkeiten und Irrtümer sei noch hingewiesen: Die Behauptung, durch das Gesetzbuch des Zaren Stefan Dušan seien katholische Gottesdienste verboten und katholische Albaner, die sich weigerten zur slawischen Orthodoxie überzutreten, mit der Todesstrafe bedroht worden, stimmt nicht. Murzaku beruft sich dabei auf eine etwas fragwürdige Quelle, nämlich auf eine Schrift des albanischen Publizisten und Politikers Faik Konica (43). Unrichtig bzw. ungenau sind auch die Ausführungen über die albanische Alphabetfrage: In Skutari bestanden zwei von Klerikern getragene Vereinigungen, die un terschiedliche Alphabete für die albanische Sprache propagierten. Die „Bashkimi“ (Union) genannte Gesellschaft unter der Leitung des Mirditenabtes
Prenk Doçi befürwortete ein Alphabet, das für die spezifisch albanischen Laute Doppelkonsonanten vorsah, bei denen das zweite Glied stets ein „h“ war (dh, th usw.). Die von dem Ех-Jesuiten Ndre Mjeda geleitete Gesellschaft „Agimi“ (Morgenröte) trat für ein Alphabet ein, das für jeden Laut einen eigenen Buchstaben hatte und diakritische Zeichen verwendete. Die österreichisch ungarische Regierung unterstützte zuerst das Alphabet von Doçi, dann das von Mjeda; die Jesuiten hielten sich wahrscheinlich bewusst aus diesem Streit heraus (139). Dem 7. Band von „Illyricum Sacrum“ folgte nicht wahrscheinlich, sondern tatsächlich ein 8. Band (Venedig 1819), der die Geschichte der Erzdiözese Skopje enthielt. 1910 erschien in Split, herausgegeben von Frane Bulić, sogar noch ein 9. Band, der Ergänzungen und Korrekturen enthielt. Das Gesamtwerk wurde 2004 in Prishtinë nachgedruckt (253). In einem englisch sprachigen Werk hätte die Verwendung albanischer Namensformen für Ortschaften, die außerhalb Albaniens liegen, vermieden werden sollen: Tivar (für Antivari, Stari Bar) und Ohër (für Ohrid) wird man auf keiner nichtalbanischen Karte finden. Pulladı Peter Bartl 1 Der älteste Verlag Albaniens und sein Beitrag zu Nationalbewegung, Biidung und Kultur. Die „Buchdruckerei der Unbefleckten Empfängnis“ zu Shkodra (1870-1945). Hamburg 2007. Südost-Forschungen 68 (2009) 657
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Lothar Hobelt, Franz Joseph I. Der Kaiser und sein Reich. Eine politische Geschichte. Wien: Böhlau 2009. XII, 171 S„ ISBN 978-3-205-78316-9, € 19,90 Literatur zur politischen Geschichte der Habsburgermonarchie im 19. und 20. Jh. ist wahrlich keine Mangelware. Insofern kann man die Frage stellen, wozu Lothar Hobelt eine weitere politische Geschichte der Zeit zwischen 1848 und 1918 verfasst hat, noch dazu eine derart knapp gehaltene. Im Vorwort findet man hierauf eine erste Antwort, wenn er auf zwei bedeutsame mehrbändige Werke über Franz Joseph und seine Zeit ver weist, um daran mit dem Statement anzuschließen, dass sein eigenes Buch ausdrücklich nur eine „Skizze der politischen Geschichte dieser Zeit auf möglichst knappem Raum“ liefern soll (VII). Verbunden mit dem Hinweis auf das in seinen Augen zentrale Problem der Habsburgermonarchie, nämlich „ihr Charakter als Vielvölkerstaat“ (ebd.), und der Benennung seines eigenen, funktionalistischen Ansatzes, der darauf abzielt zu fragen, wie dieses Vielvölkerreich denn eben funktioniert habe, wird klar, was Hobelt auf nicht ganz 200 Seiten leisten möchte: die Innenpolitik, vor allem die Regierungspolitik und die Rolle des Kaisers in dieser zu beleuchten. Sieht man von den Jahren 1848/1849 und 1866/1867 ab, dann steht der cisleithanische Reichsteil im Vordergrund seines Interesses, ohne aber den ungarischen Reichsteil aus den Augen zu verlieren. Zehn Kapitel und ein Resümee nebst einer Nationalitätenstatistik, einer Auflistung der Ministerien der Ara Franz Josephs, einer Auswahlbibliographie und
einem Personenregister führen den Leser in die Regierungskunst des Kaisers und die (meist innen-)politische Ge schichte seines Reiches ein. Ganz auf den Kaiser ausgerichtet, beginnt das erste Kapitel mit dem Jahr 1848, und das Fehlen jedweder Beschäftigung mit Kindheit und Jugend Franz Josephs macht deutlich, dass Hobelt an der Abfassung einer weiteren Kaiserbiographie wahrlich nicht interessiert ist. In „1848: Kollaps oder Revolution“ (1-12) stellt der Autor die Frage, ob es eine Revolution in Österreich bzw. das Kaisertum Österreich überhaupt gegeben habe. Diese beiden Fragen nutzt Hobelt für eine grundlegende Darstellung der Ereignisse von 1848/1849, wobei er schon hier die vielen Nationen des Habsburgerreiches in den Fokus seiner Betrachtung rückt. Der Faktor Nation war, neben ständischer und religiöser Zugehörigkeit, einer von dreien, deren Verhältnis zu-, aber auch untereinander stets aufs Neue auszubalancieren war, so dass eines der Elemente der kaiserlichen Regie rungskunst darin bestand, eine „wohltemperierte Unzufriedenheit“ (5) aufrechtzuerhalten, die zwar keine Gefahr für den Bestand des Reiches darstellte, dem Kaiser aber dennoch die Möglichkeit bot, immer wieder die Partner zu wechseln oder gegeneinander auszu spielen. Im zweiten Kapitel beschäftigt sich der Autor mit Neo-Absolu tismus' und Moderni sierungsdiktatur“ (13-25). Diese Modernisierungsdiktatur war vor allem eine des Westens gegen den Osten, „Ungarn und Polen waren suspekt; sie wurden mit deutschen, aber auch tschechischen Beamten beglückt“ (17), die dann als „Bach-Husaren“ bekannt wurden. Gerade
Ministerpräsident Bach beklagte das Fehlen eines wirklichen Staatsapparats, den zu schaffen er angetreten war. Ferner fehlte eine konservative Partei, welche die Monarchie per se unterstützen konnte, und die Finanzmisere des Reichs nebst einer unglücklichen Außenpolitik, wie sie in Kapitel 3 „Die kleinste Großmacht: Isolation oder Blockpolitik?“ 658 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen (27-42) beschrieben wird, machte die Einbeziehung bisher abgelehnter Formen der Re gierung immer nötiger. „Der Zickzackkurs zur Verfassung“ (43-56), wie das vierte Kapitel betitelt ist, war nötig geworden, als man erkannte: „Das Kapital ist leider konstitutionell!“ (46). Das Oktoberdiplom I860 und das Februarpatent 1861 werden ausführlich behandelt und von Hobelt als Reaktionen auf Solferino im Sinne einer „unmittelbaren Krisenbe wältigung“ (44) interpretiert; der ungarische Widerstand gegen diese zwar die Macht des Kaisers einschränkenden, doch weiterhin einen einheitlichen Gesamtstaat voraussetzenden Verfassungsentwürfe beschreibt der Verfasser als Wetterleuchten der Doppelmonarchie. So lautet denn auch das Kapitel 5 „Von Großösterreich zur ,Doppelmonarchie1“ (5770), und hier zieht Hobelt ein interessantes Fazit. Zwar habe der Zerfall der Reichseinheit auch ein Ende der parlamentarischen Einheit bedeutet, was insbesondere die Budgetpolitk erheblich verkomplizierte, zugleich aber sei in einigen Bereichen, nämlich der Außen- und der Militärpolitik, die sich nun in der Hand des Kaisers befanden, eine Stärkung der ein heitlichen Linie zu bemerken gewesen, waren diese beiden Bereiche der Kontrolle durch die Parlamente doch bewusst entzogen worden. Nun konnten sich auch in den Reichsteilen eigenständige Parteienstrukturen etablieren. Leider wird „Das asymmetrische Parteienspek trum: Kulturkampf und Nationalitätenkonflikt“ (71-88) in diesem sechsten Kapitel lediglich für die cisleithanische Reichshälfte untersucht. Dessen Kennzeichen war laut Hobelt die
angesprochene Asymmetrie, da lange Zeit nur bei den deutschsprachigen Parteien eine ideologische Ausdifferenzierung zu beobachten war. Der Kampf gegen das Konkordat (72) steht dabei zunächst im Vordergrund, auch das Reichsvolksschulgesetz von 1868/1869 (73) findet Beachtung, und mit der Aufgabe des Konkordats 1870 waren die Liberalen am Ziel, wurden nun aber mit einem politischer werdenden Katholizismus konfrontiert. Zusätz lich zu dieser weltanschaulichen Differenzierung gab es auch eine nationale, wie dies die Nationalliberalen veranschaulichen, und längst nicht überall konnte jede parteipolitische Strömung Fuß fassen — so blieb Deutsch-Böhmen für die Katholisch-Konservativen stets ein schwieriges Pflaster (75). „Politik und Ökonomie: Nachzügler oder Aufholjagd?“ (89-103) ist die Frage, die das siebte Kapitel dominiert. Der Kontinentalstaat Österreich-Ungarn mit seinen beschränk ten Möglichkeiten, am internationalen Warenaustausch über natürliche Verkehrswege wie schiffbare Flüsse teilzunehmen, der nach wie vor vorherrschende Charakter eines Agrarstaa tes, der Börsenkrach von 1873 und die Modernisierungsanstrengungen in den Bereichen Bildung und Industrie werden thematisiert. Für die politische Geschichte des Kaiserreichs sind dies unerlässliche Faktoren, doch trägt dieses Kapitel wenig dazu bei, die Grundzüge der politischen Entwicklung zu erhellen. Dafür zeigt Hobelt im achten Kapitel, „Konkordanzdemokratie und autoritäres Regi ment“ (105-118) betitelt, dass die Badeni-Krise, die gemeinhin mit der Verwendung der Obstruktion als politischem Mittel den Beginn vom Ende
des cisleithanischen Parteiensys tems markieren soll, auch völlig anders gesehen werden kann. Für ihn stellt die Obstruk tionstaktik eine Art „nationales Veto“ (113) dar, woraus sich eine für das Reich typische Regierungsform entwickelt habe. Gelegentlich sei die Obstruktion sogar bestellt worden, wenn es politisch ratsam erschien, insbesondere von Franz Ferdinand, wofür sich der Name „Trinkgeldobstruktion“ (114) eingebürgert habe. Südost-Forschungen 68 (2009) 659
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Das neunte Kapitel (119-137) ist der ungarischen Reichshälfte gewidmet. „Hegemonie mit Ablaufdatum“ beginnt sogleich mit einem interessanten Satz: „Habsburg-Kitsch und Habsburg-Kannibalismus sind sich in einem Punkt vielfach einig, nämlich darin, die für alle Zeitgenossen so überraschende Erfolgsgeschichte der Franz-Joseph-Ära zu ignorieren, was Ungarn betrifft“ (119). Liest man dieses Kapitel, muss man sich über Höbelts Mei nung eher wundern, denn mag er auch dem Leser die politische Geschichte Ungarns als Erfolgsgeschichte darstellen — die Nationalitätenproblematik nimmt, wenn auch verteilt auf mehrere Abschnitte, breiten Raum ein (124f., 134-137) und konterkariert dieses Bild doch erheblich. Daher wird der Streit der Nationen zu guter Letzt heruntergespielt - „Im Vergleich zu Rumänien wurde die südslawische Frage überschätzt“ (134) ist nur ein Beispiel dafür, wie in einem Satz etwas beiseite geschoben wird, das die Publizistik und die Innenwie Außenpolitik jener Jahrzehnte entscheidend beherrschte. „Die ,Urkatastrophe‘: Österreich-Ungarn und der 1. Weltkrieg“ (139-152) beschließt die eigendiche Skizze. Neben einem kurzen Abriss des Kriegsvor- und -Verlaufs ist Höbelts Feststellung, dass der Krieg eine Intensivierung und Verdichtung der Staatstätigkeit, wie sie bis dahin nicht durchsetzbar gewesen war, möglich machte, der zentrale Teil des Kapitels. Noch einmal fasst Lothar Hobelt seine Thesen im Resümee zusammen, das er „Der Kaiser und seine Völker“ (153-159) nennt. Deutlich wird, dass „Kakanien“ für Hobelt kein Völkerkerker war, sondern
ein auf seine spezifische Art funktionierendes Staatssystem, das erst mit dem Ausbruch des Weltkriegs in Frage gestellt und schließlich von innen ebenso wie von außen zerstört wurde. Die Nachfolgestaaten des Habsburgerreiches, die mit Aus nahme der Tschechoslowakei allesamt in autoritären Regimen endeten, haben aufgrund des Zusammenfalls von Nation und Staatlichkeit für diesen Weg in die Diktatur die besten Voraussetzungen geboten. Der Band liest sich aufgrund der Dichte des dargebotenen Materials nicht einfach. Auch ist er als einführende Lektüre ungeeignet - zu viel an Namen und Sachverhalten wird vorausgesetzt und nirgendwo erläutert; ganze Regierungen werden innerhalb weni ger Zeilen abgehandelt. Hier liegt allerdings auch die Stärke des Buches. Statt sich in den Details einzelner Regierungen oder der Betrachtung des kaiserlichen Aktenstudiums zu verlieren, lässt Hobelt die fast sieben Jahrzehnte währende Herrschaftszeit Franz Josephs mit dem klaren Fokus auf die Innenpolitik Revue passieren. Kontinuitäten im politischen Handeln des Kaisers werden so sichtbar, die Brisanz der ungarischen Frage für das Reich eindrucksvoll unterstrichen, und die immer schwieriger werdende Balance zwischen Cis- und Transleithanien einerseits und den jeweiligen Nationalitäten andererseits, die permanenter Nachjustierung bedurfte, wurde selten so deutlich dem Leser vor Augen geführt wie hier. Wie kann also das Fazit lauten? Lothar Hobelt legt eine äußerst knapp gehaltene, sehr dichte Studie zur „Regierungskunst“ von Kaiser Franz Joseph vor, die einem mit dem Ab lauf der Geschichte
vertrauten Leser eine neue, zeitgeraffte Perspektive auf die politische Geschichte des Habsburgerreiches erlaubt. Zwar ist die Nationalitätenproblematik hierbei zu kurz gekommen bzw. als nicht zentral interpretiert worden, doch kann das Buch insge samt als anregende und vor allem die eigentümliche Dynamik dieses Staatswesens präzise beschreibende Studie nur gelobt werden. Regensburg 660 Peter Mario Kreuter Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Walter Daugsch, Internationalismus und Organisation. Studien zur Entstehung und Entwicklung der serbischen Sozialdemokratie. Herne: Gabriele Schäfer Verlag 2008. 278 S„ ISBN 978-3-933337-63-4, € 39,50 Der Historiker Walter Daugsch bringt uns mit seinem Buch eine politische Bewegung näher, die in Serbien eine Außenseiterrolle hatte. In seiner Darstellung der serbischen Sozial demokraten, in der er die älteren Forschungsergebnisse ausführlich berücksichtigt, gelingt dem Autor vor allem eine Sache sehr gut: die zeitliche, räumliche und inhaldiche Einbettung bzw. Kontextualisierung der serbischen Sozialdemokraten bzw. der sozialdemokratischen Idee in Serbien. Dies spiegelt sich in dem Aufbau des Buches wider, das in sechs Kapitel gegliedert ist. Sieht man vom ersten Kapitel, der Einleitung, in der auf die Problematik der verzerrten Wahrnehmung des Sozialismus und der Sozialdemokratie im (kommunistischen) Jugoslawien hingewiesen wird, sowie von den im Kapitel sechs verhältnismäßig sehr knapp ausgefallenen Schlussbemerkungen ab, hat das Buch vier zentrale Kapitel. Das erste unter ihnen (19-42) liefert den für das Thema überaus wichtigen historischen und politischen Kontext, in dem die serbische Sozialdemokratie zu entstehen begann. Ein allgemeiner Überblick über die wirtschafdichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten (Landwirtschaft, Handwerk, Industrialisierungsbeginn, Handel) sowie über die politische Entwicklung Serbiens (Parteigründungen) zeigt, dass Serbien seit Mitte des 19. Jh.s auf einer Entwicklungsstufe war, die an das frühe Mittelalter erinnerte (19).
Deshalb sollte, so am Ende des 19. Jh.s der allgemeine Trend in dieser Region Europas, in dem jungen Staat die mittel- und westeuropäische Entwicklung und vor allem die wirtschaftliche Moder nisierung rasch nachgeholt werden. Diese überstürzte Durchführung von strukturellen, institutionellen und gesellschaftlichen Veränderungen führte jedoch dazu, dass ein sonst langwieriger, evolutiver und keinesfalls problemarmer Prozess beschleunigt wurde und somit zusätzlich eine unkontrollierbare Eigendynamik erhielt (ebenda). Konkret ausgedrückt: Serbien kennt am Übergang zum 20. Jh. keine flächendeckende Industrialisierung; im Jahr 1897 arbeiten lediglich 1,85% der Stadtbevölkerung in Fabriken (30), während der Staat, um eine breite Verarmung der Massen zu verhindern, Gesetze verabschiedet, die die Entwicklung des Kapitalismus bremsen (31). Die Arbeiterschaft rekrutiert sich folglich aus der verarmten Landbevölkerung (ebenda), aber auch aus der Schicht der Handwerker, die alle zusammen eine vorindustrielle Mentalität hatten (27). Die Konkurrenz zwischen den Proletariern bäuerlicher Herkunft und jenen aus der Handwerkerschicht um die Ar beitsplätze in den neu entstehenden Fabriken sowie die Bereitschaft des Dorfproletariats, für einen geringeren Lohn in Industrieunternehmen zu arbeiten, vereiteln schließlich die Entwicklung einer starken Arbeiterbewegung und die Bildung eines Gefühls der Solidarität unter der gesamten Arbeiterschaft (31, 33). Mit diesem Tatbestand im Hinterkopfwird der Leser im dritten Kapitel zum eigentlichen Gegenstand des Buches - der serbischen Sozialdemokratie
- geleitet. Dabei werden die Anfänge und Umstände erster sozialistischer Aktivitäten in Serbien seit 1875 dargestellt, die vor allem auf städtische Handwerker und Intellektuelle zurückzuführen waren (45). Bis 1880 gab es keinerlei sozialistische Agitationen, Zeitungsgründungen und Organisa tionen. Im Jahr 1892 entsteht dann mit der Gründung des „Serbischen Handwerker- und Südost-Forschungen 68 (2009) 661
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Arbeitervereins“ („Srpski zanatlisko-radnički savez“) erstmals eine Organisation, in der so zialdemokratische Ideen diskutiert wurden und aus deren Mitgliederschaft die Gründer der 1903 entstandenen „Serbischen Sozialdemokratischen Partei“ („Srpska socijaldemokratska stranka“, SSDS) stammten (47f.). Grundsätzlich war die Entwicklung sozialistischer Orga nisationen und der Arbeiterbewegung in Serbien von drei Faktoren geprägt: vom Wandel alter gesellschaftlicher Strukturen (Verarmung von Bauern, Niedergang des Handwerkes und Gründung von Industrieunternehmen); von den Arbeitern, die vorübergehend im Ausland arbeiteten und somit für einen Ideentransfer sorgten; schließlich vom Prozess der zu diesem Zeitraum in Westeuropa staatfindenden Gründungen von Massenparteien, die sich den Klassenkampf auf die Fahnen geschrieben hatten. Obwohl nicht im gleichen Entwicklungsstadium wie Westeuropa, erfassten Gründungswelle und -enthusiasmus auch Serbien, wobei die deutsche SPD als wichtigstes Vorbild herangezogen wurde (48f). Anders jedoch als in Westeuropa, wo die entstehenden Massenparteien auf eine zahlreich vorhan dene industrielle Arbeiterschaft trafen, gab es in Serbien kein Proletariat, das die Partei mit ihrem Aufruf zum Klassenkampf hätte ansprechen oder mobilisieren können. Somit entstand das Paradox, dass man ein Massenbewusstsein von außen schaffen wollte für eine Klasse, die gar nicht vorhanden war (53). Die Gründung einer sozialdemokratischen Partei in Serbien erwies sich demnach als ein wirklichkeitsfremdes Vorhaben von Intellektuellen.
Diese verkannten letztendlich auch, dass die Übernahme des Erfurter Programms der SPD als Parteiprogramm der SSDS kapitalistische Wirtschaftsverhältnisse vorausgesetzt hätte und dass eine reine Verpflanzung westlicher Modellekeine Lösung mit sich bringen konnte (88). Im vierten Kapitel analysiert Daugsch die Beziehungen der serbischen Sozialdemokraten zum Ausland. Serbien war seit 1901 Mitglied des „Internationalen Sozialistischen Büros (ISB)“ (107), und die Sozialdemokraten maßen dem eine große Bedeutung bei. In ihren Stellungnahmen vor dem ISB distanzierten sie sich vom großserbischen Nationalismus, d. h. sie lehnten den Nationalstaat als Lösung auf dem Balkan grundsätzlich ab. Darüber hinaus traten sie unmissverständlich gegen Krieg, Rüstung und Militarismus auf - eine Haltung, durch die sie 1914 auch internaţional bekannt wurden (113f.). Aber auch wenn die Teilnahme serbischer Sozialdemokraten an Kongressen der Internationale sicher von Bedeutung für die Entwicklung der Sozialdemokratie war, so ist deren Darstellung in die sem Kapitel an manchen Stellen dennoch etwas zu langatmig und detailliert. Neben dieser institutionellen, offiziellen Verbindung und Zusammenarbeit gab es auch einen informellen Austausch mit dem Ausland. Dieser wickelte sich über die Auslandsstudien von sozialde mokratischen Aktivisten (116-123) und serbische Arbeitervereine im Ausland ab. Rolle, Organisation und Profil dieser Vereine widmet Daugsch ein ausführliches Kapitel (123-180). Das letzte Kapitel hat die Alternativen zur Sozialdemokratie in Serbien zum Gegenstand, vor allem den Anarchismus
(200-215) und Syndikalismus (215-252). Dem syndikalisti schen Aktivisten Milorad Popovié (1874-1904) und dessen Wirkung in Paris und Budapest kommt dabei ein ausführliches und sehr detailliertes Unterkapitel zu. Aber auch für diese Bewegungen ist signifikant, dass sie größtenteils auf aus Westeuropa übernommenen Ideen gründeten, wo der Syndikalismus eine Reaktion auf die sog. zweite Industrielle Revolution, den Kolonialismus und Imperialismus darstellte. Aus diesem Grund konnten diese Ideen in Serbien nicht wirklich authentisch Anhänger finden (253f). 662 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Insgesamt gibt dieses Buch einen sehr guten Einblick in Entstehungsgeschichte und Entwicklung der serbischen Sozialdemokratie. Lehnt man sich nach dem Lesen dieser de tailreichen Studie kurz zurück, spürt man kurzweilig jedoch einen bitteren Nachgeschmack. Dieser hat weder etwas mit dem Inhalt an sich oder dem Aufbau der Studie noch mit dem Autor selbst zu tun. Im Gegenteil, Daugsch liefert mit dieser Publikation fraglos einen wertvollen Beitrag über einen Teil der politischen Szene in Serbien. Der bittere Nachge schmack stammt vielmehr davon, dass sich Daugschs politische Analyse Serbiens zwischen dem Berliner Kongress und dem 1. Weltkrieg größtenteils auch als eine Analyse Serbiens zwischen 1989 und heute lesen lässt. Diese Feststellung fuhrt selbst dem fachkundigen Leser zwei zwar bekannte, aber dennoch ernüchternde Tatsachen vor Augen: Erstens, dass Serbien etwas weniger als hundert Jahre nach dem Beginn des 1. Weltkriegs mit nahezu den gleichen strukturellen Herausforderungen und den inhaltlich nahezu gleichen ideologi schen und politischen Konflikten konfrontiert ist wie damals. Daraus kann man bestenfalls schließen, dass sich die Geschichte in Serbien wiederholt (was schon schlimm genug wäre), und schlimmstenfalls, dass in Serbien das Rad der Geschichte stillsteht: Gegenwart ist Vergangenheit, Vergangenheit ist Gegenwart. Die zweite Ernüchterung folgt aus der Dar stellung der serbischen Sozialdemokraten. Auch diese haben — ganz gleich, wie progressiv und aufgeklärt sie in ihrem Denken waren — offenbar an der sowohl damals als auch heute im Balkanraum
akut verbreiteten Krankheit gelitten, geistige Errungenschaften aus dem Westen ohne Hinterfragung schlichtweg zu übernehmen und sie ungeachtet der struktu rellen, institutionellen und sozialen Gegebenheiten zu verpflanzen. Gewisse Absurditäten waren eine, von Komik nicht ganz freie, Folge davon. So agitierten die Sozialdemokraten für die Schafiung von Gewerkschaften in einem Land ohne Industriebetriebe oder setzten sich für die Rechte von Proletariern in einem vorkapitalistischen Land ein. Würden dem Leser dieses Buches diese Parallelen zum heutigen Serbien nicht immer wieder bewusst werden, dann wäre diese Studie eine interessante historische Lektüre über ein politisches Projekt in Serbien zu Beginn des 20. Jh.s. So aber hat man zwar eine interessante, aber auch stellenweise indirekt sehr deprimierende Lektüre vor sich. Als solcher muss man ihr dennoch eine positive, weil mahnende Rolle zuschreiben. Belgrad Irena Ristič Engelbert Deusch, Das k.(u.)k. Kultusprotektorat im albanischen Siedlungsgebiet in seinem kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Umfeld. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 2009 (Zur Kunde Südosteuropas, 11/38). 1035 S., ISBN 978-3-205֊ 78150-9, € 129,Engelbert Deusch forscht nunmehr seit Jahrzehnten zur Geschichte des österreichisch (-ungarischen) Kultusprotektorats. Dies kann als eine sehr lohnenswerte Forschungsaufgabe angesehen werden, da die in Wien zur Verfügung stehende Quellenbasis besonders reich Südost-Forschungen 68 (2009) 663
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 ist. Der Autor hat während der vergangenen Jahre zahlreiche Studien über die (nord-) albanischen Katholiken veröffentlicht, in denen er einzelne kleinere Teilergebnisse seiner diesbezüglichen Forschungen publizierte. Das Opus Magnum, die synthetisierende Mono graphie, die den Schlusspunkt der Forschungen bedeutet hätte, hat jedoch bis zu diesem Augenblick auf sich warten lassen. Der nun erschienene Band ist schon seinem Äußeren nach imposant ֊ er umfasst mehr als 1000 Seiten! Ausgehend vom Quellenverzeichnis hat Deusch alle vorhandenen Archivbestände, die in Wien (HHStA, KA, AR, AV) und in Salzburg (Konsistorialarchiv der Erzdiözese) über das Kultusprotektorat aufbewahrt werden, herangezogen. Diese Quel lenbasis wird durch die bereits publizierten zeitgenössischen englischen, französischen und italienischen diplomatischen Schriften ergänzt. Auch die reichhaltige Sekundärliteratur ist in der Bibliographie gut dokumentiert; der Autor war bestrebt, die Fachliteratur gänzlich zu sammeln und zu nutzen. Das Buch versucht zwar die ganze Geschichte des Kultusprotektorats darzustellen, aber wegen der Einschränkungen, die sich aus den Quellen ergeben, konzentriert es sich in erster Linie auf die Ereignisse in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s. Deusch untersucht das katholische Kultusprotektorat der Habsburger vor allem in den albanischen Gebieten, aber er gibt auch kurze Einblicke in die Beziehungen Wiens zu weiteren katholischen Gemein schaften im Osmanischen Reich. Der vorliegende Band besteht aus 24 Kapiteln. Die ersten drei Kapitel können als eine
allgemeine Einleitung und Einführung in das Thema angesehen werden. In diesen stellt der Autor Geschichte und Lage der im Osmanischen Reich lebenden Christen und Katholiken auf dem Balkan vom 15./16. Jh. bis zur Wende des 19./20. Jh.s dar. Hier werden auch die ersten französischen und russischen Bestrebungen auf ein Kultusprotektorat behandelt. Die Kapitel IV und V fassen den Kenntnisstand über das österreichisch (-ungarische) Kultuspro tektorat im 19. Jh. zusammen. Die Kapitel VI-XIV stellen die nordalbanische katholische Gesellschaft dar und bilden in erster Linie für diejenigen, die sich für die Alltagsgeschichte interessieren, eine aufschlussreiche und nützliche Lektüre. Die folgende größere Einheit (die Kapitel XV-XX) befasst sich mit den mannigfaltigen Kultusprotektoratsbeziehungen zwischen der Donaumonarchie und den albanischen Katholiken. Hier beschreibt der Autor die Geschichte der einzelnen Mönchsorden (Jesuiten, Franziskaner) und der weltlichen Geistlichen voneinander getrennt. Die Geschichte und der Bewegungsraum der Kultus protektoratszuständigkeit der Wiener Regierung wurden stark durch die am Ende des 19. Jh.s erstarkenden ähnlichen italienischen, französischen und armenischen Bestrebungen beeinflusst; der Darstellung dieser Bestreben widmet der Autor drei Kapitel (Kapitel XXIXXIII). Ein Charakteristikum der Rivalität zur Jahrhundertwende war, dass die Rolle des Kultusprotektors in erster Linie zum Deckmantel der imperialistischen Bestrebungen der zeitgenössischen Großmächte wurde. Das letzte Kapitel des Buches (XXIV) interpretiert die über die
Institutionen und Schulen des k. u. k. Kultusprotektorats in Albanien gesam melten Daten. Die Orientierung des Lesers wird in großem Maße durch den Personen- und geographischen Index am Ende des Bandes erleichtert. Der Autor hat seine Quellen nach drei Gesichtspunkten geordnet. Nach dem ersten werden die Beziehungen der Großmächte, die über Kultusprotektorrechte verfügten, 664 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen zueinander und zu den Katholiken des Osmanischen Reiches zusammengefasst. Aus den diesbezüglichen Kapiteln kann klar herausgelesen werden, dass die Politik der in Frage kommenden Großmächte im 19. Jh. vor allem durch Religions-, Prestige- und Ad hocAspekte bestimmt wurde. Nach einem zweiten Gesichtspunkt der Untersuchung stellt der Autor die Beziehung Wiens zur katholischen Gesellschaftsschicht in Albanien dar. Hierbei konzentriert sich Deusch in erster Linie auf die lokale Tätigkeit der Konsuln sowie auf die praktische Verwirklichung der auf dem Ballhausplatz getroffenen Entscheidungen. Einer seits spricht er über die Kompetenz- und Autoritätsstreitigkeiten der k.(u.)k. Beamten mit den osmanischen Behörden, über die praktischen Hindernisse der Verwirklichung der abgesteckten Ziele, andererseits über die Veränderungen des Kultusprotektorbildes, das unter der lokalen katholischen Bevölkerung ausgestaltet wurde. Der dritte Gesichtspunkt der Quellenanordnung erscheint wohl am interessantesten: Diese behandelt nämlich den Alltag der Katholiken auf dem Westbalkan. Jener Leser, der sich für die Alltagsgeschichte und für die Loyalitätsverhältnisse in der Geschichte des 19. Jh.s interessiert, findet zahlrei che nützliche Informationen und statistisches Datenmaterial im Buch. Aus den nach dem zweiten, aber besonders nach dem dritten Gesichtspunkt geordneten Quellen ist eindeutig ersichtlich, dass der Ballhausplatz eigentlich bis 1895/1898 über keine einheitliche Kon zeption verfugte. Die Protektoratsrechte wurden vom jeweiligen Außenministerium als Reaktion auf
konkrete Probleme bzw. auf ad hoc auftretende Veränderungen ausgeübt. Als der gemeinsame Außenminister Agenor Gołuchowski entschied, dass es einer vollkommen neuen Albanien-Politik bedarf (79), als sich also konkrete politische Interessen und ein starker Willen mit den Möglichkeiten, die sich aus den Befugnissen des Kultusprotektors ergaben, verknüpften, erhielt auch das Protektorat über die Katholiken ein eigenes Profil. Ganz interessant ist die Entdeckung Deuschs, wonach die ungarische Regierung zur Jahr hundertwende nicht einmal von den Kultusprotektoratsrechten gehört hatte (80f.). Im Jahre 1901 vermutete der ungarische Ministerpräsident Kálmán Széli hinter diesem Protek toratsrecht eine erneute Aktion, die absichtlich von der österreichischen Monarchiehälfte vor den Ungarn geheim gehalten wurde. Das Werk von Deusch kann mehrere positive Ergebnisse zeitigen. Einerseits ist es besonders nützlich, dass er sich bei der Behandlung der Geschichte und der Tätigkeit des Kultusprotektorats nicht auf die von katholischen Albanern bewohnten Gebiete beschränkt, sondern auch Ausblicke nach Klein-Asien und zum Nahen Osten wagt, mit denen er Bezugspunkte für den Leser zur Interpretation des Gelesenen eröffnet (z. B. über die Frage, inwieweit das Schulsystem, das vom Kultusprotektorat aufrechterhalten wurde, das Schulsystem des Osmanischen Reiches übertraf). Andererseits hat Deusch in seinem Band verblüffend reichhaltige Quellen über den albanischen Alltag zusammengetragen. Und dabei vergisst er auch nicht, die bereits vorhandene Fachliteratur zu reflektieren (er kritisiert,
widerlegt, ergänzt usw.). Den Alltag können wir in erster Linie aus den Quellen, die in den Haupttext eingefugt sind, kennenlernen. Diese unmittelbaren Quellenpublika tionen geben durch wunderbare Geschichten Einblick in das katholische Lebensmilieu (z. B. durch die Geschichten der als Bandenführer tätigen Franziskaner oder der als Schmuggler agierenden Priester, 133-138). Hierzu sind in erster Linie die Kapitel VII (101-124) und VIII (124-133) hervorzuheben, die unter anderem Angaben zu den muslimisch-christlichen Südost-Forschungen 68 (2009) 665
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Beziehungen, zu religiösem Aberglauben, zum Alltag in den Pfarreien usw. enthalten. Die Kapitel über die albanischen Franziskaner (XVIII, 534-621) und Jesuiten (XVI, 464-514) gehören ebenfalls zu den besser gelungenen Teilen des Werkes. Ein großer Vorzug des Buches stellen die zahlreichen statistischen Daten, Listen, Tabellen und biographischen Beiträge dar, die in erster Linie Forschern von Nutzen sein werden. Ein Teil dieser Statistiken war bereits bekannt, zum Teil hat sie Deusch selbst publiziert, zum Teil sind sie z. B. aus den Werken von Peter Bartl bekannt, aber so übersichtlich sind sie erst hier aufzufinden. Damit ist jener Teil dieser Besprechung erreicht, den der Rezensent schweren Herzens verfasst hat. Das Werk von Deusch hat nämlich auch schwerwiegende negative Aspekte. So scheint sich der Autor selbst nicht immer im Klaren darüber zu sein, was er schreiben möchte ֊ es gibt nämlich keine Fragestellung. Er hat jahrzehntelang an der Erforschung der Geschichte des Kultusprotektorats gearbeitet, aber zum Schluss ist es ihm augenscheinlich nicht gelungen, die Quellen systematisch zu ordnen und aufzuarbeiten — er ist unter ihrer Last zusammengebrochen. Offensichtlich war er nämlich bestrebt, alle aufgespürten Mate rialien zu veröffentlichen. Sein Ordnungsprinzip war auch einfach: Er legte die Thematik der einzelnen Kapitel fest und hat danach die Quellen einfach in zeitlicher Reihenfolge aneinandergefügt; dabei hat er die Original-Quellentexte entweder essayistisch zusammen gefasst oder im Haupttext als Quellenpublikation
wiedergegeben. Die Mehrheit der von ihm zusammengesammelten Geschichten ist zwar interessant, aber sie schweben in der Luft, für einen Laien sind sie vollkommen uninterpretierbar. Deusch veröffendicht zwar eine Menge von statistischen Tabellen, aber er gibt dazu keine Interpretationsrahmen oder Bezugspunkte. Der Autor versucht zum Beispiel die Subventionspolitik des Ballhausplatzes anhand zahlreicher Statistiken darzustellen. Der Leser kann bis hin zu den einzelnen Pfar reien und Gemeinden kennenlernen, wer (welcher Pfarrer oder Bischof) oder was (welche Kirche oder welches Krankenhaus) wie viel Kronen und zu welchem Zweck erhalten hat. Es wird jedoch nicht deutlich, welchen Anteil am jahresbudget des Ballhausplatzes oder an den Gesamtausgaben des gemeinsamen Außenministeriums für Albanien die für die albanischen Katholiken festgelegten Summen ausmachten. Auswertung und Analyse der Daten fehlen vollkommen. Ein weiterer hierher gehörender Mangel des Werkes ist die Einseitigkeit der Quellen. An sich wäre das kein Problem, wenn zur Analyse des angesam melten Wissensinhaltes entsprechende Methoden zur Verfügung stehen würden. Es wäre wohl angebracht gewesen, kleinere Teilgebiete auszuwählen und zu diesen entweder weitere Wiener Quellen aufzudecken oder z. B. die Akten der Propaganda Fide in Rom usw. aus zuwerten. Die Kapitel XXI-XXIII (628-867, über die rivalisierenden Kultusprotektorate) wären zum Beispiel besser verständlich, wenn der Autor auch auf den Verfall des MilletSystems oder auf die weiteren Gründe der innenpolitischen Schwäche des Osmanischen Reiches eingegangen
wäre. Ebenfalls zu bemerken ist, dass der Autor ein sehr einseitiges Bild der zeitgenössischen albanischen (Gesellschafts-)Verhältnisse malt. Es scheint, als ob die nordalbanischen Katholi ken auf einer völlig abgeschotteten Insel inmitten des muslimischen Meeres im Osmanischen Reich gelebt hätten. Diese Fehlinterpretation kann auf keinen Fall darauf zurückgefuhrt werden, dass der Autor kein Albanisch spricht, denn die einschlägige deutschsprachige Literatur ist sehr reich. Auch muss hier angeführt werden, dass der Rezensent sich wegen 666 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen seines eigenen Interessenkreises mit besonderer Neugier dem Kapitel über die italienische und österreichisch-ungarische Rivalität (XXII, 686-806) genähert hatte. Aber auch hier folgte eine Enttäuschung, obwohl dieses Kapitel anhand der von Deusch aufgearbeiteten Archivalien und der Fachliteratur sehr schön hätte ausgearbeitet werden können. Kurz und gut: Die Aufarbeitung dieses Werkes stellt den Leser wie den Forscher vor eine Aufgabe, die einer Archivsuche nicht unähnlich ist. Das Buch ist einer Archiv-Akte oder einem Karton gleich, der alle zeitgenössischen Schriften (Varia) über ein Thema enthält, die Sortierung (Interpretation, Analyse, Deutung usw.) aber dem Historiker als Aufgabe überlässt. Das Werk Deuschs wird in erster Linie jenen Historikern nützlich sein, die sich berufsmäßig mit Albanien bzw. mit der Geschichte der Katholiken auf der BalkanHalbinsel beschäftigen. Ein weiterer Aspekt der Kritik ist die innere Struktur. Die Frage, die sich hier stellt, ist die nach dem anvisierten Zielpublikum. Wenn er sich selbst die Antwort auf diese Frage nicht schuldig geblieben wäre, dann könnte wohl auch die Gattung des Werkes einfacher bestimmt werden. Das Buch enthält Elemente zahlreicher Gattungen. Es gibt im Werk Teile, die einem Handbuch ähneln, andere wiederum einem Lexikon oder teilweise einem Studienband. Dies war die Schlechtestmögliche Lösung. Bei einem Thema mit einer solch reichen Quellenbasis hätte man in Betracht ziehen können, die erschlossenen Daten in mehreren Bänden zu publizieren; dann hätte es einen Studienband, eine Quellensammlung, ein
prosopographisches Verzeichnis oder ein Buch über historische Statistiken der katholischen Albaner im 19. Jh., usw. geben können. Die Klärung der Gattung hätte auch dazu beitragen können, das Gefüge nicht so chaotisch werden zu lassen. Die Bestimmung und Aneinanderreihung der 24 Kapitelthemen ist zwar gut, aber selbst die Binnenstruktur der einzelnen Kapitel ist oft unverständlich (das wird auch durch die Untertitel der einzelnen Unterkapitel wider spiegelt, z. B. 821). Auch die Proportionierung der einzelnen Kapitel ist verblüffend: Das längste Kapitel zählt 133 Seiten (XXIV), die beiden kürzesten nur 5 (XX, „Woher kam das Geld?“ 623-628, und dies bei diesem besonders wichtigen Thema!) bzw. 2 (die Konklusion)! Ernste Kritik muss auch am Verlag geübt werden. Die Finanzkrise hat offensichtlich die Sphäre der Wissenschaft erreicht, was im Hinblick auf den vorliegenden Band einen eindeu tigen Rückfall in der Qualität bedeutet; das Buch spiegelt die Gleichgültigkeit des Verlages wider. Einerseits hätte ein Werk dieses Umfangs ein Hardcover verdient. Andererseits hätte man der obgenannten Kritik Vorbeugen können, wenn das Buch einen Fachlektor gehabt hätte. Der Verlag hat auch daran gespart, das Buch richtig zu redigieren bzw. umzubrechen: Das Manuskript wurde ohne jedes Durchlesen sofort an die Druckerei geschickt. Es ist sehr schade für eine solche Herausgabe bei Böhlau. Zum Schluss soll noch eine Kritik ausgesprochen werden, die nicht dem Autor ange rechnet werden kann, denn dieser Punkt wird vom Großteil der einschlägigen europäischen Fachliteratur falsch in Evidenz
gehalten. Es handelt sich hierbei um einen allgemeinen Irrtum (37): Die Auffassung Russlands in der Rolle eines Patrons und Befreiers hatte nichts mit der Lehre zu tun, die als „Moskau, Drittes Rom“ ins öffentliche Bewusstsein eingezogen ist. Daraus folgt auch, dass man die russische Expansion in Richtung des Balkans nicht Südost-Forschungen 68 (2009) 667
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 als politische Folge, als praktischen politischen Niederschlag der „Drittes Rom“-Lehre ansehen kann.1 Das Buch ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Interesse an der Geschichte noch niemanden zum Historiker macht, aber auch dafür, dass es bei Weitem kein Unglück ist, wenn sich mit demselben Forschungsgegenstand mehrere Forscher befassen. Eine synthetisierende und analytische Monographie über die Geschichte des österreichisch (-ungarischen) Kultusprotektorats bleibt weiterhin ein Forschungsdesiderat. Budapest Krisztián Csaplár-Degovics 1 Vgl. Szergej Filipov, Történelembölcsészeti elképzelések a 15-17. századi Oroszországban [Ge schichtsphilosophische Konzeptionen im Russland des 15.-17. Jahrhunderts], AETAS3 (1995), 5-31. Odysseas Lampsides, Συμβολή στην οικονομική ζωή της Σμύρνης μετά το 1870 [Beitrag zum Wirtschaftsleben von Smyrna nach 1870]. Hg. Ariadne Razē. Athen: Kanaki Ekdoseis 2009. 847 S., 8 Abb., zahir. Tabellen und Statistiken, ISBN 978-960-7420-98-5 Der bekannte, 2006 im hohen Alter verstorbene Byzantinist und Historiker der PontusGriechen, Odysseas Lampsidis, hat postum einen Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des Handelshafens Smyrna nach 1870 bis zur gewaltsamen Aussiedlung der Griechen 1922 hinterlassen, den Ariadne Razi in bestechender Bescheidenheit und vorbildlicher Akribie herausgibt. Einen ähnlichen Versuch hatte Lampsidis schon 1999 mit der Wirtschaftsge schichte des Pontus gewagt.1 Aufgrund der besseren Quellenlage und der Bedeutung des Handelshafens der Ostägäis ist dieser Beitrag jedoch wesentlich umfangreicher
ausgefallen. Das Fazit der Studie, aus der nur die letzte Zusammenfassung aus der Feder des Verfassers fehlt, ist, dass die Griechen im Wirtschaftsleben der Geburtsstadt des Nobelpreisträgers Georgios Sepheris eine herausragende Rolle gespielt haben; das war auch vorher bekannt, lässt sich aber nun statistisch, nach Berufen aufgegliedert und mit Personennamen doku mentierbar, belegen. Die Monographie gliedert sich in drei Teile: die Einleitung mit den griechischen Berufsträgern und Handelsleuten nach den Handelsführern und veröffentlich ten Registern der griechischen Handelskammer von Konstantinopel, weitere unbekannte Texte zum Handelsleben der Stadt 1889-1914 sowie ein alphabetisches Verzeichnis aller namendich bekannten Berufsträger und Handelsleute. Der erste Teil (21 -392) geht auf die Geschichte des Handelshafens gegen Ende des 19. Jh.s ein, präzisiert die prosopographischen und demographischen Ziele der Untersuchung, geht in einem zweiten Abschnitt auf die Quellen ein (33-44, Kalender und Handelsführer von Smyrna, Indicateur des professions commerciales et industrielles de Smyrnę, verschiedene Handelsführer der Stadt und Umgebung, die Monatsblätter der griechischen Handelskam mer von Konstantinopel); ein weiterer Unterabschnitt geht auf die Wirtschaftsgeschichte des Hafens ein, wie sie aus diesen Quellengruppen ersichtlich wird. Es folgen statistische 668 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Angaben zur demographiscben Zusammensetzung der Bevölkerung seit 1613 (45-74, Reiseberichtsangaben statistisch ausgewertet und aufgelistet - der griechische Bevölke rungsanteil wird erst nach 1860 vorherrschend). Der letzte Abschnitt des ersten Teils gibt Auszüge aus den einzelnen Quellengruppen (75-392) mit analytischen Angaben zu Schiffs und Handelsgesellschaften, Zeitungen, Druckereien, Berufsgruppen mit Personenangaben (diese katalogartigen Angaben sind umfangreich und detailliert, der ethnische Anteil der Griechen liegt hier um die 70%). Auf diese Weise wird der „Kalender und Führer Smyrnas“ (Ημερολόγιον και Οδηγός Σμύρνης) der Jahre 1888, 1889 und 1890 ausgewertet (77-112, 113-149, 150-186), der „Handelsführer von Smyrna und Umgebung“ (Εμπορικός Οδηγός της Σμύρνης και των Περιχώρων) von 1901 (187-260, mit 3.380 Personenangaben), der „Griechisch-Französische Welthandelsführer“ von 1908 (261-282), der „Griechische Handelsfuhrer für die Türkei“ 1909/1910 (283-351 mit 3.656 Personenangaben), die „Mo natsblätter“ und „Wochenmarktblätter“ (μηνιαίον Δελτίον, εβδομαδιαίον Δελτίον Αγορών) der Griechischen Handelskammer von Konstantinopel 1896-1914 (352-384) sowie eine (aus Gründen des plötzlichen Ablebens des Verfassers unvollständige) statistische Auswertung dieser Angaben (385-392). Im zweiten Teil folgen andere, bisher nicht ausgewertete Texte zum Wirtschaftsleben Smyrnas in diesem Zeitraum (393-531): ein Lagebericht des englischen Subkonsuls von 1900 sowie Artikel aus den Monatsblättern der griechischen Handelskammer von Konstantinopel mit z.T. detaillierten
Angaben über Handelsvolumen, Infrastrukturen der Handelsgesellschaften, KarteUbildungen, Marktverhähnisse, Aus- und Einfuhren, Waren, Preise, diachronische Statistiken und Schwankungen usw. Der dritte Teil (533-816) umfasst einen umfangreichen alphabetischen Namenskatalog der im ersten Teil in den Quellen namentlich angeführten Personen (mit Quellenverweis) eine Art prosopographisches Lexikon des Handelswesens von Alt-Smyrna. Im Anhang bringt die Herausgeberin im Andenken an den Verfasser ein Werkverzeichnis von Odysseas Lampsidis (819-847), gegliedert in seine Studien und Monographien zum griechischen Pontusgebiet und den Pontus-Griechen, zur byzantinischen Welt sowie Rezensionen und Buchanzeigen. Den umfangreichen Band beschließen einige Abbildungen aus dem grie chischen Viertel von Smyrna. Athen, Wien Walter Puchner 1 Η οικονομική ζωή του Πόντου μετά το 1880, Ο Ξενιτιάς 15 (1999), 9-183. Südost-Forschungen 68 (2009) 669
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Miloš Jagodič, Srpsko-albanski odnosi u Kosovskom vilajetu (1878-1912) [Serbisch albanische Beziehungen im Vilayet Kosovo (1878-1912)]. Beograd: Zavod za udžbenike 2009 (Biblioteka Jazon, 21). 408 S., ISBN 978-86-17-15865-9, US-$ 30,Ein zentrales Thema innerhalb der serbischen historischen Wissenschaften bildet die spätosmanische Geschichte Kosovos bis zur serbischen und montenegrinischen Eroberung im Ersten Balkankrieg 1912/1913 und hier speziell die Beziehungen zwischen Serben und Albanern. Zahlreiche wissenschaftliche und publizistische Werke sowie Quellenpublika tionen wurden vor dem Hintergrund der Kosovokrise gerade in den letzten Jahren veröf fentlicht, wobei hier durchgängig das Bild gezeichnet wird, die serbische Bevölkerung in Kosovo sei von den Albanern gezielt unterdrückt, getötet und vertrieben worden, während der osmanische Staat dies machtlos geschehen ließ und teilweise auch bewusst förderte. Auch die jüngere Historikergeneration widmet sich den Fragen nach dem Zusammen leben im spätosmanischen Kosovo. Miloš Jagodic untersucht in seiner Monographie, mit der er 2008 an der Universität Belgrad promovierte, die serbisch-albanischen Beziehungen im Vilayet Kosovo in den Jahren 1878 bis 1912. Als Quellengrundlage dienen ihm unver öffentlichte serbische Dokumente aus den Beständen des Staatsarchivs Serbiens, zu einem geringeren Teil auch des Staatsarchivs Jugoslawiens, des Archivs der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, des Staatsarchivs der Republik Mazedonien sowie des Ar chivs des Militärhistorischen Instituts
in Belgrad. Ergänzend zieht der Verfasser publizierte österreichisch-ungarische, britische, französische und deutsche diplomatische Berichte in mazedonischer Übersetzung sowie serbische Aktenpublikationen heran. Daneben wertet er narrative serbische Quellen, Reiseberichte und Erinnerungen von serbischen Konsuln, Reisenden und Lehrern sowie eine Reihe von Bevölkerungsstatistiken aus, die vom serbi schen Staat veröffentlicht wurden. Nach einer knapp gehaltenen Einführung (VII-ΧΙ), in welcher der Verfasser den For schungsstand kurz streift, und einem Kapitel über die Schaffung des Vilayets Kosovo, dessen sich mehrmals ändernden administrativen Grenzen und die Verwaltungsorganisation (1-15), ist die Arbeit in sechs Hauptteile gegliedert. Im ersten Kapitel (Der Schutzwall des Reiches, 17-127) gibt Jagodic einen historischen Überblick über den Untersuchungszeit raum 1878-1912. Im Zentrum steht hierbei die Frage nach den osmanisch-albanischen Beziehungen und der osmanischen Politik gegenüber den Albanern, vor deren Hintergrund seiner Meinung nach die Beziehungen zwischen Serben und Albanern gesehen werden müssen. Er argumentiert, die Albaner hätten als loyale und zuverlässige Untertanen eine wichtige Stütze für den osmanischen Staat in dessen Politik gegenüber seinen christlichen Bevölkerungsgruppen sowie den christlichen Großmächten und Balkanstaaten dargestellt. Folglich hätte Abdülhamid II. den Albanern eine Reihe an Zugeständnissen eingeräumt, um diese dauerhaft an das Osmanische Reich zu binden. So interpretiert er auch das mangelnde staatliche Gewaltmonopol in Kosovo als
gezieltes Nachgeben der Osmanen, in dessen Folge die Albaner ihre „Willkür“ in der Region ausbauen konnten (51). Im folgenden Teil (Ungleichheit, 129-181) schildert Jagodič, wie entgegen dem Ziel der Tanzimat-Reformen rechtliche und soziale Ungleichheiten zwischen Muslimen und Nicht muslimen weiterbestanden. Konkret führt er dies am Beispiel der Serben aus, deren Lage 670 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen er gegenüber den Albanern als benachteiligt charakterisiert. Er bezeichnet die mehrheitlich „ungebildeten“ muslimischen Albaner, die gegenüber den Serben feindlich eingestellt ge wesen seien, als „fanatisch“ (131) und konstatiert insgesamt eine stark ausgeprägte religiöse Identität der muslimischen Albaner. Diese seien vor den osmanischen Behörden bevorteilt gewesen, dominierten weiterhin Polizei und Gendarmerie und durften im Gegensatz zu den Serben Waffen tragen. Ausführlich diskutiert Jagodic die Agrarverhältnisse, die er mit Tabellen illustriert. Obwohl die grundbesitzenden Aga mehrheitlich muslimisch waren, besaß auch ein kleiner Teil der vermögenden Orthodoxen Land, das von mehrheitlich serbischen Pachtbauern bearbeitet wurde. Die Mehrheit der Orthodoxen und Muslime waren jedoch freie Bauern, die über geringen eigenen Grund verfügten. Insgesamt kons tatiert der Verfasser auch hier eine ungleiche Stellung von Albanern und Serben und eine „Überlegenheit“ (181) der ersteren. Im dritten Hauptkapitel (Verbrechen, 183-224) thematisiert der Verfasser die Frage der Gewalt im spätosmanischen Kosovo. Hier wertet Jagodic serbische Konsulatsberichte, die genaue Listen von getöteten Serben führten, aus und stellt detaillierte statistische Ta bellen für die einzelnen Verwaltungsbezirke zusammen, in denen er pro Jahr nach Toten und Verwundeten sowie nach der Art der Gewalttat (unter anderem Brandschatzung und -stifung, Viehdiebstahl, Plünderung, Mädchenraub, Vergewaltigung) unterscheidet. Vor dem Hintergrund dieser Daten spricht Jagodic von den „genozidalen Absichten
und Praktiken“ (209) der Albaner gegenüber den Serben. Die Gewalt erhöhte sich infolge von außenpolitischen Krisen und Kriegen des Osmanischen Reiches. Der Verfasser betont, dass die Gewalt der Albaner gegenüber den Serben nicht mit derjenigen innerhalb der albani schen Bevölkerung, die auch sehr hoch war, verglichen werden könnte, da diese in dem in der albanischen Gesellschaft existierenden Gewohnheitsrecht und der damit verbundenen Blutrache begründet sei. Darüber hinaus stellt er die These auf, dass die osmanische Ver waltung die Gewalt gegen Serben duldete, dies sogar ein „strategisches Interesse des Staates“ gewesen sei, um eine „religiös-ethnische Homogenisierung“ (183) Kosovos zu erreichen. Eine Folge der stark ausgeprägten Gewalt war die allgegenwärtige Angst der Serben, der sich Jagodic im folgenden Kapitel mit dem gleichnamigen Titel „Angst“ (225-240) widmet. Diese,Angst vor dem Tod“ (225) habe dazu geführt, dass die Serben ihre Dörfer bzw. ihre Dorfviertel nicht verlassen konnten und ihr Bewegungsraum teilweise extrem eingeschränkt war. Gleichzeitig konstatiert der Verfasser auch für die albanische Seite Angstmomente: Seit dem russisch-osmanischen Krieg 1877/1878 fürchteten die Albaner eine Eroberung der Region durch Serbien und Montenegro sowie die Rache der Serben für die von Alba nern begangenen Gewalttaten. Im folgenden Kapitel „Auswanderung und Kolonisierung“ (241-304) argumentiert Jagodic, der osmanische Staat habe seine „Politik der religiösen Homogenisierung“ (241) durch eine gezielte Ansiedlung von Albanern und Muslimen, die „während des Krieges
1877-1878 aus den befreiten Gebieten Serbiens, Montenegros und Bulgariens geflohen waren, wie auch von Muslimen, die nach der österreichisch-ungarische Okkupation Bosnien und Herzegowina verlassen hatten“, gefördert (ebenda). Zum zweiten gaben die Osmanen der serbischen Auswanderung aus Kosovo — aber auch der serbischen Binnenmigration vom Land in die als sicherer geltenden Städte ֊ .Antrieb“ (242), indem sie die „albanischen Verbrechen tolerierten“ (ebenda). Da in vielen Fällen die AuswandeSüdost-Forschungen 68 (2009) 671
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 rung auf albanischen Druck hin erfolgte, könne diese als „Vertreibung“ (244) bezeichnet werden, die „geplant und konsequent durchgeführt wurde, [.] sei es aufgrund materiellen Gewinns, sei es aus Hass“ (304). Im größten Teil dieses Kapitels präsentiert der Verfasser osmanische und serbische Bevölkerungsverzeichnisse, um das Ausmaß der Emigration und die Veränderungen in der ethnokonfessionellen Bevölkerungsstruktur zu illustrieren. Im letzten Kapitel mit dem Titel „Machtlose Politik“ (305-362) geht Jagodic abschließend auf die Politik Serbiens gegenüber dem Osmanischen Reich und gegenüber der serbischen Bevölkerung in Kosovo ein. Er konstatiert ein zunehmendes Interesse Serbiens an der Region nach 1878, thematisiert das Rivalitätsverhältnis zu Österreich-Ungarn und beschreibt die Eröffnung und die Bedeutung der serbischen Konsulate sowie der serbischen Priester. Da Serbien keinen Erfolg hatte, die Pforte von der Notwendigkeit, bessere Lebensbedingungen für die serbische Bevölkerung durchzusetzen, zu überzeugen, musste, so konstatiert Jagodič, Serbien „nichtlegale“ Methoden anwenden. So wurden Albaner bestochen, damit sie serbi sche Dörfer bewachten, albanische Räuberchefs ermordet und die serbische Bevölkerung teilweise — aber letztendlich erfolglos — bewaffnet. So sei Serbien gezwungen gewesen, durch einen Krieg veränderte und verbesserte Lebensumstände der Serben durchzusetzen. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um ein tendenziöses Werk eines jungen serbischen Historikers, das sich in seiner Argumentation nicht von bisherigen
Arbeiten serbischer Historiker zu diesem Thema unterscheidet. So vielversprechend der Titel des Werkes auch klingt, geht es hier nicht wirklich um eine Rekonstruktion spätosmanischen Zusammenlebens. Vielmehr betrachtet der Verfasser die Vergangenheit mit den Augen der Gegenwart und zeichnet eine seit jeher bestehende serbisch-albanische Konfliktge schichte, in der die Serben alleinige Opfer waren. Diese Argumentation wird allein schon in der Titelwahl der Hauptkapitel deutlich. Jagodič rückt die muslimische Gewalt gegen die serbische Bevölkerung in Kosovo in den Vordergrund, stellt diese aber nicht in den entsprechenden Kontext der Vertreibung von muslimischen Bevölkerungsgruppen auf dem Balkan im Rahmen von Kriegen und Staatsgründung im letzten Viertel des 19. Jh.s. So benennt er die im Rahmen des russisch-osmanischen Krieges 1877/1878 von serbischen Truppen ausgeführte Vertreibung der muslimischen, nahezu gänzlich albanischsprachigen Bevölkerung aus dem Sandschak Niš auch nicht als solche, sondern bezeichnet diese als Einwanderung und Ansiedlung. Gleichzeitig betont er, dies sei eine übliche Aktion in Kriegszeiten und durch die Kämpfe provoziert gewesen. Zudem hätten die Muslime nicht den Wunsch gehabt, in christlichen Staaten zu leben. Im serbischen Fall spricht er von Vertreibung, die „kontinuierlich nach dem Krieg stattfand und von einer konsequent durchgeführten Vertreibungspolitik herrührte“ (366). Gerade die Vertreibung albanischer Bevölkerungsgruppen aus dem Sandschak Niš spielte aber eine wichtige Rolle in der Dynamik der serbisch-albanischen Beziehungen in
Kosovo. Insgesamt erfährt der Leser kaum etwas über die Mechanismen und gewaltlosen Formen des Zusammenlebens, die auch existierten. Jagodič konzentriert sich zudem fast ausnahmslos auf die muslimischen Albaner. Es wäre jedoch interessant gewesen, gerade über das Zusammenleben von katho lischen Albanern und Serben mehr zu erfahren. Insgesamt vermittelt der Verfasser auch in den osmanisch-albanischen Beziehungen ein zu lineares Bild ohne Brüche. So zeigt er etwa nicht die Konflikte in der späteren Zeit der Liga von Prizren (1878-1881) zwischen 672 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen den Albanern und dem osmanischem Staat auf. Die Gewalt der Albaner fuhrt er auf deren soziale Verfasstheit in Stämmen und die Bedeutung der Blutrache zurück, wobei hier zu betonen ist, dass in Kosovo mit Ausnahme westlicher Gebirgsgebiete gar keine Stämme lebten, sondern die Gesellschaft in Großfamilien organisiert war. Zwar führt Jagodic auch die Gewalt innerhalb der albanischsprachigen Bevölkerung an, minimiert diese jedoch in ihrer Bedeutung. Auch die Rolle Serbiens in der Gewalteskalation zwischen Serben und Albanern und die Bedeutung der Bewaffnung der serbischen Bevölkerung sind unterbe lichtet. Dies ist zu bedauern, da eine Reihe der Argumente von Jagodic durchaus zutreffen. So war Gewalt ein prägender Aspekt des alltäglichen Lebens, die, wie der Verfasser richtig herausstellt, an Intensität variierte und in der Region selbst zu einem großen Teil von Muslimen ausgeübt wurde, ein Aspekt, der in der albanischen Historiographie wiederum zu kurz kommt. Problematisch ist jedoch, wenn, wie im vorliegenden Fall, unpassende, populistische Begriffe verwendet werden und ein einseitiges Bild vermittelt wird. Negativ zu vermerken ist neben einer expliziten Stützung auf serbisches Archivmaterial die relativ kurze Literaturliste. Außer serbischer Literatur wurde abgesehen von einigen englischen Arbeiten zum Osmanischen Reich kaum internationale Sekundärliteratur herangezogen. Die albanische Sichtweise der spätosmanischen Zeit in Kosovo fehlt mit Ausnahme einiger auf Serbokroatisch verfasster Artikel gänzlich. So wurde auch lediglich serbische Erinnerungs und
Reiseliteratur ausgewertet. Die Ortsnamen werden nur in ihrer serbischen Variante wiedergegeben. Methodisch-theoretisch fällt auf, dass Jagodic keinen kritischen Umgang mit bestimmten Begriffen ֊ so etwa Nation/national oder „befreit“ - pflegt und auch auf die Schwierigkeiten einer wissenschaftlichen Verwendung von Bevölkerungsstatistiken nicht eingeht. Die englische Zusammenfassung der Arbeit ist sprachlich katastrophal und hätte vor dem Druck lektoriert werden müssen. Positiv zu verzeichnen sind die Fotografien, ein Verzeichnis der Tabellen und Graphiken sowie das Personen- und Ortsnamenregister. Wien Eva Anne Frantz Agnes Pogány/Eduard Kubů/Jan Kofman, Für eine nationale Wirtschaft. Ungarn, die Tschechoslowakei und Polen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zum Zwei ten Weltkrieg. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2006 (Frankfurter Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Ostmitteleuropas, 16). 182 S., Abb., ISBN 978-38305-1250-9, €33,Dem Wirtschaftsnationalismus, der auch heute noch eine treibende Kraft im öffentlichen Leben der Nationalstaaten Europas sei, müsse mehr Aufmerksamkeit zukommen und dafür benötige man neue, kritischere Bewertungen der historischen Erfahrungen - so die Aus gangsthese des vorliegenden Buches. Wirtschaftspolitische oder ideologische Aspekte der Nationsbildungsprozesse wurden bisher nur begrenzt mit Blick auf die Gegenwart bewertet. Diese vermeintliche Lücke zu füllen, die Aufmerksamkeit der Historiker auf diese ProbleSüdost-Forschungen 68 (2009) 673
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 matik zu lenken sowie Ausgangspunkte zu einer komparativen regionalen Forschung zu bieten waren das Ziel jenes Projekts, dessen Ergebnisse in diesem Band präsentiert werden. Drei namhafte Historiker aus drei ostmitteleuropäischen Kernländern stellen drei Fall studien vor, wobei die zeitliche Eingrenzung differiert. Während Ágnes Pogány von der 1. Hälfte des 19. Jh.s bis 1944 mehr als ein Jahrhundert abdeckt (11-71), analysiert Jan Koeman die Zwischenkriegszeit (135-167) und Eduard Kubů den im Bandtitel genannten Zeitraum (73-133). Auch die Schwerpunkte sind unterschiedlich. Pogänys Studie beschäftigt sich mit der Entwicklung des ungarischen Wirtschaftsnationalismus im Zusammenhang mit ökonomischer Integration und mit den sich herausbildenden wirtschaftsnationalistischen Strömungen der Nationalitäten. Dabei sieht die Autorin für die Zeit vor dem 1. Weltkrieg den Nationalitätenkonflikt als wichtigste Ursache des Problems. Wegen dieses Konflikts wurden wirtschaftliche und gesellschaftliche Ereignisse wie etwa die Verkleinerung des ethnisch ungarischen Bodenbesitzes, die Ausbildung eines Netzwerkes rumänischer bzw. siebenbürgisch-sächsischer Finanzinstitute, die Industrialisierung und Urbanisierung oder die zunehmende Konkurrenz auf den sich integrierenden Märkten der Monarchie immer mehr ideologisch betrachtet und als Ausdehnung von Nationalwirtschaften wahr genommen, die der ungarischen Wirtschaft gegenüber feindlich eingestellt waren. Nach dem Zusammenbruch Ungarns entfiel dieser Aspekt des Wirtschaftsnationalismus, weil weniger als ein
Zehntel der Einwohner Trianon-Ungarns nichtungarischen Nationalitäten angehörten. Stattdessen wurde ein neues Phänomen, der Antisemitismus, zum Ausdruck des Wirtschaftsnationalismus. Nach rund zwei Jahrzehnten fanden diese Ideen Eingang in die Regierungspolitik mit der Folge der Verdrängung der jüdischen Elemente aus der ungarischen Gesellschaft und der grauenhaften Konsequenz des Holocaust, was wiederum eng mit der Umstrukturierung des Vermögens verknüpft war. Eduard Kubů benutzt zur Analyse der Parteiprogramme aus Böhmen eine enge Defini tion des Wirtschaftsnationalismus: „ein Verhalten, das die Angehörigen einer nationalen Gemeinschaft gegenüber den Vertretern einer anderen [.] im Wirtschaftsleben bevorzugt“ (73). In seiner Untersuchung der tschechischen und deutschen Parteien der Vorkriegsjahre und der 1. Republik konnte er wichtige Unterschiede, aber auch Elemente der Kontinuität sowohl zwischen Deutschen und Tschechen als auch in der Ideologie der einzelnen Parteien vor und nach dem 1. Weltkrieg aufzeigen. Nach Kubus Meinung waren die tschechischen Parteien, vor allem die liberalen und die Agrarier, relativ wenig vom Wirtschaftsnatio nalismus beeinflusst, während er mit der Zielsetzung gegen die anderen Nationen im Lande, d. h. Tschechen und in einigen Fällen Juden, für die meisten deutschen politischen Strömungen (die Sozialdemokratie ausgenommen) einer der bedeutendsten Teile ihrer Ideologie und ihrer Programme bildete. Das Verhalten der tschechischen Parteien blieb in der Zwischenkriegszeit fast unverändert, während mit dem Aufstieg der sudetendeutschen
Bewegung eine Abtrennung von den Tschechen und die Erringung einer ihnen gegenüber wirtschaftlich dominanten Position die eigentliche Zielsetzung der maßgebenden deutschen politischen Kräfte wurde. Jan Kofman argumentiert in einem langen Essay, konzentriert auf die staatliche Wirt schaftspolitik der Polnischen Republik, dass es sich in diesem Fall um eine grundsätzlich marktliberale Politik handelt, die sich nur zögernd und sehr langsam in die Richtung 674 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Protektionismus und Wirtschaftsnationalismus bewegte. Wichtigste Treibkräfte dieser Politik waren die Angst vor Inflation und die Anpassung an die Weltwirtschaft, was zu einer eigenartigen Mischung von neoklassischen und interventionistischen wirtschaftspo litischen Maßnahmen führte. Polen war der letzte Staat im Ostmitteleuropa, der z. B. die Devisenkontingente einführte, und nur in den letzten drei Jahren, als Milliarden von Złoty in die staatliche Industrie flossen, kann man von einem wahren Interventionismus sprechen. Dieser Richtungswechsel war eng mit den Bedürfnissen der Ausrüstung des strategisch sehr prekär positionierten polnischen Heeres verknüpft. Obwohl die Analysen in jedem Fall wohl begründet scheinen, muss man auch Kritik anbringen. Pogány erklärt axiomatisch, dass der Wirtschaftsnationalismus sich in Ungarn nur am Ende des 19. Jh.s entfaltete, dabei bleibt aber die Existenz einer Reihe von wirtschafts nationalistischen Initiativen schon im Vormärz unbeachtet (die im Text an anderer Stelle erwähnten Schutzvereine, die Forderungen betreffend einer selbständigen Nationalbank im Ungarn usw.). Die als Fallbeispiele benutzte Tulpenbewegung aus dem Jahre 1906 war auch mit diesem verbunden. Noch bedauerlicher ist das Nichtbeachten der andere Nati onen ausschließenden Forderungen siebenbürgischer Politiker während des 1. Weltkriegs (1917 auch von Seiten der Regierung), in dem man sehr leicht ein ideologisches Vorbild vieler späteren wirtschaftsnationalistischen Maßnahmen erkennen kann, die zugleich auch zeigen könnten, dass der
Wirtschaftsnationalismus in Ungarn nach 1919 neben den Juden auch andere Nationalitäten ins Visier nahm. Deswegen ist auch die Kontinuität des Wirtschaftsnationalismus in Ungarn oft nur schwer erkennbar. Kubus Studie kann man vorwerfen, dass die minuziös aufgeführten Parteiprogramme zu wenig kontextualisiert werden. Äußerungen in den Parteiprogrammen, die eindeutig nur die eigene Nation betreffen und deswegen auch als implizite wirtschaftsnationale Forderungen verstanden werden können, werden als neutral betrachtet. Ein ähnliches Problem bietet der tschechoslowakische Staat, dessen auf die Tschechen gerichtete Begünstigungspolitik im Text nur schwach als Wirtschaftsnationalismus zu identifizieren ist und standessen als größtenteils liberal beschrieben wird. Die deutschen Parteien betreffend muss man auch erwähnen, dass aus den Werken und Aufsätzen zur Nationalitätenfrage der führenden deutschen Sozialdemokraten der Zeit (Renner, Bauer usw.) klar hervorgeht, dass sie vor allem die Frage der deutschen Minderheiten in Böhmen und Mähren lösen wollten, so dass auch in ihrer Argumentation wirtschaftsnationalistische Züge zu finden sind. Die letzte Studie von Kofman hat die engste Perspektive. Der innere Wirtschaftsnatio nalismus Polens blieb fast völlig unbeachtet, obwohl die Probleme der Juden, der Ukrainer und der Deutschen mehr Aufmerksamkeit bedürfen würden. Neben der Kritik muss man die Aufmerksamkeit auf ein gemeinsames, aber nicht aus reichend herausgearbeitetes Ergebnis aller drei Studien lenken. Es wird deutlich, dass der Wirtschaftsnationalismus eher eine Ideologie
als eine in der Wirtschaftspolitik erfolgreich anwendbare Praxis ist. Die Idee einer selbständigen nationalen Wirtschaftseinheit blieb eine Illusion nicht nur in den Vielvölkerregionen Ungarn und Böhmen, die beide einer größeren Wirtschaftseinheit angehörten, sondern auch im Falle Polens, der sich als unabhängiger Staat keinesfalls von der Weltwirtschaft trennen konnte. Natürlich konnten einige wirtschafts nationalistische, protektionistische Maßnahmen (Wehrzölle, Ausfuhrprämien, staatliche Südost-Forschungen 68 (2009) 675
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Subventionen usw.) in Anwendung gebracht werden, aber der Wirtschaftsnationalismus konnte nur in Extremfällen (Kriegswirtschaft, Deportationen der Juden oder die Deutschen nach dem Weltkrieg usw.) seine Zielsetzungen verwirklichen. Jedoch blieb es bis heute eine einflussreiche Ideologie, auch unter den Umständen der aktuellen Globalisierung und der Integrationsprozesse, was den Versuch der Autoren einer vergleichenden Studie rechtfertigt. Budapest Gábor Egry Anton Holzer, Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbe völkerung 1914-1918. Darmstadt: Primus-Verlag 2008. 208 S., zahir. Abb., ISBN 978-3-89678-375-2, € 39,90 „Dieses Buch erzählt - entlang von Fotografien - von kaum bekannten Ereignissen aus dem 1. Weltkrieg. Es berichtet von Gewalttaten gegen unbewaffnete (und in den meisten Fällen unschuldige) Zivilisten. [.] Tausende von ihnen wurden im Osten und Südosten Europas hingerichtet, ohne Prozess, ohne Beweisführung, ohne Verteidigungsmöglich keit.“ So beginnt der Autor sein wohl als Fotodokumentation gedachtes Buch über den „unbekannten Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918“. Gemeint ist allerdings in erster Linie jene Österreich-Ungarns. Die Einleitung ist gleichzeitig eine Anklageschrift. Hauptangeklagte sind die Soldaten und Offiziere der k. u. k. Wehrmacht. Mitangeklagt sind all jene, die sich mit diesem Krieg gegen die Zivilbevölkerung abfanden; bestenfalls Nebenangeklagte die militärische Führung und die Soldaten des Deutschen Heeres, die ein wenig pro forma mitbehandelt werden. Das Anliegen ist klar.
Die Beweisführung stringent. Urteil und Verurteilung sind durchgängig, von der ersten bis zur letzten Seite. Ein wesentliches Moment der Darstellung zielt auf den Vorwurf ab, dass vor allem in der Einleitungsphase des Krieges nicht so sehr die Menschen in Feindesland Ziel der oft systematischen Verfolgung durch k. u.k. Armeeangehörige waren, sondern jene in den eigenen Königreichen und Ländern. Schon bei den später sogenannten „horizontalen Verbringungen“, als der Aufmarschraum der Armeen systematisch für die kommenden Kampfhandlungen vorbereitet wurde, hat man mehr oder weniger wahllos Menschen aufgegriffen, sie verdächtigt, interniert, auch hingerichtet. Nach den ersten Gefechten, vor allem aber auch, nachdem sich die ersten Misserfolge eingestellt hatten, wurde die Militärjustiz ausgeweitet. Die Erklärung ganzer Kronländer zum rückwärtigen Kriegsgebiet ermöglichte die Anwendung von Ausnahmeverfügungen und die Aufhebung der geltenden Gesetze. Das war freilich nichts, das vom Militär eigenmächtig in Szene gesetzt werden konnte, denn alle Ausnahmeverfügungen für den Kriegsfall waren schon lange vor dem Krieg von den Parlamenten beider Reichshälften Österreich-Ungarns gutgeheißen worden, und zumindest in der ungarischen Reichshälfte funktionierte der Reichstag auch während des gesamten Krieges. Die Handhabung und Ausweitung der Standgerichtsbarkeit war aber fast ausschließlich Sache der Militärfuhrung. Und die war unbarmherzig. 676 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Nun meinte der Autor wohl, in den Kommandanten und Soldaten Österreich-Ungarns eine besondere Spezies erkannt zu haben, und ist selbst erstaunt, dass das Hängen, Erschießen und Niederstechen nicht nur auf breite Zustimmung stieß, sondern auch von Menschen wie „Du und ich“, den Großvätern und Urgroßvätern, zur Anwendung gebracht wurde. Die Beispiele sind nicht enden wollend. Es waren Menschen aller sozialen Schichten, jeglicher Bildung und vor allem jeglicher Nationalität, die sich vom kollektiven Irrsinn anstecken ließen. Furcht vor Spionen war eines; der begründete Verdacht auf Sabotage und erwiesene Kollaboration ein anderes. Ein relativ unverdächtiger „Zeuge“, Constantin Schneider, des sen umfangreiche Kriegserinnerungen vor einigen Jahren publiziert wurden, notierte 1914 immer wieder und mit wachsender Erbitterung, dass man sich häufende Beweise für die russophile Haltung von Ruthenen in Ostpolen fand. Dutzende, wahrscheinlich Hunderte ähnlicher Zeugnisse haben ihren Niederschlag in Meldungen und privaten Aufzeichnungen gefunden. Und es war mehr als nur ein Verdacht, dass gar nicht so kleine Bevölkerungs gruppen den Krieg Österreich-Ungarns nicht als ihre Sache ansahen und alles taten, um das Vorgehen der Russen oder auch im Süden das der Serben zu befördern. Die natürlich nicht oder zum wenigsten auf die Haltung von Russo- und Serbophilen zurückzuführen den schweren Rückschläge der k. u. k. Armeen und die ungeheuren Verluste steigerten Misstrauen, Wut und Entsetzen ins Unermessliche. Die Reaktion darauf war überbordend, und auch ein Mann wie Edmund
Glaise-Horstenau, der die Vorgehensweise wohl zum Wenigsten verurteilte, berichtete voll Schaudern vom Anblick der Gehenkten in der Nähe von Novy Sacz. Georg Trakl konnte das Morden nicht mehr aushalten und brachte sich um. Niemand, vor allem auch nicht Kaiser Franz Joseph, blieb davon unberührt. Er schickte ein ums andere Mal Depeschen und die Vorstände seiner Militärkanzlei an die Front, um zur Mäßigung auf/ufordern. Vor allem nach der Wiedereroberung von Lemberg im Juni 1915 appellierte er an das Armeeoberkommando, Milde walten zu lassen, nicht pauschal zu verdächtigen und vor allem auch nicht zu verurteilen. Das kaiserliche Wort zeigte zum geringsten Wirkung, man hätte sich aber gefreut, es vom Autor erwähnt zu finden. Nicht nur in diesem Zusammenhang bleibt das Gefühl von Unausgewogenheit. Ein Vergleich mit den Ausstellungen „Verbrechen der Wehrmacht“ ist aber auch dann nicht zulässig, wenn einem die Ähnlichkeit zwischen 1. und 2. Weltkrieg ins Auge zu springen scheint, und man an der fotografischen Beweisführung irre wird, wenn man in dem Buch drei- und vierfach auf ein und dieselbe Szene in unterschiedlicher Aufbereitung stößt. Der Hinweis auf die Zivilbevölkerung, die sich durchaus darin gefiel, bei der Massakrierung von ihresgleichen und auch Angehörigen ihrer eigenen Nationalität zuzusehen, ist freilich ein weiterer Aspekt, der durchaus geeignet ist, Assoziationen zu wecken und zeitlich fast beliebig auszuholen. Die meisten der den k. u. k. Armeeangehörigen zur Last zu legenden Exekutionen und exemplarischen Übergriffe fanden 1914 statt. Beim „italienischen Krieg“
wurde bei Weitem nicht so gewütet, auch wenn Fälle wie die Garottierung des 1916 als Deserteur aufgegriffenen ehemaligen österreichischen Reichsratsabgeordneten Cesare Battisti immer wieder an den Pranger gestellt werden. Das aber wohl weniger des Falls wegen, als wegen des Lächelns seines Henkers, Josef Lang. Doch da wie dort, in Galizien, Russland, Serbien und Italien, waren Kameras dabei und wurde in die Linse gefeixt. Auch vom Autor nicht aufzuklären, aber auch nicht hinterfragt, ist der Umstand, dass sich offenbar immer und recht mühelos Südost-Forschungen 68 (2009) 677
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Erschießungspelotons und Henker fanden. Da musste lange nicht auf die Nationalität geschaut werden. Erst 1918, nach den Meutereien in Cattaro, Judenburg und anderswo, wurde darauf geachtet, dass die Erschießenden anderen Nationalitäten angehörten als die zu Tötenden. Es war dies ein zusätzliches Zeichen des Zerfalls. Am Ende der Habsburger monarchie stand der Nationalitätenhass. Warum man das während und nach dem Krieg mitunter verdrängte, nicht zur Kenntnis nehmen und notfalls auch die Täter verteidigen wollte? Der Rezensent ist der Meinung, dass es einfach zu beantworten ist: Wir weigern uns ja auch heute noch, das unsinnige Wüten von Menschen, deren Hemmschwelle gegen das Töten mit dem Beginn des Schießkriegs fast schlagartig heruntergesetzt wurde, als Geschehnis anzuerkennen. Und wenn man - wie der Rezensent - das schon Vorjahren auch ausstellungsmäßig behandelt hat, dann war der Entrüstungsschrei wohl unvermeidlich. Auch Holzers Buch lädt zum Wegschauen ein. Oder doch nicht? Wien Manfried Rauchensteiner Nada Boškovska, Das jugoslawische Makedonien 1918-1941. Eine Randregion zwi schen Repression und Integration. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 2009 (Zur Kunde Südosteuropas, 11/39). 392 S., ISBN 978-3-205-78355-8, € 35,Eine Prämisse der Nationalismusforschung besagt, dass bei der Nationswerdung die politischen und nationalen Grenzen eines Landes übereinstimmen sollten. Ernest Gellner hat hierauf als erster explizit hingewiesen. In der Balkanregion war dies über weite Teile des 19. und 20. Jh.s nicht der Fall. Ging es um die territoriale
Festschreibung der eigenen Nation, waren die Wunschvorstellungen der nationalen Protagonisten zumeist grenzenlos. Während serbische Nationalisten davon träumten, das Großreich Stefan Dušans „wieder auferstehen“ zu lassen, orientierte man sich in Bulgarien mit Vorliebe an den glorreichen Zeiten eines Zaren Simeon, wenn es darum ging, die nationalen Grenzen zu definieren. Und auch griechischerseits konnte von Bescheidenheit keine Rede sein; nicht selten waren es die Eroberungen Alexanders des Großen, die als Maßstab für die territoriale Festschreibung der eigenen Nation herangezogen wurden. Welche Nationalität dabei den jeweiligen Bewohnern der betroffenen Gebiete zugespro chen wurde, hing davon ab, wer die Definition vornahm. Am deutlichsten zeigte sich dies in Makedonien, einer Region, die in ihrer Heterogenität einem ethnischen Kaleidoskop glich und um deren nationale Zugehörigkeit zwischen den Balkanstaaten bereits Ende des 19. Jh.s ein regelrechter Krieg aller gegen alle entfacht war. Den „Eigentlichkeiten“, wie es Holm Sundhaussen einmal recht treffend formulierte, waren dort keine Grenzen gesetzt. Abhängig davon, wer urteilte, waren die Bewohner Makedoniens „eigentlich“ Bulgaren, Griechen, Serben oder auch christliche Türken. 678 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Nur mit Hilfe äußerster Gewalt und sehr viel Wunschdenken konnte der Nationalismus einer solchen Region als Herrschaftsgrundlage dienen. Dies zeigte sich unter anderem in den von Bulgaren, Serben und Griechen gleichermaßen forcierten Bemühungen, Make donien, das auf dem Berliner Kongress 1878 aus pragmatischen Gründen dem Osmanenreich zugeschlagen worden war, ab dem letzten Drittel des 19. Jh.s mit einer Unzahl von kultur- bzw. sprachstiftenden Maßnahmen zu überziehen. Dabei sollte es jedoch nicht bleiben. Bewaffnete Banden, ausgestattet von ihren jeweiligen Regierungen in Sofia, Athen oder Belgrad, lieferten sich ab den 1890er Jahren erbitterte Gefechte, von denen auch die makedonische Zivilbevölkerung nicht verschont blieb. Einen gewalttätigen Höhepunkt erreichte der Kampf um Makedonien schließlich in den Sommermonaten 1903, als im Ilinden-Aufstand sowie seiner anschließenden Niederschlagung durch die türkischen Truppen rund 200 makedonische Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden; unzählige Zivilisten verloren dabei ihr Leben. Nada Boškovskas bemerkenswerte Studie zur makedonischen Geschichte - es handelt sich um die überarbeitete Fassung ihrer Habilitationsschrift - setzt einige Jahre später an. Die Problematik blieb jedoch dieselbe, was bereits der Untertitel - „Eine Randregion zwischen Repression und Integration“ - verdeutlicht. Mit dem Ende des 2. Balkankrieges (1913) und den daraus resultierenden Zurückdrän gungen der Osmanen aus Europa waren große Teile Makedoniens an Serbien gegangen. Der 1. Weltkrieg vermochte an diesem Zustand lediglich für kurze
Zeit etwas zu ändern; Makedonien ging für einige Jahre in bulgarischen Besitz über. Ab 1918 befand sich der Landstrich dann weitgehend unter der Obhut des neu gegründeten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (ab 1929 Jugoslawien), das seinerseits alles daransetzte, die tradi tionell unruhige Region als „Süd-Serbien“ in das noch junge Staatswesen zu integrieren. Der Erfolg hielt sich jedoch in Grenzen; die Makedonier blieben ihrer Tradition treu, keine ihnen von außen aufgedrängte Identität anzunehmen. Stattdessen festigte sich das make donische Nationalbewusstsein während der Zwischenkriegszeit in einer Weise, dass es trotz intensiver Anstrengungen weder den jugoslawischen noch den griechischen Behörden - Teile Makedoniens waren 1918 an den griechischen Staat gegangen - gelang, es zu ersetzen. Mit dem Scheitern dieser zahlreichen griechischen und insbesondere serbischen Assimilierungsversuche in Makedonien während der Zwischenkriegszeit befasst sich Boškovskas ebenso quellen- wie detailreiche Arbeit. Zumal die jugoslawische Regierung wiederholt betont hatte, dass ֊ die Geschichte lehre dies - ohne „Südserbien“ kein starkes Jugoslawien möglich sei. Entsprechend war es insbesondere die strategische Bedeutung Makedoniens, die bei den serbischen Politikern den dringenden Wunsch hervorrief, das Gebiet umfassend zu kontrollieren und langfristig mit Serbien zu vereinen. Die Maßnahmen, die unternommen wurden, um dies zu erreichen, erinnern verblüffend an die Geschehnisse im letzten Drittel des 19. Jh.s; bereits damals hatten Bulgaren, Griechen und Serben erfolglos
versucht, den Landstrich in ihrem Sinne zu nationalisieren. Beide Male war es die Etablierung eines funktionierenden Bildungswesens, die im Mit telpunkt der Bemühungen stand. Die Zahl der Elementarschulen stieg, weiterführende Schulen wurden gegründet und neue Lehrerseminare ins Leben gerufen. Primäre Aufgabe Südost-Forschungen 68 (2009) 679
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 der Lehrerinnen und Lehrer war es, die Kinder zu serbischen Patrioten zu erziehen; wer dies nicht tat, wurde in den Norden strafversetzt. Ein bildungspolitischer Meilenstein war zudem die Gründung der Philosophischen Fakultät in Skopje (1920), von der man sich in Belgrad erhoffte, sie möge der nationalen Entwicklung einen ähnlichen Schub verleihen, wie es die 1836 ins Leben gerufene Athener Universität für die nationale Sache der Griechen vermocht hat. Jedoch schlugen sämdiche Versuche, über Bildung das Nationalbewusstsein der makedonischen Bevölkerung zurückzudrängen, fehl. Dasselbe gilt für die Sprache; das Serbische als Amtssprache konnte sich in Makedonien, trotz vielfältiger Bemühungen, zu keinem Zeitpunkt durchsetzen. Das lag nicht zuletzt daran, dass es keinerlei Bemühungen gab, die Region am wirt schaftlichen Leben des Landes zu beteiligen. Ein Konzept zur wirtschafdichen Entwicklung Makedoniens gab es nicht. Dies hatte zur Folge, dass die Entwicklung eines einheimischen Bürgertums, die Grundlage einer jeden erfolgreichen nationalen Bewegung, weitgehend ausblieb; von Möglichkeiten der politischen Partizipation ganz zu schweigen. Makedonien wurde somit zu keinem Zeitpunkt integrierter Teil eines vom serbischen Nationalismus dominierten Jugoslawien. Warum dies nicht gelang, führt Boškovskas übersichtlich gegliederte und klar strukturierte Studie dem Leser ebenso eindrucksvoll wie umfassend vor Augen. Entsprechend war die Gründung der Republik Makedonien inner halb Jugoslawiens nach dem 2. Weltkrieg, hierauf weist Boškovska zu Recht
hin, nicht das Verdienst Titos und der kommunistischen Partei, wie diese gerne reklamierten, sondern vielmehr die Fortsetzung einer nationalen Entwicklung, deren Anfänge in Makedonien bis weit ins 19. Jh. zurückreichten. Andauernde Stabilität kehrte dennoch nur bedingt ein; dies verdeutlichten unter anderem die Entwicklungen um die Jahrtausendwende, als das Land in Folge des Kosovo-Konfliktes erneut von schweren ethnischen Konflikten erschüttert wurde. Berlin Flor ian Keisinger Lisa M. Adeli, Resistance to the Persecution of Ethnie Minorities in Croatia and Bos nia during World War II. Lewiston/NY u. a.: Mellen Press 2009. 229 S., ISBN 978-07734-4745-5, US-$ 109,90 Jasenovac spaltet. Das kroatische Konzentrationslager wurde lange verschwiegen, instru mentalisiert oder verharmlost, je nachdem, was die Erinnerung an seine Existenz bewirken sollte.1 Die hysterisch-nationalistische Rhetorik der 1990er Jahre drängte das Leiden von Ermordeten und Überlebenden in den Hintergrund. Diskutiert wurde über Zahlen und nicht über Menschen und ihre Schicksale. Mit ihrem Buch, das sie der University ofArizona 2004 als Dissertation vorgelegt hatte, schließt Lisa M. Adeli nicht nur eine Forschungslücke. Sie gibt Überlebenden eine Stimme, und sie erzählt eine zutiefst berührende Geschichte vom Alltag unter menschenverachten den Bedingungen eines Konzentrationslagers. Dabei fokussiert Adeli auf Menschen, die 680 Südost-Forschimgen 68 (2009)
Rezensionen Widerstand geleistet haben, auf Menschen, die Leben gerettet und Menschlichkeit bewiesen haben, in einer Zeit, da sie hierfür ihr eigenes Leben riskieren mussten. In den ersten beiden Kapiteln („Background“ und „The Formation of the Independent State of Croatia and the Persecution of Ethnic Minorities“) fasst sie kursorisch zusammen, welche Entwicklungen die Desintegration des ersten jugoslawischen Staates beschleunigt haben und wie der Unabhängige Staat Kroatien (USK, kroat. Nezavisna Država Hrvatska, NDH) entstand. Dieser wurde proklamiert, kurz nachdem deutsche Truppen im April 1941 Jugoslawien überrollt, okkupiert und zerschlagen hatten. Nachdem die Führung der Kroatischen Bauernpartei die Zusammenarbeit mit Hitler abgelehnt hatte, übertrug dieser die Verantwortung für das Gebiet an Ante Pavelič und seine Ustascha-Bewegung. Das Ustascha-Regime baute einen Terrorapparat auf, der half, den Völkermord an Serben, Juden und Roma durchzuführen. Hier geht die Autorin leider nicht auf Einzelheiten ein: Die Geschichte des USK und seiner Verbrechen ist gut erforscht und dokumentiert. Gleichwohl existieren kaum Arbeiten, die den mit der Zeit zunehmenden nichtmilitärischen Wider stand kroatischer Bevölkerung analysieren. Denn Pavelič gelang es nicht, die kroatischen Massen für seine Politik zu gewinnen. Vielmehr distanzierte sich die Bevölkerungsmehrheit zunehmend aus unterschiedlichen Gründen vom Ustascha-Regime. Oft wird betont, dass der 2. Weltkrieg in Jugoslawien einen Bürgerkrieg ausgelöst hatte, in dem jeder gegen jeden kämpfte.2 Der neu geschaffene USK
erstreckte sich über das Gebiet der 1939 geschaffenen Banschaft Kroatien sowie Ostsyrmien und Bosnien-Herzegowina. Ein Territorium also, das Menschen unterschiedlicher ethnischer Abstammungen be wohnten. Während die bosnischen Muslime als Teil kroatischer Nation gesehen wurden, waren neben Juden und Roma insbesondere die Serben vielfältigen Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt. Hier setzt Adeli an und findet zahlreiche Belege dafür, dass in diesem Bürgerkrieg auch viele vielen halfen. Im dritten Kapitel „Reaction against the Persecution of Minority Groups in the Independent State of Croatia“ beschreibt sie den Protest gegen das rassistische Wüten von Ustascha und würdigt Menschen, die sich dem Regime widersetzt haben. In einem ethnisch stark gemischten Gebiet waren interethnische Verwandtschaften keine Seltenheit. So erfuhren auch viele Kroaten von der Unmenschlichkeit des Regimes aus direkter Erfahrung, protestierten oder taten alles, um ihre Verwandten zu retten. Aber auch Nachbarn oder Arbeitskollegen setzten sich füreinander ein. Nicht selten aber halfen Menschen Fremden und riskierten dafür ihr eigenes Leben (59-69). Eine Besonderheit bildeten die öffentlichen Proteste bosnischer Muslime und ihrer religiösen Führer, die ihren Unmut wegen der Verfolgung von Serben und Juden in Protestschreiben äußerten — oft namentlich unterschrieben. Zu den stärksten und eindrucksvollsten Passagen des Buches gehören das vierte und das siebte Kapitel „The Growth of Interethnic Cooperation in the Camps“ und „The Expan sion of Yugoslavism and the Partisan Movement in the Camps“
über die interethnische Zusammenarbeit im Konzentrationslager von Jasenovac. Dort internierte das UstaschaRegime nicht nur Serben und Juden, sondern auch Regimegegner jeder Nationalität, also auch Kroaten und bosnische Muslime. Entschieden widerspricht Adeli an dieser Stelle dem ehemaligen Staatspräsidenten von Kroatien Franjo Tuđman. Tuđman vertrat in seinem Siidost-Forschungen 68 (2009) 681
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Buch „Die Irrwege der Geschichtswirklichkeit“3 die These, die innere Lagerverwaltung von Jasenovac habe fast ausschließlich in den Händen von Juden gelegen, die ihrerseits gegen die Nicht-Juden intrigiert und diese verfolgt hätten. Sie verweist auf die Schwächen seiner Quellendeutung, zitiert ihrerseits zahlreiche Überlebende und belegt . many group lead ers came to view their workers of all nationalities as their charges and used their limited power to protect them“ (88). Die Gefangenen konkurrierten nicht miteinander um knappe Ressourcen. Vielmehr bildete sich unter ihnen ein besonderes Zugehörigkeitsgefühl aus, das ethnische oder nationale Unterschiede in den Hintergrund drängte. Mit den Worten des politischen Gefangenen Cedomil Huber hieß das: „If you entered the camp once, then it was no longer important whether you were a Serb, Croat, Jew, Gipsy, Czech. Whatever you were did not matter to anyone. You were a prisoner“ (93). Die Gefangenen teilten die Lebensmittel, das Wasser und die Medikamente untereinander. Sie deckten sich gegenseitig und fühlten sich füreinander verantwortlich. Gemeinsam kämpften sie ums Überleben, und die Solidarität, die sie erfuhren, machte den qualvollen Alltag und das Leiden erträglicher. Der Extremismus nationalistischer Bewegungen, ihre genozidale Gewaltanwendung und Politik der ethnischen Separation provozierte nicht nur Widerstand. Die PartisanenBewegung bekam mehr Zulauf und entwickelte mit ihrer Ideologie von Brüderlichkeit und Einheit aller jugoslawischen Nationen eine Alternative und Vision vom
gemeinsamen Leben nach dem Krieg. Diesen Prozess beschreibt Adeli im fünften und im achten Kapitel „The Discrediting of Pre-War Political Forces and Alternatives to Yugoslavism“ und „The Impact of Ethnic Persecution in the Independent State of Croatia on the Partisan Move ment“. Der Ausgang des 2. Weltkrieges diskreditierte zudem alle Kräfte, die mit deutschen und italienischen Besatzern kollaboriert hatten, während die Partisanen auf der Siegerseite standen. Warum diese das Konzentrationslager Jasenovac nicht angegriffen und die Gefan genen befreit haben, kann Adeli nicht beantworten. Viele Entwicklungen, die sie beschreibt, sind bereits bekannt. Die Stärke ihres Buches liegt aber in erster Linie in seiner Perspektive: Oft prägen ethnische Stereotype den westli chen Blick auf den Balkan. Adeli belegt, dass die These vom endogenen Hass zwischen den jugoslawischen Nationen ein Mythos ist. Ihre kulturellen und religiösen Unterschiede haben weder den Bürgerkrieg im 2. Weltkrieg verursacht noch die jugoslawischen Nachfolgekriege von 1990. Auch schreibt Adeli gegen die Meinung an, der 1990er Krieg sei unvermeidlich und eine logische Folge der Ereignisse von 1941-1945 gewesen. Nicht allein deswegen ist die Lektüre ihres Buches sehr zu empfehlen. Konstanz Sabina Ferhadbegović 1 Siehe dazu die Rezension von Holm Sundhaussen zu Jurčević Josip, Die Entstehung des Mythos Jasenovac. Probleme bei der Forschungsarbeit zu den Opfern des II. Weltkrieges auf dem Gebiet von Kroatien. Zagreb: Dokumentacijsko informatijsko središte, 2007, unter http://www.oei.fu-berlin. de/geschichte/so
e/rezensionsseite/rezension5 5 .htmk, 21.4.2010. 2 So der serbische Soziologe S. Inić, siehe Slobodan Inić, Jedan ili više ratova, Tokovi istorije 1993, H.l-2, 155-161. 682 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen 3 Franjo Tuđman, Irrwege der Geschichtswirklichkeit: eine Abhandlung über die Geschichte und die Philosophie des Gewaltübels. Zagreb 1993 (Originalausgabe: Bespuća povijesne zbiljnosti: rasprava о povijesti i filozifiji zlosilja. Zagreb 1989). Luca Micheletta, La resa dei conti. Il Kosovo, l’Italia e la dissoluzione della Jugoslavia (1939-1941) [Die Abrechnung. Kosovo, Italien und die Auflösung Jugoslawiens]. Roma: Nuova Cultura 2008. 249 S., ISBN 978-88-613-4200-2, € 14,Luca Michelettas Studie beleuchtet die Rolle des faschistischen Italien bei der „Neuord nung“ des Balkans während des 2. Weltkriegs, fokussiert auf den albanischen Siedlungsraum. Dabei beschränkt er sich nicht auf das Kosovo in seinen heutigen Grenzen, sondern bezieht Makedonien ausführlich ein. Die Entwicklungsstrategie des albanischen Diktators Zogu, sich einseitig auf Italien zu stützen, war in eine völlige Abhängigkeit eingemündet, an der auch Versuche Zogus, etwa durch Avancen an Deutschland Spielräume zurückzugewinnen, nichts ändern konnten. Am 7.4.1939 beseitigte Italien die letzten Reste albanischer Eigenständigkeit und errichtete faktisch eine Kolonialverwaltung unter dem Deckmantel einer Personalunion. Micheletta sieht in einem Irredentismus gegenüber den Albanern in Jugoslawien eine Grundkonstante der albanischen Außenpolitik, den die italienische Besatzungsmacht geerbt habe. Dem ist entgegenzuhalten, dass Zogu in den 1920er Jahren gerade im Kampf gegen die Irredentisten mit jugoslawischer Unterstützung an die Macht gekommen war und über Symbolik wie die Wahl des Titels „König der
Albaner“ kaum aktive Schritte zugunsten sei ner in jeder Beziehung marginalisierten Konnationalen jenseits der Grenze ergriffen hatte. Italien versäumte keine Zeit, um Wortführer der Kosovo-Albaner wie Ferhat Bej Draga auf seine Linie zu bringen, für die die Perspektive eines italienisch beherrschten Groß albanien gegenüber dem Status quo nichts Abschreckendes hatte. Dazu bediente sich die Regierung in Rom derjenigen Teile der Eliten des Zogu-Regimes, die ihrem Herrscher nicht ins Exil gefolgt waren und sich den neuen Verhältnissen schnell und gern anpassten; so drängte der Diplomat Tahir Shtylla sich den neuen Machthabern geradezu als Berater und Strippenzieher auf. Die Kosovaren-Führer (und in geringerem Maße auch die der Çamen, der muslimischen Albaner in Griechenland) wurden in großzügigster Weise subventioniert und auch regelmäßig in Rom empfangen, um sie im Bedarfsfälle für Italiens Zweck nutzen zu können; dabei stand die Zerschlagung Jugoslawiens nicht von vornherein auf Mussolinis Agenda, was die Kosovo-Albaner mit Enttäuschung registrierten und sich mit dem Ersuchen um militärischen Beistand an König Viktor Emanuel III. wandten. Mussolini nutzte Albanien als militärisches Sprungbrett für den desaströs verlaufenden Angriff auf Griechenland, der nur durch Deutschlands direkte Intervention nicht mit einer offenen Niederlage endete. Damit hatte die italienische Führung genau das erreicht, was sie vermeiden wollte: nicht Italien, sondern Deutschland war jetzt die Hegemonialmacht des Balkans. Südost-Forschungen 68 (2009) 683
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Die Aufteilung der Beute gestaltete sich äußerst kompliziert, nicht nur wegen unter schiedlicher Prioritäten Deutschlands und Italiens, sondern weil auch Bulgarien seine Ansprüche in Makedonien anmeldete, die mit denen der Albaner unvereinbar waren. Auch die faschistischen Mächte mussten erfahren, dass es keine Formel gab, die auch nur geeignet war, allen „verbündeten“ Völkern gerecht zu werden - ganz zu schweigen von den Verlierern, in erster Linie den Serben. Ein historisch und ethnisch definiertes „Großalbanien“ und ein „Großbulgarien“ waren unvereinbar. Der italienische König war mit einer Montenegrine rin verheiratet, und eine seiner Töchter war bulgarische Königin; dennoch - oder gerade deswegen - setzte Mussolini eine Lösung zu Ungunsten des neu gegründeten Montenegro durch und befriedigte längst nicht alle Wünsche der Bulgaren. Für die Albaner, die große Teile Kosovos - aber eben nur Teile - und Westmakedoniens erhielten, während für die albanisch besiedelten Teile Griechenlands nur ein Provisorium geschaffen wurden, blieb der Sieg über Jugoslawien damit unvollständig ֊ Micheletta greift mit dem Begriff „vittoria mutilata“ das Schlagwort der Situation Italiens nach dem 1. Weltkrieg auf. Der wirtschaftlich wichtige Norden Kosovos blieb ein Zankapfel - eine Parallele zur aktuellen Lage. Ethnische Zusammenstöße, besonders zwischen albanischer Bevölkerung und bulgari schem Militär, blieben in Makedonien an der Tagesordnung und konnten auch durch gutes Zureden der deutschen und italienischen Stellen nicht beigelegt werden. Ende 1941
unternahmen die Italiener mit der Bildung der Regierung Mustafa Kruja und einigen Veränderungen in der Struktur der albanischen Verwaltung einen neuen An lauf, um die albanischen Nationalisten für sich zu gewinnen. Die Berufung des später in Deutschland zu Unrecht hochgeschätzten südalbanischen Adligen Eqrem Bej Vlora zum Minister für die befreiten Gebiete brachte für die nichtalbanische Bevölkerung eine weitere Verschärfung ihrer Lage. Gerade damit wurde der Widerstand gegen die Achsenmächte erst recht angeheizt, an dem sich gerade die Albaner massiv beteiligten. Micheletta stützt sich auf italienische Archivbestände, veröffentlichte Quellen und in ternationale Sekundärliteratur (aus den Balkanländern nur wenige übersetzte Titel). Die Beschränkung auf das italienische Agieren ist keine Schwäche, sondern ermöglicht einen Einblick in die Komplexität der faschistischen Herrschaftsausübung und Politikgestaltung. Der Autor hat einen wichtigen Beitrag nicht nur zur Geschichte des 2. Weltkriegs, sondern auch zur langen Entstehungsgeschichte des Kosovo-Konfliktes geleistet. Kiel 684 Michael Schmidt-Neke Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Dimitris LiVANios, The Macedonian Question. Britain and the Southern Balkans 19391949. Oxford, New York: Oxford University Press 2008 (Oxford Historical Monographs). 280 S„ ISBN 978-0-19-923768-5, £ 58,Livanios’s book is yet another contribution to the heavily populated field of international involvement in Balkan politics with the special accent on Macedonia. This is partly under standable as Macedonia was one of the last Balkan regions under the Ottoman rule, which among other issues caused a considerable delay in nation and state building and made it more susceptible to both neighbour states’ and big powers’ interference. The title of this book is however somewhat misleading as it deals mostly with what was known as Yugoslav (or Vardar) Macedonia. Its subtitle is more accurate and accounts not only for its content but also for the perspective as it will be elaborated below. Making extensive use of Britain’s FO archives Livanios investigates and assesses British views and status quo policy towards interwar Yugoslav Macedonia. He then proceeds to elaborate more extensively on the British wartime planning concerning the future of Yu goslavia and Bulgaria, namely, Britain’s efforts to prevent a federation of the South Slavs. This in turn intensified in the immediate aftermath of the war as the whole issue gained a degree of feasibility until Tito-Stalin split put it finally ad acta. In addition Livanios offers his perspective on the emergence of the Macedonian unit within Tito’s federal Yugoslavia, and on the endeavours to create a functioning Macedonian
national ideology. Meticulously researched the book is also valuable in its attempt not only to synthesize, evaluate and reconcile a vast body of mostly English language secondary literature on the subject but also to incorporate Greek, Bulgarian and Yugoslav views. While British perspective and involvement is indeed at the heart of author’s interest it is regrettable that the material of British provenance is not subjected to the rigorous criti cism the author employs elsewhere. Instead FO reports, memoranda, opinions, etc. are too often taken at the face value or neutral. How else to explain why is the Serbian/Yugoslav and Bulgarian literature often castigated as partial whereas no similar warnings are issued when it comes to the Greek or British authors? In addition, rendering Yugoslav literature is fraught with problems of factuality, translation and transliteration. Finally, despite obvi ous attempts at bias free approach, sentences smacking of prejudice occasionally slip in such as: “What is not open to doubt is a tendency of many Slavs to have church services in their language (sic)” (10). Moving to content analysis it needs to be stressed that the study contains a very useful introduction to the history and politics prior to the interwar period but almost no discussion of sources or terminology or possible theoretical approaches. Without any announcement or explanation during the narrative Slav peasants turn into Slav Macedonians and finally into Macedonians. It never becomes clear when Macedonia is referred to in territorial and when in ethnic terms. More
confusion is added when Macedonian Serbs are mentioned. The Soviet Union is throughout the book referred to as Russia which again is not a neutral choice, especially when not properly explained. Author s selectiveness is even more trouble some than the lack of terminological clarity. This is especially evident in Livanios’s treatment of the Macedonian national identity. Notwithstanding that the evidence of Macedonian Südost-Forsckungen 68 (2009) 685
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 national consciousness prior to 1945 is scarce and grossly overblown by Yugoslav/Macedo nian historiography and propaganda, Livanios makes no effort to account for whatever little activity or attempts there were. Similarly, he does not explain the emergence or display of Macedonian consciousness in Greece (Slavomakedonski Naroden Osvoboditelen Front SNOF) and Bulgaria (Pirin census of 1947) which is mentioned. On the more positive side, Livanios is to be credited for pointing out the difference between the official posi tion of Yugoslavia as expressed by the central and party authorities in Belgrade and that of the local authorities and the Communist Party of Macedonia. Livanios rightly views the later as the prime mover in the nation building operation. Yet pointing to widespread anti-Serbianism as a result of interwar Yugoslav Serbianization and disillusionment with Bulgaria after almost four years wartime occupation Livanios portrays the Macedonian identity as exclusively negative. Suggesting that “Macedonianism” emanated from the internal dynamics of the Yugoslav-Macedonian area (206), Livanios disassociates himself from the Bulgarian and Greek critics who view this ideology as ‘fictitious’ but contributes little to its better understanding. The chiefvulnerability of Livanios’s book is its reliance on the methodology and genre of political and diplomatic history. Let us address this vulnerability starting from its concrete methodological shortcomings before we turn to a more general criticism. His positivist ap proach inclines Livanios
to the use of statistical figures. Yet only some statistics are critically evaluated while others are taken for granted. Furthermore, taken out of context statistics mean nothing. Thus, for instance, the leading role in Macedonian nation building played by the Communist party of (Yugoslav) Macedonia is explained in terms of the sharp rise of membership in post-war years without considering the sharper rise of Communist patty membership in other regions. Finally, Livanios admits the problem of interpretation when the key Soviet sources are missing which leaves him to speculate or as he says to suggest what is plausible. More generally, the above mentioned downplaying of Macedonian or Bulgarian con sciousness becomes problematic as no parallels to Greek one or any other identity building process for that matter are made. The only time the key works ofAnderson and Hobsbawm are mentioned is to help characterize Macedonianist propaganda of the Communist govern ment in Yugoslav Macedonia as an example of “inventing the nation.” This only illustrates too well the whole problem of an under-theorized political/diplomatic history that does not grapple with the implications of recent theorizing on nations and nation building. One result is that there is no comparative imperative; yet Macedonian nation building is eminently comparable to Bulgarian and Greek, while the similarities and differences in circumstances might help explain the different twists and turns in the identities of Slavs in these states. In addition, the exclusive source provenance and focus also result in cultural,
economic and other issues being only glossed over. Finally, the underlying assumption that British perspective is objective and thus might teach the quarrelsome Balkan historiographies is troubling. As a result, the traditional approach of political and diplomatic history in this book does little to eradicate stereotypes of Balkanness, leaving the creative adaptations achieved in the region and by its inhabitants invisible on the one hand, and contributing little to a better understanding of the regions non-political, non-ethnicized past on the 686 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen other. A greater commitment to local agency and other avenues of life beyond politics seems much more promising avenue of future research in the Balkans, just as it does elsewhere. London Bojan Aleksov Tvrtko P. Sojčić, Die „Lösung“ der kroatischen Frage zwischen 1939 und 1945. Kal küle und Illusionen. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008. 476 S., ISBN 978-3-51509261-6, €78,Tvrtko Sojčić lehrt im Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Ruhr-Universität Bo chum. Das vorliegende Werk ist seine erste einschlägige Publikation zur südosteuropäischen Geschichte und widmet sich dem Unabhängigen Staat Kroatien (USK). Der Titel deutet auf eine Betrachtung des Gegenstandes im Zusammenhang mit dem historischen Prozess kroatischer Nationalstaatsbildung hin; der Untertitel verrät eine thematische Fokussierung auf die Strategien relevanter Akteure und verortet sie im Kontext des historischen Scheiterns des Staatsbildungsprojektes. Das Ziel der Studie ist die Aufarbeitung des Forschungsstandes. Dazu werden die historischen Fakten ereignisorientiert in chronologischer Vorgehensweise rekonstruiert und erklärt (17). In einer Symbiose aus Außenpolitik-, Diplomatie- und Militärgeschichte beruht die Analyse auf Sichtung deutscher, englischer, kroatischer, ser bischer wie auch französischer Forschungsliteratur. Weiters werden v. a. deutschsprachige Archivdokumente und Presse aus der betrachteten Zeit herangezogen. In den Kapiteln 2 (19-60) und 3 (61-115) wird eine thematische Heranführung an die Zeit des Bestehens des USK unternommen. Zunächst erfolgt die Darstellung des sich
verstärkenden Aufbegehrens kroatischer Autonomie im von nationalen Spannungen ge prägten Königreich Jugoslawien. Die inhaltliche Konzentration liegt bei den Mitgliedern der kroatischen und international bedeutenden politischen Führungseliten und ihrer In teraktion im Bereich der Außenpolitik. Daran schließt sich die Schilderung der politischen Ereignisse und Aktivitäten, die mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges zur deutsch-italieni schen Zerschlagung und Besetzung des jugoslawischen Territoriums führte. Zur Rolle der Volksdeutschen Minderheit und den historischen Folgen ihrer Vertreibung nach dem Krieg liegt ein knapper Exkurs vor (103-115). Die sich der Existenzzeit des USK widmenden Kapitel 4 bis 7 (117-360) gliedern diese in die Gründungsphase im Spannungsverhältnis der Machtansprüche Hitlers und Mussolinis, die Phase der Etablierung des totalitären Regimes, der blutrünstigen Schreckensherrschaft der Ustascha unter der besonderen Berücksichtigung der Rolle und Orientierung des kroatischen Klerus sowie letztlich dem komplizierten Kriegsverlauf auf dem Gebiet des USK und der Nachbarregime. Hierbei stehen Militärstrategien und -operationen der Ustascha, Tschetniks, Partisanen und der Besatzungsmächte im Vordergrund. Das achte Kapitel (361-399) stellt einen Exkurs über das umstrittene Thema der Kriegsopferdiskussionen dar. Sojčić arbeitet diesbezügliche Positionen der Forschungsliteratur systematisch auf und unterzieht sie einer kritischen Südost-Forschungen 68 (2009) 687
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Evaluation. Der Schlussteil der Arbeit erfüllt einerseits eine zusammenfassende Funktion. Andererseits wird nach argumentativer Abwägung festgestellt, dass die Ustaschabewegung des USK der Anwendung von Faschismustheorien kaum offenstiinde (398). Die aus der sowohl intensiven wie extensiven Literaturauswertung schöpfende Detailstu die fußt auf minutiöser Recherchearbeit und bemerkenswerter Abwägung der Argumente und Kommentare. Zu tendenziösen Darstellungen bei der Bearbeitung des bekanntermaßen nicht unproblematischen historischen Zeitabschnittes lässt sich der Autor nicht hinreißen. Durch den Abdruck von programmatischen Dokumenten der den USK dominierenden oder historisch vorhergehenden politisch-militärischen Bewegungen gelingt es, im Anhang der Forschungsarbeit ihre ideologischen Ausrichtungen ergänzend zu verdeutlichen. Überaus reich an Zitaten und vertiefenden, sehr präzisen Fußnoten ist die Studie stringent organi siert. Der zirkuläre, sich inhaltlich überschneidende Aufbau der Kapitel hat den Vorteil, je nach Interesse des Lesers die Kapitel des recht umfangreichen Buches auch einzeln zu studieren. Einleitend wird versehentlich das Datum der Unterzeichung des Daytoner Frie densabkommens mit dem seiner Paraphierung verwechselt. Darüber kann jedoch aufgrund der ansonsten großen Präzision der Ereignisbearbeitung hinweggesehen werden. Aufgrund der chronologischen Wiedergabe der Ereignisse wäre vielleicht eine Zeitleiste im Anhang von praktischem Wert gewesen. Es bleibt zudem festzustellen, dass der Text über keinerlei Bildmaterial,
Tabellen oder Grafiken verfügt. Die Studie stellt einen seltenen deutschsprachigen - und damit wertvollen ֊ Beitrag zur kroatischen Nationalgeschichte dar. Obwohl bei einzelnen Deutungen des Autors sicherlich kritische Anmerkungen gemacht werden können, stellt gerade die neutrale Bereitstellung der Informationen einen fachlich fundierten Beitrag zu weiteren Diskussionen und For schungsvorhaben dar. Diesbezüglich ist Sojčićs Faktologie durchaus eine Grundlage besonders für geschichtsund politikwissenschaftliche Forschungen zu Fragen des (südosteuropäischen) Nationalis mus, der Staatsbildung, Diplomatie, Innen- und Außenpolitik. Überdies sollte ebenso eine Vergleichsoffenheit im LIinblick auf andere Nationalgeschichten zur Zeit des Nationalsozia lismus und Faschismus in Europa bestehen. Schon die Offenheit und Ausdauer des Autors, sich an diese umstrittene, in der südosteuropäischen Region mitunter stark überhitzt und politisiert geführte thematisch gründliche Auseinandersetzung zu wagen, ist zu würdigen. Theoretisch und methodisch ist die Studie wenig innovativ. Dies wird jedoch vom Autor gar nicht beansprucht (17). Gerade kraft des bewussten Umgangs in der Anlage und des stets kontrollierten Umgangs mit der Fülle an Einzelbegebenheiten liegt eine solide, den Forschungsstand souverän handhabende Bearbeitung des „dunklen“ Abschnittes kroatischer Nationalgeschichte vor. Pettendorf 688 Daniel Knežić Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen James Pettifer, Wbodhouse, Zerva dhe Çamët. Woodhouse, Zervas and the Chams. Tirana: Onufri 2010. 62 S., ISBN 978-999568-704-5, US-$ 6,99 Das schmale Bändchen besteht aus einem kurzen Aufsatz des britischen Balkan-Experten James Pettifer im englischen Original, dem eine albanische Übersetzung von Xhevdet Shehu vorangestellt ist. Der eigentliche englische Text umfasst nur 24 Seiten und wurde im Juni 2009 auf einer Tagung des 2004 in Tirana gegründeten Instituts für Studien über die Çamëria vorgetragen. Pettifer setzt sich mit dem Einfluss des Altertumswissenschaftlers, zeitweiligen Geheim dienstmannes und konservativen Politikers Christopher Montague Woodhouse (1917-2001) auseinander. Der britische Geheimdienst wählte seine Verbindungsoffiziere meist sorgfältig nach ihren Landeskenntnissen aus. Woodhouse arbeitete besonders mit der antikommunis tischen EDES unter Napoleon Zervas zusammen. In Griechenland ebenso wie in Jugosla wien und Albanien schlug der gemeinsame Kampf gegen die Besatzer in einen Bürgerkrieg der kommunistisch geführten Partisanen gegen ihre monarchistischen oder prowestlichen Konkurrenten um. In Jugoslawien und Albanien setzten sich die Kommunisten durch; in Griechenland wurde die EDES von der kommunistisch dominierten ELAS besiegt, die von diesem Erfolg nicht dauerhaft profitieren konnte. Entsprechend der Absprache zwischen Stalin und Churchill war Griechenland zur britischen Interessensphäre erklärt worden, und die Briten, später die US-Amerikaner setzten eine Restauration des Königs und der traditionellen Elite militärisch durch.
Woodhouse war nicht nur Teilnehmer an diesen Ereignissen (und auch am Sturz des iranischen Reform-Premiers Mohammed Mossadegh beteiligt), sondern war anschließend im britischen Wissenschaftsapparat so positioniert, dass seine Abhandlungen über Wider stand und Bürgerkrieg in Griechenland (besonders: „Apple of Discord“, London 1948) die lange Zeit unhinterfragten autoritativen Darstellungen blieben und die Sicht der britischen Öffentlichkeit auf die griechische Zeitgeschichte maßgeblich prägten. Diese einseitige Sicht brach erst 1967 mit der Machtergreifung der Militärjunta auf. Pettifer konstatiert, dass die Vertreibung und Ermordung vieler albanischer Muslime aus dem Grenzgebiet zu Albanien, der Çamen, für die hauptsächlich die Zervas-Truppe verantwortlich war, bei Woodhouse nicht thematisiert wurde; vielmehr lud er — ganz in der Sprachregelung der Vertreiber - das Stigma der kollektiven Kollaborateure mit den italienischen und deutschen Besatzern bei ihnen ab. Diese nicht aufgearbeitete Vertreibung hat in den letzten Jahren das Verhältnis zwi schen Athen und Tirana schwer belastet; die Nachkommen der Çamen fordern lautstark Entschädigung und haben 2009 einen Abgeordneten ins Parlament gewählt. Unter dem kommunistischen System wurde dieses Problem nicht öffentlich thematisiert, und für die postkommunistischen Regierungen hatten die Beziehungen zu Athen höchste Priorität. Die griechische Seite geht davon aus, dass nur Kollaborateure von Strafmaßnahmen betroffen gewesen seien und dass es keine Grundlage für irgendwie geartete Ansprüche gebe. Pettifer denunziert Woodhouse
nicht wegen seiner Rolle bei der Schaffung von Ge schichtsmythen, sondern billigt ihm hohe Sachkenntnis und (in seinen späteren Schriften) auch die Fähigkeit zu differenzierteret Sicht zu. In jedem Falle macht er ein weiteres Mal Südost-Forschungen 68 (2009) 689
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 deutlich, dass die Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaft für politische Zwecke sich im Kalten Krieg keineswegs auf die kommunistisch regierten Länder beschränkte. Kiel Michael Schmidt-Neke Sabine Hering / Berdeke Waaldijk, Helfer der Armen - Hüter der Öffentlichkeit. Die Wohlfahrtsgeschichte Osteuropas 1900-1960. Opladen, Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich 2006. 178 S., ISBN 3-938094-58-3, € 36,Social Care under State Socialism (1945-1989). Hg. Sabine Hering. Opladen, Farm ington Hills: Verlag Barbara Budrich 2009. 268 S., ISBN 978-3-86649-168-7, € 28,Loüc WÁCQUANT, Bestrafen der Armen. Zur neoliberalen Regierung der sozialen Un sicherheit. Opladen, Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich 2009. 359 S., ISBN 978-3-86649-188-5, € 29,90 Ökonomische Transformation unter den Vorzeichen eines neoliberalen Wirtschaftsver ständnisses wurde den postkommunistischen Staaten des östlichen Europa vor rund zwei Jahrzehnten von den internationalen Finanzorganisationen sowie von der EU (damals noch EG) zu einer der Vorbedingungen für die Gewährung von Staatskrediten und für eine Annäherung an die EU gemacht. Den „Schnellstartern“ in dieser Hinsicht, Polen und die damals noch bestehende Tschechoslowakei, sollten die übrigen Staaten mehr oder weniger geradlinig folgen. Ob dieser unvermeidlich scheinende Weg jemals von einer aufmerksamen Geschichtsschreibung als eine Erfolgsgeschichte bezeichnet werden wird, bleibt vorläufig dahingestellt. Aus gegenwärtiger Sicht stehen sich zwei Beobachtungen gegenüber: 1) nach einer mehr oder weniger
langanhaltenden ökonomischen Talsohle haben es die ost- und südosteuro päischen Länder geschafft, die spätkommunistischen Wirtschaftsleistungen wieder zu er bringen und sie mehr oder weniger deutlich zu übertreffen; 2) die ökonomische Radikalkur hinterließ deutliche soziale Spuren, indem sie formal klassenlose Gesellschaften wieder in sozioökonomische Klassengesellschaften re-formierte. Diese weisen freilich ein völlig an deres Profil auf als jene in vorkommunistischer Zeit. Die Abhängigkeit von Investitionen aus westlichen, postindustriell geprägten Ökonomien, die es an sozialen Sicherheiten für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zunehmend missen lassen, hat in den Ländern des östlichen und südöstlichen Europa die neue Form eines fragmentierten Proletariats hervorgebracht, das, praktisch ohne gewerkschaftlichen Schutz dastehend, einer zuneh mend globalen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist. In der Hektik der Umge staltungsprozesse wurde erst allmählich klar, dass es soziale Verlierer, Männer wie Frauen, geben wird; das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer institutionalisierten Sozialarbeit für die vielen, die auf der Strecke bleiben, konnte daher erst langsam reifen. Diese neue gesellschaftliche Aufgabenstellung ließ auch das Interesse an der Bearbeitung eines bislang 690 Siidost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen völlig unbeachteten Themas der Sozialgeschichte des östlichen und südöstlichen Europa erwachen — der Geschichte der Sozialarbeit. Was die Geschichtswissenschaften u. a. ständig in Bewegung hält, sind neu auftauchende gesellschaftliche Probleme oder zumindest Phänomene, die ohne die Klärung ihrer histo rischen Wurzeln nicht hinreichend verständlich werden. Die gegenwärtige Problemlage kann ausreichend klar umrissen werden: Die Wirtschaftsleistung der ost- und südosteuro päischen Staaten ist wesentlich geringer als etwa jene der nordwesteuropäischen. Länder wie Dänemark, Schweden oder Norwegen weisen etwa eine um das zehn- bis fünfzehnfach höhere Wirtschaftsleistung (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) als Länder wie Bulgarien oder Rumänien und eine drei- bis fünffach höhere verglichen mit einem Land wie Estland auf. Diese enorme ökonomische Differenz innerhalb der EU hat in vielen Bereichen Kon sequenzen, vor allem jedoch für die Höhe von sozialen Transferleistungen von Staaten. Länder wie Schweden (30,9 %), Dänemark (29,3 %) und Norwegen (23,4 %) wiesen diesem Transfer im Jahr 2005 nicht nur höhere Budgetanteile als Länder wie Rumänien (13,9%), Bulgarien (15,5 %) oder Estland (12,3%) zu;1 die Armut in den postsozialistischen Ländern ist wesentlich höher und weiter verbreitet und die Budgets wesentlich geringer als jene im Nordwesten Europas. Während das gegenwärtige Budget Ungarns etwa 82 Milliarden Euro ausmacht, kann das an Einwohnern und Einwohnerinnen etwa gleiche Schweden 260 Milliarden Euro, also etwa das Vierfache ausgeben. Zwischen den ebenfalls
bevölke rungsmäßig etwa gleich starken Staaten Dänemark und Slowakei steht das Verhältnis 177 Milliarden zu 47 Milliarden Euro, also etwa in ähnlicher Relation. Zu diesen staatlichen Transfers kommen noch die Leistungen von sozial-karitativen Organisationen, die in den erwähnten nordwesteuropäischen Staaten nicht nur wesentlich zahlreicher als in der ver armten EU-Peripherie, sondern auch wesentlich potenter sind. Während im Westen über Modelle eines von Arbeit entkoppelten Mindesteinkommens diskutiert wird, reichen in der europäischen Wirtschaftsperipherie die staatlich garantierten Mindestpensionen nicht einmal oder gerade noch für das nackte Überleben. Diese ökonomischen Disparitäten weisen eine lange Geschichte auf, der hier nicht nachgegangen werden kann. Sie nehmen jedoch eher zu statt ab; in der sozialistischen Ära konnte diesem Auseinanderdriften zwischen Ost und West entgegengewirkt, jedoch nicht Einhalt geboten werden. Eine umfassende Geschichte von Industrialisierung und Gewerkschaften sowie die Geschichte der Frauen kann ohne eine ihrer zentralen Aspekte, nämlich Sozialarbeit bzw. soziale Wohlfahrt, nicht geschrieben werden. Im westlichen Europa weist die Geschichte der sozialen Fürsorge bis in das Mittelalter zurück, erhielt in der Phase der Industrialisierung einen mächtigen Aufschwung und mündete in verschiedene Formen des Wohlfahrtsstaates. In den meisten Ländern des östlichen und südöstlichen Europa mit ihrer vergleichsweise späten Industrialisierung spielte Sozialarbeit historisch eine wesentlich geringere Rolle, da sie entweder in auf bäuerlicher
Subsistenz aufbauenden vorindustriellen Gesellschaften kein vordringliches Problem darstellte oder in sozialistischer Zeit ideologisch bedingt unterdrückt wurde. Eine umfassende Geschichte der Sozialarbeit, der staatlichen wie privaten Daseinsvor sorge und der Gesundheitspolitik (mit ihren eugenischen Abwegen) für das östliche und südöstliche Europa wird noch länger nicht geschrieben werden können, da es dazu noch Südost-Forschungen 68 (2009) 691
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 an Forschungen mangelt; solide Anfänge sind mit den beiden von Hering und Hering/ Waaldijk herausgegebenen Werken, erschienen im Verlag Barbara Budrich, allerdings getan. Sie stellen zweifellos Pionierarbeiten dar. Hering ist ausgebildete Soziologin, gründete 1983 das „Archiv der deutschen Frauenbewegung“ in Kassel und ist seit 1993 Professorin für Sozialpädagogik, Geschlechter- und Wohlfahrtsgeschichte an der Universität Siegen. In Zusammenarbeit mit dem 2001 gegründeten „Network of Historical Studies on Gender and Social Work“ und der Volkswagen-Stiftung war es ihr möglich, Mitte der 1990er Jahre Forscherinnengruppen aus acht osteuropäischen Ländern zwei Jahre lang an der Geschichte der Sozialarbeit in Kroatien, Slowenien, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Lettland, Polen und Russland arbeiten zu lassen. Dies geschah darüber hinaus in komparatistischer Absicht, um einerseits die unterschiedlichen kulturellen, religiösen und ökonomischen Rahmenbedin gungen für das Entstehen und die Entwicklung der Sozialarbeit in diesen Ländern selbst und andererseits Unterschiede und Gemeinsamkeiten des europäischen Ostens im Vergleich zu den frühen Industrieländern des europäischen Westens zum Ausdruck zu bringen. Der Band von Hering/Waaldijk befasst sich mit den Anfängen der Sozialarbeit und endet mit der Etablierung einer neuen Sozialpolitik in den sozialistisch gewordenen Ländern um I960; der von Hering allein herausgegebene Band fokussiert auf die sozialistische Ära von ihren Anfängen bis zu ihrem Ende. Ersterer weist die typische Struktur eines
Forschungsbe richts auf, der über längere Abschnitte hinweg auf „soziale Arbeit und Geschichte“ (Walter Lorenz), die „vergleichende Geschichte der Wohlfahrtspflege und ihre internationalen Dimensionen“ (vermutlich von den beiden Herausgeberinnen stammend), den „Einfluss von Kulturen, Konfessionen und Ideologien auf die Wbhlfahrtsgeschichte Osteuropas Vergleiche und Herausforderungen“ (Sabine Hering) sowie „Macht und Politik: Politik, Gender und Ausbildung in der osteuropäischen Sozialfürsorge“ (Berteke Waaldijk) eingeht. Es folgen schließlich die von Dagmar Schulte bearbeiteten, vermutlich im Vergleich zum Original stark gekürzten acht Länderberichte, deren Grundlagen von den Mitarbeiterin nen in dem Forschungsprojekt erstellt worden sind. Eine von Kurt Schilde eingeleitete Bibliographie ausgewählter deutschsprachiger Literatur zur Geschichte der Sozialarbeit in Osteuropa schließt einen Band ab, der auch in englischer Übersetzung als „Guardians of the Poor ֊ Custodians of the Public. Welfare History in Eastern Europe 1900-1960“ erschienen ist. Beide Versionen wurden in diesem einen Band vereinigt. Als eines der wichtigsten Ergebnisse heben die Herausgeberinnen hervor, dass anfangs „viele Ideen und Praktiken der Wohlfahrtspflege in grenzüberschreitender Kooperation ent wickelt worden sind und Teil internationaler Bewegungen waren“ (32f.), dass die Sozialarbeit bei Weitem nicht immer von staatlichen Initiativen inspiriert worden ist, sondern auf lokale und regionale Initiativen auf konfessioneller (katholischer, orthodoxer und muslimischer) oder ethnischer Grundlage
zurückgehen und von Frauen getragen wurden. Waaldijk hebt hervor, dass die Professionalisierung der Sozialarbeit nicht losgelöst von der Geschichte der Frauenbewegung und dem Kampf um die Emanzipation der Frau gesehen werden könne (83). In allen Länderberichten wird betont, dass der Übergang zum Sozialismus mit der völligen Entprivatisierung und Verstaatlichung der Sozialarbeit und dem Nutzungsverzicht auf die reichen Erfahrungen „bourgeoiser“ Sozialarbeit einhergeht. Sozialarbeit ging in 692 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen einer Sozialpolitik auf, von der man glaubte, dass sie soziale Probleme automatisch und umfassender als bisher lösen würde. Was an diesem Band irritiert oder sogar ärgerlich wirkt, sind die vielen falschen Jahresan gaben und inhaltlichen Fehlleistungen, die den grundsätzlich hoch einzuschätzenden Wert der Publikation beeinträchtigen. Wenn Rumänien nicht nur einmal als katholisches Land bezeichnet (etwa 19 und 20) wird oder von orthodoxen Ordensbewegungen die Rede ist, stellt sich die Frage, wie tief die Herausgeberinnen in die für sie anscheinend fremde Materie vorgedrungen sind. Die unzähligen Tipp- und Grammatikfehler erwecken zudem nicht den Eindruck, dass formale Sorgsamkeit eines der leitenden Prinzipien bei der Herausgabe war. Der von Hering herausgegebene und 2009 erschienene Band, der sich ganz den Pro blemen der Sozialarbeit in sozialistischer Zeit verschreibt, weist derartige Formmängel allerdings nicht mehr auf und ist professionell gestaltet. Auch dieser konnte in finanzieller Zusammenarbeit mit der Volkswagen-Stiftung und in inhaltlicher Kooperation mit dem „Network of Historical Studies on Gender und Social Work“ entstehen und inkludiert die DDR als zusätzliches, neuntes Untersuchungsland. Im Unterschied zum ersten Band nehmen Berichte aus den Untersuchungsländern den allergrößten Raum ein, während sich die Herausgeberin auf eine 13-seitige Einleitung beschränkt, in der sie die wichtigsten Fragestellungen und Ergebnisse skizziert. Die wichtigsten Forschungsergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden: 1 ) Die sozialistischen Staaten konnten
etliche grundlegende Probleme der sozialen Marginalisierung, die bis dahin als unlösbar gegolten hatten, beseitigen; dies betrifft in erster Linie die staatlichen Transferleistungen für Familien und Jugendliche sowie den kostenlosen Zugang zum Bildungs- und Gesundheitswesen. Die sozialistischen Systeme schufen allerdings gleichzeitig eine Reihe von neuen Problemen. Die ideologischen Ziele von Vollbeschäfti gung, Geschlechtergerechtigkeit und ein umfassendes Gesundheitssystem wurden durch repressive Mechanismen erkauft, die Widerspenstigkeit und ideologischen Nonkonformis mus zu bändigen trachteten. Behinderte und alte Menschen, die Unterstützung dringend benötigt hätten, blieben unbeachtet und wurden eher marginalisiert als bedarfsgerecht unterstützt. Das Konzept, die Sozialarbeit durch eine umfassende Sozialpolitik zu ersetzen, konnte deshalb nicht aufgehen, weil letztere bei Weitem nicht alle sozialen Probleme zu lösen imstande war, neue soziale Randgruppen entstehen ließ und einer professionellen Sozialarbeit in den meisten Ländern keine Aufmerksamkeit schenkte. Die Beiträge aus Slowenien und Kroatien unterstreichen, dass Jugoslawien eine diesbe zügliche Ausnahme darstellte. Das Land ging nicht nur ideologisch einen eigenständigen Weg, sondern verschloss sich auch nicht den Herausforderungen der sozialen Arbeit. In Ljubljana etwa wurde bereits 1955 mit einer zweijährigen Ausbildung von Sozialarbeitern und -arbeiterinnen begonnen und ihr Curriculum den Empfehlungen der Vereinten Na tionen angepasst. Der relativ geringe Grad der politischen Repression ließ ab den
1960ern und 1970ern Frauenrechtsorganisationen und Jugendgruppen entstehen, die alternative Lebensstile forderten und auch praktizierten. Dies stellte die Sozialarbeit vor neue Her ausforderungen. Der Band beinhaltet eine Reihe von äußerst interessanten Beiträgen wie etwa jenen von Ulf Brunnbauer und Anelia Kassabova über Sozialismus, Sexualität und Heirat in BulSüdost-Forschungen 68 (2009) 693
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 garien (35-54), den von Maria Roth über das Problem des Kinderschutzes in Rumänien (201-212) oder jene von Vesna Leskošek über die Sozialarbeit in Slowenien (239-248) und Marina Ajduković und Vanja Branica in Kroatien (249-264). Im Unterschied zu den übrigen sozialistischen Ländern konnten sich somit die ehemaligen jugoslawischen Länder eine Tradition der Sozialarbeit und, speziell Slowenien, in der Bevölkerung verankerte zivil gesellschaftliche Strukturen, die auf dem Gedanken des Gemeinwohls füßten, bewahren. Etwa über dieselbe Zeitperiode entspannt sich das übersetzte Werk des Bourdieu-Schülers Lote Wacquant unter dem deutschen Titel „Bestrafen der Armen. Zur neoliberalen Re gierung der sozialen Unsicherheit“; der Titel der in Paris erschienenen französischen Ori ginalausgabe lautet „Punir les Pauvres. Le nouveau gouvernement de l’insécurité sociale“ (2004). Wacquant, ein in Berkeley lehrender Stadtsoziologe, der sich mit seinen Studien über die städtische Armut und zur Sozialtheorie einen Namen gemacht hat, setzt sich in der vorliegenden Arbeit mit der neoliberalen Regierungsideologie des „schlanken Staates“ auseinander. Die darin vorgebrachte These lautet, dass sich in den USA etwa um die Mitte der 1970er Jahre dieses Modell ideologisch durchzusetzen begann, seither immer größere Kreise zieht und auch vor Europa nicht haltmacht. „Schlanker Staat“ bedeutet nichts Anderes, als Rücknahme von staatlichen Sozialausgaben und Rückzug des Staates aus der Gestaltung der nationalen wie auch internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Eine der
wichtigsten Aufgaben des Staates in den zwischen Politik und Wirtschaft neu verteilten Machtrollen sei es, den Widerstand der durch diese Art des Regierens rasch zunehmenden Zahl an Marginalisierten im Zaum zu halten. Vor dem Hintergrund der USA beträfe dies in erster Linie die schwarze Bevölkerung. Das Mittel dazu sei ein immer dichter geknüpftes Netz einer zunehmend verschärften Strafgesetzgebung, die verstärkt auf das Mittel der Gefångnishaft zurückgreife. Neoliberales Regieren zeige somit ein janusköpfiges Gesicht: Auf wirtschaftlicher Ebene werden alle Schranken beseitigt, auf gesellschaftspolitischer Ebene die Gitter hochgezogen. Die Gewinner der neoliberalen Politik fühlen sich von der immer größer werdenden Zahl an Verlierern und Unzufriedenen bedroht und rufen den Staat auf, dieser Unsicherheit ein Ende zu bereiten, und der Staat reagiert tatsächlich mit einer Politik der Kriminalisierung kleinerer Vergehen und der Überwachung des öffentlichen Raums durch Polizei und private Observierungskörperschaften darauf. Wacquant erkennt darin nicht eine von oben bewusst herbeigeführte Konstellation, sondern ein Zusammenwirken von geleiteten und ungeleiteten Interessen, das nicht ganz zufällig im Strafstaat gemündet habe. In der Tat steigt die Inhaftierungsrate in den USA seit der Mitte der 1970er Jahre rasant an. Waren es im Jahr 1970 noch 96 Inhaftierte pro 100.000 Einwohner, so sind es mittler weile bereits 751. Die USA liegen damit weltweit an der Spitze und ihre Gefängnisse platzen aus allen Nähten. Wacquants Gedankengang ist verlockend, und die Frage der Infizierung
Europas mit dieser Politik, die der Autor andeutet, stellt sich unwillkürlich. Insbesondere im Hinblick auf den europäischen Osten, den die Politik des Neoliberalismus wesentlich härter trifft als Westeuropa, sollte diese These zu denken geben. Ein erster Blick auf die internationale Gefangenenstatistik scheint seine These zu erhärten. Russland liegt bereits an zweiter Stelle hinter den USA mit einem Wert von 713, Weißrussland (426) und die Ukraine (356) nehmen ebenfalls vordere Plätze ein. Aber die Entwicklungen sind weder linear noch eindimensional. In den USA ist es etwa Präsident Obama mittlerweile gelungen, 694 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen den Liberalismus im Gesundheitswesen durch staatliche Intervention einzudämmen. Die rasant steigenden Häftlingszahlen in den genannten osteuropäischen Ländern bedürften einer genaueren Interpretation, denn es ist gleichzeitig auffallend, dass die Häftlingsrate Luxemburgs (167) höher als jene Rumäniens (164) und Serbiens (104) ist.2 Die relativ hohen Gefangenenraten im ehemaligen Herrschaftsbereich der Sowjetunion sind offenbar nicht Ausdruck eines wachsenden Unmuts der Marginalisierten. Es scheint eher so zu sein, dass die Bevölkerungen der postsozialistischen Länder die sozioökonomischen Verwerfungen der neoliberalen Politik (noch) geduldig hinnehmen, da sich ihnen keine Alternative bietet und ein Wiederaufleben des Sozialismus von einer großen Mehr heit abgelehnt wird. Unter diesem Aspekt kommt wieder die Frage der Ausgestaltung der Sozialarbeit ins Spiel. Die außerjugoslawischen Länder der postkommunistischen Sphäre mussten vor zwei Jahrzehnten die Sozialarbeit wieder neu erfinden. Ihr wird zweifellos in Zukunft ein größeres Augenmerk beizumessen sein als bisher. Eine mittlerweile bereits alte Diskussion wird diesen Prozess begleiten: Sozialarbeit als Reparaturanstalt unkontrollierter Profitinteressen oder als humanitäre Pflicht. Graz Karl Kaser 1 Social Security Expenditure Database unter http://www.ilo.org/dyn/sesame/ifpses.socialdbexp , 29.6.2010. 2 Daten unter http://de.wikipedia.org/wiki/Gefängnissystem_der_Vereinigten_Staaten# Ländervergleiche 29.6.2010, und http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/319062009-AP/DE/3-19062009֊AP֊DE.PDF ,
29.6.2010. DavidE. Goodlett, Yugoslav Worker Emigration 1963-1973. Government Policy and Press Coverage. Lewiston, Queenston, Lampeter: The Edwin Mellen Press 2007. IX, 190 S.JSBN 978-0-7734-5398-2, £ 69,95 Die vorliegende Publikation hat eine ungewöhnliche Vorgeschichte. Der Autor führte, wie er selbst in der Einleitung schreibt, seine Auswertung von Zeitungen, Zeitschriften und Radiosendungen schon in den späten 1980er Jahren in der Belgrader Nationalbibliothek und im Archiv von Radio Free Europe in München durch und dürfte spätestens Anfang 1991 das Manuskript abgeschlossen haben. Er zieht zwar eine skeptische Bilanz zu Titos Lebenswerk und stellt fest, der Umgang mit der Krise in Jugoslawien habe weniger Ge meinsamkeiten mit dem Vorgehen der chinesischen Führung auf dem Tiananmen-Platz als mit Gorbačevs Reformpolitik (165-167), doch von der Auflösung Jugoslawiens und der UdSSR ist noch nirgendwo die Rede. Das ganz kurze Literaturverzeichnis über die Reihung der Medienartikel hinaus nennt ausschließlich englischsprachige Bücher zumeist aus den siebziger Jahren. Drei Werke von 1994,1997 und 2006 wurden offensichtlich nachgetragen. Im undatierten Vorwort von John W. Kipp ist von „disintegration of Yugoslavia over the last two decades“ die Rede. Auch wenn man dies noch auf die Zeit der Nachfolgekriege Südost-ForscKungen 68 (2009) 695
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 und der Verselbständigung von Montenegro und Kosovo beziehen könnte und das Vorwort demnach kurz vor der Publikation des Bandes entstand, nimmt Kipp eher darauf Bezug, dass die Aporten des Selbstverwaltungssozialismus, darunter, wie von ihm genannt, die Unfähigkeit, Vollbeschäftigung zu sichern, schon lange vor der Staatskrise am Ende der 1980er Jahre wirksam geworden waren. Demzufolge dürfte auch dieses Vorwort schon um 1991 entstanden sein. Die Arbeit ist in Kapitel zu einzelnen Zeitabschnitten gegliedert; die Unterpunkte in den Kapiteln wiederholen sich teilweise. Innerhalb der Abschnitte werden dann Zitate und zusammengefasste Positionen aus verschiedenen Medien nebeneinandergestellt. So lassen sich chronologische Entwicklungen in der Verteilung von Themen und Wertungen gut erkennen. Allerdings bleibt die Frage offen, ob bestimmte Medien oder gar Autoren durchgängig bestimmte Positionen in Abgrenzung von anderen vertreten haben. Hier wäre es für zukünftige Untersuchungen hilfreich gewesen, wenn das Quellen verzeichnis nicht einfach alphabetisch Autoren und im Falle von deren Anonymität die Überschriften der Artikel aufzählen würde, sondern nach einzelnen Medien chronologisch geordnet wäre. Auch wären Tabellen zur Verteilung nach Ausreisejahren wie auch nach Herkunft innerhalb Jugoslawiens und nach Zielländern hilfreich gewesen.1 Mit unterschiedlicher Gewichtung wiederholen sich durch den Untersuchungszeitraum von 1963 bis 1973 immer wieder ähnliche Argumente in den Medien, die zugleich auch den offiziösen Standpunkt der Politik
Wiedergaben. Positiv gesehen, entsprach die Arbeits emigration dem neuen Anspruch des Systems, seinen Bürgern Freizügigkeit zu gewähren. Sie entlastete den einheimischen Arbeitsmarkt, zeugte von Leistungskraft und Qualifikation jugoslawischer Arbeitskräfte und brachte Devisen ins Land. Negativ konnotiert aus Sicht des Systems war die Arbeitsemigration dadurch, dass darin ein Indiz für das Unvermögen des Systems lag, jedermann sein Auskommen zu sichern. Qualifizierte Arbeitskräfte gingen verloren; die militärische Verteidigungskraft war gefährdet. Die Gastarbeiter könnten die Bindung an ihre Heimat verlieren oder unter den gefährlichen Einfluss der politischen Emigration gelangen. In den Texten bis 1970 gewinnen parallel zur steigenden Zahl von Gastarbeitern die positiven Gesichtspunkte immer mehr an Bedeutung, danach treten die kritischen Aspek te in den Vordergrund. Slowenien bemühte sich ab 1973 explizit um die Rückkehr von hochqualifizierten Arbeitskräften (153). Das Thema der Arbeitsemigration trat in den jugoslawischen Medien nach 1973 immer mehr in den Hintergrund, da nun ihrerseits die westeuropäischen Länder den Zustrom an Arbeitskräften eindämmten. Im Moment des Ölpreisschockes gab es sogar — dann unberechtigte — Befürchtungen, es müssten kurzfristig Hunderttausende aus Westeuropa nach Jugoslawien zurückkehren (6, 160). Unabhängig von der ambivalenten Bewertung der Arbeitsemigration ist doch durch gängig das Interesse zu erkennen, diese zu kontrollieren und die Rolle des jugoslawischen Staates als Tutor einzunehmen. Entsendung durch jugoslawische Firmen oder
über offiziöse Absprachen war viel wünschenswerter als die Ausreise auf eigene Initiative. Immer wieder berichten die Medien von oft auch erfolgreichen Bemühungen jugoslawischer Organe, die Arbeitsbedingungen und die soziale Absicherung der Gastarbeiter zu verbessern. Aufent- 696 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen halts- und Arbeitsorte im Ausland sollten den jugoslawischen Behörden bekannt sein. Die Klubs und Vereine sollten allen Völkern Jugoslawiens gleichermaßen offenstehen (129). In diesem Zusammenhang kommt zum Tragen, dass der Autor nur offiziöse Medien ausgewertet hat, die auf die Rolle der religiösen Bindungen anscheinend überhaupt nicht eingegangen sind. Denn real sahen sich katholische Gastarbeiter in zwei Netzwerke einge bunden: das im Umfeld von Konsulat und jugoslawischen Klubs und das der katholischen Missionen. Die geistliche Betreuung der orthodoxen Gastarbeiter in Westeuropa war nicht annähernd so weit ausgebaut. Der Autor spricht von zwei Belegen von „overt nationalism“ kroatischerseits um 1970 (102). Eine kroatische Gemeinde in Österreich habe ein Radioprogramm auf Kroatisch gefordert. Doch in dem Artikel der „Borba“: „Gradišćanski Hrvati zahtevaju televizijske emisije na hrvatskom“ geht es offensichtlich nicht um den Disput Kroatisch—Serbokroatisch, sondern um Minderheitenrechte innerhalb Österreichs. Savka Dabčević-Kučar distanzierte sich laut einem Artikel in der „Politika“ vom 7.10.1970 davon, dass auch nach Meinung an sonsten progressiver Leute die Arbeitsemigration der biologischen Vernichtung der Kroaten diene. Zur differenzierten Erschließung von Sichtweisen auf die Arbeitsemigration während der sozialen Bewegung des Kroatischen Frühlings 1967-1971 bietet sich eine Auswertung des von der Kulturorganisation „Matica hrvatska“ herausgegebenen „Hrvatski tjednik“ als Sprachrohr der damaligen Reformbewegung an. Was die wirtschaftliche Bedeutung der
Arbeitsemigration betrifft, so ist ein von Goodlett referierter Artikel des Zagreber Wirtschaftswissenschaftlers Ivo Vinski von 1968 aufgrund einer Befragung unter 2.400 Gastarbeitern in verschiedenen Ländern Westeuropas beson ders anschaulich (56): Der Durchschnittsarbeitslohn eines legal beschäftigten Gastarbeiters lag mit 750 Mark dreieinhalb Mal über dem jugoslawischen Durchschnittslohn. Davon verbrauchte er ungefähr zwei Drittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes. Von dem verbleibenden Drittel wurde schätzungsweise ein Drittel nach Jugoslawien transferiert, davon wiederum nur 5 % durch Banküberweisung. Uber die Hälfte des nach Jugoslawien exportierten Kapitals gelangte nicht in den dortigen Geldverkehr. Die Ersparnisse wurden auch in unerwünscht hohem Maße für den Kauf von Waren im Westen genutzt. Folgt man Forschungsergebnissen der letzten Jahre, so wurde die faktische Konföderalisierung Jugoslawiens schon Mitte der 1960er Jahre eingeleitet. Ob sich dies auch im Diskurs der Medien zur Frage der Arbeitsemigration durch eventuell klare Akzentuierung von Republik-Interessen widerspiegelt, lässt sich anhand der Darstellung von Goodlett nicht klar beantworten. Wie Goodlett abschließend ausführt (168), sei die Formel von „Yugoslavs temporarily working abroad“ (aus „na privremenom radu u inozemstvu“) seit den 1970er Jahren zuneh mend grotesk geworden, als warte der Arbeitsemigrant auf die Rückkehr: „He never did.“ Zum einen sollten wir hier betonen, dass nicht nur das Regime sich den Rückkehrwillen einredete, sondern auch die meisten Arbeitsemigranten selbst an die
spätere Rückkehr glaub ten und sich entsprechend verhielten. Zum anderen konnte Goodlett beim Schreiben seines Buches um 1990 noch nicht wissen: Die jugoslawischen Nachfolgekriege haben zwar den seit den späten 1970er Jahren langsam einsetzenden Rückkehrerstrom erst einmal aufgehalten und umgekehrt. Aber inzwischen sehen manche aus der schon hier geborenen Generation Südost-Forschungen 68 (2009) 697
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 für sich in den Nachfolgestaaten bessere Chancen als in Westeuropa selbst, und fur die erste Generation wird die Rückkehr in die Heimat nach der Verrentung immer geläufiger. Kiel Ludwig Steindorff 1 Einige Angaben hierzu bei Herbert Büschenfeld, Jugoslawien. Stuttgart 1981, 189-196. Heinz A. Richter, Geschichte der Insel Zypern. Band ГѴ: 1965-1977. Mainz, Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2009. 2 Halbbände, zus. 735 S., zahir. Abb., ISBN 978-3-941336-33-5, €65,Bei der vorliegenden Arbeit von Heinz A. Richter, der durch zahlreiche Publikationen zur Geschichte Griechenlands im 20. Jh. bekannt ist,1 handelt es sich um den vierten Teil einer ursprünglich auf zwei Bände angelegten Geschichte Zyperns vom Beginn der britischen Kolonialherrschaft 1878 bis zur Teilung der Insel im Jahre 1974. Während der erste Band [Geschichte der Insel Zypern. Teil 1: 1878-1949, Mannheim 2004] die Jahre von 1878 bis 1948 auf insgesamt 498 Seiten behandelt, weist der zweite Band, in dem die Eskalation der Zypernfrage von 1950 bis zu den Verträgen von Zürich und London im Jahre 1959 nachgezeichnet wird, bereits den stattlichen Umfang von 665 Seiten auf [Geschichte der Insel Zypern. Band 2: 1950-1959, Mannheim 2006]. Nur ein Jahr später erschien der dritte Band [Geschichte der Insel Zypern. Band 3: 1959-1965, Mainz und Ruhpolding 2007], der auf 644 Seiten die Interimsperiode von 1959 bis zur Unabhängig keit der Republik Zypern im Jahre 1960, die Bewährungszeit der Verfassungsordnung bis Dezember 1963, den anschließenden Bürgerkrieg von 1963/1964 sowie die Rückkehr
zu einer prekären Normalität bis zum Jahr 1965 behandelt. Dabei bildet die als „Juliereignisse“ bekannt gewordene innenpolitische Krise in Athen einen Endpunkt, der jedoch insofern als provisorisch bezeichnet werden muss, als dieses Ereignis zwar ohne Zweifel eine wichtige Zäsur in der Nachkriegsgeschichte Griechenlands darstellt, es jedoch fraglich erscheint, ob man ihm eine ebensolche Bedeutung auch für Zypern zuschreiben kann. Diese Ein leitung dient der Erläuterung des Kontextes der hier zu besprechenden Monographie, die eine nahtlose Fortsetzung ihrer Vorgängerwerke ist. Sie soll zugleich auf die Dimensionen des hier verfolgten Unterfangens hinweisen, das mit einiger Berechtigung als ein „work in progress“ charakterisiert werden kann, denn angesichts des bisherigen Verlaufs wäre es inkonsequent, wenn keine weitere Fortsetzung folgen würde. Die umfangreiche Quellengrundlage der Arbeit besteht neben Memoiren, Selbstzeug nissen sowie einigen Interviews beteiligter Akteure, zeitgenössischer Presse und offiziellen internationalen Dokumenten (Verträge, Resolutionen etc.) vor allem aus ediertem Archivma terial von diplomatischen Diensten und anderen Behörden der in den Konflikt involvierten Staaten, insbesondere Großbritanniens und den USA, wobei ein erkennbarer Schwerpunkt auf den vom State Department publizierten Foreign Rehtiom ofthe United States liegt. Be698 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen sondere Erwähnung verdient ferner das gut gewählte Foto- und Kartenmaterial, das diesen Band wie auch seine Vorgängerbände begleitet und jenseits von rein dekorativen Aspekten auch tatsächlich als Bildquelle fungiert. Der Text ist nach streng chronologischem Muster in vier Abschnitte gegliedert. Der erste (11-250) ist mit „Jahre der Instabilität“ betitelt und behandelt den Zeitraum von 1965 bis 1970. Kernthemen bilden die Pattsituation zwischen den beiden Volksgruppen sowie die zunehmende Einflussnahme der „Mutterländer“ Griechenland und Türkei auf die inneren Angelegenheiten Zyperns, die eine nachhaltige Unterminierung seiner staatli chen Souveränität bedingten, insbesondere nachdem sich im Frühjahr 1967 in Athen eine Militärjunta an die Macht geputscht hatte. Eingehende Betrachtungen werden in diesem Zusammenhang der Kofinou-Krise vom November 1967 sowie dem Beginn und Verlauf der Volksgruppengespräche von 1968 bis 1971 gewidmet. Der zweite Abschnitt (251-375) behandelt den Zeitraum von 1971 bis zum Vorabend des Putsches vom 15.7.1974. Im Zentrum der Betrachtung stehen dabei die innenpolitische Destabilisierung auf Zypern nach der Rückkehr von Grivas auf die Insel und der Gründung der EOKA-B, deren terroristische Aktivitäten in den Jahren 1972 und 1973 ebenso de tailliert geschildert werden wie die Athener Putschpläne gegen Makarios im Herbst 1973. Dabei erfährt auch die Rolle der Vereinigten Staaten und insbesondere ihres damaligen Außenministers Henry Kissinger eine ebenso kritische wie sachliche Untersuchung. Am Ende des Abschnitts wird schließlich die
Wiederaufnahme des interkommunalen Dialoges im Herbst 1971 und sein Verlauf bis zum Juliputsch von 1974 nachgezeichnet. Der dritte Abschnitt (376-544) besteht aus einer minutiösen, ja geradezu zeitlupenarti gen Rekonstruktion der dramatischen Ereignisse vom 15.7. bis zum 16.8.1974, d.h. des Putsches der Nationalgarde vom 15-7., der türkischen Operation Attila I (20.-22.7.), der beiden Genfer Konferenzen (25.-31.7. und 8.-13.8.) sowie schließlich der Operation Attila II (14.-16.8.), mit der die Teilung Zyperns nach der bis heute bestehenden Demarkationslinie besiegelt wurde. Die Darstellung ist zu einem guten Teil nach Tagen gegliedert, wobei die lokale, regionale und internationale Akteursebene parallel betrachtet werden. Der Abschnitt endet mit einem Ausblick auf die während des Militärschlages verübten Kriegsverbrechen, Vertreibungen sowie weitere humanitäre Konsequenzen, die der Verfasser quellengestützt, sachlich und unter sorgfältiger Vermeidung von Einseitigkeiten schildert. Der vierte Abschnitt (545-712) behandelt den Zeitraum vom Sommer 1974 bis zum Tode von Makarios im Jahre 1977 und trägt den bezeichnenden Titel „Auf dem Weg zum Stillstand“. Schwerpunkte bilden dabei die direkt auf die Invasion folgenden diplomatischen Entwicklungen der zweiten Jahreshälfte 1974, die Wiederaufnahme der interkommunalen Verhandlungen in der ersten Jahreshälfte 1975, die Zypernverhandlungen von Helsinki und Wien 1975/1976 sowie das High Level Agreement von 1977. Der Abschnitt endet mit einer kritischen Bewertung des politischen Wirkens von Makarios als Erzbischof sowie als erster
Staatspräsident Zyperns. Anders als in den drei vorangegangenen Bänden verzichtet der Verfasser hier auf eine Gesamtresümee oder ein Schlusswort. Dies könnte sich daraus erklären, dass eine Fort setzung geplant ist, muss aber nicht zuletzt angesichts des Umfangs der auf diese Weise abgeschlossenen Monographie als ein Manko gelten, was Anlass für einige weitere kritische Südost-Forschungen 68 (2009) 699
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 Bemerkungen bezüglich der Textgestaltung gibt: So wäre es etwa im Sinne der Übersicht lichkeit wünschenswert gewesen, wenn die zahlreichen Unterkapitel, aus denen sich die Einzelteile der vier oben skizzierten Abschnitte zusammensetzen, auch in das Inhaltsver zeichnis aufgenommen worden wären, um dem Leser eine leichtere Orientierung im Text zu gestatten. Dessen Umfang ergibt sich übrigens weitgehend daraus, dass der Verfasser die von ihm herangezogenen Quellen ausführlich zitiert - was löblich ist ֊ nicht selten aber auch einfach paraphrasiert, wobei es zuweilen zu Mischformen von wördichem Zitat und sinngemäßer Wiedergabe in indirekter Rede kommt. In diesen Fällen fragt sich, ob es nicht konsequenter gewesen und den Bedürfnissen des wissenschaftlich interessierten Lesers eher entgegengekommen wäre, vollständig und wörtlich zu zitieren, auch wenn dies den Umfang des Textes noch mehr vergrößert hätte - schließlich war Raumökonomie hier ja offenbar ohnehin kein prioritäres Gestaltungsprinzip. Demgegenüber hat der Verfasser die Tendenz, sich bei eigenen Einschätzungen und Wertungen kürzer und plakativer zu artikulieren, als es vom Raum her nötig und auch der Sache angemessen wäre. So berichtet er z. B. im Kontext des Staatsbesuches, den Georgios Papadopoulos im August 1967 auf Zypern abstattete, welch nachhaltigen Eindruck der charismatische Makarios auf Papadopoulos machte. Das mag sicherlich zutreflfen, ob aber die Feststellung, dass der Erzbischof dem Diktator bei dieser Gelegenheit „eine Art Gehirnwäsche verpasste“ (86) als adäquate
Charakterisierung dieses Befundes gelten kann, ist eine andere Frage. Auch die im Vorwort geäußerte Ein schätzung, dass US-Außenminister Kissinger sich während der Watergate-Affäre als „eine Art Metternich oder Bismarck fühlte und besserwisserische Realpolitik betrieb“, ohne zu begreifen „daß in diesem Teil der Welt andere politische Spielregeln galten als in Europa oder im Westen allgemein“ (8), erscheint etwas unangemessen, zumal der Verfasser in seiner späteren Untersuchung ja selbst zu einem differenzierteren Bild kommt (wenn auch ohne nähere Erläuterung dieser vermeintlich „anderen politischen Spielregeln“). Die hier genannten Kritikpunkte verfolgen allerdings keineswegs die Absicht, die aus drücklichen Vorzüge und Verdienste der vorliegenden Monographie zu schmälern. Heinz A. Richter ist es gelungen, auf Grundlage eines beeindruckenden Fundus von Primärund Sekundärquellen eine Darstellung des Zypernkonflikts zu liefern, die nicht nur im Hinblick auf minutiöse Detailgenauigkeit ihresgleichen sucht, sondern sich auch durch kritische Ausgewogenheit in einem Maße auszeichnet, das angesichts der Brisanz dieses bis heute ideologisch hoch kontaminierten und entsprechend stark polarisierenden Themas durchaus nicht selbstverständlich ist. Es wäre allenfalls zu wünschen, dass Richter in einem folgenden Band wirtschafts-, sozial- und kulturgeschichtliche Betrachtungen wieder etwas mehr Raum geben würde, wie er dies im ersten Teil seiner Reihe erfreulicherweise getan hat, denn die Geschichte Zyperns im 20. Jh. besteht - glücklicherweise - nicht allein aus dem Zypernkonflikt und
seinen diplomatischen wie militärischen Verwicklungen. Wien Ioannis Zelepos 1 Siehe exemplarisch Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution (1936-1946). Frankfurt/M. 1973; Griechenland im 20. Jahrhundert. Megali Idea, Republik, Diktatur. Koin 1990; Griechenland im Zweiten Weltkrieg. Mannheim 1997. 700 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Viljenka Škorjanfc, Osimska pogajanja [Die Verhandlungen von Osimo]. Koper: Založba Annales 2007. 382 S., ISBN 978-961-6033-97-8, € 19,On 10th November 1975 the Italian and Yugoslav foreign ministers Mariano Rumor and Miloš Minié met at the Villa Leopardi Dittaiuti of Monte San Pietro in the vicinity of Osimo (Ancona, Marche region, Italy) where they signed a treaty which marked the end of a border contention that originated after the Yugoslav occupation ofTrieste and the Venezia Giulia in May 1945. After the Paris Peace Treaty of 10th February 1947 Italy lost sovereignty over the Venezia Giulia region, handed over to Yugoslavia, except its capital city Trieste. Together with its surroundings and a small part of Istria it become an internationalized ter ritory labelled “Free Territory ofTrieste” (FTT) divided into a zone “A” governed under the allied military administration and “B” under the Yugoslav army. With the London protocol of 9th May 1952 it was agreed to transfer the civil administration ofTrieste to the Italian functionaries ending the military allied administration of the zone “A” of the FTT. After another turn of secret negotiations all parts (without the Soviets) produced in February 1954 in London a “Memorandum of intents” where the zone Awas abandoned and left to the Italian civil administration while the zone В to the Yugoslav thereby ending the regime of military administration for both zones. Since Italy did not accept the loss of sovereignty upon the zone В of the FTT, the border between the two states remained provisory until the Osimo
agreement become executable on the 11th October 1977, after the ratification by the Italian and Yugoslav legislative chambers. The result for the Italians was a net loss, since they gave up sovereignty upon the Zone В (the district of Koper in Slovenia and the district of Buje in Croatia) without compensation. Anticipating the outcome, Italy requested that the negotiations remain secret. Eugenio Carbone, then Director General of the Ministry of Industry and Commerce, carried on almost single-handedly the negotiations from the Italian side, working with Boris Snuderl who, after having served as justice minister of Yugoslavia, was the Yugoslav federal execu tive for economic relations with the West (359). The two already knew each other and apparently it was Carbone who officially requested Snuderl as his counterpart (53, 291). Secrecy kept the Italians in a prisoner’s dilemma - Carbone informed only episodically the highest state executives (president Leone, prime minister Andreotti, and foreign minister Moro) about the course of the negotiations, while the Yugoslavs coordinated their efforts. Snuderl reported on a daily base to the executives of the Slovene League of Communists but less often to the federal party or government organs. It seems that with Tito’s consent Yugoslav central authorities had a subsidiary function (141). Even Miloš Minié had to rely entirely upon the Slovene party executives (290). The first and crucial secret meetings were organised in Slovenia at the castle of Strmol a site used for confidential gatherings of the Slovene Communist Party. Later
meetings took place in Dubrovnik and in Strunjan and, finally, the act was signed in Osimo, in a solitary villa chosen for its supreme view of the Adriatic sea (199), perhaps to prevent civil unrest given the opposition to the Treaty (once its content was made public) by Italian nationalist political forces (191). The Italians requested the establishment of a Free Zone behind Trieste on Yugoslav ter ritory for the industrial development ofTrieste as a conditio sine qua non for reaching an Südost-Forschungen 68 (2009) 701
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 agreement with the Yugoslavs. Economic conditions become a compensation for the loss of sovereignty over the Zone B. Snuderl promptly recognised that this had to bluff the Italian parliament and public opinion (78), and by that he also successfully imposed the relocation of the industrial zone from the initial Italian proposal (85). Moreover, Snuderl added the protection of the Slovene minority in Italy as an integral part of the negotiation package as Yugoslav condition for accepting the Free Zone (293). In this way what was to be a border settlement become a rather complex treaty. The Agreement on the development of economic co-operation was registered by Italy only on 9 July 1987. The proposed Free Zone ignited opposition in Trieste where the public opinion was mobilised with the fear of an artificial Yugoslav satellite town in close proximity of the city thereby forcing the Italian government to abandon the project. The Slovene minority protection, although never enacted by the Italian regional government in Trieste (where it should be implemented), was a triumph for the Yugoslavs (and today the Slovenes) since it was acquired at no cost, and giving an argument to press the Italian government for failing to comply what was ratified in Osimo. Ironically, both Snuderl and Minié admitted in the interview at the appendix of the book that the Yugoslavs were ready to accept the treaty even if it was limited only to the border settlement (293, 306). Miloš Minié thinks that the Treaty represented the maximum that could have been obtained from
Italy (294). The Italian eagerness to settle its border issues with Yugoslavia at any cost is puzzling. According to Skorjanec, after the 1968 events in Czechoslovakia and knowing the advanced age of Yugoslav president Tito, the Italian government urged to resolve all the open questions with Yugoslavia (319-320). Although this is not explicitly stated, the book suggests that some Yugoslav republics could have been baited by the Sovi ets by promising them some disputed territories with Italy (260). Miloš Minié, at the 18th session of the Yugoslav federal presidency in Brioni, stated that, after the Greek defection from NATO in 1974, endemic political instability in Italy was not to be tolerated by the US (113). At the same meeting Tito stated that American direct pressure could push the Italians to sign a treaty with Yugoslavia (117). In fact in August 1975, a few days after the Treaty was initialised by Carbone and Snuderl, a delegation consisting of eleven members of the US Congress visited Yugoslavia and it was in Ljubljana where they had the most active part of the visit (179-180). American pressures exerted upon Italy were mentioned also by Carbone to Snuderl already at their first meeting in Portorož on March the 4th 1973 (70). Tito’s death in 1980 weakened the Slovene position in the Federation and the Italian opposition to the free zone fell on a fertile ground since the Croats were envious for the substantial advantages it assured to Slovenia (253). The Yugoslavs attempted to capitalize what they achieved at Osimo: the Macedonian Lazar Mojsov proposed a similar
package to Greece for the local Slavic minority and Snuderl contacted Josef Staribacher (the Aus trian federal Minister for Trade and Industry) to start secret negotiations for improving the position of the Slovenes in Carinthia. Both attempts were met with fierce opposition in Greece and Austria: for Kreisky signing such an agreement would have been political suicide. Snuderl thinks that by adopting an approach similar to that of Osimo, in 1992 or 1993, Slovenia could have settled its maritime border with Croatia (308). Arguably, it 702 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen seems that such a deal was possible only in Tudjmans era, characterised by international weakness and the near absence of internal opposition in Croatia. The bargaining position ofTito’s Yugoslavia during the Cold War was stronger than that of Slovenia today, and any new agreement with Italy could at the end pay the tribute for this state of affairs (268-269). According to Skorjanec, after the dissolution of Yugoslavia, the defence of the Treaty had to be the paramount goal of Slovene foreign policy, but this was not always understood by its top executives. Slovenian political parties, instead of putting national interest first, often pursue divergent policies, as had happened in Italy during its Cold War confrontations with Yugoslavia (275). For Slovenia the ever-present Italian attempts to amend the Treaty will be a source of difficulties for the foreseeable future Skorjanec concludes (314).1 This is the only historical monograph on Osimo published in any language. Moreover, it also sheds light upon the style ofYugoslav diplomacy and the relations between the party elites of the Yugoslav republics in the late Tito s era. The history of the negotiations that led to the Treaty, reconstructed from Yugoslav documentation kept privately by Miloš Minió and Boris Snuderl (14), are the most important part of the book. Both archives were donated to the author for her doctoral research from which this book is derived (14-15). Until private or public archival materials from Italy are undisclosed we shall lack other sources upon the topic, and this makes this work even
more important. Rovigno/Rovinj William Klinger 1 Vijenka Skorjanec, Die Verträge von Osimo zwischen Italien und Jugoslawien (1974/75). Ein schwieriger Verhandlungsweg, SOF65166 (2006/2007), 394-405. Von der „europäischen Stadt“ zur „sozialistischen Stadt“ und zurück? Urbane Trans formationen im östlichen Europa des 20. Jahrhunderts. Vorträge der gemeinsamen Tagung des Collegium Carolinum und des Johann Gottfried Herder-Forschungsrats in Bad Wiessee vom 23. bis 26. November 2006. Hg. Thomas Bohn. München: Ol denbourg Verlag 2009 (Bad Wiesseer Tagungen des Collegium Carolinum, 29; Volker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa, 4). 448 S., ISBN 978-3-486-58956-6, € 59,80 Was verbindet eigentlich Städte wie Belgrad, Bratislava und Brest historisch miteinander? Sicherlich gab es nach dem 2. Weltkrieg in allen Ländern des östlichen Europa einen fun damentalen sozioökonomischen Wandel unter sozialistischen Vorzeichen. Aber wie verlief denn nun die Umwandlung altehrwürdiger, quasi-bürgerlicher Städte in „sozialistische Städte“, auf der ständigen Jagd parteiamtlicher Zukunftstheoretiker nach gesellschaftlichem Fortschritt und Modernität? Hat die Urbanisierung im europäischen Osten auch etwas anderes bewirkt als den Bau neuer industrieller und hochgeschossiger Ballungszentren? Ruft man sich den städtischen Raum zwischen Harz und dem Ural, zwischen Weißem und Schwarzem Meer nach dem Ende der kommunistischen Blütenträume in Erinnerung, Südost-Forschungen 68 (2009) 703
Geschichte: 1848/1878 bis 1989 so gilt eben allzu oft das Verdikt: „Monumentale Zentren und monotone Wohngebiete sind die Markenzeichen osteuropäischer Metropolen“ (1). Vielfach war also die Ausgestaltung des öffentlichen Raums - Partei- und Verwaltungsgebäude, Prachtavenuen und Denkmä lern - für die Regime prioritär. Dafür herrschte in den Wohnbehausungen Platznot. An beides musste sich die vorwiegend vom Land in die Städte abgewanderte Bevölkerung gewöhnen. Nach dem politischen Umbruch von 1989/1991 ist verschiedentlich der Ver such zu beobachten, an ältere, verschüttet geglaubte Stadttraditionen anzuknüpfen oder wenigstens deren (westliche) Klischees zu adaptieren. Die imaginäre „europäische Stadt“ zeichnet dabei vor allem eine entfaltete Zivilgesellschaft aus. Städte und Urbanisierungsprozesse im östlichen Europa sind inzwischen ein beliebtes Studienobjekt innerhalb der historischen und soziologischen Forschung geworden. Die Beiträge des vorliegenden Sammelbands, die einer Tagung vom November 2006 entstam men, spiegeln die Heterogenität der kultur- und wirtschaftsgeschichtlichen, sozialen sowie architektonischen Betrachtungsweisen wider. Die Aufsätze gehen daher gebündelt nach Leitfragen und anhand ausgesuchter Beispiele der Entfaltung der „sozialistischen Stadt“ im 20. Jh. nach und beschreiben deren Merkmale. Ein Einführungskapitel verortet den aktuellen Forschungsstand und liefert die begriffli chen Navigationsmittel. Friedrich Lenger thematisiert dabei die europäische Stadtent wicklungsforschung des 20. Jh.s (21-33), während Michaela Marek für kulturhistorische
Perspektiven innerhalb der Stadtgeschichtsforschung wirbt (35-50). Zumindest für Ost mitteleuropa kommt sie so zu dem Befund, dass es dem sozialistischen Staat wie z. B. in Prag extrem schwer gefallen sei, die „alte“ Stadt zu „beherrschen“, da sich hier die Relikte einstiger, bürgerlicher Lebensweisen hartnäckig hielten und individuelle Freiräume schufen. Diese Nischen der großen Stadt hätten paradoxerweise dazu beigetragen, das System zu stabilisieren, weil persönliche Unzufriedenheit durch die im Vergleich zum Umland höhere Lebensqualität über einen langen Zeitraum kaschiert und kanalisiert werden konnte. Ein Abschnitt zur Interdependenz von Industrialisierung und Urbanisierung beginnt mit einer Studie von Thomas Bohn über die Entwicklung des jüdischen SchtetI in Weißrussland zur sowjetischen Musterstadt am Exempel von Minsk (51 -76). Dem schließen sich Beiträge zur ostmitteleuropäischen Industrie- und Stadtentwicklung an. Dagmara Jajesniak-Quast vergleicht beispielsweise sozialistische Planschöpfüngen wie Eisenhüttenstadt, Nowa Huta und Ostrava Kunčiče miteinander (99-113). Im nächsten Kapitel geht es um Stadtplanungsprozesse und deren Widerspiegelung im öffentlichen Raum. Während Karsten Brüggemann den (sowjetisch-)sozialistischen Ordnungsvorstellungen in der estnischen Stadt Narva nachgeht (129-153), untersucht Monika Stromberger die Gestaltung Ljubljanas nach 1945 (203-227). Natürlich ließen sich nicht alle architektonischen Grundfesten aus der Zeit der Habsburger Monarchie schleifen. Die Industrialisierung der 1960er und 1970er Jahre und der Ausbau, der durch den
Bevölkerungszuwachs notwendig geworden war, hätten der Stadt dennoch ein anderes Gesicht verpasst. Das sozialistische Jugoslawien hatte eben beim Bau von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden sowie in der Verkehrsplanung recht eigenwillige architektonische Leitbilder. Neben der Ausgestaltung öffentlicher Plätze mit sozialistischen Heldendenk mälern und Straßenumbenennungen versuchte die Munizipalverwaltung andererseits, 704 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen westeuropäische Vorbilder in die Stadtgestaltung einzubeziehen, denn gerade der föderative Schmelztiegel Belgrad galt nicht unbedingt als nachahmenswert. Somit seien heute in Sloweniens Hauptstadt auf engem Raum überaus komplexe Narrative der Gestaltung und Gedenkkultur präsent. Ein weiterer Abschnitt thematisiert einzelne topographische Besonderheiten und mar kante urbane Subkulturen hinter dem Eisernen Vorhang. Sándor Horváth begleitet z. В. eine berüchtigte Jugendclique im Budapest der 1950er und 1960er Jahre (293-310). Angesichts der „Hooliganismus“-Diskurse in der Sowjetunion hätten analoge Stereotype auch auf Ungarn übergegriffen. Der Habitus und die Musik der adoleszenten Akteure, die sich skurrile Pseudonyme bzw. „Künstlernamen“ zugeiegt hatten, habe das Eingreifen der Polizei jedes Mal aufs Neue herausgefordert. Ihre zum Teil spektakulären Aktionen führten dementsprechend häufig zu ihrer Kriminalisierung und strafrechtlichen Verfolgung. Die Analyse alltäglicher Sinnkonstruktionen und Lebenswelten steht im Zentrum der nächsten Sequenz. Diese ist sowjetischen Phänomenen Vorbehalten. So untersucht Felix Ackermann die Sowjetisierung Westweißrusslands am Beispiel bäuerlicher Zuwanderer, die nach dem Krieg die Stadt Grodno überschwemmten (335-359). Bert Hoppe handelt das populäre Kulturphänomen der „Datscha“ in der Nachkriegs-UdSSR ab (361-375), während Sebastian Schlegel das spezifische Regime in den geheimen Atomstädten analysiert (377-395). Die beiden Aufsätze des letzten Kapitels nehmen schließlich gesellschaftliche Transfor mationsprozesse nach dem
Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems in ostmit teleuropäischen Städten unter die Lupe. Hierbei ist der fortschreitende politische Wandel deutlich ablesbar. Die insgesamt 20 thematischen Beiträge haben einen ostmitteleuropäischen (Polen, CSSR, DDR) und sowjetischen Schwerpunkt. Lässt man Ungarn bzw. Budapest außer Betracht, so handelt bedauerlicherweise nur ein Beitrag (über Ljubljana) von urbaner Kultur und Moderne in Südosteuropa. Manche Studien akzentuieren darüber hinaus statt des sozialistischen Entwicklungspfades der jeweiligen Stadt fast ausschließlich deren Vorge schichte seit dem 19. Jh. bis zum 2. Weltkrieg. Konzeptionell lässt sich hingegen durchweg ein positives Fazit ziehen. Der Band und seine (heterogenen) Bestandteile sind theoretisch ausreichend reflektiert sowie empirisch abgesichert. Außerdem sind die meisten Aufsätze mit ansprechendem Bildmaterial angereichert worden. Das Sammelwerk ist eine solide, zeitgemäße Bestandsaufnahme. Weitere wissenschaftliche Deutungen und retrospektive Visionen werden daher mit Sicherheit folgen. Jena Südost-Forschungen 68 (2009) Rayk Einax 705
Rezensionen Geschichte: seit 1990 Mirjana Kasapović, Bosna i Hercegovina: Podijeljeno društvo i nestabilna država [Bosnien-Herzegowina: Geteilte Gesellschaft und instabiler Staat]. Zagreb: Politička kultura 2005. 231 S., ISBN 953-6213-94-X, KUN 30,Der desolate gesellschaftliche Zustand, in den die serbische Aggression und der bosniakisch-kroatische Krieg im Kriege den bosnischen Staat gestürzt haben, dauert, eineinhalb Jahrzehnte nach dem Kriegsende, noch an. Doch auch ohne solch widrige politische Be dingungen ist Bosnien-Herzegowina durch seine geschichtlich gewachsene Verfasstheit ein gesellschaftlich komplexes und politisch prekäres Gebilde; das nun zum ersten Mal in den modernen Zeiten selbständige Land stünde auch sonst vor einer gewaltigen Aufgabe, um aus der segmentierten Gesellschaft ohne demokratische Traditionen und moderne politische Erfahrungen eine stabile Ordnung auszubauen. Die aus dem zentralbosnischen Vareš stammende Zagreber Politologin Mirjana Kasapović widmete 2005 diesen Fragen nach der möglichen bzw. der ethnisch segmentierten bosni schen Gesellschaft adäquaten Grundordnung eine kleine Studie, und zwar vor dem Hin tergrund heftiger verfassungsrechtlicher Debatten im Lande einerseits und verschiedener Thesen der westlichen Demokratietheoretiker, die sich zahlreich über Bosnien-Herzegowina den Kopf zerbrochen haben, andererseits. Das hier anzuzeigende Buch, das unter dem hei mischen Publikum weitere hitzige Kontroversen auslöste und von den Kollegen im Westen weitgehend ignoriert wurde, besteht aus 6 Kapiteln, enthält 12 Tabellen, ein
ausgezeichnetes Literaturverzeichnis sowie ein Namens- und ein Sachregister.1 Das kurze 1. Kapitel bietet eine prägnante Übersicht des Forschungsstandes, bei der sowohl die Ergebnisse der heimischen wie der westlichen Politikwissenschaftler und So ziologen zu Bosnien-Herzegowina berücksichtigt werden (13-22). Neben einigen leicht nachvollziehbaren kritischen Anmerkungen (besonders in Bezug auf bosniakische Veröf fentlichungen) lenkt die Autorin die Aufmerksamkeit aufjene westlichen Forscher, die sich darin einig sind, dass Bosnien-Herzegowina eine tief gespaltene Gesellschaft ist, und in der paritätisch geteilten Regierungs- und Staatsmacht die Lösung für das bosnische Problem sehen. Kasapović eignet sich die Bezeichnung „consociational democracy“ (konsocijacijska demokracija) an, die insbesondere vom holländischen Politologen Arend Lijphart zu einem gängigen Terminus in der vergleichenden Politikwissenschaft gemacht wurde. Im deutsch sprachigen Raum haben sich andere Termini, wie Konkordanz- und Proporzdemokratie (Gerhard Lehmbruch) etabliert, die sich auf die demokratischen Systeme in der Schweiz, in Österreich und z. T. in Deutschland beziehen, Systeme, die als Alternative zur sog. Konkur renz- bzw. Mehrheitsdemokratie gelten, also auf einem Aushandeln zwecks Machtteilung beruhen, weshalb Lehmbruch auch die Bezeichnung „Verhandlungsdemokratie“ gebraucht. Im 2. Kapitel (23-76) bietet die Autorin folglich eine Übersicht der Modelle der geteil ten Herrschaft und der Theorien über die Verfassungen der nichtmajoritären Demokratie, die als Alternative zur klassischen
liberalen Demokratie entwickelt wurden, wodurch z. T. auch die liberalen Thesen, wonach das Herrschaftsprinzip durch politische Vertretung nur auf der Grundlage einer homogenen Bevölkerung (John St. Mill, „Federal Papers“) 706 Sudost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen also letztlich als Mehrheitsdemokratie (bzw. Westminster-Modell) möglich sei, widerlegt werden. Knapp schildert die Autorin die lebhaften Diskussionen der letzten Jahrzehnte, die bunter kaum sein könnten, weil die Theoretiker sich auf unterschiedliche Ausgangslagen und Lösungen beziehen, wenn sie denn wie etwa in Holland und der Schweiz, in Belgien, Libanon, Nordirland gefunden wurden oder eben nicht (Sri Lanka u. a.); damit schafft sie sich die Basis für eine vergleichende Erforschung des bosnischen Falles. Sie berührt auch die Kritik der klassischen Liberalismustheorie durch neoliberale Theoretiker, die auf die Kollektivrechte hinweist (z. B. Will Kymlicka und einige andere Autoren) und die Fragen der Demokratie in multiethnischen, pluralen oder extrem gespaltenen Gesellschaften berücksichtigt, womit sie eine Plattform für die Kritik der vorwiegend bosniakischen Konzeption einer „transethnischen“ liberalen Mehrheitsdemokratie gewinnt. Die Autorin schildert dann die Entwicklung der Demokratie in den Niederlanden, in Österreich und der Schweiz, um in den letzten beiden Teilen dieses Kapitels die theoretische Ausarbeitung dieser Erfahrungen darzulegen und die Modelle der Konkordanz- und Proporzdemokratie (Gerhard Lehmbruch) bzw. der „consociational democracy“ (Arend Lijphart) vorzustellen. Ausführlich zeigt sie, wie der Politikwissenschaftler Arend Lijphart, ausgehend von der niederländischen Gesellschaftsverfassung in der ersten Hälfte des 20. Jh.s, die Frage der Demokratie in einer gespaltenen Gesellschaft behandelt - man spricht im holländischen Fall auch von
„Versäulung“ bzw. vom „segmentierten Pluralismus“ -, und es wird klar, wie wichtig es der Autorin ist, damit einen Nachweis präsentieren zu können, dass eine demo kratische Ordnung trotz tiefer ethnischer Spaltung in der Gesellschaft eben doch aufgebaut werden bzw. wie sie realistischerweise zustande kommen kann. Sie gibt auch Lijpharts Katalog von günstigen Bedingungen, Faktoren und Voraussetzungen für die Entstehung von Konkordanzdemokratie in kroatischer Sprache wieder (Tab. 1, 51). Die beiden nächsten Kapitel sind zentral: Kapitel 3 („Konsocijacijalizam u Bosni і Hercegovini: povijesne pretpostavke i oblici“) behandelt die politische Geschichte BosnienHerzegowinas im Lichte seiner althergebrachten kulturellen Fragmentierung und religiösen bzw. konfessionellen Segmentierung sowie institutioneile Mechanismen und Vorkehrungen in den modernen Zeiten, die dieser Realität — wie auch immer unvollkommen - zu ent sprechen versuchten (77-150); Kapitel 4 („Bosna і Hercegovina kao ustavna konsocijacijska demokracija“) analysiert das politische System der unabhängigen Republik, d. h. die ver fassungsrechtliche Grundlage des Nachkriegsbosnien und versucht seinen staatsrechtlichen Grundcharakter, der sich aus den Verfassungsgesetzen ergibt, herauszuarbeiten, der aber im Text der sog. Dayton-Verfassung nicht expressis verbis definiert wurde (151-157). Ich fasse nun die wichtigsten Ergebnisse dieser Analyse zusammen: Kasapović zeigt, dass in Bosnien-Herzegowina einige den Aufbau von Konkordanzdemokratie begünstigende Bedingungen - z. B. ein ungefähres Machtgleichgewicht, mit
möglichst mehr als nur zwei Lagern - aus Lijpharts Katalog erfüllt sind; will hier konkret sagen, dass keine der drei Bevölkerungsgruppen in der neueren Geschichte je über eine absolute Mehrheit verfügte. Besonders wichtig erscheint als begünstigender Faktor der Umstand, dass trotz der starken Segmentierung der Gesellschaft eine lange Tradition der „Konsozietät“, d. h. des Neben einanderlebens, aus vordemokratischer Zeit besteht; dasselbe gilt in Bezug auf die „positive Voraussetzung“, dass es sich um ein kleines Land handelt. Südost-Forschungen 68 (2009) 707
Geschichte: seit 1990 Die drei durch unterschiedliche Konfessionen und Religionen samt unterschiedlichen Wertordnungen geformten Großgruppen der Muslime, Serben und Kroaten, die jahrhun dertelang nebeneinanderlebten, orientierten sich allerdings nach jeweils anderen kulturellen Zentren und Zivilisationen außerhalb des Landes. Die ethnischen Polarisierungen waren abhängig vom Charakter der Reichsherrschaft; salopp ausgedrückt und stark verallgemeinert seien „die Serben und Kroaten gegen das Osmanische Reich, Muslime und Serben gegen die österreich-ungarische Monarchie und Kroaten und Muslime gegen das Königreich Ju goslawien“ gewesen. Also optierten die drei Gruppen nie massiv gemeinsam für einen Staat (83-86). Als im 19. Jh. die ersten kulturellen und politischen Vereine gegründet wurden, waren sie alle eindeutig ethnisch-religiös geprägt, d. h. die Gesellschaft bestand - in Wor ten eines bosnischen Historikers - aus „drei abgesonderten, parallelen national-gläubigen Kreisen“, den Kasapović zusammen mit einer Reihe anderer bosnisch-bosniakischer Au toren ausgiebig zitiert, wobei sie besonders unterstreicht, dass trotz dieser diagnostizierten „Trialität“ in der Gesellschaft die Produzenten der „modernen bosniakischen politischen Ideologie“ mehrheitlich auf der Errichtung „eines ethnisch ,nicht-differenzierten‘ oder ,neutralen“ Staates“ beharren (95). Die Autorin fuhrt aus, wie — im Unterschied zu dieser Haltung - bereits die ersten staatspolitischen Lösungen in der neueren Geschichte dieser Segmentierung halbwegs Rechnung trugen; so bestand das erste annähernd moderne
Repräsentantenhaus („Bosanski sabor“), errichtet 1910, neben 20 ex officio bestellten Virilisten aus 72 gewählten Mitgliedern, die in drei konfessionell-nationale Gruppen, sog. Kurien, gegliedert waren. Die Mandate im Landtag wurden proportional zu drei Bevölkerungsanteilen festgelegt, und zwar 31 für die serbisch-orthodoxen (43%), 24 für die muslimischen (33%) und 16 für die kroatisch-katholischen Abgeordneten (22%); hinzu kam noch 1 jüdischer Repräsentant (97). Sie geht auch ausführlich auf das widersprüchliche System aus den Jahrzehnten des kommunistischen jugoslawischen Staates ein, das formal den Besonderheiten der drei Volksgruppen in Bosnien-Herzegowina Rechnung zu tragen schien; doch dienten die Institutionen des „repressiven Föderalismus nicht dem Schutz und der Förderung nationaler Identitäten, sondern deren ideologischer Kontrolle und der Entpolitisierung“ ( 108). Ob man Gremien und Regierungen in einer Diktatur nach Parität oder/und nach Proporz bestückt, ist kaum mehr als eine Simulation, zumal die Besetzung der Ämter nach diesen Regeln nicht mehr als „symbolisch“ war; denn in allen wichtigen Behörden und Institutionen waren serbische Angestellte und Beamte überproportional vertreten (112f, mit Belegen aus bosnischen Erhebungen). Der wichtigste Befund liegt aber darin, dass, wann immer die Bevölkerung Bosnien-Her zegowinas ohne Repression und Druck entscheiden konnte, die politische Segmentierung in die nationalen bzw. konfessionellen Gruppen direkt oder indirekt ganz deutlich wurde (158). So geschehen insbesondere bei den ersten freien Wahlen 1992, deren
Ergebnisse fast jenen einer Volkszählung gleichkamen. Die Staatsordnung der Dayton-Verfassung erweist sich als „asymmetrische Konfödera tion“ und die Analyse anderer Institutionen und Mechanismen politischer Entscheidungen zeigt, dass sie dem Modell einer Konkordanzordnung entsprechen und als Konsens- sowie Proporzdemokratie konzipiert sind. Anders als die vielen Kritiker dieser kompliziertesten Staatsordnung auf dem europäischen Boden, behauptet die Autorin, dass die bisherigen 708 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Mängel und Misserfolge in der bosnischen Realität nicht aus „der inhärenten Schwäche des Modells selbst oder seiner Untauglichkeit für die bosnisch-herzegowinische Gesellschaft, sondern aus dem Fehlen der politischen Grundvoraussetzungen“ herrühren (157). Im 5. Kapitel entwickelt Kasapović ihre Kritik dieser Mängel, die zur Hemmnis für die Verwirklichung der Konkordanzdemokratie werden (162-191). Dies sind das Fehlen einer Minimalübereinstimmung unter den Vertretern aller drei konstitutiven National gruppen über 1) die Staatsgemeinschaft, 2) die politische Ordnung sowie 3) mangelnde Folgerichtigkeit in der Strategie der internationalen Akteure beim Aufbau des Staates und der Demokratie. Die hauptsächliche Kritik betrifft die politische Unfähigkeit der bosnischen Eliten, zu einem elementaren Konsens zu kommen, wobei Kasapović die bosniakische Elite als den Hauptgegner des gegebenen Verfassungsmodells bezeichnet. Die Kritik aus den bosniakischen Kreisen unterstellt solchen Konzeptionen, die eine konsequente und effiziente Konkordanzdemokratie befürworten, den Zerfall des Staates in Kauf zu nehmen oder gar zu betreiben. Doch das Gegenteil ist wahr: Sowohl Kasapović als auch anderen Befürwortern dieser Lösung - darunter sind solche Verkörperungen des Bosniertums wie der Schriftsteller und Kulturwissenschaftler Ivan Lovrenović, aber auch der bosnisch-serbische Politologe Ugo Vlaisavljević - geht es um Erhalt und Zusammenhalt des Staates. Darüber kann es gar keinen Zweifel geben, denn die ganze Argumentation Kasapovićs ist auf dieses Ziel hin angelegt und in dem
abschließenden 6. Kapitel wird das noch betont sowie durch pragmatische und realistische Vorschläge konkretisiert (192-200). Mit dem fehlenden Konsens unter den Eliten entbehrt die bosnische Staatsordnung des wichtigsten Faktors für das Gelingen der Konkordanzdemokratie. Um eine Basis für Verhandlungen zu gewinnen, „müssen die Eliten im Voraus auf ihre Maximalfoderungen verzichten“, wobei sie anerkennen müssen, dass es Angelegenheiten gibt, die für „Verhandlungen nicht zur Disposition stehen . wie die Identitätsfrage der konstitutiven Gemeinschaften“. Die Autorin entwickelt ein überzeugendes Modell, mit dem eine Politik der „Accomodation“ (Lijphaart) ansetzen und zu Verhandlungen über eine Verfassungsreform führen könnte, deren Ziel eine Föderation der ethnisch und territorial definierten Teile der drei nationa len Gemeinschaften sein sollte; doch dafür müssten die Parteien - um mit Lehmbruch zu sprechen - erst imstande sein, die nötige „pragmatische Toleranz“ wechselseitig entgegen zubringen; das sind sie aber nicht. Durch die Lektüre dieses ֊ sehr dicht geschriebenen und zugegebenermaßen nicht leicht zu lesenden - Buches gewinnt man allerdings den Eindruck, dass in Bosnien-Herzegowina die allerwichtigste Voraussetzung für eine Vereinbarung fehlt, nämlich die Not, dies überhaupt tun zu müssen. Zusammengehalten wird Bosnien-Herzegowina durch den Willen und die Präsenz der internationalen Gemeinschaft, die ja auch für den Erhalt des Dayton-Vertrags sorgt; das Bewusstsein und der Wille aller drei Gruppen aber, dass sie zur Zusammenarbeit verurteilt sind, dass sie also
anders nicht können und sich folglich durch Verhandlungen und auf der gegebenen Basis einigen müssen, fehlen. Die Autorin spielt die dafür nötigen Forderungen aller drei Gruppen durch und merkt an, dass es insbesondere für die bosnischen Serben keine Not zur Verhandlung gibt, da sie mit ihrer abgeschotteten, Südost-Forschungen 68 (2009) 709
Geschichte: seit 1990 ethnisch gereinigten Republika Srpska erreicht haben, was sie wollten: den serbischen „Staat im Staate“. Freilich hegen sie noch ein weiteres Ziel: sich von Bosnien-Herzegowina ganz zu trennen. Die Autorin scheint in der bosniakischen nationalistischen Ideologie und der wirklichkeitsfremden Weigerung, das Faktum der geteilten Gesellschaft überhaupt anzuer kennen, das Haupthindernis für eine Einigung auf dem Weg zur Konkordanzdemokratie zu sehen; die Rezensentin vermutet hingegen, dass dieses eher bei den bosnisch-serbischen und Belgrader Politikern zu suchen ist, weil die Ersteren überhaupt kein Bosnien-Herzegowina wollen, die Trennungsoption nicht aufgegeben haben und von einem Zusammenschluss mit Serbien träumen, während die Letzteren dies zumindest dulden, wie schon in der einleitenden Bemerkung angedeutet. Frankfurt/M. Dunja Melčić 1 Die Debatte ist besonders gut durch die Mostarer Zeitschrift Status dokumentiert, die die Bei träge aller Seiten in den letzten Jahren veröffentlichte, d. h. vor allem der sog. „Unitaristen“, die die „Ethnisierung“ des bosnischen Staats anprangern einerseits und der Befürworter der Konkordanz demokratie andererseits ( http://www.status.ba ). Ozren Zunec, Goli život. Socijetalne dimenzije pobune Srba u Hrvatskoj [Nacktes Le ben. Die sozialen Dimensionen des serbischen Aufstands in Kroatien]. Zagreb: Demetra 2007. 2 Bände, zus. 978 S., 7 Abb., 16 Diagramme, 31 Tab., ISBN 978-953-225-068-9. KUN 320,Dieses zweibändige Werk stellt - nicht nur wegen des Umfangs — ein Opus magnum des Zagreber Philosophen und Soziologen
Ozren Zunec dar. Der Autor warf seinen Blick recht früh auf die gesellschaftlichen Aspekte des Krieges, den er als Phänomen bereits Anfang der 1990er Jahre auf breiter Basis zu erforschen begann, was zu aufsehenerregenden Ergebnissen führte, die in rascher Abfolge veröffentlicht wurden. Dieses Werk, das auf diesen Vorarbeiten und auf den Ergebnissen der Lehrtätigkeit über Kriegssoziologie an der Zagreber Universität aufbaut, besteht aus 4 Teilen mit 9 Kapiteln, 7 Exkursen, 31 Tabellen, 16 Diagrammen und 7 Abbildungen; es hat ein umfangreiches Literaturverzeichnis (909-978), das man sich allerdings etwas sortierter wünschte. Dem ersten Teil sind ein kurzes Vorwort und ausführliche einführende Bemerkungen über die Erforschung und Deutung des serbischen Aufstands in Kroatien vorangestellt; darin bestimmt der Autor die Ziele und den Gegenstand seiner Studie und gibt eine Übersicht der Quellen und deren unterschiedliche Auslegungen samt kritischer Auswertung. Im Zusammenhang mit dem umfangreichen Material des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (ICTY), das Zunec zu Recht als wichtige Quelle benutzt, erfolgt auch schon der erste Exkurs (23-66), der sich mit der Bedeutung des ICTY für die Geschichtsschreibung, aber auch mit vielen anderen Fragen aus dem Komplex um den Strafgerichtshof beschäftigt und auf die vielen kontroversen Diskussionen eingeht. 710 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Abschließend wird das methodische Rüstzeug dargelegt („Interpretacijsko-teorijski okvir rada“, 66-83). Drei Hauptziele werden beschrieben: Erforschung der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit als gesellschaftliches Fundament des serbischen Aufstands, Erkundung der Wechselwirkung zwischen Gesellschaftskonflikten und der Anwendung von Gewalt zwecks Verwirklichung politischer Ziele, und die Kontextualisierung des Aufstands durch Analyse vergleichbarer Ereignisse in neuerer Geschichte sowie durch Heranziehung der Ergebnisse aus der Forschung der kollektiven Gewalt und der ethnischen bzw. Unabhängigkeitskriege weltweit. Das generelle Ziel der Studie sei außerdem die Ermittlung angemessener „Me thodologien zur Untersuchung gesellschaftlicher Konflikte und insbesondere der nationa listischen Bewegungen und Politiken“ (8). Die Untersuchung hat vor allem den Aufstand der kroatischen Serben, also den Krieg in Kroatien (1991-1995) und somit einen von vier Kriegen in den jugoslawischen Rui nen, im Blick, berücksichtigt dennoch andere serbische Akteure in Serbien und BosnienHerzegowina; Zunec spricht berechtigterweise vom „serbischen Block“. Methodologisch stützt sich der Autor hauptsächlich auf die konstruktivistischen theo retischen Ansätze aus dem Massiker von Berger und Luckmann1 sowie auf die wahrheits theoretischen Prinzipien der „radikalen Interpretation“ des amerikanischen Philosophen Donald Davidson bzw. sein principle ofcharity. Damit folgt er seiner grundlegenden Vorgabe, nämlich „die Überzeugungen, die das Verhalten der aufständischen Serben bestimmt
haben, nachzuvollziehen“. Es werden ferner andere Methoden, Resultate und Ansätze empirischer und quantitativer Untersuchungen angewendet oder vergleichend benutzt, insbesondere aus der englischsprachigen Konfliktforschung und den maßgeblichen empirischen Analysen bewaffneter Konflikte.2 Der erste Teil der Studie („Temeljne definicije“, 87-246) sichtet die relevanten Defi nitionen des Konflikts bzw. des serbischen Aufstandes, beginnt aber mit der Vorstellung eigener Hypothesen; der Aufstand wird als „eine Episode“ definiert, „die sich im Laufe des Zerfallsprozesses des [.] SFRJ“ abgespielt hatte, und durch das „klassische Ziel des Nationalismus“, nämlich das der Übereinstimmung von ethnischen und politischen Gren zen, befeuert wurde. An dieser Episode seien „zwei entgegengesetzte Nationalismen, der serbische und der kroatische“ beteiligt gewesen, die in ihren Programmen die „Schaffung neuer Nationalstaaten“ forderten. Der serbische nationalistische Slogan Svi Srbi u jednoj državi wird als Titel des politischen Projekts verstanden, dessen Realisierung „Hauptziel aller serbischen Akteure war, die an dem Zerfall Jugoslawiens beteiligt waren“ und so auch der Akteure des serbischen Aufstands in Kroatien (90). Im Schlussabschnitt begründet Zunec, wie und warum unterschiedliche Konfliktbestimmungen z.T. zutreffend sind, da der Charakter des Krieges sich mit der Zeit geändert hat, was eindrucksvoll durch das „Diagramm 2“ (246) veranschaulicht wird. Der zweite Teil („Tijek pobune i njena društvena konstrukcija“, 249-541) ist in vielfacher Hinsicht zentral. Hier findet das
Berger-Luckmannsche Konstruktivismusprinzip seine fruchtbare Anwendung unter Benutzung allen zur Verfügung stehenden Materials der zu rekonstruierenden sozialen und politischen Wirklichkeit: von seriösen Schilderungen über wissenschaftliche Untersuchungen, Diskussionen und Polemiken (besonders die nicht enden wollenden „Jasenovac“ betreffend) bis zu apologetischen Schriften und nationalistischen Südost-Forschungen 68 (2009) 711
Geschichte: seit 1990 Narrativen nebst politischen Debatten, Reden und Zeugenaussagen vor ΙΟΎ. Die abschlie ßende Diskussion fokussiert auf die These über die „Biopolitik des serbischen Projekts“ (518) für deren Begründung Zunec die Ansätze Giorgio Agambens benutzt, die er aber auch kritisch hinterfragt. Insgesamt ist dieser biopolitische Aspekt überzeugend dargestellt und rechtfertigt den etwas metaphorisch anmutenden Buchtitel „Goli život“, also nacktes Leben: „Die serbische Beschreibung des eigenen Handelns als .Verteidigung des nackten Lebens“ hatte [.] einen wichtigeren als nur einen propagandistischen Zweck, nämlich jenen, die Natur und den Kontext des Konflikts im biopolitischen Sinne auszulegen, um dann die eigenen biopolitischen Handlungen rechtfertigen zu können“ (524). Der dritte Teil („Usporedne okolnosti і korekti pobune“, 553-727) besteht aus einer ver gleichenden Studie der Faktoren, die von der etablierten Konfliktforschung (hauptsächlich aus den schon erwähnten Untersuchungen von Gurr und Marshall) weltweit ausgewertet wurden, mit jenen, die bei dem serbischen Aufstand vorzufinden sind. Diese empirische Auswertung der Faktoren - der übereinstimmenden und der unzutreffenden ֊ erbringt eine sichere Basis für eine zuverlässige Beurteilung des Charakters des serbischen Aufstands und seines politischen Kontextes. Im vierten Teil bietet der Autor eine umfassende Analyse der Niederschlagung des Aufstands („Slom i posljedice pobune“, 731-892), die auf alle Einzelheiten im Zusam menhang mit der militärischen Operation „Oluja“, dem Scheitern des Z-4-Plans, d.h.
der politischen Lösung, den Fragen zu sog. ethnischen Säuberungen bzw. dem Exodus der „Krajina-Serben“ und auf die Problematik der Gewalt nach der Rückeroberung der „Krajina“ eingeht. Auch hier gelangte Zunec zu einer Fülle beachtenswerter Ergebnisse und differenzierter, meist überzeugender Schlussfolgerungen. So legt er einige stringente Gründe dafür dar, dass die kroatische Führung, unter Franjo Tuđman vor das Dilemma gestellt, dass eine militärische Operation die Flucht der Krajina-Serben in Kauf nimmt, doch die richtige Entscheidung traf: die Alternativen, nämlich „dauerhafter Kriegszustand, Unsicherheit und permanenter Rechtsbruch“ sowie „irreversible Vertreibung der 200.000 Menschen nichtserbischer Bevölkerung“ wären ein „größeres Übel“, zumal man im Mo ment der Entscheidung glauben konnte, dass der zu erwartende serbische Exodus hätte „reversibel sein können“. Die Hauptaufgabe der damaligen kroatischen Führung war, „den Zustand, in dem die Rechte aller verletzt wurden, aufzuheben“. Auf einem anderen Blatt steht, dass „Tuđman und die kroatische Führung nach der Oluja eine Situation schufen, in der die Rückkehr der serbischen Flüchtlinge erschwert und vereitelt wurde“ (777). Die Fehler und Versäumnisse der kroatischen Regierung in diesem Zusammenhang legt der Autor ausführlich und differenziert dar. Einen analytischen Höhepunkt bilden die viel schichtigen Erörterungen der Gewaltproblematik nach der Operation „Sturm“. Nachdem er glaubhaft belegen konnte, dass am Anfang der Operation die Ansicht vorherrschend war, dass es zu keiner Devastation des eroberten
Territoriums kommen darf, sondern vielmehr und gleichzeitig mit der Beendigung der militärischen Aktivität ein „massiver ziviler und wirtschaftlicher Wiederaufbau“ beginnen sollte, geht der Autor der Frage nach, wie es dann doch zu einem solch massiven Ausbruch der Gewalt kommen konnte. Die Leitfrage lautet: „Wie konnte es passieren, dass kroatische Soldaten, Polizisten und auch Zivilisten“ sich in ihrem eigenen „wie im Feindesland benahmen“? Um sie zu eruieren, wendet sich Zunec 712 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen einer Reihe soziologischer Untersuchungen der kollektiven Gewalt, Gruppenkriminalität, etwa sog. communal riots zu und berücksichtigt verschiedene neuere Forschungsarbeiten über die ethnisch, rassistisch oder religiös motivierten Ausschreitungen ֊ von Los Angeles 1992, Haiti 2004 oder Indien (Ayodhya u. a.) bis zu Massenplünderungen in Bagdad und in anderen Landesteilen nach der Besetzung Iraks und der unangemessenen Passivität der US-Streitkräfte demgegenüber. Er konnte mannigfache Parallelen und übereinstimmende Typologien feststellen, die es ermöglichen, diese Ereignisse in Kroatien nach der Rückeroberung realistisch einzuordnen. Eine Schlussfolgerung, die von der Rezensentin voll geteilt wird, besagt, dass die nötigen Handlungsweisen und „Maßnahmen, die nach dem militärischen Erfolg anzuwenden wären, nicht im entferntesten so sorgfältig geplant wurden wie der militärische Teil der Operation“; „die voreiligen Verlautbarungen der Politiker über eine schnelle Errichtung der zivilen Lebensumstände und der Rechtsordnung“ drückten daher eine „völlig unrealistische Erwartung“ aus (883). Abgerundet wird die Studie mit lesenswerten Schlussbemerkungen (Završne napomene, 893-908) über Kroatien zehn Jahre nach der Beendigung des Auf standes. Obwohl Zunecs umfangreiches Werk wirklich grundlegend und Maßstäbe setzend ist, kann die Rezensentin einige kritische Beobachtungen nicht unerwähnt lassen. Vielleicht liegt es an der gewählten Form, dass manches unbefriedigend ausfiel; man wünschte sich jedenfalls eine etwas andere, die der Fülle der Ergebnisse und des Materials
besser entspre chen, somit eine klarere und strengere Gliederung (ohne so viele Exkurse beispielsweise), und natürlich ein, in einem wissenschaftlichen Werk dieser Dimension unentbehrliches, Namen- und Sachregister mit sich bringen würde. Eine passendere Form - keine leichte Aufgabe für einen Stoff, der aus Forschungsergebnissen einerseits und einem umfassenden Wissenskompendium andererseits besteht ֊ würde wahrscheinlich verhindern können, dass manche Ausschweifungen in den Text Eingang finden. Darin finden sich etwa Exegesen zur Aristotelischen Tragödiendeutung, die freilich weder mit der (immensen) Aristoteles forschung, noch mit den Tragödien- noch mit den philosophischen Schicksalstheorien zu tun haben, sondern wie Anmerkungen wirken, die der Professor halt so seinen Studenten mit auf den Weg gibt. Etwas befremdlich wirkt auch die Berufung auf Donald Davidsons principle ofcharity, um eine hermeneutische Auslegungsstrategie zu rechtfertigen; denn das „Verstehen des Anderen“ ist eine große europäische geisteswissenschaftliche Tradition zumindest seit Dilthey, die zusammen mit der Phänomenologie vielfach die methodologische Grundlage der modernen historischen, politikwissenschaftlichen und soziologischen Forschung bildet, und jeweils schon an die besonderen Forschungsfelder methodisch angepasst ist. Kurzum, der Autor hätte methodologisch leichter und überzeugender bei der Forschung hermeneutischer und phänomenologischer Provenienz mit dem direkten Bezug zu seinem Sachgebiet andocken können, statt sich auf den großen Umwegen über eine Randkomponente der Davidsonschen
Wahrheitstheorie die Grundlage für das Verstehen des Anderen zu erarbeiten. Das verdankt sich wahrscheinlich dem größeren Gewicht der amerikanischen Forschung im wissenschaftlichen Werdegang des Autors; wobei der soziologische Konstruktivismus von Berger und Luckmann nicht einfach der amerikanischen Tradition zuzurechnen ist, Südost-Forschungen 68 (2009) 713
Geschichte: seit 1990 denn - es sei der Philosophin, die sonst streng zwischen ihren philosophischen und wis senschaftlichen Arbeiten trennt, erlaubt, daran zu erinnern ֊ es war der durch Philosophie Husserls beeinflusste Begründer der Phänomenologischen Soziologie Alfred Schütz, der die „Konstrukte“, die den Strukturen und Typisierungen des Alltagslebens zugrunde liegen, in die Soziologie einfuhrte und obendrauf in New York Lehrer von Berger und Luckmann war. Eine letzte kritische Bemerkung betrifft einen Erklärungsvorschlag im Zusammenhang mit der berüchtigten „Eigenlogik des Krieges“. Zwar bietet der Autor durchaus interessante und schaurige Belege für die Absonderlichkeiten, die im gegenständlichen Krieg wie in allen anderen begangen wurden, und auch dem Schluss kann man beipflichten, dass „nicht nur derjenige, der den Krieg entfacht, schwere Konsequenzen zu tragen hat, sondern auch derjenige, der an ihm teilnimmt“ (891), aber der Idee, dass „der Krieg“ ein „autonomes Subjekt“ ist, gilt es zu widersprechen. Ich gebe ja zu, dass die spezifische „Logik des Krieges“ schwer zu durchschauen ist, wobei oft die berühmtesten Kriegswissenschaftler ihr auch zu erliegen scheinen, und es eine geradezu autopoietische Zwanghaftigkeit in den kriege rischen Handlungen gibt, aber das macht den Krieg noch nicht zu einem „Subjekt“, das als Kategorie hier wie ein Relikt aus dem alten metaphysischen Denken angeschwemmt wirkt - und nichts erklärt. Trotz dieser Kritik steht für die Rezensentin fest, dass diese Studie des Zagreber Kollegen eine bahnbrechende Leistung in Bezug auf die
militärgeschichtliche und militärsoziologische Erforschung des Jugoslawienkrieges darstellt. Frankfurt/M. Dunja Melčić 1 Peter L. Berger/Thomas Luckmann, The Social Construction of Reality. Garden City/NY 1966. 2 Zum Beispiel Ted Robert Gurr/Monty G. Marshall, Peace and Conflict 2003. A Global Survey ofArmed Conflicts, Self-Determination Movements, and Democracy. College Park/Md. 2003; dies., Peace and Conflict 2005. A Global Survey ofArmed Conflicts, Self-Determination Movements, and Democracy. College Park/Md. 2005. Erinnerungen nach der Wende. Oral History und (Post)Sozialistische Gesellschaften. Remembering after the Fall of Communism. Oral History and (Post-)Socialist Societies. Hgg. Julia Obertreis / Anke Stephan. Essen: Klartext Verlag 2009. 401 S., ISBN 978-2-8375-0008-0, € 39,95 Der 2009 von Julia Obertreis und Anke Stephan vorgelegte deutsch-englische Sammel band begibt sich auf eine breitangelegte Spurensuche nach der Verwobenheit von sozialis tischer Erfahrung und postsozialistischer Erinnerung in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Gelten „1989“ und „Die Wende“ auf politischer Ebene weithin als Systemumbruch, so präsentieren sich ebenjene historischen Ereignisse in zahlreichen Erinnerungen vielmehr als integrierte Bausteine kohärenter Lebensgeschichten. Entgegen der Annahme einer - durch 714 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen den Systemwechsel ausgelösten - biographischen Diskontinuität von Lebensgeschichten geben die vorliegenden Forschungsberichte Aufschluss über die narrative Konstruktion individueller und kollektiver Identitäten über Systembrüche hinweg. Die 19 Forschungs beiträge junger Nachwuchswissenschaftlerlnnen aus zwölf postsozialistischen Ländern verfolgen erfolgreich das wissenschaftliche Vorhaben, anhand biographischer Fallbeispiele die Vorstellung vom Sozialismus als „abgeschlossene(m) Kapitel“ (16) zu dekonstruieren. Neben der Präsentation diachroner Verflechtung von erlebter Erfahrung und erzählter Erinnerung ist es den Autoren überzeugend gelungen, das einstige Wechselspiel von ge sellschaftlichen Rahmenbedingungen und individuellen Umgangsformen gesellschaftlicher Akteure herauszuarbeiten. Denn genau in der wissenschaftlichen Annäherung an die zwar offiziell geschriebene aber individuell erlebte Geschichte des Sozialismus liegt der besondere Beitrag der Oral History. Dabei war den Herausgeberinnen nicht nur daran gelegen, das damalige symbiotische Verhältnis von offiziell sanktionierten Denk- und Verhaltensmustern und deren subjektiver Verinnerlichung zu beleuchten, sondern gleichsam auch das Fort wirken offizieller Vorstellungen und automatisierter Handlungsabläufe mit Hilfe lebens geschichtlicher Interviews aufzuspüren. In der theoretisch anspruchsvollen Einleitung, die in Deutsch und Englisch vorliegt, verweisen die Herausgeberinnen auf den notwendigen Anspruch der Oral History, insbesondere unterdrückte Erinnerungen zutage zu fördern und solche
Erinnerungsprozesse zu generieren, „die vergangenen oder gegenwärtigen offi ziellen Diskursen zuwiderlaufen“ (27). Diesem Anspruch ist der Sammelband besonders durch die integrierte Präsentation südosteuropäischer Fallstudien (Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Slowenien, Ungarn) gerecht geworden, deren spezielle Erkenntnisse bislang nur marginal in zeithistorische Oral History mit eingeflossen sind. Erst wenn nationale Erinnerungskulturen im gesamten ehemaligen Ostblock in ihrer gesamten Vielfalt präsen tiert worden sind, lassen sich, wie Alexander von Plato in seiner Überblicksdarstellung argumentiert, Traditionslinien einer europäischen Erinnerungskultur herausarbeiten (81). Diesem Vorsatz folgend, sind die, geographisch breit gestreuten, Forschungsprojekte inhalt lich in fünf thematische Blöcke gegliedert, die jeweils von wissenschaftlichen Expertinnen methodologisch eingefuhrt werden. Der erste Themenblock, mit dem Titel „Systemwechsel, Identitätskonstruktionen und aktuelle Debatten um die Vergangenheit“ befasst sich mit gegenwärtigen Kämpfen um die Deutungshoheit der Vergangenheit und fordert die unerlässliche Dekonstruktion narrativ festgeschriebener Mythen. In ihrem einleitenden Kommentar problematisiert Ulrike Jureit den Gegenwartsbezug mündlicher Quellen, demzufolge Lebensgeschichte gleichzeitig immer auch der subjektiven Selbstpräsentation in der Gegenwart diene. Sie betont dabei die soziale Verfasstheit des individuellen Gedächtnisses und möchte kollektives Erinnern als „öffentliches Gemeinschaftserlebnis“ (89) wahrgenommen sehen. Daraus schließt sie, dass
durch biographische Erinnerung Sinnstiffungsprozesse generiert werden, die meist in unmittelbarem Zusammenhang mit individuellen und kollektiven Identitätsentwürfen stehen (87). Daher müsse individuelles Gedächtnis immer auch als Aneignungsprozess kol lektiver Identitätszuschreibung betrachtet werden (88). Am Beispiel mündlicher Zeugnisse über die rumänische Revolution thematisiert Sidonia Nedeianu Grama die symbolische Nutzbarmachung mündlicher Quellen (91) als Mittel zur Austragung gegenwärtiger Südost-Forschungen 68 (2009) 715
Geschichte: seit 1990 politischer Machtkämpfe. Grama verweist hierbei auf die Gefahr festgefahrener Erzählund Erinnerungsmuster (102), die häufig narrative Stereotypen historischer Erfahrungen produziert haben. James Mark untersucht in seinem Beitrag die Auswirkungen politischer Umwälzungen auf die Selbstpräsentation ehemaliger Parteimitglieder. Er zeichnet nach, wie auch offiziell legitimierte Akteure ihre Lebensgeschichten kontinuierlich an offizielle Gesell schaftsvorstellungen anpassen mussten. Auf die Suche nach unbewussten, tiefer liegenden „Spuren vergangener Geschichte/n“ in lebensgeschichtlichen Erzählungen von Jugendlichen aus der ehemaligen DDR begibt sich Kobi Kobalek. Am Beispiel von Erzählungen über den Film „Schindlers Liste“ und familiären Dialogen über die NS-Zeit zeigt Kobalek auf, wie (medial) vermittelte Erinnerungsnarrative das „Sprechen [des Einzelnen] über die NSZeit“ (123) geprägt haben. Auch im Beitrag von Gelinada Grinchenko wird sichtbar, wie bestimmte Selbstdarstellungen sozial generiert werden. Ihre mikrohistorische Studie über ehemalige ukrainische „Ostarbeiterinnen” lässt erkennen, wie Selbst- und Fremdzu schreibungen in narrativen Interviews stets miteinander konkurrieren. Der zweite thematische Block widmet sich dem „Erbe der Emanzipation ,von oben1. Weibliche Erfahrungen und Geschlechterrollen im Sozialismus und Postsozialismus“, wo bei der individuelle Umgang von Frauen mit staatlicher Rollenzuweisung und die damit einhergehenden alltäglichen Anforderungen fokussiert werden. Der einleitende Kommen tar von Natali Stegmann eröffnet eine
kritische Sicht auf die einseitige Vorstellung von „weiblicher Erfahrung“ als nützlicher wissenschaftlicher Kategorie und von „Emanzipation“ als positiver Selbstzuschreibung. Sie stellt die Frage, inwiefern Erzählungen tatsächlich im mer geschlechtlich seien, oder ob es nicht auch Erzählungen und Lebensgeschichten gebe, die durch gänzlich andere Kategorien bestimmt würden (156). Ebenso fragt sie, ob nicht auch die „Emanzipation von oben“ ambivalente Auswirkungen gehabt und asymmetrische Geschlechterverhältnisse produziert habe (157). Vor diesem theoretischen Flintergrund diskutiert Dilyana Ivanova die Möglichkeiten bulgarischer Arbeitnehmerinnen zu gesell schaftlicher Selbstverwirklichung im Zuge sozialer Urbanisierungsprozesse kritisch. Den Einfluss gesellschaftlicher Normen und Praktiken auf das Reproduktionsverhalten slowaki scher Frauen und deren transgenerationelle Weitergabe erforscht Michaela Potančoková. Als weiteren „typisch weiblichen“ Erfahrungskontext präsentiert Yulia Gradskova den Diskurs über Schönheit und Mutterschaft in der Sowjetunion. Gradskova thematisiert zwar die Adaptierung weiblicher Rollenmuster und deren alltägliche Praktiken (200), verpasst aber die Chance, die von Stegmann vorgeschlagene, notwendige Infragestellung der automatischen Zuschreibung geschlechtlicher Identität auf bestimmte Themenbereiche (z. B. Schönheit) vorzunehmen (156). Das dritte thematische Kapitel „Konkurrierende Geschichtsbilder: öffentliches und pri vates Erinnern, regionale und nationale Identitäten“ wird von Daniela Koleva mit Fragen nach dem Subjekt der Oral History
eingeleitet: ,,[W]ho has the right to memory, who has the right to speak of and for the past?“ (206) und „Whose voice do we hear when we give voice?“ (208) Die Fragen zielen auf die soziale Konstruiertheit von Erinnerung und die zugrunde liegende Verflechtung von öffentlicher und privater Erfahrung. Anstatt sich dieser komplexen Aufgabe zu stellen, unternimmt Volha Shatalava den — in der heutigen Oral History längst überholten — Versuch, durch Interviews (in diesem Falle mit weißrussischen 716 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Dorfbewohnern) bipolare Erzählungen über nationale Identität/Alteritat zu produzieren. Silvija Kavčič hingegen gelingt es überzeugend, einer bislang ungehörten sozialen Gruppe, in diesem Fall den slowenischen Überlebenden des Frauen-KZ Ravensbrück, Gehör zu verschaffen und bislang Ungesagtes zutage zu fördern. Kavčič argumentiert, dass in erster Linie mangelnde materielle und ideelle Zuwendungen von offizieller Seite zur Entstehung unaufgearbeiteter kollektiver Erinnerungsmuster geführt haben. Demgegenüber beschreibt Mäkiänne Kamp in ihrem Aufsatz über landwirtschaftliche Kollektivierungsmaßnahmen im ehemals sowjetischen Usbekistan Mechanismen subtiler Resistenz gegenüber der offiziellen Einflussnahme. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Umstrukturierung der landwirtschaft lichen Arbeit nicht automatisch zur Aufgabe traditioneller Arbeitsabläufe und Interak tionsmechanismen geführt habe, sondern diese häufig in bereits bestehende Sozialstrukturen integriert wurden. Eva Maeder zeigt am Beispiel einer Altgläubigen aus Ostsibirien auf, wie Religiosität zu gesellschaftlicher Immunität bestimmter Gesellschaftsgruppen führen kann. Der vierte Themenkomplex mit dem Titel „Opfer und Täter: Erfahrungen mit repressiven Systemen“, der sich dem retrospektiven Umgang mit Traumatisierung und Stigmatisierung widmet, wird von Mary Beth Stein eingeführt. Stein problematisiert die Opfer/Täter-Kategorisierung für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit sozialistischen Gesellschaften und sucht nach alternativen Herangehensweisen an das komplexe Verhältnis von Staat und
Individuum. Belastete Interaktionsmechanismen zwischen der sowjetischen Bevölkerung und der politischen Polizei, der symbolischen Verkörperung des Staates, erforscht Alexey Golubev. Er arbeitet heraus, dass traumatische Erfahrungen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg zwar im individuellen und familiären Gedächtnis verankert waren, im kollektiven Gedächtnis jedoch bis in die 50er Jahre fast vollständig ausgeblendet wurden. Erst Stalins Tod habe das Schweigen gebrochen und die Konstruktion kollektiver Erinnerung an geteilte traumatische Erfahrungen ermöglicht. Im Falle von Opfern des DDR-Regimes kommt es hingegen, wie Anselma Gallinat aufzeigt, zur narrativen Fixierung auf die Opferrolle; dadurch entstehen kanonisierte Täter- und Opfererzählungen (286). Bei ihren Forschungen über die rumänische Erinnerung an die Bärägan-Deportation gelangt Smaranda Vultur zu einem abweichenden Fazit. Sie versteht Interviews, im Gegensatz zu schriftlichen auto biographischen Quellen, als aktiven Verhandlungsprozess, in dessen Verlauf die Befragten ihre Lebensgeschichten flexibel umschreiben könnten. Genau auf jene lebensgeschichtlich notwendigen Handlungsspielräume verweist auch Patricie Hanzlová, wenn sie im Falle von vertriebenen Deutsch-Tschechen der Diskrepanz zwischen offizieller Stigmatisierung und individueller Wahrnehmung der Betroffenen nachspürt. Der fünfte und letzte thematische Block „Alltag im Sozialismus — Spielräume in der Diktatur“ beginnt mit einem methodischen Kommentar von Dorothee Wierling. Da rin plädiert sie für eine neue Form der Interviewführung, mit deren Hilfe
komplexe und widersprüchliche Erfahrungen gespiegelt und die Befragten dazu ermutigt werden sollten, von einem sogenannten dominant script (323), einem festgefahrenen inneren Drehbuch ihrer Lebensgeschichte, abzuweichen. Dadurch ließen sich andersartige ֊ noch nicht ka nonisierte - Erzählungen produzieren, die ein neues Licht auf das Alltagsleben im Sozia lismus werfen könnten. Der Frage nach der subjektiven Prägung des sozialistischen Alltags Südost-Forschungen 68 (2009) 717
Geschichte: seit 1990 widmet sich Kirsti Јоеѕаш, indem er die Spannung zwischen öffentlichem Erinnern und persönlicher Erfahrung (343) im sowjetischen Estland herausarbeitet. Daraus ergibt sich ein Bild des sozialistischen Alltags als eines Schauplatzes gesellschaftlicher Verhandlungen. Diese Machtkämpfe bezeichnet Blanka Koffer in ihrer Studie über den Arbeitsalltag von Geisteswissenschaftlern in der DDR als stetige Gratwanderung zwischen zeitweiliger öffentlicher Selbstentfaltung und dem Rückzug ins Privatleben. Als paradigmatisches Bild dieser alltäglichen Verhandlung kann das Schlangestehen betrachtet werden, mit dem sich Simina Bădica in ihrem innovativen Aufsatz anhand zweier in Bukarest geführter Interviews beschäftigt. Denn während der Arbeitsalltag die Option des Rückzugs ins Private erlaubte, zwang der Mangel an Konsumgütern zur öffentlichen Interaktion und Verhandlung all täglicher Praktiken. Dagegen repräsentiert der von Jana Nosková beschriebene Rückzug zahlreicher tschechischer Intellektueller ins „Dissidenten-Ghetto“ nicht nur eine Erfolgsstory des alltäglichen Überlebens, sondern gleichzeitig auch einen Akt gescheiterter Integration und gesellschaftlicher Isolation. Der inhaltlichen Breite, der methodologischen Innovation und der transnationalen Ausrichtung der präsentierten Beiträge ist es zu verdanken, dass dieser Sammelband zukunftsweisend für eine „Oral History des Sozialismus“ sein kann und sein wird. Der einfühlsame aber gleichzeitig distanzierte Blick der jungen Nachwuchswissenschaftlerlnnen auf unbekannte bzw. verkannte Lebensgeschichten verweist
erneut auf die zeithistorische Bedeutung individueller Erzählungen für die Interpretation alltäglichen und „außer gewöhnlichen“ Lebens im Sozialismus. Regensburg Friederike Kind-Kovács Larisa ScHiPPEL, Kultureller Wandel als Ansinnen. Die diskursive Verhandlung von Geschichte im Fernsehen. Berlin: Frank Timme 2009 (Forum: Rumänien, 1). 472 S., 92 Farbabb. (Stills), ISBN 978-3-86596-249-2, € 49,80 Die politische Wende um 1989/1990 ließ in den Ländern Ost- und Südosteuropas neue Formen der Öffentlichkeit entstehen, und vor allem in Rumänien war die „Revolution“ ein vom Fernsehen begleitetes Ereignis. Geschichte und politisches Selbstverständnis des Landes wurden hier zunehmend auch innerhalb der neuen Medien verhandelt. Besonders deutlich wurde dies an den Diskusionen über Schulbuchinhalte in den Bereichen Geschichte und Literatur gegen Ende der 1990er Jahre. Dieses mediale Aushandlungsfeld nationaler Identität hat nun Larisa Schippel, Mitarbei terin am Institut für Slawistik an der Humboldt-Universität zu Berlin, mit einer empirischen Untersuchung analysiert, in der sie sich dem kulturellen Wandel in Rumänien und seiner Sichtbarkeit im Fernsehen widmet. Sie nimmt darin an, „dass die in der französischen Diskursanalyse so zentralen discours fondateurs im Zeitalter der elektronischen Medien (zumindest auch) Fernsehdiskurse sind“ (16). Wenn das Fernsehen eine zentrale Rolle bei 718 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen der Neubestimmung der Entwicklungsziele einnimmt, so Schippel in ihrer zweiten These, müssen sich die Wandlungsprozesse auch in den Fernsehsendungen und bei ihren Akteuren, d. h. in den Fernsehtexten nachweisen lassen, Schippel fragt also danach, wie kultureller Wandel im Diskurs im Fernsehen sichtbar wird und welche Bedeutung die Talkshow als öffentlicher Verhandlungsort sozialer Inhalte einnimmt. Zu diesem Zweck stützt sie sich auf einen Kulturbegriff, der auf die Flexibilität bzw. Veränderbarkeit kultureller Phänomene Rücksicht nimmt, und orientiert sich daher nicht an Konzepten, die auf einen kulturellen Konsens verweisen, sondern an solchen, die - wie bei Clifford Geertz - die „Verwerfungen und Brüche' [der] Rahmensetzungen und Diskursräume“ (130) in den Blick nehmen. Das rumänische Fernsehen stellte dabei eine wesentliche Plattform dar, auf der 1999 im Streit um ein „alternatives“ Schulbuch einigen Stabilität verheißenden und tradierten Geschichtsmythen alternativen Geschichtsdarstellungen gegenübergestellt wurden. Dieses Schulbuch, so arbeitet Schippel es sowohl aus dem diskursiven Kontext als auch in der Analyse der Sendung selbst heraus, wirkte in der Verhandlung des kollektiven Selbstver ständnisses in Rumänien nach 1989 als Störung eines auf Erhalt des positiven Selbstbildes bedachten Diskurses. Daher habe das störende Lehrbuch öffentlich - im Fernsehen - an geklagt und als illegitim dargestellt werden müssen. Die Debatte für oder wider alternative Geschichtskonzepte wurde damit zunehmend polarisiert. Als Untersuchungsfeld hat sich Larisa Schippel
die aufsehenerregende Diskussionsrunde „Manuale alternative de istorie“ vom 6.10.1999 aus der Talkshow von Marius Tucă auf dem Sender Antena 1 gewählt. Zu dieser Runde wurden vom Moderator Tuca zwei Autoren des „angeklagten“ Schulbuches, ein Vertreter des Ministeriums für Nationale Bildung und eine Historikerin, die zugleich Mitglied der Kommission zur Erarbeitung der Lehrprogramme war, als Gäste eingeladen. Eher als Mitstreiter denn als Gast erschien zudem ein weiterer Journalist als Ko֊Moderator. Schippel interessiert an der Show, „mit welchen Mitteln die Protagonisten ihre Positionen in die öffentliche Debatte bringen, wie die diskursive Aus handlung von Geschichte abläuft, d. h. wie sie auf die Agenda gesetzt, wie sie argumentiert werden und welche diskursiven Felder ihre Austragungsorte sind“ (9f). Um den Leser in die Thematik der Talkshow, den Schulbuch-„Skandal“, einzuführen und den soziokulturellen Kontext aufzuzeigen, steht der Analyse der Talkshow ein Ab schnitt vor, in dem Schippel besonders anschaulich und interessant verdeutlicht, wie es zur Polarisierung des Diskurses um die eigene Geschichte und Nationalität in Rumänien kam und wie sich die Debatte im Oktober und November 1999 entwickelte. Leider sind die abgedruckten Quellen dazu trotz der farbigen Markierungen recht unübersichtlich und nur teilweise übersetzt. An die Chronologie anschließend wird das in der Sendung disku tierte Schulbuch „Istoria“1 vorgestellt und bezüglich solcher Aspekte analysiert, die auch in der Talkshow thematisiert wurden. Hier wäre sicher auch ein Verweis auf den Aufsatz von
Rázván Paratami sinnvoll gewesen, der sich ebenfalls mit dem kulturellen Wandel, der im Schulbuch-Diskurs zum Ausdruck kommt, beschäftigt und den diskursiven Kontext mitsamt der Talkrunde beleuchtet.2 In einzelnen Bereichen, etwa bei der Behandlung des Text-Bild-Verhältnisses, lässt sich Schippel an dieser Stelle dazu verleiten, über das eigentli che Thema hinauszugreifen. Dabei handelt es sich oft um gewinnbringende Bemerkungen, dennoch lenken sie von der zentralen Untersuchung ab. Südost-Forschungen 68 (2009) 719
Geschichte: seit 1990 Über den inhaltlichen Gegenstand hinaus will Schippel mit dieser Arbeit den kultur linguistischen Zugang zur Mentalitätsforschung erweitern, indem sie eine Kulturwissen schaft, Medientheorie und Linguistik verknüpfende Methode einführt und exemplarisch erprobt. Die mediale Situation der Sendeform Talkshow wird dabei geprüft, und zentrale Gattungsmerkmale werden herausgearbeitet. In Abgrenzung zu anderen Sendungen gelingt es ihr, die Talkshow als neue Sendeform, als medialen Knotenpunkt und Verhandlungsort von Geschichte und nationalem Selbstverständnis im Prozess des kulturellen Wandels zu verdeutlichen. Besonders wichtig ist ihr bei der Analyse der Sendung der Einfluss des Mediums auf den gesamten medialen Text. Sie arbeitet daher konstituierende Faktoren der Mediensituation heraus, wie zum Beispiel die Mehrfachadressierung, das Mitdenken einer weiteren Öffentlichkeit bei den Diskutanten sowie die Inszenierung der Talkshow als sogenanntes Stegreifspiel. Sie geht von einem institutionalisierten Situationsverständnis aus und definiert Kommunikation mit Siegfried J. Schmidt als „systemspezifische Sinn konstruktion", durch die das Beobachten von Kultur im „Vollzug von Gesellschaft [.] aus Anlass der Wahrnehmung von Medienangeboten“ ermöglicht wird.3 Denkbar wäre bei einem so hohen Anspruch an die Darstellung des Medialen auch eine Methode gewesen, die zusätzlich Schnitt, Licht, Ton und Montage mit einbezieht. Diese Faktoren lässt Schippel mit einem Verweis auf den Textbegriflf nach Eugenio Coseriu (169) außer Acht. Beeindruckend ist die Kenntnis und
Kombinationsbegabung, die Schippel überall da offenbart, wo es um das Verknüpfen medientheoretischer, linguistischer, kulturkonzeptio neller und semiotischer Theorien geht. Auch die Einbeziehung linguistischer Erklärungs muster in die Analyse der Show wirkt sehr gelungen. Solche theoretischen Fundierungen hätten allerdings leserfreundlicher en bloc zusammengefasst werden können - vor allem Bestimmungen des Kulturbegriffes finden sich gleich in mehreren Kapiteln. Die offen bar verschiedene Modelle zusammenführende Grafik (184) könnte mit einer näheren Beschreibung diese Kombinationsarbeit im theoretischen Fundament zugänglicher machen. Den inhaltlichen Kern der Untersuchung bildet die in den Kapiteln fünf und sechs aufgegliederte empirische Analyse der beschriebenen Talkshow. Hier werden — durch Stills der Sendung visuell unterstützt ֊ die Gespräche der Talkshow im Transkript (auch über setzt) wiedergegeben. Mit Hilfe verschiedener Lexika werden eingangs einzelne Begriffe verdeutlicht und dann in kleinen Abschnitten einer verschiedene Disziplinen umfassenden Interpretation unterzogen. Später im Text werden die Begriffsdefinitionen von linguistischen Modellen ersetzt, die zu einem erweiterten Verständnis und zur Einordnung der Gesprächs form (Genfer Modell, 284f), des Stils, der Argumentationsweise und der unterschiedlichen Argumentationsziele der Diskussionsteilnehmer verhelfen. Dass das Datenmaterial sowie die Analyse im Text integriert sind und nicht in einen Anhang verbannt werden, führt zu einer großen Transparenz und erlaubt dem Leser, sich ein eigenes Bild von der
Quelle zu machen. Die Interpretationen der Textsegmente verbinden die soziokulturelle Einordnung und sprachliche Untersuchung mit der persönlichen Wertung der Argumente durch die Autorin. Dieses subjektive Bewerten der Daten ist sicherlich auch im Sinne der Wissenschaftlichkeit der Analyse von Vorteil. Noch günstiger wäre dennoch eine kurze Bemerkung Schippels zu ihrer eigenen Stellung in dem von ihr beschriebenen Diskurs gewesen, durch die ihre 720 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Interpretationen vom Leser leichter hätten eingeordnet und nachvollzogen werden können. Denn beispielsweise das „IGNORIEREN der Antworten seiner Gesprächspartner“ (318) kann dem Moderator Tuca zwar sicher und gerne als ein solches ausgelegt werden, andere Interpretationen wären dennoch möglich. Umgekehrt könnte den Autoren des Lehrbuches in derselben Sequenz unterstellt werden, sie würden die vom Moderator gemeinte Frage ignorieren, indem sie versuchen, diese als unberechtigt, als „Wortklauberei“ (317) abzutun. Der Darstellung und Auslegung einzelner Sequenzen der Sendung zu inhaltlichen Themenfeldern folgen im sechsten Kapitel Bemerkungen zu Gattungsmerkmalen der Talkshow. Neben der besprochenen Schulbuch-Sendung werden noch zwei weitere, anders konzipierte Sendungen der Marius-Tucä-Show herangezogen: eine Diskussionsrunde zum Bergarbeiterstreik mit einer Liveschaltung und eine Talkshow im Gespräch mit dem Minister Andrei Pleşu. Aufgrund der Konstellationen der Personen und ihrer Rollenzuteilungen in der jeweiligen Show ordnet Larisa Schippel die drei Sendungen drei verschiedenen Dia logtypen zu: die Marius-Tucă-Show zum Schulbuch-„Skandal“ dem Streitgespräch, die Sendung mit Andrei Pleşu dem Meisterdialog und die Show mit den Bergarbeitern dem Partnerdialog. In allen drei Typen werden zudem neben dem Grad der Authentizität im Sinne der Selbstbestimmtheit oder Glaubwürdigkeit der Studiogäste im Hinblick auf die Erwartungen des medialen Dritten, des Fernsehzuschauers, auch die drei Grundprinzipien des Gesprächs nach Kerbrat-Orecchioni geprüft und mit den
Befunden aus der inhaltlichen Analyse verglichen. Sie hält fest, dass die Zuschauer der Talkshows aus absichtsvollen Verletzungen der Ge sprächsprinzipien Schlüsse über weitere, nicht der Aussage selbst entlehnbare Bedeutungen ziehen können. Uber diese werden den Zuschauern Interpretationsanweisungen übermit telt. So wird in der analysierten Sendung den Schulbuchautoren mit der „Aufdeckung“ einer Verbindung zum Seminar „Project on Ethnie Relations“ unterstellt, nicht für das Eigene — Rumänien -, sondern für das Andere - das Ausland, die USA, die Ungarn, den Feind — ein Schulbuch angefertigt zu haben. Solche Bedeutungsaufladung vom Eigenen und Anderen als Grundlage des diskursiven Konfliktes und als Ergebnis der Polarisierung im Streitgespräch werden abschließend noch einmal am Beispiel der Geschichtsbetrachtung festgehalten: Das Lehrbuch wird als ein Angriff auf das Eigene empfunden und muss daher öffentlich angeklagt werden. Der kulturelle Wandel sei in der Talkshow sichtbar geworden und habe dadurch, dass er zu einer Polarisierung der Debatte um das rumänische Selbstverständnis beigetragen habe, den Diskurs nachhaltig beeinflusst, obgleich dem Schulbuch letztlich doch die Lizenz entzogen wurde und der Seite der Lehrbuchankläger eine diskursbestimmende Stellung eingeräumt werden muss. Dieser Wertung ist auf Basis der sehr vielseitig angelegten Unter suchung sicherlich zuzustimmen, wenngleich auch nach der Lektüre noch Klärungsbedarf in Bezug auf die Wandelbarkeit von Kultur und die Möglichkeit des Nebeneinanders mehrerer wirkmächtiger Diskursfragmente besteht. Zeigte
sich in der Sendung tatsächlich kultureller Wandel oder doch eher die Wirkmächtigkeit des Diskurses? Der Wandel scheint deutlicher vor und nach der Sendung sichtbar geworden zu sein als in der Sendung selbst, die als Momentaufnahme die Anklage der eigentlichen Diskursstörung — des Schulbuches — darstellt. Südost-Forschungen 68 (2009) 721
Geschichte: seit 1990 Die Untersuchung Schippels regt eindeutig zu weiteren Diskussionen an, die dank ihrer gründlichen und vielschichtigen analytischen Arbeit auf hohem Niveau weitergefiihrt wer den können. Die gute Lesbarkeit und visuelle Aufbereitung der empirischen Daten trägt dazu bei, dass die vorliegende Arbeit trotz der Länge des Textes eine flüssige Leichtigkeit bewahrt. Deren inhaltliches Gegenüber liegt in der Offenheit, mit der die Autorin Fächer grenzen überwindet und neue Analysemodelle entwirft, denen weitere Untersuchungen am Schnittfeld von Medienwissenschaft, Kulturwissenschaft, Linguistik und Semiotik folgen können. Tübingen Christine Hämmerling 1 Sorin Mitu / Lucia Copoeru / Ovidiu Pecican / Liviu Ţîrău / Virgiliu Ţârău, Istoria Românilor: Manual pentru clasa a XII-а. Bucureşti 1999. 2 Rázván Pârâianu, National Prejudices, Mass Media and History Textbooks: The Mim Contro versy, in: Balázs Trencsényi u. a. (Hgg.), Nation-Building and Contested Identities: Romanian and Hungarian Case Studies. Budapest, Iaşi 2001, 93-117. 3 Alle Zitate aus Siegfried J. Schmidt, Medien, Kultur: Medienkultur, Zeitschriftfir Literatur wissenschaft und Linguistik, Beiheft 16, 1991, 30-51, 39f. 722 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Kunstgeschichte, Volkskunde Eleutherios P. Alexakes, Οι Βλάχοι του Μετζιτιέ και η ειρωνεία της ιστορίας. Μια εθνογραφία του μη προβλέψιμου [Die Vlachen von Metzitie und die Ironie der Ge schichte. Eine Ethnographie des Unvorhersehbaren]. Athen: Dõdõnê Ekdoseis 2009. 411 S., 104 Abb., 3 Km., ISBN 978-960-385-565-1, € 31,35 Der Autor, Redakteur und Forscher am Forschungszentrum für Griechische Volkskunde der Akademie Athen (vormals Volkskundearchiv, gegr. noch von Nikolaos Politis 1918) ist einer der produktivsten griechischen Volkskundler (über 40 Studien und Monographien sind in der Bibliographie angeführt), der sich durch einen gewissen Hang zu Themen und Methoden der struktural-funktionalen Sozialanthropologie auszeichnet, im Gegensatz zu den case studies dieser Schule jedoch mobiler Feldforscher geblieben ist, der eine Fülle von Themen auch in größeren geographischen Zonen aufgreift und bearbeitet. Der Band vereinigt mehrere Studien zu dem vlachisch/„aromunischen“ Dorf Metzitie (Kefalovryso) im Raum Pogoni in NW-Epirus hart an der albanischen Grenze, das in insgesamt siebenmonatigem fieldwork zwischen 1993 und 2004 unter verschiedenen Aspekten untersucht wurde. Die historische Ironie, auf die der Titel anspielt, besteht in der Tatsache, dass das im 2. Weltkrieg berüchtigte Gebirgsjägerbataillon „Edelweiß“ 1943 einen Großteil der dreisprachigen männlichen Bevölkerung (Griechisch, Armanisch, Albanisch) zusammen mit dem Dorf dem Feuer übergeben hat, dass es jedoch der Bevölkerung durch Arbeitsmi gration nach Deutschland nach 1960 gelang (etwa zwei Drittel
wanderten aus), ihr Dorf zum reichsten und angesehensten der ganzen Region zu machen. Das hatte signifikante Auswirkungen auf die Sozialstruktur: die einstigen tselingades (Hürdenbesitzer), selbst der Instabilität ihres Status, absolut gebunden an die Größe der Herden, ausgeliefert, verloren sukzessive ihre Privilegien, da sich die Viehwirtschaft (Fernweidewirtschaft) durch die Schließung der Grenzen zwischen Albanien und Griechenland nach dem 2. Weltkrieg bis auf ein Viertel reduziert hat. Im Gegensatz zu den Kutsovlachen in Thessalien ergriffen die „Arvanitovlachen“ (sie selbst wollen nicht so genannt werden) keine anderen Berufe, sondern zogen die Arbeitsmigration vor, was nach der Remigration zur Urbanisierung, Verbürgerlichung und zu bedeutenden Investitionen im Heimatdorf führte. Die extensive Weidewirtschaft beschränkte sich zu diesem Zeitpunkt schon auf die Transhumanz zu den Winterweiden an den Küsten von Thesprotia am Ionischen Meer. Die Viehbestände gingen von 80-100.000 Schafen und Ziegen auf kaum 25.000 zurück. Diese Umwälzung führte zu einer Destrukturierung der erweiterten multinuklearen Familien, die durch eine Kernfamilie der drei Generationen ersetzt wurde. Mit dem Auf kommen der Scheidungen ist auch die vendetta verschwunden, charakteristisches Merkmal der Clan-Strukturen von streng patrilinearen Bevölkerungsgruppen. Taufnamensgebungen nach der mütterlichen Linie sind nun nicht selten. Trotzdem ist die Endogamie nicht ganz aufgehoben, wenn es auch Heiraten mit Griechen und Deutschen gibt. Vor allem der Endogamieradius hat sich geändert und umfasst nun
weitere Regionen in NW-Epirus, auch in Deutschland, jedoch vorwiegend innerhalb der ethnischen Gruppe. Vielerlei Bräuche um das Wachstum und Wohlergehen der Herden sind verschwunden, jedoch nicht das Südost-Forschungen 68 (2009) 723
Kunstgeschichte, Volkskunde Brauchwesen rund um die Hochzeit. Die polyphonischen Lieder werden noch in den Kaffeehäusern gesungen, die farsherotische Tracht ist schon um 1930 verschwunden. Das einstigepanegyri-Fest des Dorfes am Festtag der Hl. Konstantin und Helena (21. Mai) wurde auf den Tag des Hl. Elias (20. Juli) verlegt, weil dies für die Gastarbeiter praktischer war. Die rezente Öffnung der Grenzen zu Albanien führt zu gegenseitigen Besuchen, Heiraten, Reinnovierung von Bräuchen; manche Vlachen der albanischen Seite haben sich in Kefalovryso niedergelassen. Die Akkulturation der Dorfbevölkerung in das griechische Staats und Gesellschaftsgebilde führt in diesem Falle über das Gastarbeiterdasein in Deutschland. Nach dem Vorwort (11-14) geht der Autor in der Einführung (15-20) auf Fragen der lokalen Demographie, aber auch auf die unsicheren Thesen der Ethnogenese der „Vlachen“ der Region ein. Der erste Teil bringt zwei Kapitel: „Die Wirtschaft der mächtigen Männer: Hürden und Herden“ (23-62) behandelt die traditionelle Ökonomie der Fernweidewirt schaft, mit Analysen der Transhumanzbewegungen, Herdenformen, Tierglocken usw., beschreibt also den historischen Zustand vor den Veränderungen; „Von den Hürden in die Fabriken Westdeutschlands. Migration und sozioökonomische Veränderungen“ (6390) beschreibt die Entwicklungen nach 1960, die Akkulturation im Gastarbeiterland. Das erste Kapitel ist schon veröffentlicht worden,1 das zweite bildet ein unveröffentlichtes Konferenz-Papier zu einem Soziologiekongress in Athen 2005. Der zweite Teil schreitet von äußeren Fakten zu
inneren Gegebenheiten: Es geht um kollektive Identitäten und kollektives Gedächtnis. Hier sind drei Kapitel untergebracht: „Die Verhandlungen um die kollektive Identität“ (93-116), elaborierte Form eines Referats bei einem internationalen Kongress über die „Vlachen“ 20 042 - das Dorf wurde 1853 vom Sultan Metzit gegründet, es geht um Angaben zum Selbstbild vorwiegend aus dem Munde alter Leute, „Mündliche Dichtung und kollektives Gedächtnis“ (117-134)3 zu den polyphonisch gesungenen Liedern des Dorfes; „Ethnische Gruppen, Krieg und historisches Gedächtnis“ (135-166)4 - hier geht es um die Kriegserinnerungen, eingebettet in die zyklische und lineare Zeit zwischen individuellem und kollektivem Gedächtnis rund um die Zerstörung des Dorfes und die rezente Symbiose mit den Deutschen als Gastarbeiter. Der dritte Teil führt von den Erinnerungen zu den sozialen Strukturen: Familie, Verwandt schaft, Heirat, und umfasst ebenfalls drei Kapitel: „Familienstrukturen - Kontinuitäten und Diskontinuitäten“ (169-206, mit mehreren Diagrammen von Stammbäumen)5 - Haushalte, multinukleare Familienformen, Arbeitsteilung; „Der Komplex des Blutes. Patrolineare Gruppen und Vergeltungsverpflichtung“ (207-264)6 - hier greift der Autor ein Thema auf, das er schon in Mani an der Südspitze der Peloponnes in vorbildlicher Weise untersucht hat (Clanbildung, Patriarchalität, Formen und Regeln der Fehde und ihrer Einschränkung und Vermeidung); „Verwandtschaft und Heiratsstrategien“ (265-365, Diagramme von Stammbäumen, noch nicht veröffentlicht) — Sozialhierarchien von Familien und Clans, sogampros (der
Eingeheiratete), Hochzeitsbräuche, Strategien sozialer Vernetzung und vertikale Mobilität, Endogamieradius, Aussteuer, Formen des potUch bei Hochzeiten und Kirchweihfesten). Alle diese Kapitel sind reichhaltig dokumentiert mit Fotografien, illustriert mit persön lichen Interviews und untermauert mit weitreichenden bibliographischen Angaben und theoretischen Exkursen aus Sozial- und Kulturanthropologie, Kulturtheorie, Agrarökonomie 724 Südost'Forschungen 68 (2009)
Rezensionen usw. Insofern deckt die Lektüre die gesamte Spannweite von der empirischen Feldforschung mit der Aura des Selbsterlebten bis zur umfassenden Kulmrtheorie, aufgezeigt anhand des Paradigmas. Es folgt noch eine Zusammenfassung (357-360), die umfassende Bibliographie (361-386), ein Lexikon
vlachischer und idiomatischer Wörter und Ausdrücke (387-394), ein Verzeichnis von Orten und Namen (395-402), ein Verzeichnis von Sachen und Begriffen (403-408) sowie ein English summary (409-411). Die Vlachenforschung steht im Aufwind und Alexakis’ Studien zu Metzitie bilden einen gewichtigen
Beitrag. Athen, Wien Walter Puchner 1 Γεωγραφίες 5 (1993), 114-134. 2 Εθνολογία 4 (1995), 151-170; auch in: Ταυτότητες και ετερότητες. Σύμβολα, συγγένεια, κοινότητα στην Ελλάδα ֊ Βαλκάνια. Athen 2001, 164-180. 3 Auch im Kongressband Ελληνικός Παραδοσιακός Πολιτισμός, Λαογραφία και Ιστορία.
Thessaloniki 2001, 139-151. 4 Zuerst in Εθνολογία9 (2001), 137-166. 5 Zuerst in einer CD-Publikation der Akten des Kongresses in memoriam Stathis Damianakos. Athen 2005. 6 Zuerst in Εθνολογία 6-7 (1998/99), 137-192, auch in: Ταυτότητες και ετερότητες, 11-64. Ανθρωπολογία και συμβολισμός στην Ελλάδα
[Anthropologie und Symbolismus in Griechenland]. Hgg. Eleutherios P. Alexakës / Maria Brachionidu/Andromache Oikonomu. Athen: Griechische Gesellschaft für Ethnologie 2008. 363 S., Abb., ISBN 978-960-87468-2-4, € 33,76 Im dritten Folgeband der Griechischen Ethnologischen Gesellschaft (nach dem Band
über die Roma 2002 und Facetten des (sozial)anthropologischen Denkens 2004), zu rückgehend auf eine Vortragsreihe
2006, geht es nicht um Symbolismus als ästhetische Strömung, sondern um Symbolformen und Imagination, und nicht um .Anthropologie“ als Wissenschaft vom Körper, sondern um Kultur- und Sozialanthropologie.1 In zwölf Einzelbeiträgen kommen Facetten und Spielarten des Symbolischen und der Phantasie in verschiedenen Bereichen der rezenten griechischen Volkskultur zur Sprache. Einführend macht sich Eleutherios Alexakis (11-41) Gedanken über die Unterschei dungsmöglichkeit von Symbol und Zeichen und stellt verschiedene Definitionsvorschläge vor (V. Turner, Sh. Ortner, D. Sperber, E. Leach, C. Lévi-Strauss usw.), gefolgt von einer ähnlichen Diskussion über die Phantasie und das Phantastische (E. Husserl, M. MerlauPonty, P. Ricœur, G. Bachelard, M. Eliade), um schließlich die einzelnen Studien und Autoren vorzustellen. Alle Beiträge enden mit einer ausführlichen Bibliographie, sind allerdings ohne ein Abstract in einer der europäischen Hauptsprachen geblieben. Den Reigen der Beiträge eröffnet Alexakis selbst: „Χορός, θυσία, νεκροί: Τελετουργίες έρωτος και τελετουργίες αίματος στην Ελλάδα“ [Tanz, Opfer, Tote: Rituale des Eros und Rituale des Südost-Forschungen 68 (2009) 725
Kunstgeschichte, Volkskunde Blutes in Griechenland] (43-70). Ausgehend von der Theorie, dass die Totenrituale zumeist auch Rituale der Wiederbelebung/Auferstehung sind, untersucht er in einem strukturalfunktionellen hermeneutischen Ansatz die Ritualakte der jungen Bräute um die Toten am Friedhof, in Beinhaus und Kirche (Gedenkmessen), die Taufnamensgebung als einer Art Weiterlebens des Toten, interpretiert die Tieropfer und Blutbesprengung der Gräber in ähnlicher Weise (Blut als Lebenssymbol bei der Geburt). Wie immer bei Alexakis stützt sich der Autor auf reichhaltige Feldforschungsergebnisse, die er mit theoretischen Ansätzen der Ethnologie in fruchtbarer Weise verbindet. Euaggelos G. Avdikos berichtet über „H γουρνοχαρά στη δυτική Θεσσαλία: σύμβολα και κοινώνική αναπαραγωγή“ [Das,Schweinefest1 in Westthessalien: Symbole und gesellschaftliche Reproduktion] (71-96). Es geht um das rituelle weihnachtliche Schweineschlachten, das in der thessalischen Tiefebene eine besondere Bedeutung erhalten hat, während dasselbe Fest an derswo unter verschiedenen Namen bekannt ist; im Ausdruck γουρνοχαρά ist jedoch die Freu de angelegt. Während ältere Theorien von Reinigungsritus sprechen, interpretieren die Leute vor Ort selbst in anderer Weise: es geht um ein Apotropäum vor den schädlichen Zwölftengeistern und um rite depassage; vom geschlachteten Haustier wird praktisch alles verwertet.2 Die Einführung des Euro in Griechenland und die Reaktion der Leute beschäftigen Leonidas Vournelis und David Sutton: „Νομισματικές γεύσεις: συμβολισμός και μνήμη στη μετάβαση προς το ευρώ“
[Numismatische Geschmäcker: Symbolik und Erinnerung in der Umstellung auf den Euro] (97-123). Nun war die Drachme nicht irgendeine Währung, sondern mit ehrwürdigem Gedenken und nationaler Symbolik behaftet. Die Umstellung war demnach nicht nur ein arithmetisches Zahlenspiel, das wie überall zuerst
zu Verteue rungen geführt hat. Die Umrechnungen auf die alte Währung setzten sich noch jahrelang fort, die Schwierigkeiten reichten vom Trinkgeld bis zum Großeinkauf. Doch wichtiger noch ist die ideologische und psychologische Umstellung: Die Symbolik, die vom Euro ausgeht, ist eine wesentlich
andere als die der Drachme. Es folgt Geörgios Drettas, „Οι κλέφτρες της φωνής. Συμβολή στη μελέτη της αναπαράσ τασης του γυναικείου σώματος στους Ελληνες του Πόντου“ [Die Diebinnen der Stimme. Beitrag zur Studie der Darstellung des weiblichen Körpers bei den Pontus-Griechen] (125-143). Es geht um
die für die Männer gefährlich-schönen neraides-Feen in den Sagen, die den Men schen die Stimme rauben können, u. a. eine imaginäre Projektion unterdrückter Sexualität. Juliet de Boulay berichet über „O συμβολισμός τη γης σ’ ένα χωριό της ορθόδοξης Ελλάδας“ [Die Symbolik der Erde in einem Dorf des
orthodoxen Griechenland] (145-173, über setzt von Orest Lindenmayer), ausgehend von ihrer epochemachenden Studie3 und einer Adams-Sage um den Paradies-Verlust, aus der oralen Tradition aufgenommen. Die Erde symbolisiert Gegensätzliches: Schweiß, Arbeit, Brot, Ernte, Vegetation, Leben und Tod. „Πέρα
από την ύλη: Ο συμβολικός κόσμος στον ελληνικό οικιστικά χώρο“ [Jenseits der Materie: die symbolische Welt
des griechischen Hauses] (175-203, übersetzt von Maria Vrachionidou) - auch Renée Hirschon schöpft aus den Feldforschungsmonographien in Olympos auf Karpathos und Germanika, einer kleinasiatischen Flüchtlingssiedlung nach 1922 im Piräus-Bereich. Das Haus, seine Raumanordnung und Gegenstände, ist ein Bereich von exemplarischer Symbolik, eine imago mundi. Neben den praktischen Funk tionen dominieren die rituellen und religiösen, die Symbolik der Transzendenz, spiegeln 726 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen sich Familienstrukturen und -geschichten, bleibt Raum für ästhetische Imagination und Gestaltungskraft. ,,Ονοματοδοσία, κληρονομιά, και η μοίρα της γυχής: σκέψεις για τη συνέχιση και την αλλαγή των συμβολικών πρακτικών σ’ ένα κυκλαδίτικο νησί“ [Namensgebung, Erbe und ,Schicksal“ der
Seele: Gedanken zum Fortleben und Wandel der symbolischen Praktiken auf einer Kykladeninsel] (205-230 übersetzt von V. Gement) ֊ auch Margaret Renna schöpft aus ihren Feldforschungsstudien im Inselbereich.4 Es geht um Gedenkmessen, Feldkapellen, Auswanderung, Friedhöfe, Vereinsamung und Verödung der
Insel. „O συμβολισμός της χριστιανικής μισαλλοδοξίας“ [Die Symbolik der christlichen Intoleranz] beschäftigt Orest Lindenmayer (231-260). Es geht um kollektive Fremdbilder des Bösen (axis of evil) wie die Anhänger des Antichrist, dämonische Völker, Gog und Magog aus der Johannes-Apokalypse und
dergleichen mehr. Ebenfalls in die Vergangenheit führt Nenė Panourgia, „Αποσπάσματα του Οιδίποδα. H ανθρωπολογία στις παρυφές της ιστορίας“ [Ödipus-Fragmente. Die Anthropologie am Rande der Geschichte] (261-282, übersetzt von G. Malainou).5 Die Autorin versucht über die Interpretation des Ödipus-
Komplexes hinauszukommen, die kritisch-reflektive Denkweise des Mythos als Proto-Anthropologie zu charakterisieren, von der immerhin B. Malinowski angeregt wurde, den thebanischen König als einen Suchenden hinzustellen, der am „an deren“ interessiert ist. Die Auseinandersetzung mit einem Teil der
bisherigen Literatur ist überaus kritisch und selbstbewusst geführt. Marilena Papachristophorou,
,,Αφηγηματικότητα, χώρος, σύμβολα: συνομιλώντας μ’ ένα νησιωτικό τοπίο“ [Narration, Ort, Symbole: im Dialog mit einer Insellandschaft] (283-307) kommt auf ihre Legenden-Studie zu der Leipsoi-Insel zurück,4 eingebettet in allgemeinere Überlegungen. Lõukas D. Tsitsipis, „Συμβολική πρακτική και
ανθρωπολογική προσέγγιση στην Ελλάδα“ [Symbolische Praktiken und anthropologische Ansätze in Griechenland] (309-321) ver sucht eine theoretische Auswertung von Sprachbeispielen aus dem arvanitika-Dialektälbanischen. Der letzte Beitrag stammt von Basilikē Chrysanthopoulou, „Εορταστικές τελετουργίες,
συμβολισμός και ταυτότητα στις κοινότητες της ελλήνικες διασποράς“ [Festrituale, Symbolik und Identität in griechischen Gemeinden der Diaspora] (323-357), ausgehend vom Ma terial ihrer Dissertation über die Australien-Griechen der Insel Kastellorizo.7 Es geht um die Hochzeitsbräuche der
Kastellorizo-Griechen in Perth, die Symbolik von Gegenständen und Handlungen sowie um Festgelage der Karpathos-Griechen in Canberra. Es folgen noch Kurzbiographien der Autoren. Insgesamt handelt es sich um eine thematisch und methodisch gemischte Lektüre. Die „Griechische Gesellschaft für
Ethnologie“ versteht sich als eine Art Gegeninstitution der „Griechischen Laographischen Gesellschaft“ und legt Wert auf systematischere theoretische Durchdringung des Fallmaterials. Dies führt in einigen wenigen Fällen zur Ausdünnung der Feldinformationen, während die Diskussion mit den Leitfiguren
der Sozialanthropologie und das Anführen der Pflichtzitate breiten Raum einnehmen. Erfahrene Volkskundler wie Alexakis, der
nun seine Feldforschungs-Tagebücher veröffentlicht, sind von dieser Tendenz kaum berührt. Doch wenn der methodische Antagonismus zu einer Leistungssteigerung Südost-Forschungen 68 (2009) 727
Kunstgeschichte, Volkskunde führt, ist er durchaus positiv zu sehen; immerhin haben die Kontroversen die Wissenschaft weitergebracht und nicht der Konsens, und Pluralität steht dem Leben und seiner Realität eben näher als Uniformität. Athen, Wien Walter Puchner 1 Zur griechischen Situation vgl. Walter Puchner, Vergleichende Volkskunde - Ethnologia Europaea- Home-Anthropology, oder: Sind Namen Schall und Rauch?, in: ders., Studien zur Volkskunde Südosteuropas und des mediterranen Raums. Wien, Köln, Weimar 2009, 19-46, bes. 34-36. 2 Zur Symbolik vgl. V. Zaikovskyi, Beitrag zur volkskundlichen und ethnolinguistischen Studie des Festkreises der Griechen und Südslawen. Die Zwölften als Übergangsperiode (griech.). Diss., Athen 1998, 182-237, mit reichhaltigem komparativen Material. 3 Portrait of a Greek Mountain Village. Oxford 1974. 4 Greek Island Life: Fieldwork on Anafi. London, New York 2001. 5 Der Text wurde dem Band Ethnographica Moralia. Experiment in Interpretive Anthropology. New York 2008, entnommen. 6 Legende et lieux en partage: La cas d’une petite communauté insulaire en Grèce, Fabla 47 (2006), 33-43. 7 The Construction of Ethnie Identity among the Castellorizían Greeks of Perth, Australia. Ph.D. Thesis, Oxford 1993. Gerald Axelrod, Transsylvanien. Im Reich von Dracula. Wurzburg: Stürtz Verlagshaus 2009 (Mythen Legenden). 128 S., zahir. Abb., ISBN 987-3-8003-1937-4, € 19,95 Gerald Axelrod ist sowohl der Autor des Textes als auch Illustrator des reich bebilderten Buches, das hier besprochen werden soll. Er ist in Hard (Österreich) geboren und gehört heute, wie es im
Umschlagtext heißt, zu den „führenden Künstlern auf dem Gebiet der mys tischen Fotografie“. Bisher hat er mehrere Bücher veröffentlicht und seine Fotos auf über ei nem Dutzend Ausstellungen in Europa und den USA gezeigt. Er lebt in der Nähe von Wien. In vorliegendem Buch benutzt Axelrod die Mythen und Legenden um Dracula als Vorwand, um mystische Fotografien zu veröffentlichen. Wie weit ihm das geglückt ist, soll hier untersucht werden. Der Text des Buches gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil wird die Herrschaft des walachischen Fürstengeschlechts der Drăculeşti, von allem die von Vlad Ţepeş (dem Prahler) präsentiert, im zweiten die Verbreitung des Vampirglaubens auf dem Balkan und im dritten Teil der „Dracula“-Roman von Bram Stoker (erschienen 1897) und der von ihm ausgehende „Dracula“-Rummel. Axelrod stützt sich dabei auf die gängige Literatur über Dracula mit allen Klischees und Darstellungen, die bei Vampirfans im Umlauf sind. Den Schwerpunkt des ersten Teiles bildet die Darstellung der Schreckensherrschaft von Vlad Ţepeş (Axelrod nennt ihn gewöhnlich Vlad Draculea oder Vlad IIL), der dreimal (1448, 1456-1462 und 1476) den Thron der Walachei innehatte und dadurch berüchtigt 728 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen wurde, dass er seine Gegner hauptsächlich durch Pfählen hinrichten ließ. Er soll während seiner Herrschaft durch Pfählen und auf andere bestialische Weise etwa 100.000 eigene Untertanen und feindliche Türken ins Jenseits befördert haben. In der Schilderung seiner Taten unterscheidet Axelrod allerdings nicht zwischen historischer Realität und dem, was im Schrifttum an schwankhaffen, belustigenden Erzählungen beigegeben wurde. In der Darstellung erscheint Fürst Vlad als kluger, listiger und trickreicher Herrscher, als Gerech tigkeitsfanatiker, als genialer Feldherr im antiosmanischen Kampf, als Vordenker moderner Kriegsführung und als einer der bedeutendsten Staatsmänner seiner Zeit. Axelrod relativiert diese glorifizierende Darstellung etwas, behält sie aber im Wesentlichen bei. In der Frage, ob man den Pfählerfürsten angesichts seiner angeblich Ordnung, Recht und Gerechtigkeit schaffenden Herrschaft sowie seines (zu hinterfragenden) heldenhaften Kampfes und seiner Siege gegen die Osmanen als glorreichen Volkshelden einstufen kann, wie es die rumänische Geschichtsschreibung allgemein tut und wie Vlad den Touristen präsentiert wird, oder ob man ihn angesichts seiner Schreckensherrschaft und seiner Gräueltaten als Tyrannen und sadistischen Massenmörder betrachten soll, entscheidet sich Axelrod für ein „sowohl als auch“ .Dabei wird entlastend für Vlad darauf hingewiesen, dass er ein Knd seiner Zeit war und dass Folterungen damals in ganz Europa beliebte Methoden waren, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Was ihn unterschied, so Axelrod, war sein mörderisches,
systematisches Vorgehen (beispielsweise die Ausrottung ganzer Bojarenfamilien, einschließlich Kindern und Säuglingen), die Missachtung der bestehenden Rechtsordnung (so ließ er beispielsweise auch kirchliche Würdenträger pfählen) und natürlich die hohe Zahl seiner Opfer (81). Da Bram Stoker für seinen Vampir einen mit Blut befleckten Namen brauchte, war der Hinweis auf den walachischen Fürsten das, was er suchte. Stoker übernahm jedoch nicht nur den Namen „Dracula“, sondern zugleich auch das Scheusal, das in seinem Vampir weiter lebte. Vampire sind nämlich, solange man sie nicht auf eine bestimmte Art hinrich tet, unsterblich und treiben ihr Unwesen. Stoker verlegte das Schloss von Dracula nach Transsylvanien in die Ostkarpaten, an den Borgo-Pass. Als man diese Zusammenhänge entdeckte, entstand eine merkwürdige Symbiose zwischen Vlad Ţepeş, dem Vampir des Volksglaubens und dem Blutsauger Stokers. Vlad Ţepeş wurde zum Vampir, obwohl er damit nichts zu tun hat, und geistert als solcher durch die Horrorliteratur, vor allem aber in Filmen und Bühnenbearbeitungen. Stoker schuf durch seinen Roman zugleich einen neuen Typus von Blutsauger, der sich von den Vampiren des Volksglaubens unterscheidet. Bei Axelrod vermisst man allerdings eine differenzierte Darstellung dieses Sachverhalts. Sein Buch unterscheidet sich jedoch in anderer Hinsicht von den bisherigen Veröf fentlichungen über Dracula. Er nimmt sich die künstlerische Freiheit, durch seine Bilder nicht den eigentlichen Text zu illustrieren, sondern eine mystische Atmosphäre zu dem grauenhaften Geschehen von Vlads
Schreckensherrschaft zu schaffen. Dabei verlegt er die Mythen und Legenden des Dracula-Reiches hauptsächlich in den von Siebenbürger Sachsen bewohnten Teil Transsylvaniens. Begnügte sich die bisherige Dracula-Literatur sowie die Tourismusbranche „bloß“ mit Schäßburg, der Törzburg, Bistritz und dem Borgo-Pass als Dracula-Stätten, so vereinnahmt nun Axelrod ganz Siebenbürgen. Neben den genannten Stätten hat Axelrod in das Reich Draculas Kronstadt aufgenommen, dann die Kirchenburgen von Birthälm, Homorod, Pretai, Meschen, Neustadt (Burzenland), Eibesdorf, Scharosch, Südost-Forschungen 68 (2009) 729
Kunstgeschichte, Volkskunde die Burgen von Reps und Rosenau, das H u nyad і - ( Co rvin -) S ch 1 о ss von Eisenmarkt (Hu nedoara), das Schloss von Fogarasch sowie die adligen Schlösser von Bontida, Sänpaul und Mănăstirea, die Ruine des Klosters Kerz sowie andere Ruinen, ferner Friedhöfe von Schäßburg, die Gruft der Kirche von Neustadt, Kreuze, Totenmasken, Fratzengebilde, Gewässer, Landschaften u. a. Um diesen Objekten ein mystisches Ambiente zu geben, wurden die Fotos bei grellen, düsteren Lichtverhältnissen und zwar mit dunklen Gewitterwolken, oder in der Abenddämmerung bzw. bei Nachtschatten mit Mondbeleuchtung aufgenommen. Über einigen Bauten kreisen Krähen oder andere Raubvögel. Diese und andere Fotos, die der Autor sicherlich besitzt, hätten ohne das Dracula-Beiwerk einen interessanten Bild band über Siebenbürgen ergeben. Indem die Fotos aber mit Vlad Ţepeş und Vampiren in Verbindung gesetzt werden, wird die Realität entstellt, und der Kenner der Materie wird kopfschüttelnd den Band durchblättern, zumal der Autor darauf hinweist, dass es bei den Siebenbürger Sachsen keine Vampirtote gab. Über die nicht zutreffende Bebilderung und Zuordnung ein Beispiel: In der Bildbeschriftung zur Burg von Homorod heißt es: „Vlad ließ Kirchenburgen befestigen, um dort im Falle eines Krieges Zuflucht zu finden“ (44). Allein dieser Satz enthält zwei kapitale, grobe Irrtümer, die typisch für den Großteil der Illustrationen sind. Die Kirchenburgen sind nämlich von den siebenbürgisch-sächsischen Gemeinden errichtet worden und keinesfalls von einem Fürsten des benachbarten Landes.
Siebenbürgen gehörte zu Ungarn und unterstand nicht den walachischen Fürsten. Obwohl Axelrod diese Tatsache unterstreicht, werden im Text, vor allem aber in den Bildunter schriften dennoch massenweise siebenbürgische Ereignisse und Bauten mit Vlad Ţepeş und dessen Vater, Vlad Dracul, in Verbindung gebracht, obwohl sie damit nichts am Hut haben. Die aufgenommenen Friedhöfe und Grüften sollen den Vampirglauben belegen. So heißt es, dass die Gräber vermauert oder mit Platten abgedeckt wurden, um den Vampiren das Verlassen ihrer Ruhestätten zu verhindern. Bei einem Foto mit einem schiefstehenden Kreuz auf dem Schäßburger Friedhof belehrt die Bildunterschrift, dass sei ein Indiz dafür, dass hier ein Vampir unter der Erde liegt. Die evangelische Kirche von Meschen wiederum wird mit religiösen Glaubensvorstellungen der orthodoxen Kirche in Verbindung gebracht, die zum Vampirismus beigetragen haben. Die Kerzer Abtei wird als Beispiel für Tiefgläubigkeit sowie die Förderung der orthodoxen Kirche durch Vlad Ţepeş genannt und dass er den Abt des Klosters gegen geltendes Recht eingesetzt habe. Dabei wird wiederum übersehen, dass es sich bei Kerz um ein katholisches Moster handelte, dass sich sowohl kirchlich als auch staatlich außerhalb des Einflussbereiches des walachischen Fürsten befand. Solche Fehldeutungen haften den meisten Fotos und Bildunterschriften an. In dem Band werden auch Denkmäler aus der Walachei reproduziert. Dabei begnügt sich Axelrod nicht nur mit mittelalterlichen Bauten, sondern bezieht in das Reich Draculas auch das Schloss von Pelesch, die Sommerresidenz der
rumänischen Könige in Sinaia vom Ende des 19. Jh.s, mit ein. Axelrod kommt in seiner Darstellung auch auf die Siebenbürger Sachsen zu sprechen, die mit Vlad dem Pfähler in Konflikt gerieten und der ihre Gebiete mordend und plündernd heimsuchte. Einige Ausführungen über die Sachsen treffen aber nicht zu, so die Behauptung, dass nach der Entstehung der Städte Kronstadt, Schäßburg, Mediasch, Hermannstadt, Mühlbach, Bistritz und Klausenburg die Sachsen ihr Land nicht mehr Transsylvanien, son730 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen dem Siebenbürgen nannten. Ebenso trifft nicht zu, dass die Landessprache Siebenbürgens die Deutsche war. Weil er das annimmr, verwendet Axelrod in seinem Buch die deutschen Ortsnamen. Letzterem ist zuzustimmen, auch wenn das Deutsche nie die Landessprache war, denn in Siebenbürgen benennt jedes Volk die Ortschaften in seiner Muttersprache. Fazit: Nach der Lektüre dieses Buches und der Betrachtung seiner Bilder stellt man leider fest, dass durch die von der historischen Realität losgelöste freie künstlerische Bildgestaltung und Verfremdung ein nicht zutreffender Eindruck über Siebenbürgen vermittelt wird. Zudem kann eine solche Darstellung dazu beitragen, den ungerechtfertigten RufTranssylvaniens als Dracula-Land durch neue Aspekte zu erweitern und den Touristen historische Denkmäler als Dracula-Stätten zu verkaufen, obwohl sie, wie gezeigt, nichts damit zu tun haben. Zudem machen die Illustrationen keinen Unterschied zwischen dem historischen Vald Ţepeş und dem Vampir. Oberasbach Michael Kroner Manóles Barbunēs, Λαϊκές θρησκευτικές τελετουργίες στην Ανατολική και τη Βόρεια Θράκη [Religiöse Volksriten in Nord- und Ostthrakien]. Athen: Poreia Ekdoseis 2010. 501 S„ 30 Abb., 10 Ktn., Musiknoten, ISBN 978-960-7043-81-8 Manolis Vammis, z. Zt. Professor an der Thrakischen Universität in Kontorini, ist einer der produktivsten Nachwuchsvolkskundler in Griechenland und auf diesen Seiten mit seinen Arbeiten, die vor allem der religiösen Volkskunde gewidmet sind, vielfach vorgestellt worden.1 Dieser Themenbereich steht auch in seiner jüngsten Monographie zur Debatte und
bezieht sich auf „Nord- und Ostthrakien“, was im rezenten griechischen Sprachgebrauch jene Teile des historischen Thrakien bezeichnet, die heute auf bulgarischem bzw. türkischem Gebiet liegen. Im Wesentlichen geht es um die Aufarbeitung und Systematisierung histori scher Quellen (vielfach der Flüchtlingsvolkskunde), die sich auf die hellenophone christliche Bevölkerung Süd-, Südost- und Ostbulgariens vor der Aussiedlung nach dem Vertrag von Lausanne 1923 beziehen, und basiert zu einem beachtlichen Teil auf unveröffentlichten volkskundlichen Sammelhandschriften der Universität Athen, der Akademie Athen, des Volkskundlichen Seminars von G.A. Megas (in der Griechischen Volkskundlichen Ge sellschaft), dem Zentrum für Kleinasiatische Studien, der Universität Thessaloniki und der Universität von Thrakien. Zusammen mit der ziemlich umfangreichen Bibliographie über die Volkskultur im historischen Thrakien vor der Aufteilung auf drei verschiedene Staaten lässt sich der Zustand der religiösen Volkskultur in den letzten Jahrzehnten des 19. Jh.s und den ersten des 20. Jh.s materialreich rekonstruieren. Ein Stück historischer Volkskunde also, das eine multiethnische, polylinguale und orthodox-muslimische Agrargesellschaft in einer an sich fruchtbaren, aber von Kriegen und plötzlichen demo graphischen Bewegungen häufig heimgesuchten Region betrifft, in der sich im religiösen Südost-Forschungen 68 (2009) 731
Kunstgeschichte, Volkskunde Bereich neben den Glaubensantagonismen auch bemerkenswerte Interferenzen nachweisen lassen. Darüber gibt die Einleitung Auskunft: Am Anfang stehen Definitionsprobleme (19-34), dann folgt der geographische Raum und seine bewegte demographische Geschichte seit der Jahrhundertmitte des 19- Jh.s (35-47); das Ende bilden Überlegungen zur wirklichen und symbolischen Zeit der Riten (48-60, die revivals der Riten durch thrakische Flüchtlinge im weiteren nordgriechischen Raum werden nicht berücksichtigt). Das erste Kapitel widmet sich den dromena (performativen Riten) im Jahreslauf: Thra kien zählt immerhin zu den interessantesten Zonen der Brauchvolkskunde der gesamten östlichen Balkanhalbinsel.2 Das Material ist nach Jahreszeiten gegliedert: Winter (61-76, surva-Schlagen, Hebammentag), Frühlingsabschnitt (77-109, Schwalbenumzug, Karnevals verkleidungen, kalogeros/kuker/köpe-bey, Judasverbrennung, anastenaria/nestinari), Sommer (110-117, klidonas) und Herbst (118-125, Umzugskamel); hinzu kommen umstandsge bundene dromena (126-138, Regenbittgang).3 Die balkanvergleichende Bibliographie in diesem Abschnitt ist aus „Λαϊκό θέατρο στψ Ελλάδα και στα Βαλκάιηα“ geschöpft.4 Es folgt ein zweites Kapitel zu Formen volksreligiöser Riten im Heortologion (kirchlichen Festzyklus), wo Brauchformen festgehalten sind, die nicht unbedingt direkt performativen Charakter haben. Im Winterabschnitt (139-180) kommen die Weihnachtskalanda (Um zugsformen, Brauchakte, Lied, Geschenk) zur Sprache, aber auch die Neujahrsumzüge und ihre Lieder, die Theophaniebräuche, die
Heiligenfeste des Winterabschnitts. Bei den Früh lingsfesten (181-229) dominieren die beweglichen Feste des Osterzyklus (Lazarusumzüge, Karwochenbräuche, Ostersonntag und Nachosterwoche, Christi Himmelfahrt, rusalienSamstag und Pfingstsonntag) neben den kalendarisch fixierten Heiligenfesten (bes. St. Georg, 1. Mai). Die Sommerfeste (230-239) beginnen mit der Sommersonnenwende (Hl. Johannes) und kulminieren mit der Entschlafung Marias am 15. August. Die Herbsttermine (240-246) umfassen hauptsächlich die Darbringung Marias im Tempel (21. November). Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit magischen und mantischen Volksriten (247286): therapeutische Praktiken, apotropäische Akte, rituelle Handlungen des Aberglaubens (Schadensmagie und ihre Abwehr, Zauberer und Magierinnen), die Vorhersage der Zukunft; ein viertes widmet sich den Volksriten des Naturkults (287-322): Wasserweihe und geheiligte Quellen (hagiasmata), Baumkult (Aufhängen von Stoffstücken der Kleidung von Kranken, Kinderlosen usw., hypsoma der Bäume am Ortsrand bei Litanei-Umzügen gegen Epidemien). Ein fünftes Kapitel ist anlassgebundenen Riten und rituellen Praktiken gewidmet (323384): Tieropfer (mit systematischer Auflistung von 134 Fällen nach Ort, Zeit, Anlass und Quelle), kirchliche Versteigerungen, unblutige Opferhandlungen, Arbeitsverbote, Votiv gaben, Heiligenfeste (panegyria) und ihre Brauchhandlungen, Wallfahrtsriten, Exorzismen und Abwehrriten gegen Wildgetier, Agrarriten (Saat, Ernte, Weinlese, Symbolhandlungen mit Weizenkörnern), Viehzüchterbrauch. Den umfangreichen und gut belegten Band beschließen
eine Zusammenfassung und Epilog (385-398), das Abbreviationsverzeichnis (399-404), die Bibliographie mit den 237 Handschriften (405-436) und der Sekundärliteratur (437-480), Übersichtskarten (481-484) sowie ein Generalindex (485-501, ohne Personennamen von Autoren). Damit liegt ein wichtiges Kompendium für die historische Volkskunde zum quellenmäßig nicht 732 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen leicht erfassbaren türkenzeitlichen Thrakien in seiner letzten Phase vor, an der auch keine balkanvergleichende Studie wird Vorbeigehen können; darüber hinaus ist ein Ubersichtsbild über die religiöse Volkskultur der christlich-orthodoxen Agrarbevölkerung in den zentralen Balkanzonen gewonnen, die zu weiteren Vergleichen lockt. Athen, Wien Walter Puchner 1 SOF58 (1999), 498-500; 63/64 (2004/2005), 625f.; 65/66 (2006/2007), 551£, 796-798, 803f. 2 Vgl. nun Walter Puchner, Akthrakische Karnevalsspiele und ihre wissenschaftliche Verwertung. „Dionysos“ im Länderdreieck Bulgarien - Griechenland - Türkei, in: ders., Studien zur Volkskunde Südosteuropas und des mediterranen Raums. Wien, Köln, Weimar 2009, 177-192, und Anastmaria/ nestinari - Ekstatischer Feuerlauf im Hinterland des Schwarzmeers und der östlichen Ägäis. Anmer kungen zu Geschichte und Rezeption eines Ikonenritus, in: ebenda, 193-212. 3 Vgl. ders., Regenlitanei und Bittprozession im griechischen Umzugsbrauch und ihre balkanischen Querverbindungen, in: ders., Studien zum griechischen Volkslied. Wien 1996, 125-168. 4 Ders., Λαϊκό θέατρο στην ΕΧλάδα και στα Βαλκάνια. Συγκριτική μελέτη. Athen 1989. Giõrgos Bozikas, H συνοικία της Αγίας Μαρίνας στην Ηλιούπολη και το πανηγύρι της. Η καθημερινή ζωή και ταυτότητα της πόλης [Die Nachbarschaft der Hl. Marina in Ilioupouli [Helioupolis] und ihr Kirchweihfest. Alltagsleben und Identität in der Stadt], Vorwort von M. G. Meraklis. Athen: Selbstverlag 2009. 462 S., 11 Abb., 9 Ktn., 1 Tab. Es handelt sich um eine feinfühlige und methodisch systematisch gestaltete
Untersuchung zur Stadtvolkskunde von Athen: die Nachbarschaft der Hl. Marina mit der gleichnamigen Kirche und der Schutzheiligen liegt im Vorort Ilioupoli an den Hängen des Hymettos im Osten der griechischen Hauptstadt, ist Produkt der Landflucht in den Nachkriegsjahren, wo eine vielfach teilhomogene Agrarbevölkerung zur Ansiedlung kam, die wesentliche Strukturen des Landlebens, lokaler Identität und Verwandtschaftsvernetzung, aber auch cha rakteristischer Institutionen des Dorflebens wie Solidaritätsgefühl und Nachbarschaftshilfe neben ihrer neuen bürgerlichen Identität weiterbehalten und kultivieren. Dieses spezifische Identitätsgeflige wird durch die Lokalvereine, die Kirchenvereinigung, durch Umschlagplätze des Gemeinschaftskeitsgefühls wie Kaffeehäuser und Marktwesen noch weiter gestärkt, doch Höhepunkt dieser Gruppenidentifikation ist das Kirchweihfest der Hl. Marina am 17. Juli jedes Jahres mit dem Ikonenumzug der Schutzheiligen dieser Nachbarschaft, dem den kirchlichen Prozessionsritualen zugeordneten Jahrmarktstreiben mit seinen mannigfaltigen ökonomischen und unterhaltenden Funktionen sowie den Separatfesten in den einzelnen Kaffeehäusern mit Musikinstrumenten, Gesang und Tanz. Dies ist auf detaillierte und überzeugende Weise dokumentiert und auf sensible Weise analysiert: Die stark emotionell getönten ländlichen Strukturen des Selbstbewusstseins stehen nicht nur nicht im Gegensatz zum bürgerlich-städtischen Selbstbewusstsein, das sich immer stärker formiert und auch emotionell besetzt wird (Angehörige des Vororts Ilioupoli), sondern ergänzt dieses, ebenso
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Kunstgeschichte, Volkskunde wenig wie das lautstarke kommerzielle Jahrmarktstreiben mit dem Überfluss an Waren, Angeboten, Konsumption und Schaustellungen letztlich nicht im Gegensatz steht zum ekklesialen Inhalt des Kirchweihfestes der Hl. Marina und ihrer Ikonenverehrung, sondern nur die andere Seite derselben religiösen Manifestation bildet.1 Die quellenmäßig ausgezeichnet belegte und mit einer Fülle theoretischer Literatur dicht gearbeitete Dissertation, die mit einem zusammenfassenden Vorwort von Michalis G. Meraklis beginnt, schneidet schon in der Einleitung eine Fülle von Themen an, die Urban- und Agrarsoziologie, die Sozialanthropologie und die Stadtvolkskunde betreffen: das städtische Kirchweihfest կ/anegyri) als Forschungsgegenstand, das spezifische Selbstbewusstsein der Bewohner von Agia Marina, die Zeit als zyklischer (Agrarbewusstsein und Kirchenjahr) und als linearer (bürgerliches Alltagsleben) Ablauf - im Uhrturm der Kirche fallen beide zusammen, das spezifische Kirchweihfest und seine Erforschung, fieldwork. Der erste Teil zur Geschichte der Nachbarschaft (103-130) geht auf ihr Entstehen ein: wie die Leute zu den Grundstücken kamen, wie gebaut und gesiedelt wurde (Reproduktion von Dorfstrukturen), wie sich das Leben der Bewohner gestaltete, Siedlungsstrukturen als Ausdruck sozialer Ungleichheit, kulturelle Strukturierung des Siedlungsraums, Siedlungs raum und koUektive Erinnerung. Der zweite Teil geht spezifischer auf die Nachbarschaft von Agia Marina und ihr Alltagsle ben ein (131-238): Raumverteilung, Grenzen, Name, Straßen und Plätze, Kommunikation, auf
Wirtschaftsgegebenheiten wie dem Markt, die informelle Ökonomie, die fliegenden Märkte und Bazare, die Bewohner, auf die sozialen Strukturen wie die agrarische Vergan genheit der Bevölkerung, die Landflucht und die Ansiedlung in der Stadt, den Hausbau und die Raumplatzierung, Nachbarschaft und verwandtschaftliche Vernetzung, auf die lokalen Vereine und ihre Aktivitäten, den Alltag zwischen Kaffeehaus, Arbeit und Veranstaltungen, das religiöse Leben mit der Kirchengründung und dem Kirchenbau, ihrer symbolischen Funktion, Privat- und Familienkapellen, zum Gemeinschaffsbewusstsein der Bewohner (bürgerliches und agrarisches Bewusstsein in ungetrübter Parallelität), zum spezifischen Charakter des Vorortes Ilioupoli. Der dritte Teil der Monographie bringt dann den Hauptteil der Arbeit: das Festleben (239-367): die Stellung des Kirchweihfestes der Hl. Marina im Heortologion (Festzyklus des Kirchenjahrs), Begriff und Gattung des panegyri (Gemeinschaffsfest und kommunikatives Ereignis, das Fest als Nicht-Alltag mit Steigerung der Vitalmanifestationen, Sinn und Sym bol, morphologische Polyphonie), der Festablauf, das kirchliche Heiligenfest: Raum, Zeit, Lehre, der Ikonenumzug, die Verehrung der Ikone, die Litanei und die Organisation der Prozession, Umzugsweg, Organisation usw., das kommerzielle Heiligenfest: der Jahrmarkt, soziale und ökonomische Manifestationen, das Gemisch von Eigenem und Fremdem, die Rolle des Markttreibens, kollektive Erinnerungen, die Unterhaltung: gemeinsame Schau stellungen, Feiern in den Kaffeehäusern (Musik, Tanz, Gesang, Konsumption). Neben dem panegyri
der Hl. Marina gibt es auch noch die Feste der lokalen Vereinigungen, die bereits reflexiv-didaktischen Charakter haben: Rememorierung der Vergangenheit im Her kunftsort, Hervorheben der Wichtigkeit der lokalen Traditionen in der Zeit der Globalisie rung usw. 734 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Es folgt noch die Zusammenfassung der Ergebnisse (369-374), in einem Anhang (375-402) Karten, Diagramme, Fotografien, ein English summary (403-408) und eine ausführliche Bibliographie (ab 409) mit Archivquellen aus der Gemeinde Ilioupoli, Quellen zur Lokalgeschichte, Zeitungen und Periodika usw. sowie der Sekundärliteratur. Allein die Bibliographie umfasst mehr als 50 Seiten. Trotzdem ist jeder Anstrich steriler akademischer Erudität vermieden; die Arbeit, voll der Einsichten und treffender Formu lierungen, einfühlender Beobachtungen und vorsichtigen und kritischen Umgangs mit dogmatischen Modellen der struktural-funktionalen Sozialanthropologie, ist flüssig zu lesen und ein bleibender Gewinn der griechischen Stadtvolkskunde, die nach Maßgabe der eher oberflächlichen Verbürgerlichung der Bewohner der Urbanzentren immer auch ein Auge auf das parallele unterschwellige Weiterleben agrarwirtschaftlicher Gewohnheiten und Mentalitäten haben muss. Athen, Wien Walter Puchner 1 Zur gleichzeitigen Koexistenz verschiedener Wertsysteme, Weltbildung, Lebenseinstellungen, Verhaltensweisen usw., ohne logische Widersprüchlichkeit, je nach dem jeweiligen Handlungs- und Denkkontext, in der griechischen Volkskultur vgl. auch Walter Puchner, Θεωρητική Λαογραφία. Athen 2009, 356-358. Arsen Duplančić, Splitske zidine u 17. і 18. stoljeću [Die Mauern von Split im 17. und 18. Jahrhundert]. Zagreb: Ministarstvo kulture, Uprava za zaštitu kulturne baštine 2007 (Mala biblioteka Godišnjaka zaštite spomenika kulture Hrvatske, 13). 76 S., ISBN 978-953-6240-63-0 Die vorliegende Arbeit des
als Historiker am Archäologischen Museum in Split tätigen Arsen Duplančić über die Befestigungsanlagen Splits im 17. und 18. Jh. ist hervorgegan gen aus einer gründlichen Erforschung archivalischer Quellen. Darüber hinaus bietet das Buch reichhaltiges und überaus ansprechendes Bildmaterial, das aus nicht weniger als 82 historischen Zeichnungen, Plänen und Karten Splits besteht. Seine Geschichte der historischen Befestigungsanlagen beginnt Duplančić mit einer Darstellung der ältesten erhaltenen Karten der Stadt Split von Girolam Santacroce (1549), Martin KolunićRota (1570) und Giovanni Francesco Camoti (um 1571), deren Stadtpläne deutlich zeigen, dass sich die damaligen Verteidigungsanlagen noch immer auf die antiken Befestigungsmauern stützten, einschließlich der 16 Wehrtürme des Diokletianspalastes. Bereits seit dem Fall des benachbarten Klis im Jahre 1537 an die Osmanen betonten die venezianischen Bauingenieure und Verwaltungsbeamten die Verwundbarkeit der Stadt im Falle eines osmanischen Artellerieangriffs. Der Senat Venedigs konzentrierte sich von 1541 an auf die Modernisierung der Befestigungsmauern der zu jener Zeit wichtigsten Häfen auf der östlichen Seite der Adria: Zadar, Šibenik, Kotor und Korfu. Die dortigen Befestigungsanlagen wurden nach den militärarchitektonischen Grundsätzen der trace Südost-Forschungen 68 (2009) 735
Kunstgeschichte, Volkskunde italienne in sternförmige spitzzackige Festungsanlagen ausgebaut, deren Grundrisse mas sive Außenmauern hinter breiten Gräben vorsahen. Zwischen 1540 und 1561 investierte Venedig 250.000 Dukaten in die dalmatinischen Befestigungsanlagen, wobei der größte Teil (144.000 Dukaten) auf Zadar entfiel. Im Gegensatz zu den Wehrmauern von Zadar, die alև moderna zu Beginn der 1590er Jahre entstanden, zeigen die erhaltenen Pläne der übrigen dalmatinischen Städte eine nur langsame Modernisierung bis zum Ausbruch des Kandischen Krieges um den Besitz von Kreta (1645-1669), in dessen Folge es zu eiligen Anstrengungen in Bezug auf den Ausbau der Fesmngsanlagen kommt. Die Bürger von Šibenik beispielsweise entschlossen sich erst nach Beginn des erwähnten Krieges zu ersten Baumaßnahmen. Bis dahin war die Stadt nur schwach durch die an der Meerseite gelegene und nach dem Hl. Nikolaus benannte Festung gesichert. Im Sommer des Jahres 1647 begannen die Bürger von Šibenik eiligst die über der Stadt gelegenen dominanten Befestigungsanlagen Sveti Ivan und Barone zu bauen. Dank der nicht minder großen Anstrengungen seiner Bürger und den eilig erbauten und nach außen gerichteten Festungsmauern gelang es auch Trogir 1646, der drohenden türkischen Eroberung zu widerstehen. Der Chronist und Historiker Franjo Difnik beschrieb Trogir seinerzeit als eine der am besten befestigten dalmatinischen Städte. Der Ausbruch des Kandischen Krieges und die Ankunft des bosnischen Pascha im na hegelegene Livno rief sowohl in Split als auch im Kriegsrat Venedigs große Nervosität, ja Panik
hervor. Es wurde sogar erwogen, das schlecht befestigte Split ganz aufzugeben und vor dem Verlassen niederzureißen. Im Dienste Venedigs stehende Militärs und Ingenieure wie Nikola Kandid und der aus Frankreich stammende Antoine de Ville, ebenso wie die Generalprovidure Antonio Pisani und Alviso Zorzi, fingen erst unmittelbar vor Kriegs ausbruch an, Split zu befestigen. Hauptsächlich geschah dies durch das Niederreißen von fünf alten römischen Wehrtürmen des Diokletianspalastes, deren Steine zum Bau einiger Befestigungspunkte vor den eigentlichen Stadtmauern verwendet wurden. Die ersten Siege des venezianischen Statthalters Leonardo Foscolo im Kandischen Krieg auf dem dalma tinischen Kriegsschauplatz und die Aktivitäten des Ingenieurs (und Geistlichen) Antoni Leni, der begonnen hatte, sowohl das zentrale Stadttor als auch die vor den Mauern der Stadt gelegenen Klöster der Franziskaner und Dominikaner wie auch den Hügel Gripe oberhalb der Stadt zu befestigen, trugen erheblich zur Beruhigung der Bürger von Split bei und animierten sowohl die lokalen als auch die zentralen Behörden, den Ausbau eines ganzheitlichen Festungssystems aUa moderna in Angriff zu nehmen. Die anspruchsvolle Bautätigkeit setzte im Mai 1656 mit der Ankunft des Generalprovidurs Antoni Bernardo ein, der begann, die Stadt nach dem Plan des Militäringenieurs und Generals Camillo Gonzaga grundlegend zu befestigen. Gonzagas Nachfolger, Inno cento Conti, änderte den Plan nur unwesentlich. Das Idee war die einer durch drei starke Bastionen und zwei Halb-Bastionen geschützten Stadt. Die systematische Umsetzung
des Plans von Gonzaga/Conti begann schließlich mit Bernards Nachfolger Andrea Cornerò, der in der Zeit seines Dienstes in Split (1660-1662) eine zentrale, zur Landseite gerichtete nördliche Befestigungsanlage errichtete, die den Eckstein der gesamten Stadtverteidigung bildete. Comeros Nachfolger wiederum, Girolamo Contarini (1662-1664), bzw. sein In genieur Giovanni Lobatiere, begannen sogleich mit dem Bau der ebenso großen östlichen 736 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Verteidigungsanlage, die nach dem Hl. Hyronimus (Sv. Jerolim) benannt und gleichzeitig mit der Bastion Corners wie mit der an der Hafeneinfahrt gelegenen Festung Bačvice ver bunden wurde. Contarinis Nachfolger Cattarino Corner (1664-1667) vollendete mit Hilfe des Ingenieurs Tomas Moretti und des erwähnten Loubatier die Anlage nach Norden wie auch die geplanten beiden Halb-Bastionen, die am Meer gelegen und einander diametral gegenübergestellt an den beiden Endpunkten der Befestigungsmauern vorgesehen waren und das große Hafenbecken der Stadt schützen sollten. Am östlichen Ende der Stadt befestigten sie die Anlagen zusammen mit der Bastion Contarini, Quarantänestation und städtisches Lazarett, das bis zum Krieg einer der zentralen Umschlagplätze im Balkanhandel zwischen Venedig und dem Osmanischen Reich gewesen war. Corneris Nachfolger, Antonio Priuli (1667-1669), erbaute die fünfte und letzte, nordwestlich gelegene Bastion, Priuli genannt, welche die Stadtmauern vollends zur Landseite hin sicherte. Der Bau dieser sternförmigen und im Halbkreis angeordneten barocken Festungsanla gen Splits mit den drei großen Bastionen und den zwei Semi-Bastionen erforderte große Anstrengungen in vielerlei Hinsicht, nicht nur finanziell. Der Verfasser vergleicht den Bau gar mit dem Bau des Diokletionspalastes. Die Finanzierung wird in einem gesonderten Kapitel dargestellt. Es werden Beispiele zitiert, die belegen, dass Bürger der Stadt testamen tarisch verfügten, dass bestimmte Geldsummen für den Befestigungsbau verwendet werden sollten. Ebenfalls wird dokumentiert, wie der
Staat sich am städtischen Getreide bediente (fontico) und Salz- und Pfandhäuser besteuerte, um an Geld zu kommen. Arbeiter aus dem ganzen dalmatinischen Hinterland wurden verpflichtet, beim Festungsbau mitzuwirken, einschließlich der Zwangsarbeit der Galeerenruderer. Weiterhin stellt Duplančić detailliert dar, wie viele Gebäude, einschließlich sakraler Bauwerke wie Kirchen und Moster, niedergerissen wurden, um Platz für die Befestigungs anlagen zu schaffen. Seine Schlussfolgerung lautet, dass diese große Investition eine schwere Belastung der städtischen Wirtschaft darstellte und alle Schichten der Bevölkerung schwer in Mitleidenschaft zog. Nach der Rückeroberung von Klis 1648 gelang es den Osmanen nicht mehr, sich in der unmittelbaren Nähe von Split festzusetzten, was schnell zu einem Erlahmen des Interesses führte, den Bau der Festungsanlagen weiterzuführen bzw. vollends zu beenden. Die Stadtansichten des Ingenieurs Zorzio Calergio von 1675 und von Napoliono Francesco Erauto aus dem Jahr 1682 zeigen, ebenso wie viele spätere Zeichnungen und Pläne aus dem 18. Jh., dass die Bastionen nur teilweise mit Erde aufgefüllt wurden. Manche Teile der Anlagen begannen zu verfallen und der Raum zwischen den beiden Ver teidigungszonen wurde nach und nach privatisiert. Bis zum Jahr 1770 wurden zahlreiche neue Häuser in der Zone zwischen Diokletianspalast und den barocken Festungsmauern erbaut, ebenso wie Gärten und Flächen zur Bepflanzung mit Maulbeerbäumen vorgesehen waren, um die Seidenproduktion anzukurbeln. Wenngleich die Festungsmauern den Fall Venedigs wie auch die Zeit der
ersten öster reichischen Verwaltung (1797-1805) überlebten, begann die französische Stadtverwaltung (1806-1813) damit, sie einzureißen, um mehr Licht und Luft in die Stadt zu bringen und zusätzliche Flächen für Gärten und Parks zu schaffen. Durch Beschluss der österreichischen Verwaltung vom 11.7.1845 wurde Split zur offenen Stadt erklärt. Danach setzte der syste matische Prozess des Abbaus der Stadtmauern ein, der sich insbesondere in der ersten Hälfte Südost-Forschungen 68 (2009) 737
Kunstgeschichte, Volkskunde des 20. Jh.s aufgrund der Erfordernisse des modernen Verkehrs intensivierte. Heute sind nur noch die Festungsanlage Gripe und Teile in den Stadtvierteln Sustjepan und Bačvice erhalten sowie bescheidene Reste der ehemaligen Haupt-Bastionen. Zum Schluss sei nochmals hervorgehoben, dass es sich auch um ein optisch sehr an sprechendes Buch des Spliter Historikers Arsen Duplančić handelt, das seinen Lesern den bestmöglichen Einblick vermittelt in den Entwicklungsprozess der frühneuzeitlichen Ver teidigungsarchitektur Splits und gleichzeitig einen großen Beitrag zur Erforschung der sich zu jener Zeit revolutionär ändernden militärischen Bautätigkeit in ganz Dalmatien leistet. Split Josip Vrandečić Angelike Hatzèmichaijê, Σαρακατσάνοι. Τόμος I [Sarakatsanen. Bd. 1]. Hg. Tatiana Athen: Hatzēmichalē-Stiftung 2007. 381 S., 55 Abb., Statistiken, Km., ISBN 978-960-87697-4-8 Iõannu-Giannara. Die von den Erben der großen Dame der Griechischen Volkskunstforschung ins Werk gesetzte Neuauflage des vor einem halben Jahrhundert (1957) erschienenen Monumental werkes zu den Sarakatsanen in Griechenland ist aufgrund des seltenen Bildmaterials der alten Fotografien aus verschiedenen Museen und Sammlungen (Fotoarchiv des Benaki-Museums, des Volkskunde-Museums der Sarakatsanen, der Vereinigung der epirotischen Sarakatsanen in Athen usw.) zu einem Schauband von seltener Güte geworden, dem noch ein Folgeband hinzugefügt werden soll, der sich mit der inzwischen reichhaltigen Bibliographie zu diesen transhumanten Wanderhirten über die ganze Balkanhalbinsel hinweg
auseinandersetzen soll. Doch allein schon die Wiederzugänglichmachung dieses Grundlagenwerkes für die Transhumanzforschung in Südosteuropa ist ein bemerkenswerter Schritt, vor allem aufgrund der von Hatzimichali in lebenslanger Feldforschung selbst erarbeiteten und erfragten Statistiken und Wanderwege zwischen Sommer- und Winterweiden. Davon ist in rezenter Wirklichkeit wenig geblieben. Schon in der Zwischenkriegszeit hat die Sesshaftwerdung als signifikanter demographischer Prozess eingesetzt, der, wie Hatzimichali selbst bemerkt, die Statistiken bis zu einem gewissen, damals noch geringen Prozentsatz beeinflusst hat. So können sich ihre Angaben aus der Peloponnes, Festgriechenland und Thessalien, Epirus, West-, Zen tral- und Ostmakedonien und Westthrakien noch auf 2.890 Hürden mit 10.604 Familien stützen, die einen Viehbestand von insgesamt 1.729.141 Schafen und Ziegen aufwiesen. Am Text und an den Fußnoten wurde nichts geändert. Auch die Bibliographie ist in der ursprünglichen Form belassen worden. Alles andere hätte zu tiefgreifenden Änderungen geführt. Bloß die Reihenfolge der Kapitel wurde in eine leserfreundlichere Abfolge gebracht. Die Fußnoten sind nun in margine am Seitenrand zu lesen, was das Großformat auch zu einem Breitformat hat werden lassen. Die Einführung der Herausgeberin (13-18) bringt auch ein Werkverzeichnis der Autorin, die dieses (nicht abgeschlossene) Grundlagenwerk nicht lange überlebt hat. Es folgt die Einleitung der Autorin (19-26), die die Sarakatsanen 738 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen noch als Nomaden und Seminomaden bezeichnet, während die geregelten Wanderwege eher den Ausdruck Transhumanz nahelegen. Auf diesen Seiten beginnt schon der Schaugenuss der seltenen Fotografien aus der Zwischenkriegszeit, die in „gereinigten“ und vergrößerten Reproduktionen aufgrund ihres Aussagewertes über eine heute verlorene Materialkultur und einen nicht mehr dokumentierbaren Lebensstil beeindrucken. Das erste Kapitel ist der geographischen Ausbreitung der Sarakatsanen gewidmet (27-66) und geht auf die Details der Pendelbewegungen zwischen Sommer- und Winterweiden ein, auf das Leben zwischen Almwirtschaft und den winterlichen Ebenen. Noch bis zu Beginn des 20. Jh.s spielten die Staatsgrenzen keine gravierende Rolle für die Beschränkung der Wanderbewegungen; erst die Phase 1925-1931 führt zur Reduktion der Mobilität auf das griechische Staatsgebiet. Diesen Wanderbewegungen ist das folgende Unterkapitel gewidmet, das auf die Karte am Ende des Bandes verweist. Ein weiteres Unterkapitel geht auf die demographischen Gegebenheiten der Einzelgebiete ein (statistische Angaben aus der Literatur und aus eigener Abfragung). Es folgt ein Kapitel zur ethnischen Identität der Sarakatsanen (67-78), das eine umfangreiche Auseinandersetzung mit der bisherigen Literatur bringt (Stand 1957); hier ist seither vieles nachzutragen. Eine ähnliche Diskussion mit der bisherigen Literatur bringt das Kapitel zur Namensgebung (79-86): Hatzimichali lehnt alle (z. T. phantasievollen) Etymologien ab, ohne zu einem eigenen Ansatz vorzu stoßen. Das hat gute Gründe: in einem eigenen
umfangreichen Unterkapitel geht sie auf die lokalen Namensgebungen ein (87-110), die z.T. bedeutende Unterschiede aufweisen. Mit einem weiteren Literaturbericht beginnt auch das folgende Kapitel zur belegbaren Geschichte der Sarakatsanen (111-136); hier sind ebenfalls eine Reihe von mündlichen Berichten zusammengetragen. Damit sind die reinen Einführungskapitel abgeschlossen. Das erste Hauptkapitel wendet sich, gemäß der Interessenlage der Forscherin, der Volkskunst der Sarakatsanen zu (137-178). Hier lässt sich ein bedeutender Unterschied zu den anderen transhumanten Ethnien wie „Alachen“, Kutzovlachen, Ammunen usw. feststellen sowie eine gewisse morphologische Homogenität trotz aller Isoliertheit der Gruppen untereinander: in Hütten- und Zeltbau, Holzschnitzerei, Motiven der Web-, Strick- und Stickkunst, bei Gebildbroten, in Techniken der Wollherstellung und -bearbeitung, bei der Kleidung usw. Das Hauptkapitel des Bandes bildet freilich das Kapitel zum „Geistesleben“ und zur Sozialstruktur (179-252): Heilige, Dämonen, Sagengestalten, Mantik, Tieropfer, Schulterblattorakel, Jahresfeuer, Festkalender und Bräuche usw. werden behandelt. Von besonderem Interesse sind die kirchlichen Feste der Orthodoxie, da die Wanderhirten über keinen geistlichen Beistand verfügen und das Heilsgeschehen vielfach für sich selbst „inszenieren“ und darstellen (Weihnachten, Erwe ckung des Lazarus, Karwoche, Osterkreis). Daneben sind die Karnevalsperiode und der Beginn der Quadragesima markante Festtermine. Auch auf die Lebenslaufbräuche wird kurz eingegangen: Geburt, Namensgebung, Hochzeit, Tod
und Grabbräuche, Trauerfristen. Es folgen Angaben zu Liedern und Flötengebrauch, zu Tänzen, zu den Kontakten mit den Behörden, zu Schwierigkeiten mit dem Schulbesuch der Kinder. Den Band beschließen eine ausführliche Bibliographie (253-268), ein umfangreicher Anhang mit statistischen Tafeln zur Demographie, Diffusion und Transhumanz der Sa rakatsanen (269-354), geordnet nach geographischen Kriterien, zur Gänze aus eigenen Südost-Forschungen 68 (2009) 739
Kunstgeschichte, Volkskunde Feldforschungsabfragungen erarbeitet, mit namentlichen Angaben der Hürdenbesitzer, der Anzahl der Familien, des Viehbestands, der Lage der Zeltsiedlung in Winter- und Sommer weiden, ein ausführliches Register von termini technici, Wörtern und Sachen (355-363), Namen, geographischen Bezeichnungen und toponymica (364-377), zwei Karten zu den Transhumanzbewegungen im Gesamtbalkanraum und im griechischen Staatsgebiet (378f.) sowie ein Abbildungsverzeichnis. Der Text dieses Einführungsbandes 1st nicht frei vom Staub der Geschichte in Gestalt einer gewissen neoromantischen Attitüde und historischen Ethnozentrik, die den Geist der Zwischenkriegszeit widerspiegelt. Von unschätzbarem Wert sind jedoch die statistischen Angaben zu fast 3.000 namentlich bekannten Hürden, in denen mehr als 10.000 Familien gelebt haben, mit exakten Angaben zu Winter- und Sommerweiden, die auch die jährlichen Pendelbewegungen derTranshumanz festlegen. Diese Feldforschungsleistung ist in der Folge nicht wieder erbracht worden, auch nicht von G. B. Kavadias’ strukturalistischem Ansatz,1 und können in der Folge auch nicht mehr erbracht werden, da die Welt der Wanderhirten zu einem Großteil der Vergangenheit angehört. Athen, Wien Walter Puchner 1 Pasteurs-Nomades Méditerranéens. Les Saracatsans de Grèce. Paris 1965. Thede Kahl, Για την ταυτότητα των Βλάχων. Εθνοπολιτισμικές προσεγγίσεις μιας βαλκανικής πραγματικότητας [Zur Identität der Vlachen. Ethnokulturelle Annä herungen an eine balkanische Realität]. Übers. St. Bulaskis. Athen: Bibliorama 2009 (Studienreihe des Zentrums für
Minderheitsgruppen, Folge II/2). 369 S., 23 Abb., 6 Km., 1 Faltkt., ISBN 978-960-8087-82-8 Thede Kahl hat einige seiner Vlachen-Studien ins Griechische übersetzen lassen und mit einer neuen Einleitung versehen. Damit kommt er einem Trend entgegen, der in den letzten Jahren immer stärker Gestalt annimmt und ein steigendes wissenschaftliches Interesse an ethnischen und religiösen Minderheiten spiegelt. Ein Vorzug des Buches ist es, sich nicht auf das griechische Staats territorium zu beschränken, sondern den gesamten Balkanraum ins Auge zu fassen. Die Einzelbeiträge sind in jeder Hinsicht überaus akribisch gearbeitet, und ein Anhang, neben den Verbreitungskarten, mit einem Katalog und detaillierten Angaben über die Vlachensiedlungen in Griechenland, Albanien, FYROM und Bulgarien geben ein exaktes Bild über den demographischen Stand der Diffusion latinophoner Bevölkerungs gruppen im Balkanraum. Auch die historische Frage wird angeschnitten sowie Fragen der Akkulturation in Griechenland und Rumänien. In einem Prolog weist der Verfasser daraufhin, dass es wissenschaftlich exakter wäre, den unscharfen Begriff des „Vlachen“ zu vermeiden (der auch allgemein Viehhüter, ungehobelte Dorfbewohner usw. ohne ethnische Charakterisierung bezeichnet) und ihre Eigenbezeich nung als Armänj oder Rrämäni (also Armanen statt Ammunen, dass, im Griechischen) zu 740 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen verwenden, die wie das neugriech. Ρωμιοί von lat. Romani (griech. Ρωμαίοι) stammt, obwohl die von Gustav Weigand eingeführte Bezeichnung in die Lexika eingegangen ist. Kapitel 1 und 7 wurden von Thede Kahl auf Griechisch verfasst, die Kapitel 2-4, 10 und 11 auf Deutsch, Kapitel 5 und 6 auf Englisch und Kapitel 9 auf Bulgarisch. Kapitel 1, „Einleitung in die Identität der Vlachen“ (15-60), wurde speziell für diesen Band verfasst (Teile von Kapitel 5 in der englischen Version wurden in den Text einge gliedert). Es geht um Termini, neuere Literatur, Verbreitung, Demographie, Statistiken und Geschichte, Assimilation und Akkulturation. Im Allgemeinen lassen sich folgende Phasen unterscheiden: bis zum 16. Jh. Koexistenz der Sprach- und Berufsgruppe in den Gemeinden der orthodoxen Christen auf dem Balkan der Türkenzeit, 17.-18. Jh. Anfänge der sprachlichen Hellenisierung, bes. in den Städten, Anfang 19. Jh. autonome Bewe gungen der Armanen und Bewusstwerdung ihrer Latini tat in der Diaspora, Mitte 19. Jh. Einflüsse des rumänischen Nationalismus, armanisch-rumänische Bewegung, Ende 19. Jh. griechisch-rumänischer Antagonismus in der Armanenfrage, Anfang 20. Jh. Akkulturation in die Nationalstaaten, doch weiterhin Diskussion um die armanische Identität in Kreisen der Diasopa, Ende des 20. Jh. Renaissance der armanischen Identität in den ehern, sozi alistischen Staaten der Balkanhalbinsel. Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit der heutigen Situation. Kahl unterscheidet folgende Identitätsgruppen: die Gräkomanen (die größte Gruppe in Griechenland, ohne spezifisches
Interesse einer spezifischen Sprachpfle ge), die „Rumänisierenden“ (die größte Gruppe in Rumänien, Armanisch als rumänischer Dialekt wie in Istrien, bei den Meglenovlachen usw.) und die bewussten Vlachen (vor allem im südslawischen Raum und in Albanien mit Bewusstsein einer eigenen Volksgruppe, Ethnogenesetheorie der Abstammung von den Pelasgern); daneben gibt es noch kleine Gruppen von Assimilierten, Uninteressierten und mit fluktuierenden Identitätsmustern. Diese Identitats- und Bewusstseinsfelder spiegeln die lokalen Organisationen wider: in Griechenland, Albanien, FYROM, Bulgarien, Serbien, Rumänien und der Diaspora. Ein Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen gibt sich vorsichtig: die Spaltung in Gräkophile und Rumanophile scheint keineswegs überwunden — die griechischen Vlachen geben sich im Allgemeinen besonders loyal und gelten vielfach als die „besten Griechen“, im Gegensatz zu den in Rumänien lebenden Vlachen. Trotz der Sicherung der Minderhei tenrechte ist das Überleben eines spezifischen Bewusstseins und der gesprochenen Sprache keineswegs garantiert. Der Autor rät von dem vielfach pejorativen Gebrauch des Terminus „Vlache“ ab. Kapitel 2 (61-104) stellt eine griechische Übersetzung des Artikels „Sprache und Intention der ersten aromunischen Textdokumente, 1731-1809“ dar.1 Die ersten Sprachdokumente aus Mochopolis werden in den historischen und kulturellen Kontext eingereiht und sprachwissenschaftlich untersucht. Es geht vorwiegend um das Lexikon von Anastasios Kavalliotis 1770, das Alphabetarium von Constantin Ucuta 1779, die Didaskalia von Daniel
Moschopolitis 1802 und die Lesefibel von Gheorghe Roja, neben anderem auch um die „Romanische, oder Macedonowlachische Sprachlehre“ von M. G. Bojadschi 1813. Kapitel 3 (105-128) ist eine Übersetzung der Studie „Die Zagori-Dörfer in Nordgrie chenland: Wirtschaftliche Einheit — ethnische Vielfalt“.2 Hier steht wieder das geogra phisch-demographisch-ethnographische Interesse im Vordergrund: Dörfer, Statistiken, die Südost-Forschungen 68 (2009) 741
Kunstgeschichte, Volkskunde „Vereinigung“ der Zagoridörfer 1684-1868, Viehwirtschaft, ethnische Zusammensetzung, Gelehrte in der Diaspora, die heutige Situation. In Kapitel 4 (129-148)3 geht es um die Forschungsaufenthalte des Leipziger Univer sitätsprofessors in Griechenland und seine einschlägigen Monographien und Artikel, die sowohl in Griechenland wie auch in Bulgarien und Rumänien vorwiegend negativ rezipiert worden sind. Kapitel 5 (149-178) bestand zuerst in englischer Version: „Arom ani ans in Greece: Vlach minority of Vlach-speaking Greeks?“4 Der flüssige Zustand der armanischen Identität in Griechenland ist schwer pauschal zu beschreiben: namhafte Freiheitskämpfer und Stifter persönlichkeiten des 19. Jh.s (Sina, Dumba, Zappa, Averof u. a.) sind „Vlachophone“, ohne dies je besonders betont zu haben, und die gegenwärtige Situation bietet wenig signifikante Ansatzpunkte der Interpretation: Die „Armanen“ Griechenlands weigern sich vielfach, als Minderheit anerkannt zu werden, und der Sprachschwund der nicht unterrichteten und kaum geschriebenen Sprache hat zu einem Zustand geführt, bei dem man korrekter von „hellenophonen Vlachen“ sprechen könnte. Dies spiegelt auch das folgende 6. Kapitel (163-178): „Being Vlach, singing Greek. GreekAromanian Music Contacts in the Pindus Mountain Range“,5 wo es um Liedaufnahmen, Musikinstrumente, Rhythmen und Tänze geht, sowie die Zweisprachigkeit der Lieder. Ähnlich ist auch das Thema des 7. Kapitels: „Musik- und Tanztradition der Armanen des Nordpindus und ihre Einflüsse auf die balkanische Diaspora“ (179-193).6 Das 8. Kapitel
(195-232) wechselt das Thema: „Zur Islamisierung der meglenitischen Vlachen (Megleno rumänen): Das Dorf Nanti (Nótia) und die ,Nantinets‘ in der heutigen Türkei“.7 Die in Ostthrakien (Europ. Türkei) wiederentdeckte Bevölkerungsgruppe wird nach Selbstbezeichnung, Auswanderungsgeschichte, Islamisierungsvorgängen, Bevölke rungsaustausch usw. untersucht, das heutige Dorf nach demographischen und sprachlichen Gesichtspunkten analysiert, auch Wirtschaft, Siedlungsform, Volkskultur, Identitätsmuster usw. werden tangiert. Ähnlich ist das Thema des vorletzten, neunten Kapitels (233-263): „Identitätsselektion bei den Vlachen Bulgariens“.8 Auch hier basiert der Artikel bei den „Vlasi“ auf Feldforschungs ergebnissen: Der Zuzug erfolgte im 18. Jh. aus dem Raum von Epirus und Makedonien, mit dem Bevölkerungsaustausch nach 1913 siedelten sie sich vielfach in Nordgriechenland an bzw. im Zeitraum von 1926-1932 in Rumänien. Die Identitätsmuster der in Bulgarien verbliebenen Vlachen bildet den Hauptteil der Studie (Vereine, Periodika usw.). Das letzte Kapitel (265-278) hat den Titel: „Offene Fragen der Erforschung des Aromunischen und seiner Dialekte“.9 Ein umfangreicher Anhang (279-334) orientiert katalogartig über die Einzelsiedlungen; die Angaben sind aufgeschlüsselt nach Namen, Höhenlage, vlachischer Bezeichnung, Be völkerungsanteil der Vlachen und Kurzbeschreibung der Siedlungsform. Auf der großen Faltkarte sind alle diese Ortschaften eingezeichnet, durch Symbole aufgeschlüsselt nach ausschließlicher vlachischer Bevölkerung, bedeutendem und unbedeutendem Bevölke rungsanteil, in der
Vergangenheit, ohne, verlassene Ortschaften, mit im Laufe des 19. und 20. Jh. assimilierter vlachischer Bevölkerung. Den hochinteressanten Band beschließt eine umfangreiche Spezialbibliographie (335-368). 742 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Damit liegt auch der griechischen Leserschaft eine zuverlässige Übersicht über eine komplexe Situation vor, die freilich eher im Unterbewusstsein der Öffentlichkeit und der Tagespolitik bleibt, denn in den meisten Fällen kann man am ehesten noch von einer Doppelidentität sprechen und die „Minderheit“, die gar nicht so genannt sein will, hat ihre Sprache mehr oder weniger aufgegeben. Umso wichtiger sind die wissenschaftlichen Bestandsaufnahmen und der verantwortliche scientific transfer, der die journalistischen ad hoc-Urteile der jeweiligen Aktualität, gemessen und gefiltert nach den Einschaltquoten, in die Schranken weisen sollte. Athen, Wien Walter Puchner 1 Festschrift für Gerhard Birkfellner. Berlin 2006, 245-266. 2 Ethnologin Balkanka 3 (1999), 103-119. 3 Übersetzung von Gustav Weigand und Griechenland: Von den Schwierigkeiten einer Rezeption, SOF 61 (2003), 101-113. 4 Minorities in Greece. Historical Issues and New Perspectives, History and Culture ofSouth Eastern Europe. An AnnualJournal 5 (2003), 205-219. 5 Proceedings of the Third Meeting of the Study Group „Music and Minorities“. Zagreb 2006, 111-131. 6 Zuerst in Griechisch vorgetragen als einschlägiges Konferenzreferat in Vovousa bei Ioannina 2004. 7 Zeitschriftfür Balkanologie 38 (2002), 31-55· 8 Aus dem Bulgarischen übersetzt, in Bälgarska Ethnologin 1 (2001), H. 1, 5-25, veröffentlicht. 9 Jazyki i dialekty małych etničeskich grupp na Bałkanach. Sankt-Peterburg, München 2004, 156-167. Geőrgios Ch. Kuzas, Ελληνική Λαογραφική Εταιρεία. Η ιστορική διαδρομή της (1908-2008) [Die Griechische
Volkskundliche Gesellschaft. Ihr historischer Werdegang 1908-2008]. Athen: Hellēnikē Laographikē Hetaireia 2009. 268 S., Abb., ISBN 978-960-89854-2-1 Zum 100-jährigen Jubiläum der Griechischen Gesellschaft für Volkskunde (Société Hellénique de Laographie - der unübersetzbare Neologismus von Nikolaos Politis ent spricht in etwa der deutschen Volkskunde als Integrationsbegriff der Kulturforschung, der Untertitel erklärt „Folklore-Ethnographie-Vie sociale“) wurde im Frühjahr 2009 ein Jubiläumskongress mit mehr als 50 Referaten abgehalten und der vorliegende Band heraus gebracht, der den historischen Werdegang einer der ältesten griechischen wissenschaftlichen Gesellschaften und ihres Publikationsorgans, der „Laographia“, nun beim 41. umfangrei chen Band angelangt, dokumentiert. Das Periodikum war ursprünglich als Jahrbuch mit zwei Halbjahresheffen gedacht, doch schon die ersten Bände 1909ff. umfassten mehr als 500 Seiten, die beiden letzten Bände (40. und 41.) jeweils mehr als tausend. Die bewegte politische und demographische Geschichte Griechenlands, mit den Balkankriegen, den beiden Weltkriegen, der kleinasiatischen Aussiedlung von 1922, der deutsch-italienischen Südost-Forschungen 68 (2009) 743
Kunstgeschichte, Volkskunde Besatzung und dem nachfolgenden Bürgerkrieg hat dazu geführt, dass die Bände oftmals keineswegs dem Jahresrhythmus folgen konnten. Das 100-jährige Jubiläum der Helleni schen Volkskundlichen Gesellschaft fällt auch zusammen mit dem 90-jährigen Jubiläum des Griechischen Volkskunde-Archivs, das ebenfalls Nikolaos Politis 1918 gegründet hat und später der Akademie Athen unterstellt wurde und in den 1960er Jahren den Titel „For schungszentrum der Griechischen Volkskunde“ bekam. Im Juni 2009 wurde der Kongress der International Society of Folk Narrative Research in Athen abgehalten, zum 50-jährigen Bestehen der internationalen Gesellschaft. Der letzte Kongress der Gesellschaft in Athen war von Georgios A. Megas 1964 organisiert worden, an den sich die älteren Mitglieder noch voller Nostalgie erinnern. Zufällige Handschriftenftinde der letzten Jahre von Sitzungsprotokollen, Rechnungen, Korrespondenz und Lageberichten der Präsidenten der Griechischen Volkskundlichen Gesellschaft hatten die Veröffentlichung erst ermöglicht. Davon berichtet der jetzige Präsident der Gesellschaft, Michalis G. Meraklis, in einem Vorwort (11-13) sowie der Autor selbst (15f). Die Gesellschaft war von Anfang an von der überragenden Persönlich keit ihres Gründers, Nikolaos Politis (1852-1921), geprägt: auf sein vielfältiges Wirken und die Vorgeschichte der wissenschaftlichen Vereinigung geht der erste Teil des Buches ein (19-34). Den Hauptteil der Arbeit bildet die chronologische Darstellung des Wirkens der Gesellschaft und ihrer Präsidenten (35-128). Der Abschnitt zur
Präsidentschaft von N. G. Politis (1909-1920) führt auch die Grußbotschaften und Glückwünsche zur Ver einsgründung an: K. Krumbacher, B. Schmidt, P. Kretschmer, R. Wuensch, R. M. Dawkins, E. Hoffmann-Krayer, E. Fehrle, H. Delehaye, P. Maas usw.; die jeweiligen Aktivitäten und Pläne der Gesellschaft werden mit originalen Schriftstücken (in Fotokopie) dokumentiert. Weitere Präsidenten waren Chr. Tsountas (1921-28), K.Amantos (1929-1938), K.Dyobouniotis (1938-1948), Ph. Dragoumis (1948-54), A. Keramopoullos (1954-1960), unter G. A. Megas (1960-1976) érfolté dann die Blütezeit der Gesellschaft, D. S. Loukatos (19782001) und M. G. Meraklis (2003 bis heute). Dieser Abschnitt ist durchwegs spannend zu lesen, da die Originaldokumente einen lebendigen Eindruck der Zeitatmosphäre und der Initiativen der Laographischen Gesellschaft vermitteln. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Es folgt ein Abschnitt zu den Persönlichkeiten, die Mitglieder der Gesellschaft gewesen sind (129-186). Hier finden sich bedeutenden Gelehrte und Dichter, aber auch Politiker und Exponenten des öffentlichen Lebens. Literaten: Kostis Palamas, nicht nur National dichter, sondern auch Generalsekretär der Universität Athen, G. Drosinis, G. Xenopoulos, D. Kompouroglous, A. Karkavitsas, Gelehrte: Sp. Lampros, G. Hatzidakis, M. Deffner, St. Kyriakidis, K.A. Romaios, S.Kougeas, M. Triantafyllidis, E. Kriaras, D. Loukopoulos, Ph. Koukoules, M. G. Michailidis-Nouaros, A. Hatzimichali, D. Petropoulos, G. K. Spyridakis, M. Merlier, D. Oikonomidis, G. Th. Zoras, P. Zora usw. Der Band endet mit einer
Zusammenstellung der Archive, der musealen Sammlung und der Bibliothek der Gesellschaft (189-205), den Anmerkungen (207-234), dem Abkürzungsverzeichnis (235), einer Auswahlbibliographie (237-246), dem English summary (247ft), einem Generalindex (249-263) sowie dem Inhaltsverzeichnis (265-268). 744 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Der Dokumentationsband zeugt davon, dass die Griechische Volkskundliche Gesellschaft eine bedeutende Rolle im Geistesleben des Landes im 20. Jh. gespielt hat, was heute im Zeitalter der Subventionssuche von so vielen Vereinigungen nicht unbedingt mehr gesagt werden kann, und über eine
weitreichende internationale Reputation verfügte, die es verdient, bekanntgemacht zu werden. In diesem Sinne dient der Band auch der Selbstdar stellung einer profilierten wissenschaftlichen Vereinigung und der Institutionsgeschichte, die nicht nur meditative Nabelschau ist, sondern ein wesentliches
Kapitel jeder integrativen Kulturgeschichte. Athen, Wien Walter Puchner Λαογραφικά - Εθνογραφικά στα Επτάνησα. Πρακτικά συνεδρίου, Κεφάλονιά 27-29 Μα'ίου 2005, Μνήμη Δημητρίου Σωτ. Λουκάτου [Volkskundliches - Ethnographisches von Heptanesos. Kongressakten, Kephalonia 27.-29. Mai 2005, im Gedenken an
Dimitrios S.Loukatos]. Hg. Geörgios N. Moschopulos. Argostoli: Εταιρεία Κεφαλληνιακών Ιστορικών Ερευνών 2008. 930 S., Abb., Skizzen, ISBN 978-960-8366-09-1 Ο Δημήτριος Σ. Λουκάτος και η Ελληνική Λαογραφία. Πρακτικά Επιστημονικής Ημερίδας [Kongressakten „Dimitrios Loukatos und die griechische
Volkskunde“]. Hgg. Aikaterini Polymeru-Kamélakê u. a. Athen: Akademia Athénon 2008 (Veröf fentlichungen des Forschungszentrums für griechische Volkskunde, 27). 244 S., Abb., ISBN 978-960-404-132-9 Das Ableben des langjährigen (seit 1978) Präsidenten der Griechischen Volkskundlichen Gesellschaft
Dimitrios Loukatos (1908-2003) hat zu einer Reihe von wissenschaftlichen Gedenk-Kundgebungen geführt, unter
denen die hier anzuzeigenden Kongressakten einen herausragenden Platz einnehmen. Der erste, überaus umfangreiche Band geht auf eine Initiative der Gesellschaft für Historische Studien seiner Heimatinsel Kephalonia zurück, der zweite auf das Betreiben der Abteilung für Geschichte und Archäologie der Universität Ioannina, an der er lange Jahre bis zu seiner Pensionierung gelehrt hatte, der Präfektur und der Stadtverwaltung von Ioannina; erschienen ist der Band jedoch im Forschungszentrum für Griechische Volkskunde der Akademie Athen, dessen Leiterin Aik. Polymerou-Kamilaki Stipendiatin des Herderpreises gewesen ist, der dem Verstorbenen 1981 verliehen wurde. Der erste Band mit dem Untertitel ,Autochthone Elemente ֊ Einflüsse ֊ Assimilationen Rezente Wirklichkeit“ umfasst um die 70 Referate, die in folgende thematische Einheiten untergliedert sind: Arbeiten zu Leben und Werk von D. S. Loukatos, Arbeiten über die Ionischen Inseln im Allgemeinen (Heptanesos), Arbeiten über Kephalonia, über Zante, über Leucas und Korfu. Im ersten Abschnitt wird auf den humoristischen Briefschreiber Loukatos eingegangen, auf die historische Relevanz seiner „Folklórica contemporanea“ (1963) für die griechische bürgerliche Volkskunde, auf seine Märchensmdien, aus „kulturologischer“ Sicht neuerdings auf seine Briefe, auf persönliche Erlebnisse, auf sein Werk Südost-Forschungen 68 (2009) 745
Kunstgeschichte, Volkskunde über Zante, auf seine Beiträge zur Erforschung der Kulte der Volksheiligen sowie auf seine Kommentare zu den Zwölftenbräuchen. Im Abschnitt über die Ionischen Inseln allgemein ist vom heptanesischen Theater die Rede, von Neujahrsdistichen und vom Religionsforscher Pan. Lekatsas. Im Hauptabschnitt über seine Heimatinsel Kephalonia, der er viele seiner Monographien gewidmet hat, wird auf die byzantinische Zeit eingegangen, auf die Dialektik zwischen Kunst- und Volkstheater, auf die Einwanderung der Arvannen 1503 und 1545, auf die Satire und Volksdichtung der Insel, auf die Kleidung um die Jahrhundertwende von 1900, auf die Volksmeteorologie, auf Bräuche, Ikonen (Hl. Georg als Drachentöter), auf die Patrozinienfeste in Faraklata, religiöses Verhalten 1675-1763 (Kirche des Hl. Gerasimos in Ornala), auf die Fassbinder in Lixouri (mit vielen Fotografien), auf wenig bekannte Liturgien, auf die Flüche, auf das Stadtbild von Argostoli nach dem Erdbeben von 1953, auf Ilias Tsitselis (1850-1927) als volkskundlichen Feldforscher, auf theatralische Elemente in den Liturgien von Kephalo nia, auf historische toponymica (mit Karten und Tabellen), auf die Schlangen-Messe am 15. August, auf politische kahnda im 19. Jh. vor der Einigung mit Griechenland, auf aus ländische Besucher im Hoster des HL Gerasimos, auf Lokalheilige und ihre Legenden, auf die Judasverbrennung in Lourdata (mit ethnologischen Ausblicken und Vergleichen) usw. Allein die Aufzählung der Themen gibt eine Vorstellung von der Reichhaltigkeit des Bandes. Es folgen die Arbeiten über die
Nachbarinsel Zante: Glockenläuten und Glocken turmbauer, Spitznamen, traditionelle Berufe vom 16. bis 19. Jh., die Serenaden, lokale Volkskundemuseen, Grabbräuche, volkskundliche Interpretationen von Abbildungen der Litaneien, Volkserzähler und ihre Narrationen, das Fest der Hl. Vierzig. Die Insel Leucas betreffen: Volkskundliches bei Angelos Sikelianos, Angelos Vrettos und Aristoteles Valaoritis, volkskundliche Studien über die Insel. Korfu: das 1. Mai-Bild von Charalampos Pachis, über Volksdichter und Versemacher, volkskundliche Studien über Korfu (mit vielen Abb.). Der Gedenkband spiegelt getreu die vielfältigen Interessenslagen von Loukatos, seine Ver bundenheit mit seiner Heimatinsel und seine persönlichen Beziehungen mit einer Fülle von einschlägigen Forschern. Nicht weniger vielfältig ist die Thematik des zweiten Kongressbandes, der jedoch vielfach persönlicher gehalten ist-siehe z. В. den letzten Beitrag von Eleni Psychogiou (197-244). Sie beginnt mit Eleftherios P Alexakis über die französische ethnologische Schule und ihre Einflüsse auf Loukatos (19-32), fährt mit Minas A. Alexiadis über die zahlreichen veröffentlichten Zeitungsbriefe und Stellungnahmen von Loukatos in der Athener Presse fort (33-40); es folgen Evangelos Avdikos zu den theoretischen Ansätzen des Verstorbenen (41-50), Manolis Varvunis zu seinen Beiträgen zur religiösen Volkskunde (51 -64), Marina Vrelli-Zachou zu den Beiträgen zur Sachkultur in den Handschriften von Loukatos im Volkskundearchiv der Universität Ioannina (65-78), Aristidis N. Doulaveras über den Parömiologen Loukatos und seine
Beiträge in der Zeitschrift ,,Prorerbium“(79-88), Magda Zographou über seine Volkstanz-Studien (89-96), Anna Ladaki über seinen persönli chen Schreibstil (97-110), M. G. Meraklis über seine Position zwischen Modernität und Tradition (111-116), Konstantina Bada über das Volkskundemuseum der Universität Ioannina und seine ethnologischen Perspektiven (117-126), Vasilis Nitsikäos zu seinen Überlegungen über die Beziehungen von Laographie zu Ethnographie, Ethnologie und 746 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Anthropologie (127-132), Evangelia Datsi über sein Tagebuch während des Albanien feldzuges 1940/1941 (133-138), Aikaterini Po ly mero u ֊ Ka m i lak i über Loukatos als Redaktor im Volkskunde-Archiv der Akademie Athen 1938-1962 (139-166), Dimitris Raptis über Loukatos als Feldforscher (167-172) u. a. Seine jahrzehntelange Mitarbeit in mehreren Forschungsinstitutionen der Griechischen Volkskunde (Volkskunde-Archiv, Universität Ioannina, Griechische Volkskundliche Gesell schaft) sowie seine intensive Öffentlichkeitsarbeit (Briefe an Zeitungen) haben tiefe Spuren nicht nur bei den Fachleuten, sondern auch in einer breiteren Öffentlichkeit hinterlassen. Athen, Wien Walter Puchner Vesna Marjanovič, Маске, маскиране и ритуалы у Србий [Maske, Maskierung und Rituale in Serbien]. Beograd: Cigoja štampa, Etnografski muzej 2008. 343 S., Skizzen, Diagramme, Verbreitungsktn., zahir. Abb., ISBN 978-86-7558-557-2, RSD 1.080,Neue Publikationen zum Maskenwesen der Balkanhalbinsel sind eher selten. Umso willkommener ist das vorliegende Buch mit seinen unzähligen Abbildungen, die nicht nur die traditionellen Maskentermine des Jahreslaufes (Zwölften, Aschermittwoch, Beginn der Quadragesima, Lazarus-Samstag, Jeremias-Tag, Pfingstsonntag, Trockenperioden im Frühsommer) und des Lebenslaufes (vor allem Hochzeit) berücksichtigt, sondern auch rezen te Formen der reinen Unterhaltung (Parties, Polterabende, Jubiläen usw.). Demnach unter scheidet die Verfasserin „Maskierung“ von „Ritual“, wobei im ersten Fall der unterhaltsame Aspekt vorwiegt, im zweiten der magisch-religiöse. An mehr
traditionellem Material lässt sich eine solche Differenzierung schwer durchführen. Wie die Verbreitungskarten zeigen, ist das heutige serbische Staatsgebiet erfasst. Komparative Ausblicke auf die Nachbarstaaten und den weiteren Balkanraum fehlen nicht, wie auch die Bibliographie zeigt, in der auch einschlägige kroatische, ungarische, rumänische und bulgarische Arbeiten aufscheinen, so dass meine vergleichenden Monographien1 oder auch Einzelstudien zum dodoL·/регрегипа֊ Komplex2 oder zu den Lazarinen-Umzügen3 vielleicht hätten hilfreich sein können. Doch ist die Literaturbeschaffung in Südosteuropa auch heute immer noch nicht einfach. Auf eine theoretische Einleitung zu Maskierung und Ritual (11-22) folgt ein Abschnitt zu Maske und Maskierung (23-32), methodische Überlegungen (33-36), die Frage der Kontinuität bzw. Diskontinuität wird angeschnitten (37-49), Brauch- und Maskierungs verbote werden diskutiert (50-61), worauf der Hauptteil der Monographie folgt: „Von traditionellen zu neuen Formen von Masken, Maskierungen und Ritualen“, zuerst die tra ditionellen Formen (63-212). Hier ist zuerst der Jahreslauf der Kalenderfeste behandelt: der Weihnachtszyklus mit den koledari, der Umzugskrippe, Luzienbrauch, sirovari, Sternsingen, Barbara-Bräuche, Adam und Eva-Spiel, Nikolausbrauch, ѵшагі. Das einschlägige Fotoma terial bringt durchaus auch rezente Aufnahmen von Brauch und Verkleidung (Habergeiß, sebemen, die weißgekleidete Lucia, Krippenspiel mit dem bethlehemitischen Kindermord, Südost-Forschungen 68 (2009) 747
Kunstgeschichte, Volkskunde Weihnachtsmann). Es folgen die Karnevalsverkleidungen mit spezieller Anführung des „Weiberfaschings“ (Hochzeitsparodie, Fellverkleidungen, Laszivitäten, aber auch freiere Formen der Verkleidung, die sich einer strengen Typologie entziehen); in einem speziellen Abschnitt wird auf die Verkleidungsformen der Vojvodina eingegangen, in einem anderen auf die Maskenbälle und Knderverkleidungen. In der Folge sind dann die Lazarus-Umzüge der Mädchen behandelt (mit Liedbeispielen), der Jeremias-Tag, die kraljice-XJmzügc der Mädchen zu Pfingsten, der Heischegang der grünverkleideten und wasserbegossenen dodola. Abschließend folgen dann noch die Lebenslaufriten: Verkleidungen und Brauchspiele bei der Hochzeit und bei anderen Gelegenheiten. Der zweite Teil des Hauptabschnittes geht auf die neuen Formen von Maske, Maskierung und Ritualen ein. Hier dominiert das rezente Material zu Kinderfasching, Maskenball und modernen urbanen Karnevalsumzügen, aber auch bei Protestkundgebungen im Zuge der Bombardierung Serbiens im jugoslawischen Bürgerkrieg und bei Reklamefeldzügen. Ein weiterer, weit kürzerer Abschnitt versucht sich an einer Typologie von Masken, Maskierungs- und Verkleidungsformen (255-297), beginnend mit der Klassifizierung (Tiermaske, Tierverkleidung, anthropomorphe Gesichtsmaske, Schminkung); dann wird auf das Kos tüm eingegangen, auf die Requisiten und das Verhalten bzw. die Handlungen. Kleinere Abschnitte behandeln noch fiinktionale Aspekte (298-300), semiotische Analysen (301307) und abschließende Betrachtungen (308-314). Es folgt noch das English
summary („Masks, masking and rituals in Serbia“, 315f.), ein Abkürzungsverzeichnis (317), die Bibliographie (318-330), ein Index (331-340) und das Inhaltsverzeichnis (341-343). Die sympathische Monographie hebt sich wohltuend ab von älteren derartigen Unternehmen, die rasch mit mythologischen Konzepten und urslawischen Gottheiten bei der Hand sind, indem auch ganz dezidiert auf den heutigen Stand der Dinge und die neuen Entwicklungen eingegangen wird. Athen, Wien Walter Puchner 1 Walter Puchner, Brauchtumserscheinungen im griechischen Jahreslauf und ihre Beziehungen zum Volkstheater. Theaterwissenschaftlich-volkskundliche Querschnittstudien zur südbalkan-medi terranen Volkskultur. Wien 1977 (Veröffentlichungen des Österreichischen Museums für Volkskunde, 18); ders., Το λαϊκό θέατρο στην Ε)λάδα και στα Βαλκάνια. Συγκριτική μελέτη. Athen 1989. 2 Ders., Zur Typologie des balkanischen Regenmädchens, Schweizerisches Archivfür Volkskunde 78 (1982), H. 1, 98-125; ders., Regenlitanei und Bittprozession im griechischen Umzugsbrauch und ihre balkanischen Querverbindungen, in: ders., Studien zum griechischen Volkslied. Wien 1996 (Raabser Märchen-Reihe, 10), 89-124. 3 Ders., Lazarusbrauch in Südosteuropa. Proben und Überblick, Österreichische Zeitschrift für Volkskunde N.S.32 (1978), 17-40; ders., Studien zum Kulturkontext der liturgischen Szene. Lazarus und Judas als religiöse Volksfiguren in Bild und Brauch, Lied und Legende Südosteuropas. 2 Bde. Wien 1991 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Denkschriften, 216), 37-54, 180-209. 748 Südost-Forschungen 68
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Rezensionen Neohelensko nasleđe kod Srba 1. Νεοελληνική κληρονομιά στους Σέρβονς A’ [Neu griechisches Erbe bei den Serben 1]. Hgg. Milena Jovanovič / Miodrag Stojanovič. Belgrad: Filološki Fakultet 2005. 380 S., Abb., ISBN 86-80267-82-1 Zum zehnjährigen Bestehen der Abteilung für Neugriechische Studien an der Philoso phischen Fakultät der Universität Belgrad und zum 70. Geburtstag von Professor Miodrag Stoj anović hat Milena Jovanovič zusammen mit der Vereinigung der Neogräzisten „Giorgos Sepheris“ einen Festschriftband herausgegeben, dessen Beiträge jeweils in Serbisch und Griechisch (aber auch Englisch) gehalten sind, mit einer Zusammenfassung in der jewei ligen anderen Sprache. Zu Beginn finden sich Kapitel der Herausgeberin über die kurze Geschichte der Abtei lung für Neogräzistik in Belgrad (9-16), zum Lebensweg des Geehrten (19-29) sowie ein Publikationsverzeichnis mit 253 Titeln (31-45). Die 26 Beiträge sind in zwei Hauptgruppen unterteilt: Literaturgeschichte und Balkanologische Studien, die wiederum in Geschichte, Kunstgeschichte und Volkskunde unterteilt sind. Die Literaturgeschichte betreffen insgesamt acht Studien: Zoran Konstantinović be fasst sich mit den Dialogen des serbischen Aufklärers Dositej Obradović (49-60), Vojislav Jelič mit seiner rhetorischen Bildung (61-68), vier altserbische Abschriften eines griechi schen Apykryphons stellt Tomislav Jovanovič vor (69-74), die Arbeiten des Geehrten zu serbischen und griechischen Volksliedern untersucht Zivomir Mladenovič (75-86). Die Kontinuität der Rittermotive im Lied von Marko Kraljević in den
Haidukenliedern um Starin Novak „zwischen Geschichte und Mythos“ untersucht Božko Suvajčić (87108), während sich StaniŠa Vojinović der serbischen Übersetzungen des Vukašin Radičić (1810-1843) aus dem Griechischen annimmt (unter anderem Schriften von Adamantios Korais) (109-126). Diesen Abschnitt beschließen Athananasios E. Karathanasis mit einer Studie über ein Gedicht von N.-G. Pentzikis über Thessaloniki (127-133) und Alexandar Jovanovič über zwei rezente serbische Versionen der Argonautensage (135-141). Acht Studien befassen sich mit historischen Themen in der Abteilung zu den Balkanologischen Studien. Den Beginn macht Marijana Ricl, „Legal and social status of θρεπτοί and related categories in the Greek world: the case of Phrygia in the Roman period“ (145164) zu den Inschriften um die nutricii, Bojan Jovanovič macht sich Gedanken über die Einführung des linearen Zeitmodells durch das Christentum (167-177, Leben als eine Abfolge von Prüfungen), sodann folgt Radmilo Petrovič mit einer Studie zu „Deronikon“, Münzfunden aus dem 6. Jh. v. Chr. (179-188), Ioannis A. Papadrianos analysiert die gemeinbalkanische Politik des „Freundesbundes“ (189-204). Ebenfalls der Zeit kurz vor der Griechischen Revolution ist der Artikel des Rigas-Forschers Dimitrios Karamberopoulos gewidmet, „Die demokratische Einigung des Balkanraums im Revolutionsplan von Rigas Velestinlis“ (205-207); Zdravko Antonič stellt die Balkanologischen Programme von Vasa Cubrinović vor (219-226), während Juriča Krstić auf die balkanologischen Arbeiten des Geehrten eingeht: „Specific interdisciplinary unity of
Balkan studies“ (227-238). Mit griechischen Bildungsinstitutionen in Konstantinopel vom 15. bis zum 20. Jh. befasst sich Darko Ninkov (239-252). Südost-Forschungen 68 (2009) 749
Kunstgeschichte, Volkskunde Die kunsthistorischen Studien umfassen eine Arbeit zum Portrait des Königs der Juden Ezechiel in der Apostelkirche von Peć aus der Feder von Janko Radovanovič (253-258), Nikos Dionysopoulos berichtet über Stifterportraits in den Wandmalereien der AthosKlöster (259-265), Petar Vlachović untersucht die Wandmalereien des Klosters Mileševa unter anthropologischen Aspekten (267-274), Ljiljana Stošić verfolgt das Motiv des Hl. Christophoros kynokephalos bei den balkanischen Völkern (275-296, mit sieben farbigen Abb.), ohne jedoch die wegweisende Studie von Leopold Kretzenbacher1 auch nur zu erwähnen. Die volkskundlichen Studien (ausdrücklich als „laografija“ bezeichnet) setzen mit einem Artikel von Manolis Varvunis ein: „Stories about priests in Greek folklore“ (297-312) zu den beliebten Pfaffenschwänken, Georgios Stasinakis berichtet über Kazantzakis und die kretische Volkskultur (313-325), Jordana Blagojević beschäftigt sich mit den rebetikaLiedern als Spiegel griechischer Stadtkultur vom 18.-20. Jh. (327-338), auf griechische Märchen geht Tamara Kostic-Pachnoglou ein (339-344), Dragomir Antonič unter sucht das Spenden der Sirupkirsche als Hochzeitsbrauch (345-352). Mit der Geschichte des vlachischen Zeltstoffes tzerga als osmanischem Tributzoll in Dubrovnik (Olga Zirojevtc, 353-357) endet der interessante Band. Es folgen nur noch die englischen summaries. Athen, Wien Walter Puchner 1 Hagios Christophoros Kynokephalos, Der Heilige mit dem Hundskopf, Schweizerisches Archiv för Volkskunden (1975), 48-58. Zymer Ujkan Neziri, Studíme për folklorin I.
Eposi і kreshnikëve dhe epika histo rike shqiptare [Untersuchungen zur Folklore 1: Das Heldenepos und die albanische historische Epik], Prishtina: Instituti Albanologjik і Prishtinës 2006. 327 S., ISBN 978-9951-411-39-4 Der Autor des vorliegenden Buches ist zweifelsohne einer der bedeutendsten Ethnologen des Kosovo. Ein Blick auf die zahlreichen Literaturhinweise in den Fußnoten führt die breite Kenntnis des Autors auf dem Gebiet der Heldenlieder vor Augen. Im Jahre 2001 hielt er im Rahmen des jährlichen Internationalen Seminars für Albanische Sprache, Li teratur und Kultur einen Vortrag über die albanische Volksepik, dessen Quelle er mit in den Vorlesungssaal brachte, den bekannten Sänger volksepischer Heldenlieder lse Élezi aus der Region von Rugova, der seine Lieder selbst auf der Lahuta begleitete. Dies war einer der wenigen Vorträge, die für einen großen Medienwirbel und für Begeisterung bei den Albanern wie den ausländischen Gästen sorgte. Die Tatsache, dass dieses Buch vom Albanologischen Institut in Prishtina herausgegeben wurde, zeigt die Bedeutung des Werks für die albanische (wissenschaftliche) Öffentlichkeit im Kosovo. Shaban Sinani, der Autor des langen Vorwortes (7-24 in Albanisch und 274- 750 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen 293 in Englisch) und einer der wenigen und zugleich bekanntesten Ethnologen in Albanien, und eine englische Rezension über die Darstellung der Perry-Lord-Sammlung von David Ellmer (295-298) dehnen den Fokus dieses Buches nicht nur auf andere albanischsprachige Gebiete des Westbalkans, sondern auch auf internationales Niveau aus. Das Buch beinhaltet Vorträge und wissenschaftliche Artikel des Autors aus den Jahren 1972-2006, die er größtenteils auf albanischsprachigem Boden gehalten und veröffentlicht hat, mit der Ausnahme des Vortrags „George Castriota Scanderbeg and the Albanian Fol klore“ (184-207), den der Autor 2006 in Polen vorgetragen hat. Die Beiträge sind in zwei Blöcke aufgeteilt. Im ersten Block, „Eposi і kreshnikëve“ (Das Heldenepos), werden Beiträge über Wissenschaftler, Sammler, Projekte und Kenntnisstand zu einzelnen Liedern erfasst. Im zweiten Block, „Epika historike“ (Die historische Epik), sind Beiträge über historische Persönlichkeiten wie Skanderbeg, Haxhi Zeka und Shaqir Grisha und über die politische Migration aus dem Rugovatal im Spiegel der Volkslieder enthalten. Jedes Kapitel bzw. jeder Beitrag schließt mit einem Resümee in einer Fremdsprache (Englisch, Deutsch oder Französisch) ab, aus denen die Überschriften für diese Rezension übernommen werden. Das erste Kapitel (32-40, Artikel von 1998) stellt die bescheidenen ethnologischen Betätigungen des namhaften Albanologen Gustav Meyer dar mit dem Ziel, ihn als den Vorreiter der Erforschung des albanischen Heldenepos zu begründen. Das Kapitel ist zu kurz (sieben Seiten mit sehr langen
Literaturhinweisen in Fußnoten), um solch eine Behauptung wissenschaftlich aufrechterhalten zu können. Die nächsten vier Kapitel (41-138, Artikel aus den Jahren 2003-2006) befassen sich mit der „Millman Parry Collection of Oral Literatur“ und mit der Volksliedersammlung von Albert Lord von der Universität Harvard. In diesen Kapiteln erhält der Leser einen sehr ausführlichen Einblick in Entstehungsgeschichte, Materie, Zustand und über die Urheber dieser Sammlung. Zymer Ujkan Neziri ist bisher der einzige albanische Wissenschaftler, der Zugang zu dieser Sammlung erhielt und damit arbeiten durfte. Seine Begeisterung darüber tritt in den vier Texten deutlich hervor. Da es sich um einzelne Beiträge des Autors handelt, wiederholen sich viele Informationen. Ferner verwirrt ein wenig die lange Darstellung der Universität Harvard und ihrer Bibliothek in Kapitel 1.2 (41-43), die hier dem Buch den Charakter eines Kulturreiseführers verleihen. Das Kapitel 1.6 (139-148, Artikel von 2000) führt knapp die verschiedenen Ansichten Eqrem Çabejs zur Etymologie des Wortes „kreshnik“ auf. Es ist unübersehbar, dass dem Autor die letzte These Çabejs, „kreshnik“ sei slawischer Herkunft (145), missfällt, ohne jedoch Stellung dazu zu beziehen. Lediglich in der letzten Fußnote (Nr. 24) fließt seine Ironie bezüglich der These von Çabej mit ein, indem er die positive Bedeutung der Zahl 13 in slawischen Kulturen darstellt. Dies hätte nach Meinung des Autors Çabej dazu bewegt, in Bezug auf das Wort „kreshnik“ Partei für die Slawen zu ergreifen, da die Etymologie 13 Zeilen lang sei. Die
Wissenschaftlichkeit geht bei Neziri gerade in Zusammenhang mit so einem renommierten Forscher wie Çabej abhanden. Die letzten beiden Kapitel des ersten Blockes (149-183, Artikel bzw. Vorträge aus den Jahren 1993 und 2001) geben einen Überblick über den aktuellen Zustand des Heldenepos. Der Autor stellt akribisch dar, bei wie vielen Sängern und in welchen Regionen dieser Epos noch anzutreffen ist. Der Leser bekommt genaue Angaben über die Anzahl der Lieder und Südost-Forschungen 68 (2009) 751
Kunstgeschichte, Volkskunde deren Verse bei den jeweiligen Sängern. Hier kommt eindeutig die Stärke des Autors zur Geltung, ein hervorragender empirischer Sammler dieser Lieder zu sein. Die Kapitel II.1 bis II.3 (184-260, Artikel bzw. Vorträge aus den Jahren 1978,2001 und 2006), haben historische Figuren aus der albanischen Geschichte (Skanderbeg, Haxhi Zeka und Shaqir Grisha) zum Gegenstand. Auch wenn der Autor angibt, diese drei Figuren der Volksepik bei Shaqir Grisha, in der Sammlung von Maximilian Lambem, untersuchen zu wollen, ist die Methodik eine andere. Anstelle von „Oral Literature“, beschäftigt er sich mit „Oral History“, ohne das Problem der mündlichen Tradierung zu thematisieren. Für ihn stellen die Volkslieder „wahre“ historische Quellen dar. Das Problem wird gravierender durch eine vom Autor angenommene Kontinuität der albanischen Erinnerung an Skanderbeg, wofür er als Beleg heutige Personennamen wie Kastriot und Skënder (mit Varianten), aber auch Kampflieder der UÇK anführt (200f.). Das Buch schließt mit einem Kapitel über politische Auswanderung aus der Region von Rugova (261-274, Artikel von 1997) ab. Auch hier werden historische Quellen und volksepische Objekte nicht auseinandergehalten. Die inhaltlichen Wiederholungen im Buch werden durch das „Namensregister“ (301323), das eigentlich den Gebrauch des Buches erleichtern soll, unnötig verdeutlicht. Die Angaben über Bildquellen (299), über die Verfasser der fremdsprachigen Resümees (300) sowie das zweisprachige Vorwort und die Teilrezension zeigen, mit welchem Aufwand das Buch vorbereitet und herausgegeben
wurde. Zielobjekt und Zielgruppe des Buches treten dabei klar zu Tage, nämlich die Besonderheit des albanischen Epos fur albanische Leser darzustellen. Fraglich dabei bleibt die Rolle der fremdsprachigen Resümees. Der wissenschaftliche Blickwinkel des Autors ist nicht nur hinsichtlich des Charakters dieses Bandes als Beitragssammlung, sondern auch hinsichtlich der langen Entstehungs phase der darin befindlichen Beiträge variabel. Es fällt jedoch auf, dass der Autor in den frühen Phasen historisch tätig ist, indem er die mündlich tradierte Volksdichtung als Quelle nimmt. Im Laufe der Zeit werden seine Beiträge immer ethnologischer. Die Methodik ist nicht die, die man von einem sehr guten Ethnologen auch auf internationaler Ebene erwarten würde. Inhaldiche Angaben mündlicher Dichtung werden nicht problematisiert, die historischen Kontexte, in denen die Volkslieder sinnvollerweise gebracht werden, sind oft ideologisch geprägt, vor allem was die Herkunft der albanischen Heldenlieder und den aktuellen albanisch-slawischen Konflikt angeht. Es wird jede Art von slawischem Zu sammenhang mit dem albanischen Heldenepos unmissverständlich abgelehnt (z. B. 143, 145). Auffällig oft werden albanisch-slawische Konflikte, die aus den Inhalten der Lieder herauskristallisiert werden, auf die Aktualität projiziert. Dadurch konstruiert der Autor eine verblüffende, von Wissenschaftlichkeit sehr ferne bilaterale Kontinuität zwischen „der Volksdichtung der Illyrer“ mit der heutigen albanischen Volksdichtung einerseits und „dem Widerstand illyrischer Stämme gegen römische Besatzungstruppen“ mit
den albanischen „Widerstandsbewegungen“ von der osmanischen Zeit bis 1999 andererseits. Die Beiträge, die wertvolle Informationen vor allem zum aktuellen Stand der Volksdichtung auf dem Terrain enthalten, verlieren den roten Faden durch die zahlreichen Unterthemen und Abschweifungen, die oft mit dem eigentlichen Thema des Beitrags nichts zu tun haben. 752 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Das Buch sollte man bei Untersuchungen des albanischen Heldenepos hinsichtlich der Angaben von Informanten, aber auch bezüglich der Perry-Lord-Sammlung heran ziehen - jedoch mit Vorsicht genießen. Für die Albaner bietet das Buch in Bezug auf die fremdsprachigen Wissenschaftler wie Gustav Meyer, Milman Parry und Albert Lord eine leicht zugängliche Quelle. München Lumnije Jusufi Το όμορο στη Ροδόπη: Λαϊκός θησαυρός Ξάνθης-Σμόλιαν. Krastvoto ν Rodopite: Narodno săkrovice na Ksanti і Smoljan. Vicinity in the Rhodope: Folk Treasure of Xanthi-Smolyan. Xanthi: Foundation ofThracian Art andTradition 2008. 166 S., zahir. Abb., ISBN 978-960-87832-5-6. Der dreisprachige Schauband der thrakischen Stiftung für Kunst und Tradition ist Teil eines Computer-Programms, das grenzübergreifend die Volkskultur der südlichen und nördlichen Rhodopen dokumentieren und einem breiteren Publikum vorstellen will. Darauf verweist der Prolog von P. Sotiropoulos (8-12). Die Einleitung ist den alten Handelswegen über die Bergkette der Rhodopen gewidmet (13-24). Alle Textbeiträge sind dreisprachig gehalten. Dann beginnt der Schaugenuss: Es folgen Kapitel zur traditionellen thrakischen Tracht mit allen ihren Einzelteilen (25-40, die pomakische Braut figuriert auch auf dem Titelblatt), Pomaken, Sarakatsanen, slavophone, hellenophone und turkophone Bevölkerungsgruppen, Roma, Muslime und Christen usw., rezente und alte Aufnahmen, Festkleidung, Brauchverkleidung, Hochzeitskleidung, Babykleidung usw. umfassend, ein Kapitel zu Sachgegenständen (41-68), von Keramik- und Tongefäßen zu Butterfässern,
Milchkannen, gewebten Teppichen, Mühlsteinen, Sicheln usw. Der nächste Abschnitt bringt Feste und Feiern, performative Rituale, Sitten und Bräuche (55-68) mit Dudelsackspielern, Tänzen im Freien, traditioneller Festkleidung der Männer, dem Roma-Fest bei Xanthi, die alljährliche Begegnung der transhumanten Sarakatsanen in Leivaditi, dem Karneval von Xanthi mit seinen Umzugsnummern. Darauf folgen tradi tionelle Berufe (69-80): Tabakproduktion, Pfannkuchenbacken, Steinmetze, Kesselflicker, Pflüger usw., hierauf religiöse Denkmäler (81-100): christliche Wegkapellen, Kirchen (mit Auflistung auf bulgarischer und griechischer Seite), Klöster, Tekke, Moscheen, Heiligen bilder, orthodoxe Ikonenwände, muslimische Grabsteine usw. Ein weiteres Kapitel ist der traditionellen Architektur gewidmet (101-122) : Steinbrücken, Wohnhäuser, Wassermühlen, Uhrtürme, Archontenhäuser, steingefasste Quellen, Agrarbauten, Tabaklager usw. Es folgt die natürliche Umgebung (123-136) mit Flora und Fauna, Berglandschaften, Seen und Wasserfällen. Das letzte Kapitel ist der mündlichen Überlieferung gewidmet (137-154): Volkslieder, Märchen, einschlägige didaktische Programme im Ethnologischen Museum von Thrakien in Alexandroupolis. Die Materialverteilung ist nach Umfang und Inhalt streng demokratisch Südost-Forschungen 68 (2009) 753
Kunstgeschichte, Volkskunde geregelt, alle Bevölkerungsgruppen kommen zu Wort, Der Schauband, Ausdruck einer angestrebten grenzübergreifenden Zusammenarbeit, endet mit einer griechischen und internationalen Bibliographie zur Volkskultur des Rhodopengebietes (155-166). Athen, Wien Walter Puchner Ottoman Architecture in Greece. Hg. Ersi Bruskäri. 2. Aufl. Athen: Hellenic Ministry of Culture, Directorate of Byzantine and Post-Byzantine Antiquities 2009. 494 S., zahir, farbige u. histor. s/w Abb., Strichzeichnungen und Pläne, ISBN 978-960-214-793-1, € 80,76 Gleich das Geleitwort („Prologue“) des begrüßenswerten und anregenden Bandes ergeht sich in Erklärungen zu eigentlich völlig selbstverständlichen kunstwissenschaftlichen und denkmalpflegerischen Grundwerten, wie der Gleichbehandlung aller Kulturdenkmäler („Equal treatment of monuments“, 17), die offenbar von dem (Unter-)Bewusstsein zeu gen, dass dies im neuzeitlichen Griechenland nicht immer so war (etwa dass eben nicht immer „Erdbeben“ oder „Katastrophen“ das vorsätzliche Verschwinden und „Kappen“ von Minaretten bedingten, vgl. dazu z. B. im Band zahlreiche Beispiele, so 73, 109, 277-279, 297, 337, 398, 419-421, 440f, 451, Pläne, aktuelle und historische Fotos im Vergleich), obwohl — wohl auch und gerade deshalb — auf die traditionellen Bestimmungen des grie chischen Denkmalschutzes eindringlich hingewiesen wird. Hier allerdings erscheint eine weit ausholende, zurückverweisende Berufung dieser Aktivitäten auf das 19. Jh., ab der Gründung des neugriechischen Staates im Jahre 1830 [!], absolut fragwürdig (16), da viele
osmanische und auch nichtosmanische Baudenkmäler in Griechenland, etwa die der osmanischen Heinstadt von Almyros (in Thessalien) oder etwa venezianische Baudenkmäler von Nauplia (Nafplion, auf der Peloponnes), noch bis tief in das 20. Jh. hinein auf eine besonders bedenkenlose Art und Weise abgetragen wurden und für immer verschwanden.1 Im Vorwort wird durch Kultusminister Michalis Liapsi des Weiteren erstaunlicherweise ausdrücklich davon gesprochen, dass das bisherige „Überleben“ osmanischer Denkmäler fast ein „Gnadenakt“, nämlich „a gesture of respect toward the ,Other“, that is different and often alien“ [!] (15) gewesen sei, der jetzt allerdings im Sinne von „systematization of the widening of the concept of cultural heritage“ (17) begriffen wird. Das Werk ist regional nach 9 griechischen geographischen Großräumen.· ,Athens, Peloponnese, Epirus, Thessaly, Macedonia, Thrace, North-East Aegean, Dodecanese, Crete“ gegliedert (67-457) und begreift sich als repräsentativer Denkmälerkatalog in Auswahl (18). Dabei orientiert es sich allerdings nicht an den ehemaligen, alten geographischen osmanischen Verwaltungseinheiten, den Sandžaks, was in der inhaltlichen Auseinandersetzung eigentlich einen weiterführenden kulturhistorischen Sinn ergeben und deswegen großen Nutzen gebracht hätte.2 Der Band schließt mit einem Appendix (458-494), der aus einer Zeittafel, einem Glossar, einem neugriechischen und internationalen Literaturverzeich754 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen nis, einem Abbildungsverzeichnis, sowie weiterführenden Autoren- und Adressenlisten aller griechischen Denkmalschutz-Regionalbehörden (Ephorien) besteht. Ein eigentliches Namens-, Orts-, Inhalts- und Sachverzeichnis ist, abgesehen von einem bautypologischen Index (486), leider nicht vorhanden. Im Katalogteil, der den Löwenanteil der Publikation ausmacht, werden ausgewählte Beispiele der osmanischen Architektur in Griechenland vom 14. Jh. bis 1912 reich bebildert und von diversen griechischen Autoren mit zahlreichen Architekturgrund- und Aufrissen, anhand neuester griechischer und internationaler Forschungsergebnisse, in Form eines geographischen Katalogs, vorgestellt. Dies erfolgt jeweils im Sinne einer kurzen denkmalpflegerischen Bestandsaufnahme der einzelnen Denkmäler, bei der sich damit durchaus auch die sichtbaren, aktuellen Leistungen, Erfolge und Ergebnisse der griechischen Baudenk malpflege auf diesem Gebiet zeigen, aber auch deren zukünftige Aufgaben und Desiderate anhand der mitunter auch dokumentierten, äußerst ruinösen Bauten (vgl. z. B. die „Orta Moschee“ in Véroia, Makedonien, 297) klar werden. Von kunsthistorisch bekannten und mittlerweile leider verschwundenen Bauwerken ist allerdings immer nur marginal die Rede (vgl. etwa 278, 290). Einen besonders kurzen analytischen Teil findet der Leser lediglich in 3 Sektionen hinter dem Geleitwort und der Einleitung, nämlich: „[1.] The Ottoman Empire and the Greek Lands (S. 23-44); [2.] Religious Architecture in Ottoman Greece (S. 45-50); [3.] Secular Ottoman Architecture in Greece“ (51-66). Besonders hier
wird nun die inhaltliche Problematik des opulenten Bandes deutlich, der zwar quantitativ und qualitativ in der überaus illustren Vorstellung der wesensunterschied lichsten osmanischen Baudenkmäler, angefangen etwa z. B. mit der „Kütüklü Baba Türbe“ (318f.)3 - ein thrakischer, osmanischer Grabbau aus dem 15. jh. bei Xanthi ֊ bis hin zu einer spätosmanischen Wasserpumpstation (frühe 1890er Jahre) in Thessaloniki (252f.) glänzt, aber rein fachwissenschaftlich nicht ganz mit dem bestehenden kunsthistorischen Forschungsstand korrespondiert: So sind zum Beispiel auch für Griechenland, spätestens seit der typologischen Studie von Hans Koepf zur Osmanischen Kuppelmoschee4 weitaus mehr als nur „two types of mosques, with variations“ [!?] (49) vorhanden, wie es der Ka talog des Bandes bereits — diese Aussage selbst erklärend und widerlegend - illustriert: So finden sich, folgen wir dem relativen Koepfschen Typologie-Vorschlag,5 mindestens vier Haupttypen überkuppelter Moscheen in Griechenland und darüber hinaus noch zusätzlich der Bautypus der Moschee, die mit einem Dachstuhl eingedeckt ist und die eben über gar keine Kuppel verfügt (auch dieser Bautyp begegnet im heutigen Griechenland in weiteren zahlreichen Varianten, z. B. die „Valide Moschee“ auf Lesbos aus dem Jahr 1780, 337). Zur Kuppelmoschee führe ich für den Typ Al die „Moschee von Akrokorinth“ (16. Jh., 136), für den Typ A2 die „Kara Musa Pascha Moschee“ in Rethymno, Kreta (Ende 17. Jh., 440f.), für den Typ A3 die „Vouleftiko Moschee“ in Nauplia (um 1805, 126£), für den Typ A5 die „Mehmet Bey Moschee“ in Serres (15. Jh.,
279-281), für den Typ Bl die „Süleyman Moschee“ auf Rhodos, Rhodos-Stadt (16. Jh., 360-362), für den Typ B2 die „Ischak Pascha Moschee“ in Thessaloniki (1484, 229-231), flir den Typ C die Moschee des „Veli Pascha Komplexes“ in Rethymno, Kreta (1651, 442f.), für den Typ F die „Fethiye Moschee“ in Athen (1668-70, 70-72) und schließlich als nochmaliges Beispiel für den Dachtypus die „Gazi Han Pascha Moschee“ auf der Insel Kos, Kos-Stadt (1786, 387f), an. Südost-Forschimgen 68 (2009) 755
Kunstgeschichte, Volkskunde Verweilen wir nun weiter bei dem Kurzkapitel zur religiösen Architektur, so bleibt unverständlich, dass hier und im Katalog erneut die Möglichkeit versäumt wurde, die osmanische Architektur in einem ihr zustehenden überkonfessionellen Kontext darzustel len, da - wie schon so oft und gewissermaßen schon „traditionell“ - die postbyzantinische Kirchenarchitektur in osmanischen Architekturdarstellungen keine Aufnahme findet, und so auch in diesem Band vollständig ausgeblendet erscheint.6 Nachweislich erlebte die Kirchenarchitektur im Osmanischen Reich, besonders ab dem 18. Jh., dann aber auch im Zeitalter der Tanzimat-Ära im 19. Jh. einen besonders beeindruckenden Auf schwung.7 Wenn sich das Werk auch nicht als Korpuswerk - der Auflistung aller wichtigen os manischen Baudenkmäler in Griechenland — begreift, so hätte beispielsweise im Kapitel „Peloponnese“ erläutert werden können, dass sich die neue osmanische Verwaltung nach der Vertreibung der Venezianer (1715), im Zentrum der Halbinsel in Tripolis (Tripolizza bzw. Tribolice) ihre neue Provinzhauptstadt einrichtete, die im Band überhaupt nicht be handelt wird, was natürlich mit der Errichtung einiger wichtiger osmanischer Baudenkmäler einherging. Nicht nur an diesem Beispiel macht sich nun die bereits eingangs erwähnte Nichtberücksichtigung der gegebenen historischen osmanischen Provinzgeographie etwas unangenehm bemerkbar. Trotz einiger gewichtiger Kritikpunkte stellt sich der Band als ein sehr nützlicher Katalog für jeden an osmanischer Architektur und Architekturgeschichte interessierten
Leser dar, der auf teilweise exotische und bisher kaum erforschte neuzeitliche osmanische Architektur gattungen (etwa Befestigungs-, Lazarett-, Wohn-, Kommerz- und Industriearchitekturen) verweist und aufmerksam macht, bei denen man nun lediglich Eisenbahnarchitekturen wie Brücken und Bahnhöfe vermisst.8 Vgl. dazu besonders den Index (486) aller im Band behandelten weiteren traditionellen osmanischen Bautypen, wie die hier aufgelisteten Be desten- und Han-Anlagen, imaret-, Hamam-, Medrese-, Tekke- und Türbe-Bauten, usw. Der Band verweist kurz zuvor akribisch auf die neueste griechische und internationale Literatur zu den einzelnen Denkmälern. Fazit: Ein empfehlenswerter illustrer Katalog, der zudem noch auf aktuelle staatliche Kontaktstellen und auf einige sich gegenwärtig, auch behördlich verantwortlich, mit die sem Kulturerbe in Griechenland beschäftigenden Personen und Wissenschaftler verweist. Frankfurt/M. Alexander Zäh 1 Vgl. dazu den aktuellen Beitrag des Verf., Venezianische Baugeschichte von Nauplia 16861715, Südost-Forschungen 68 (2009), 138-183, sowie bes. Machiei Kiel, Modern Electronics in the Study of Turkish Architecture, Electronic Journal of Oriental Studies 4 (2001), 1-8, 4£, 8, Abb. 3: „The Late-Ottoman town of Almires / Armiye in Thessaly, Greece. Draft for a reconstruction. Today nothing remains of the Ottoman buildings. Before 1881 there were 5 mosques, 3 mescids, 2 medreses, 2 hamams, a clock tower, 2 dervish tekkes, an aquaeduct and many ęeįmes. “ 2 Vgl. dazu etwa Andreas Birken, Osmanisches Reich. Die Provinzverwaltung im 17. und 18. Jahr
hundert/Die europäischen Provinzen des Osmanischen Reiches um 1800 [Nebenkarte], Tübinger Atlas des Vorderen Orients B IX 8 (1979); ders., Osmanisches Reich. Die Provinzverwaltung am Ende des 19. Jahrhunderts, Tübinger Atlas des Vorderen Orients В IX 13 (1979). 756 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen 3 Im Katalog im Titel „Kütüklü Baba Tekke“ genannt, der Bau ist aber nur die Türbe (der Grab bau) des Klosters (Tekke). 4 Hans Koepf, Osmanische Architektur. Kuppelmoscheen. Wien 1983. 5 Zur „Relativität“ der Definitionsmuster aufgestellter Typologien selbstbekennend ebenda, 2f. 6 Dazu bereits Alexander Zäh, Aspekte der anatolischen Kirchenkunst im Osmanischen Reich. Ein Beitrag zur kunsthistorischen Grundlagenforschung, Wiener Zeitschriftfür die Kunde des MorgenUndes 94 (2004), 247-297 (u. Abb.-CD). 7 Ders., Die Basilika von Misti. Eine unbekannte Kirche des 19. Jhs. im südlichen Kappadokien, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 92 (2002), 205-215 (13 Abb.). Ein griechisches Beispiel (ca. 1811-1830) bei Argyrês Petronötës, The multi-domed basilica of Aghios Georgios at Zakholi, in: Charalambos Bouras (Hg.), Εκκλησίες στην ЕХѴаба μετά τψ αλώση, 1453-1850. Athen, Bd. 2, 1982, 257-270. 8 Zum osmanischen Eisenbahnwesen auf dem Balkan und auf heutigem griechischem Staatsgebiet in Makedonien und Thessalien vgl. Mehmet Hacisalihoğlu, Die Jungtürken und die Mazedonische Frage (1890-1918). München 2003 (Südosteuropäische Arbeiten, 116), 45, Anm. 15 (weiterführende Literaturangaben). Πόντος. Θέματα Λαογραφίας του Ποντιακού Ελληνισμού [Pontus. Volkskundliche Themen der Pontus-Griechen]. Hg. Manóles Sergés. Athen: Alētheia Ekdoseís 2008. 462 S., Abb., ISBN 978-960-89981-2-4, € 45,Die griechische Bevölkerung rund um das Schwarze Meer (Euxinischer Pontus) und im Hinterland ist häufig Gegenstand historischer Untersuchungen gewesen und gehört, nach den
systematischen Aussiedlungen vor und nach dem 1. Weltkrieg bzw. den rezenten Repatriierungen der Griechen von Transkaukasien nach dem Zerfall der Sowjetunion, be reits der Geschichte an. Die Pontus-Griechen an der Südküste des Schwarzen Meers und im Hinterland sind aufgrund ihres altertümlichen Dialekts auch häufig Gegenstand von Sprachuntersuchungen gewesen. Vorliegender Band hat seine Ausrichtung in vorwiegend volkskundlicher Thematik. Die Arbeiten gliedern sich in Studien zum historischen Pontusgebiet vor der Aussiedlung von 1923, in Studien zu den Pontus-Griechen auf griechischem Staatsgebiet nach 1923 und in Studien, die sich mit den Pontus-Griechen in Georgien und Armenien beschäftigen. Alle Studien sind mit einer englischen oder französischen Zusammenfassung versehen. Den Beginn der z.T. umfangreichen Arbeiten macht Stafēs N. Kekridis über das Pontus-Gebiet zur Zeit der osmanischen Herrschaft (21-30), gefolgt von Alexandros N. Akritopoulos, der Volksmärchen aus dem Pontus-Gebiet untersucht (31-46); dann kommt die kulturanthropologische Studie von Eleutherios Аеехашѕ zu Verwandtschartsformen und der Siedlungsorganisation bei den Pontus-Griechen (47-69, Agnatenlinie, Semino madismus). Kostas Alexandridis geht auf den raømøgmVz-Spielbrauch im historischen Livera (Yazlik) ein sowie sein Wiederaufleben inTetralopho im Raum Kozani (75-83, mit Abb.), M. G. Varvounis beschäftigt sich mit den pontischen Lokalheiligen (85-104). Die Südost-Forschungen 68 (2009) 757
Kunstgeschichte, Volkskunde Gruppenidentität der Pontus-Griechen nach der Aussiedlung in Griechenland analysiert Maria K. Vergeti (105-113), mit einem Kulmrsymbol der Pontus-Griechen beschäftigt sich Giõrgos Vozikaš: dem einstigen Wallfahrtsort der Gottesmutter von Sourmela mit der wundertätigen Ikone, heute als vielbesuchte Bergwallfahrt im Vermio-Gebiet bei Véroia (115-132). Die Rolle des Wassers in der pontischen Volkskunde untersucht Elsa Galanidou-Balfousia (133-144), die Rolle der Frau und Gattin in der pontischen Dia lektdichtung Stafēs Efstathiadis (145-151); Myrophora E. Efstathiadou berichtet vom Patrozinienfest in Kadirga (153-161), Fragen der Assimilation und der Differenzie rung der Pontus-Griechen in Nordgriechenland schneidet Magdaléné Zographou an (163-174). Eine völlig andere Fragestellung beschäftigt Anta Karagiannidou: abweichendes Verhal ten und Kriminalität der rezenten pontischen Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion (175-182); mit den Schattierungen der Identität der Pontus-Flüchtlinge im 20. Jh. und der Aufarbeitung der (traumatischen und nostalgisierten) Vergangenheit beschäftigt sich Iõannés Kaskamanidis (183-203), während Kostas D. Kontaxis die Ähnlichkeiten und Unterschiede der Versionen der Ballade von der „Arta-Brücke“ zwischen dem Pontus-Gebiet und den griechischen Varianten herausarbeitet (205-215). Besonders interessant ist die Arbeit von Geörgios Kouzas über die Religiosität der Pontus-Griechen im georgischen Batum unter sowjetischer Herrschaft (217-240, mit Abb.).1 Mit der Repatriierung der Pontus-Griechen aus der ehemaligen
Sowjetunion beschäftigt sich auch Maré Lavrentidou (241-247); Theophaněs Malkidis schreibt über die hellenophonen islamisierten Kryptochristen im Pontus-Gebiet heute (249-267)7 Uber ein Flüchtlingsdorf im Bereich Kozani und seine Geschichte berichtet Eleně Mentesidou (269-289, mit Abb.). Historisch ausgerichtet ist die Studie von Stelios Mouzakis über Selbstverwaltung, Solidarität und Konflikte der Griechen in Trapezunt 1821 mit einem unveröffentlichten Namenskatalog der Bewohner (291-297). S. P. Papadopoulos berichtet über das Schulleben eines Flücht lingsdorfes, Mavrovato, im Bereich Drama 1915-2006 (299-312, mit Abb.), Anagnõstés Е. Papakyparissis über die Laz in Nordgriechenland (1925-26) aufgrund von Briefen im Archiv Dawkins (313-351, mit Abb.). Mit dem Alkestis-Mythos im pontischen Volkslied beschäftigt sich Nikoletta D. Perpatari (353-359), über die Flüchtlingssiedlung Nea Kerasounta im Raum Preveza berichtet Demetrios E. Raptis (361-372, mitAbb.), über ein anderes Flüchtlingsdorf im Raum der Rhodopen Manóles Sergis (373-389, Identität, Namensetymologien). Das Alltagsleben des Dorfes Tsimera südlich von Trapezunt um die Jahrhundertwende von 1900 untersucht Stafēs Taxidis (391-406), Eleutherios К. Charatsidis die Agrarkultur der Griechen in Armenien in der ersten Hälfte des 20. Jh.s (407-423, mitAbb.). Geörgios K. Hatzopoulos beschäftigt sich mit dem „schweigenden Wasser“ in der pontischen Volkskunde (425430), mit Speisen und ethnischer Identität der Pontus-Griechen in Sourmena im Raum Attika Kyriaké Chrysou-Karatza (431-449). Mit dieser Studie findet der
gehaltvolle Band seinen Abschluss. Es folgen noch die Biographien der Autoren (451-460) und das Inhaltsverzeichnis (46 lf.). Athen, Wien 758 Walter Puchner Südost-Forscliungen 68 (2009)
Rezensionen 1 Vgl. Ev. Avdikos, The role of religious practices in the shaping of identity: the example of the Greek minority in the democracies of the Ex-Soviet Union, in: Oral History: Challenges for the 21st Century. X. International Oral History Conference (Rio de Janeiro, Brazil, 14-18 June 1998). Rio de Janeiro 1998, ѴЫ. I, 23Ճ-245. 2 Vgl. Tessa Hofmann (Hg.), Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Christen im Osmanischen Reich 1912-1922. Münster, Hamburg 2005. Πρακτικά επιστημονικού συνεδρίου: Η έρευνα και διδασκαλία του υλικού πολιτισμού των νεωτέρων χρόνων στα ελληνικά Πανεπιστήμια, Αθήνα 7-8 Μαΐου 2007 [Kon gressakten: Forschung und Lehre der Sachkultur der Neuzeit an den griechischen Univer sitäten, Athen, 7.-8. Mai 2007]. Hgg. Katerina Korre-Zografu / Geõrgios Ch. Kuzas. Athen: Universität Athen, Fachbereich Philologie, Sektion Byzantinische Philologie und Volkskunde 2010. 544 S., zahir. Abb., ISBN 978-960-466-055-1 Der Kongressaktenband umfasst 23 griechische Referate von Volkskundlern, Soziologen, Sozialanthropologen, Museologen usw., die in alphabetischer Reihenfolge geordnet sind. Die Studien bewegen sich sowohl in spezifischen Sach- und Gerätebereichen als auch in Theorie und Didaktik der Sachvolkskunde. Den Beginn macht Minas Alexiadis, der sich mit der Darstellung von Vertretern traditioneller Berufe auf alten Postkarten und Fotografien beschäftigt (23-42), gefolgt von Ariadni Antoniadou, die über Matratzenmacher in Kozani berichtet (43-64, Berufsträger, Herstellungstechniken, Baumwollfüllung, Spezialbibliographie, Fotografien); Manolis VtRvouNis
geht auf Sachgegenstände der religiösen Praxis ein (65-78), Chr. Veükou be richtet über die Schwierigkeiten der Erstellung eines neuen Unterrichtsprogramms für die Sozialanthropologie (79-84). Mit dem Ethnologischen Museum Thrakiens in Alexandroupolis, seinen Beständen und didaktischen Schulprogrammen beschäftigt sich Angela Giannakidou (85-98, mit Foto grafien), Despoina Damianou mit Sesamproduktion und -verkauf in Thrakien (99-124, mit Spezialbibliographie und Abb.). Dem Wasserantrieb in der Holzmanufaktur im PindusRaum widmet Theophanis Dasoulas seine Arbeit (125-148, mit vlachischem Glossar, Skiz zen und Bibliographie), über Sachkulturforschung und -lehre an der humanistischen Fakultät der Universität der Peloponnes berichtet Aristeidis Doulaveras (149-154). Pädagogisch ausgerichtet ist auch das Referat von Georgios Thanopoulos über die Sachkultur in den griechischen Unterrichtsbüchern (155-174). Gleich mehrere Autoren unterzeichnen den Forschungsbericht über die Sachkultur der Insel Skyros 2006 (175-192, mit Abb.). Die Mär chenspezialistin Marianthi Kaplanoglou bleibt ihrem Spezialgebiet treu: Sachgegenstände als Erzählmotive im Volksmärchen (19-206, magische und symbolische Gegenstände, mit Bibliographie und Abb.); auf die geschnitzten Hirtenstäbe, Spindeln und andere Holzgegen stände in Ätolien und Akarnanien geht Kostas Kontaxis ein (207-230, Material, Herstel lungswerkzeuge, Thematiken usw.). Katerina Korre-Zographou berichtet über die Sach kultur in Forschung und Lehre an der Universität Athen (231-256, mit zahlreichen Abb.). Südost-Forschungen 68 (2009)
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Kunstgeschichte, Volkskunde Besonders umfangreich und gut dokumentiert ist die Arbeit von Georgios Kouzas über die fliegenden Märkte im Bereich von Perama an der Stadtperipherie von Piräus (257-340, zahir. Abb.), wo auch auf soziale Funktionen, ökonomische Transaktionen und Symboliken eingegangen wird: Terminologie, Daten, Raumverteilung, gesetzliches und „ungesetzliches“ Verkaufen, Käuferverhalten und -motivationen, Kaufrufe, Feilschen, Solidarität der Ver käufer, Tauschhandel, Konsumverhalten, Angebot von Speise und Trank, Informationen, Warenangebot, traditionelle Berufe und Antiquitäten, Tiere, Maschinen, Unterhaltung, Schaustellerei usw. Ins hervorragend organisierte Frauenkloster in Ormylia auf Chalkidike und seine Kirchenkunst führt uns Anna Lydaki (341-354) zu Heiligenmalerei, Mosaiken, Stickkunst, Webkunst, Holzschnitzerei, während Michalis Meraklis die Symbolfunktion der „Dinge an sich“ zum Gegenstand seiner Ausführungen nimmt (355-374). Gedenksteine, Büsten und Statuen im Vorort Ilioupolis in Athen stehen im Zentrum des Referats von Konstantina Bada und Evangelia Matsouki (375-400, mit Abb.). Der Seidenproduktion in Ioannina widmet sich Niki Botonaki (401-412), auf den museologischen Aspekt der Sachkulturtheorie geht Alexanda Bounia ein (413-432), während Evdokia Olympitou die Unterrichtsaspekte hervorhebt (433-448). Vaso Rokou beschäftigt sich mit Seidenkleidern in Epirus (449-466), Wandkalender der Naxos-Vereine in Athen 1980-2007 untersucht Manolis Sergis (467-516). Auch der letzte Beitrag führt auf die Kykladeninsel Naxos: Petros Frantzeskos über Musik und
Tanz in den Kaffeehäusern des Bergdorfes Komiaki und Apeiranthos in alter und neuer Zeit (517-544, Verzeichnis der Informanten, Abb.). Wie allein aus den Titeln zu ersehen ist, handelt es sich um einen gewichtigen Beitrag zur griechischen Sachvolkskunde und zu ihrer institutioneilen Vertretung an den griechischen Universitäten. Athen, Wien Walter Puchner Jaroslav Vaculík, České menšiny v Evropě a ve světě [Die tschechischen Minderheiten in Europa und in der Welt]. Praha: Libri 2009. 319 S., ISBN 978-80-7277-397-8, Kč 460,Der Brünner Historiker Jaroslav Vaculík hat in seiner neuesten Arbeit seine langjähri gen Forschungen zu Tschechen im Ausland fortgeführt und stellt nun der Leserschaft ein vielseitig angelegtes Werk vor. Der Band bietet ein plastisches Bild über tschechische und deutsche Auswanderer und Flüchtlinge aus Böhmen und Mähren vom 16. bis zum 20. Jh. Die Einleitung in die alphabetisch gegliederte Studie zu den tschechischen Minderheiten im Ausland bilden drei Unterkapitel, deren Titel die Ursachen für die Emigration als religiös, sozioökonomisch und politisch bedingt benennen. Der Autor schildert auf der Grundlage bekannter Fakten eingehend eine ganze Reihe von Forschungsergebnissen und Interpreta tionen, die er in einen breiteren historischen Kontext stellt. Der interessierte Leser ruft sich so zunächst die in tiefer Vergangenheit liegenden Schicksale des nichtkatholischen tschechi schen Adels und des reichen Bürgertums des 16. und 17. Jh.s in Erinnerung, die nach der Schlacht am Weißen Berg schrittweise ihre Güter verlassen und ins Ausland gehen mussten. 760
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Rezensionen Wegen religiöser Verfolgungen brachten dann weitere Emigrationswellen auch weniger pri vilegierte Bevölkerungsschichten in Bewegung, die im Verlaufe des 18. Jh.s ganz in der Nähe ihres Heimatlandes, vor allem in dem von Preußen eroberten Teil Schlesiens, ihr Ziel fanden. Nach Vaculík nimmt die folgende Emigrationsetappe, die als eine sozioökonomisch be dingte zu charakterisieren ist, das gesamte 19. Jh. ein, um etwa dann in den 1930er Jahren abzuklingen. Der Autor analysiert in übersichtlicher Form Ablauf, Intensität und auch die Änderungen der Ursachen, die zur Auswanderung führten. Wir werden so mit Daten über den Weggang von etwa 1,2 Millionen Personen (davon 1 Million tschechisch Sprechende) bis zum 1. Weltkrieg vertraut gemacht, die nicht nur in das benachbarte Österreich oder in die entfernten USA auswanderten, sondern auch auf den Balkan oder nach Wolhynien in der Ukraine. Die politischen Ereignisse und die Kriege des 20. Jh.s haben schließlich zur Genüge für Emigration gesorgt, auch wenn sie bei Weitem nicht den Umfang erreicht wie z. B. bei Polen oder Russen. Eine größere Auswanderungswelle dieser Art verursachte 1938 das Münchner Abkommen und schließlich die Okkupation im März 1939. Eine logische Fortsetzung dessen brachte der kommunistische Umsturz im Februar 1948, der in den Volkszählungslisten allein bis 1953 44.000 Personen unter den Tisch fallen ließ. Die größte politische Emigrationswelle ist jedoch noch in lebendiger Erinnerung. Statistisch teilt uns hier der Autor mit, dass nach der sowjetischen Invasion im August 1968 etwa 130.000 Personen
nach Westeuropa und Nordamerika gegangen sind. Die alphabetische Auflistung der tschechischen Gemeinschaften im Ausland bildet den Schwerpunkt der Publikation. Insgesamt 48 Einträge geben die Möglichkeit, Informationen über traditionelle Auswanderungsziele wie die USA, Österreich oder Ukraine genauso zu erhalten wie zu den Zielen einmaliger Auswanderungsbewegungen wie Kroatien, Slawonien, das Banat, Bosnien und Bulgarien. Die Konsequenz des Autors bei der Fortführung der einzelnen Porträts bis in die Gegenwart muss gelobt werden. Ein weiteres Lob gebührt ohne Einschränkungen den direkt in den Text eingebundenen Abbildungen. Ihre Wirkung bezieht sich in erster Linie darauf, dass nicht nur die Atmosphäre vergangener Zeiten wachgerufen wird, sondern dabei auch eine ganze Reihe von regionalen Besonderheiten eine nicht minder wertvolle Dokumentation erhalten. Die Register und eine Auswahlbibliographie runden den Text logisch ab und komplettieren eine nutzbringende Publikation, die eine Lücke zu diesem Thema auf dem Buchmarkt schließt. Brünn Kamil Štěpánek „Zigeuner“ und Nation. Repräsentation - Inklusion - Exklusion. Hgg. Herbert Uerlings/Iulia-Katrin Patrut. Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang 2008 (Inklusion/Exklusion. Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart, 8). 711 S., ISBN 978-3-631-57996-1, € 58,Trotz seiner gut 700 Seiten Textlänge bietet dieses Sammelwerk im Großen und Ganzen eine kurzweilige Lektüre, wenngleich es sich den Mängeln, unter denen derartige Editionen Siidost-Forschungen 68 (2009) 761
Kunstgeschichte, Volkskunde ungeachtet ihres Entstehungszusammenhangs — im konkreten Fall handelt es sich um den Abdruck von Referaten zweier Fachtagungen — stets zu leiden haben, nicht zu entziehen vermag. Denn ungeachtet der Frage, ob der Titel den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Beiträge repräsentiert oder aber als zentrale Themenstellung vorgegeben war, kann auch ein die Thematik einschränkender Untertitel nicht darüber hinwegtäuschen, dass es annä hernd unmöglich ist, alle Autoren zielgenau auf das für diesen Sammelband als wesentlich Vorgegebene zu verpflichten bzw. eine allen Beiträgen gemeinsame Kernaussage zu finden. Bei insgesamt 22 Beiträgen und ebenso vielen Autoren, die zudem trotz der vorliegenden Dominanz von Literaturwissenschaftlern den verschiedensten Fachrichtungen entstammen und dementsprechend die verschiedensten Zugangsformen, aber auch -möglichkeiten zum Thema haben, darf nicht erwartet werden, dass alle Aufsätze den Erwartungen des Lesers (und sicherlich auch nicht der Herausgeber) entsprechen. Dass der Leser dann aber so wenig zu dem im Buchtitel vorgegebenen Thema erfährt ist mehr als nur enttäuschend. Gerade weil die in Titel und Untertitel angekündigten Themenkomplexe und die dadurch gleichsam automatisch evozierten Fragestellungen aktuell in der Diskussion respektive den Diskussionen sind ֊ immerhin handelt es sich um unterschiedliche Diskurse und Diskursebenen: Wissenschaft, Politik und die „Betroffenen“ (die interessanterweise im vorliegenden Werk gar nicht zu Wort kommen) sind immerhin auch noch da -, hätte man mehr erwarten dürfen. Mit
Ausnahme der - im Übrigen ziemlich oberflächlichen und viele Fragen offen lassen den - Beiträge von Herbert Heuss („Civil Society, Desegregation, Antiziganismus. Roma in Bulgarien“, 469-481) und Dan Oprescu („Ein neues Jahrzehnt, eine andere Inklusion. Bemerkungen zur Initiative Decade of Roma Inclusion 2005-2015 — eine Perspektive aus Rumänien“, 483-489), die wenigstens auf das die internationale Diskussion derzeit über wölbende Thema der „Decade of Roma Inclusion“ eingehen, stehen literaturwissenschaft liche und, in weitaus geringerem Umfang, geschichtswissenschaftliche Fragestellungen im Vordergrund. Diese Fragestellungen sind eben auch — gerade im Zusammenhang mit der Thematik „Zigeuner und Nation“ - auf das Engste miteinander verwoben, da die Exklusion der „Zigeuner“ im Nationswerdungsprozess (nicht nur in Deutschland) und durch diesen vorangetrieben worden ist und die Literatur in all ihren Erscheinungsformen zur ideolo gischen Untermauerung der Nationalstaatsbildung beigetragen hat. Somit wird sicherlich auch der Prozess der Ausgrenzung der „Zigeuner“ durch die Literatur (auch und gerade der wissenschaftlichen) unterstützt und vorangetrieben worden sein. Dies versuchen Her bert Uerlings und Julia-Katrin Patrut in ihrer mehr als überlangen und überladenen Einleitung (,„Zigeuner“, Europa und Nation“, 8-63) deutlich zu machen, auch wenn es bei der Zusammenfassung der darauffolgenden Beiträge nicht in jedem Fall gelingt, den Bezug zum Thema herzustellen. Die Fragen, wie und warum im Prozess der Nationenwerdung „Zigeuner“ ausgegrenzt worden sind und was in diesem
Zusammenhang unter dem Begriff „Zigeuner“ verstanden worden ist, sind es, die der Leser derzeit beantwortet haben möchte, wenn er sich ein Buch mit einem derartigen Titel und den im Inhaltsverzeichnis angekündigten Themen zulegt. Nachdem es im deutschsprachigen Raum während der letzten hundert Jahre üblich geworden ist, „Zigeuner“ als „Volk“ — analog zum „deutschen Volk“ — und/oder „Rasse“ 762 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen aufzufassen, haben geschichtswissenschaftliche Studien der letzten Jahre deutlich gemacht, dass der Begriff „Zigeuner“ bis ins 20. Jh. hinein eben keine ethnisch/rassische Gruppe, sondern eine soziale und kognitive Kategorie bezeichnet hat. Diese - immer noch nicht ganz unumstrittene - Erkenntnis wird im vorliegenden Band von dem hervorragenden Beitrag von Juliane Hanschkow („Etikettierung, Kriminalisierung und Verfolgung von,Zigeunern“ in der südlichen Rheinprovinz zur Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik 1906 bis 1933“, 249-271) auch bestätigt. Obgleich Untersuchungsraum (RegierungsbezirkTrier) und -Zeitraum begrenzt sind, kann Hanschkow deutlich herausstellen, dass die zuständigen preußischen Behörden nicht in der Lage waren, klar zu unterscheiden, welche Personen als „Zigeuner“ zu betrachten waren und welche nicht. Wie sich auch in vergleichbaren Studien herausgestellt hat, tendierten die Behörden stets dazu, alle nicht- oder halbsesshaften, im Familienverband umherziehenden Personen als „Zigeuner“ wahrzunehmen, ungeachtet ihres ethnischen Hintergrunds, wohingegen alle sesshaften Sinti und Roma nicht als sol che erkannt und behandelt wurden. Auch der - gewohnt sehr gute, wenngleich inhaltlich nicht gänzlich neue - Beitrag von Karola Fings („Даѕѕе: Zigeuner“. Sinti und Roma im Fadenkreuz von Kriminologie und Rassenhygiene 1933-1945“, 273-309), der zeitlich an denjenigen von Juliane Hanschkow anschließt, befasst sich mit der Fremdsicht der „Zi geuner“ und dem Wandel von der bis dahin vorherrschenden soziographischen Sichtweise (der „Zigeuner“ als
unsteter Wanderer) zur rassischen (besser: rassistischen) Erfassung („Zigeuner“ als Abstammungsgemeinschaft) sowie der fatalen Folgen für die derart Stig matisierten. Interessant und - für den oben angesprochenen Erkenntniszusammenhang wesentlich - ist dabei das Ergebnis (als eines von vielen Resultaten, die Fings darstellt, die in diesem Rahmen aber nicht alle wiedergegeben werden können), dass auch beim Versuch, „Zigeuner“ als Rasse darzustellen, im konkreten Einzelfall nicht zweifelsfrei zu entscheiden war, welche Personen dazugehörten und die letztendliche, von Behördenvertretern gefällte Entscheidung mit einer gewissen Willkür behaftet blieb. Neben diesen beiden unbestrittenen Höhepunkten des Werkes muss unbedingt noch der gelungene Aufsatz von Anton Holzer (.„Zigeuner“ sehen. Fotographische Expeditio nen am Rande Europas“, 401-420) Erwähnung finden, da er wie auch die beiden zuvor besprochenen einen Beitrag zum Thema leistet. Sein Zugang zu diesem Thema ist indes ein völlig anderer, wie auch der geographische Raum, den er behandelt, ein anderer ist. Der „Rand Europas“, wie Holzer Südosteuropa nicht ganz zu Unrecht bezeichnet, ist aller dings identisch mit dem Hauptwohngebiet (und damit ist entgegen dem üblichen, selbst in diesem Sammelband von einigen Autoren gepflegten Vorurteil tatsächlich Wohngebiet im Sinne von Wohnn'fó gemeint!) der als „Zigeuner“ stigmatisierten Menschen, die in der angesprochenen Region größtenteils den Roma zuzurechnen sind. Holzer versteht es dabei meisterhaft, die Entwicklung der Art und Weise aufzuzeigen, wie südosteuropäische Roma
fotografisch dargestellt worden sind, von welchen Moden im wissenschaftlichen, literarisch/ künstlerischen und öffentlichen Diskurs (was hier nicht als Gegensätze, sondern sich ver stärkende, aber auch unabhängige Diskursräume gemeint ist) diese Darstellung abhängig war und wie die Fotografien diese Moden wiederum beeinflussten. Relativ nahe am Thema befinden sich auch Thomas Huonker („Fremd- und Selbstbilder von .Zigeunern“, Jenischen und Heimatlosen in der Schweiz des 19. und 20. Jahrhunderts Südost-Forschungen 68 (2009) 763
Kunstgeschichte, Volkskunde aus literarischen und anderen Texten“, 311-364) zumindest in seinem umfangreichen und informativen Einleitungsteil sowie Simina Melwisch-Biräescu („Zwischen Philanthropie und Verachtung. ,Zigeuner“ als politische und ethnographische Objekte in Rumänien und Österreich-Ungarn 1840-1890“, 381-400), wenngleich hier auch bereits die Mängel der übrigen Beiträge deutlich werden: Gerade den Uteramrwissenschaftlichen Aufsätzen dieses Sammelwerkes, die hier nicht alle aufgeführt werden können, fehlt eine für NichtLiteraturwissenschaftler nachvollziehbare Fragestellung, die - soll eine Aussage zur Thematik „Zigeuner“ und Nation getroffen werden - zumindest hätte lauten müssen: Wie hat die angesprochene Literatur gewirkt (denn Literatur, die nicht gelesen wird, muss auch nicht berücksichtigt werden!)? In welchem Wirkungszusammenhang steht beispielsweise die Bel letristik des 19- Jh.s zur gesellschaftlichen Ausgrenzung der Sinti und Roma in Deutschland (und nicht der „Zigeuner“) oder der als „Zigeuner“ stigmatisierten Menschen anderswo (wie auch immer sie sich dort selbst bezeichnen mögen)? Als Einstieg in die Thematik (dann muss man ihn allerdings auch als solchen benennen) mag es genügen, die Stereotype und deren Entwicklungen aufzuzeigen. Dies darf - zumindest aus sozialwissenschaftlich/ethnologischer Perspektive - aber nicht das Endziel sein. Es muss hergeleitet werden, ob und, wenn ja, in welchem Zusammenhang - um Beispiele aus dem vorliegenden Sammelband aufzugreifen - Vorurteile im Grimmschen Wörterbuch (Anja Lobenstein-Reichmann, 589-629) mit
Stereotypen in einem Roman von Theodor Fontane (Stefani Kugler, 571-586) stehen, wie groß ihr gesellschaftlicher Wirkungskreis war (und ist!) und welche Auswirkungen sie auf das Zigeunerbild ihrer Zeit hatten. Darüber hinaus muss jeder, der über Stereotype und Vorurteile schreibt, peinlichst darauf achten, nicht in die Falle derselben zu tappen. Wer versucht, in der Literatur und der bildlichen Darstellung vergangener Jahrhunderte Menschen und deren kulturelle Besonderheiten zu identifizieren, darf nicht beim Vorfinden eines Merkmals, das heute zur Stereotypisierung einer bestimmten Menschengruppe benutzt wird, darauf schließen, dass zum Entstehungszeitpunkt des betrachteten Bildnisses oder Textes dasselbe Vorurteil auf die tatsächlichen Vorfahren dieser Menschen Anwendung fand. Dies bedeutet, dass nicht davon ausgegangen werden darf, dass heutige Vorurteile auch schon vor 500 Jahren bestanden und sich zwischenzeitlich nicht verändert haben, wie auch nicht einfach davon ausgegangen werden darf, dass Menschen, die heute ausgegrenzt werden, die Nachfahren derjenigen sind, die vor 500 Jahren ausgegrenzt worden sind. Konkret und exemplarisch lässt sich das angerissene Problem am Beispiel des Aufsatzes von Peter Bell und Dirk Suckow („Lebenslinien ֊ Das Handlesemotiv und die Repräsen tation von .Zigeunern“ in der Kunst des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit“, 493-549) verdeutlichen: An keiner Stelle wird der Beweis gesucht und geführt, ob es sich bei den in den besprochenen Abbildungen dargestellten Personen tatsächlich um Zigeuner im heutigen (also .völkisch“ definierten)
Sinne handelt. Vielmehr werden heutige Vorurteile in das 15. bis 18. Jh. zurückprojiziert und dann als unumstößlich wahre Merkmale zur Identifizierung einer Bevölkerungsgruppe festgemacht. So heißt es zum Beispiel: „Das Handlesemotiv bietet sich als Zugang in besonderer Weise an, wird es doch im behandelten Zeitraum zu einer Chiffre für Zigeuner schlechthin“ (494). Doch stimmt diese Aussage überhaupt, und gibt es irgendwelche Belege dazu? Oder werden Stilelemente nur aus heutiger Sicht in 764 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen bestimmter Weise interpretiert? Wie kommen die Autoren zu der Annahme, das Handlesen sei ein diakritisches Merkmal für „Zigeuner“ in ethnischer/rassischer Hinsicht (und genau so meinen es Bell und Suckow)? „Deutliche Attribute der Zigeunerin“ konstatieren die Autoren in einer mehr als gewagten Interpretation eines Bildes von Stefan Lochner aus der ersten Hälfte des 15. Jh.s (496) „sind die langen geflochtenen Zöpfe, die Ohrringe, der über der Schulter geknotete Umhang, die radförmigen stoffbespannten Hüte und schließlich die Begleitung durch ein unbekleidetes Kleinkind.“ Die zu Zöpfen geflochtenen Haare der von Lochner abgebildeten Person sind allerdings völlig unzweideutig blond, und die Hautfarbe der beschriebenen Personen ist heller als hell und somit doch eigentlich gar nicht dem üblichen Zigeunerbild entsprechend. Was also ist der Beleg, dass der Künstler seinerzeit Zigeuner habe darstellen wollen? Na ganz einfach: Die Umhänge, Hüte und unbekleideten Kinder finden sich auch auf allerhand späteren bildlichen Darstellungen in Zusammenhang mit dem Handlesen und dem Taschendiebstahl. Dies wird als eindeutiger Beweis dafür gewertet, dass auf den angesprochenen Werken Zigeuner (und nicht nur „Zigeuner“, auch wenn dieser Punkt nicht eindeutig geklärt wird) dargestellt worden sind. Oder vielleicht doch nicht? Handlesende Zigeunerinnen sind uns vom Balkan her be kannt. Die ersten Roma dürften aber erst um die Mitte des 19. Jh.s aus Südosteuropa nach Mitteleuropa eingewandert sein. Für den Zeitraum davor gibt es derzeit keine stichhaltigen Belege, dass „Zigeuner“ im
ethnologischen Sinne (und speziell: Sinti) dieser Beschäftigung nachgegangen sind. Auch Taschendiebstahl ist bislang noch nicht als diakritisches und alleiniges Merkmal der „Zigeunerkultur“ nachgewiesen worden und als „zigeunerische“ Tätigkeit (ausgeübt wiederum von aus Südosteuropa zugewanderten Roma) erst ab den 1980er Jahren nachgewiesen, auch wenn es zuvor in Einzelfällen vorgekommen sein mag (wie es auch seit der Ankunft südosteuropäischer Roma in Mittel- und Westeuropa bei Einzelfällen blieb). Zudem wissen wir, spätestens seit dem noch einmal positiv hervor zuhebenden Beitrag von Juliane Hanschkow, dass die Bezeichnung „Zigeuner“ allein als Sammelbegriff für Vagierende benutzt worden ist und somit keine eigenständige Kultur dieser Personengruppe zugeschrieben werden kann. Darüber hinaus ֊ und dies darf auch als Hauptkritikpunkt an dem folgenden Artikel von Marian Zăloagă („Die ,Zigeunerin1 als Hexe. Eine Analyse der gegenwärtigen und historischen Dimension eines Diskurses und seiner Bedeutung für Identität“, 551 -569) gelten - ist nach dem derzeitigen Stand der Forschung nichts über Zigeuner(innen) als Opfer von Hexenprozessen und -Verbrennungen bekannt. Hätten aber nicht handlesende und schwarze Magie betreibende Zigeunerinnen (wiederum ohne Anführungszeichen), die zudem ganz gerne mal in fremde Geldbörsen langen, sich nicht als eine Zielgruppe der Hexenverfolger anbieten müssen? Und damit zur zentralen Frage: Warum sollten Zigeuner (mit und ohne Anführungszeichen) den Vorur teilen der Literaturwissenschaftler entsprechen, wenn sie noch nicht einmal die Klischees
der Historiker bedienen? Bonn Südost-Forschungen 68 (2009) Marco Heinz 765
Rezensionen Sprache und Sprachwissenschaft Matthew H. Ciscel, The Language of the Moldovans. Romania, Russia, and Identity in an Ex-Soviet Republic. Lanham, Boulder, New York u. a.: Lexington Books 2007. 171 S., zahir. Graphen und Tabellen, ISBN 978-0-7391-1443-8, US-$ 60,Sich der gegenwärtigen Identitätsproblematik in der Republik Moldau zu nähern, ist ein schwieriges Unterfangen; klare Antworten scheinen unmöglich. Klar ist, dass es politische Konflikte gibt, in denen der Begriff „Identität“ andauernd benutzt wird und dass es mindes tens zwei Nationalismen gibt, die um die Seelen der Bevölkerung kämpfen (Rumänismus und Moldowanismus). Irgendwo dazwischen müssen sich die Moldauer situieren, handeln, leben und wohl auch eine Identität finden. Viele Wissenschaftler wählen politologische, historische, historiographische oder anthropologische Zugänge, um die scheinbar paradoxen Situationen dort zu verstehen.1 Die Sprachfrage ist ein weiterer beliebter Ansatzpunkt, zu dem es bereits eine Reihe von Arbeiten gibt und auch Matthew Ciscels Arbeit fügt sich nun hier ein. Schaut man sich den wissenschaftlichen Weg von Charles Kings „The Moldovans“ an,2 das mittlerweile ein Standardwerk zur Zeitgeschichte der Moldau ist, so scheint der sprachwissenschaftliche Zugang ein vielversprechender zu sein. King hatte nach einer Mas terarbeit zur Sprachfrage seine Doktorarbeit in Oxford ebenfalls zur „Politics of Language in Moldova“ verfasst.3 Vergegenwärtigt man sich außerdem, was in den letzten Jahren im Ausland und in der Moldau zur Sprachenfrage und Sprachgeschichte in der Moldau ge
schrieben wurde, so lässt Ciscels Buch zunächst auf eine Synthese hoffen.4 Ähnlich wie es Vasile Dumbrava für gemischtsprachige Familien untersucht hat,5 geht Ciscel den Fragen nach der Identifizierung, des sozialen Kapitals und den gesellschaftlichen sowie politischen Konsequenzen des Sprachverhaltens von Moldawiern nach. Wichtiger als eine klassische wissenschaftliche Vorgehensweise ist es Ciscel, wie er in seinem Vorwort anmerkt, mit diesem Buch seine Eindrücke zur sprachlichen Situation in dieser post sowjetischen Republik zu dokumentieren; dennoch, betont der Autor, handelt es sich hier um eine überarbeitete Version seiner 2002 fertiggestellten Doktorarbeit. So kombiniert Ciscels Studie eine Reihe von Zugängen, nämlich den eher ethnologisch-anthropologischen, wenn er mit uns Lesern durch Chişinău flaniert und ohnehin einer eher starken first-person narrative (Kapitel 1: „A Flîneur [sic] in Chişinău: Introducing the Participants“, 17-46), den linguistischen, wenn er mit Algorithmen die Sprachkompetenzen und die Identitätsop tionen analysiert (besonders Kapitel 4 und 5, 95-139), und den sozialwissenschafflichen, wenn er einige Zeitungen auf deren Standpunkt in Bezug auf Sprache und Identität hin untersucht (76-84). Ciscel schreibt schon in seinem einleitenden Kapitel: „The Moldovan reality is charac terized by uncertainty about national and linguistic identity“ (13). Auch sonst im Buch wird angenommen, dass wir die Moldauer mit Herderschen oder Andersonschen Schemata fassen können und sich diese in die bekannten Kategorien (Moldauer, Rumänen, Russen etc.) einfugen.
Obwohl Ciscel auch davon ausgeht, dass Bilingualismus die logische und einzige Lösung für die Moldau sei, so hält er in seinem Text nie inne, um zu fragen, ob die nationalen Identitäten, die er seinen postulierten linguistischen zur Seite stellt, überhaupt 766 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen passen. Der moldauische Politologe Iulian Fruntaşu fragte in seinem 2002 erschienenen Buch seine Leser, ob nicht die Lehre aus der Geschichte der Nation bzw. der Nationalprojekte in der Republik Moldau sei, dass bislang schlichtweg noch keine passenden Nationalentwürfe vorgelegt wurden und dass die Bevölkerung sich als den gängigen Projekten resistent und von ihnen unerreichbar gezeigt hat.6 Leider schließt Ciscel dann auch, dass sich ja in der Republik à la Huntington zwei Zivilisationen gegenüberstünden; ähnlich wie dies auch Ivan Katchanovski in Bezug auf den moldauischen und den ukrainischen Fall tat.7 Obwohl Ciscel insgesamt den rumänischen (bzw. rumänistischen) Nationalismus in der Moldau eher positiv sieht und für die russischen Identitätsträger recht schnell radikale Charakterisierungen parat hat - so zum Beispiel wenn er in Bezug auf eine russischsprachige Sprachschülerin den Begriff „naive oppressor“ verwendet (136) ֊, kommt er wiederholt zu einem äußerst konzilianten Schluss, der wohl prorumänische Moldauer vor den Kopf stoßen wird: Er betont an verschiedenen Stellen, dass Bilingualismus das nationale Ziel sein müsse und dies den sprachlichen Realitäten einfach entspreche (z. B. 107). In der Moldau müsse man, so Ciscel, vielleicht einfach eine nationale Identität jenseits der Sprache und der Kultur finden, denn das Land sei eben multikulturell (144). Wenn man sich mit einem Land wie der Republik Moldau beschäftigt, das oft so para doxe Entwicklungen produziert, dann ist es schwer, dem Leser einen Ausblick anzubieten, der den Test der Zeit besteht,
doch scheint ein Ausblick, der uns aus der verzwickten Si tuation herausführt, dringend nötig; die Logik eines Buches zur Zeitgeschichte suggeriert es quasi. Auch der Rezensent hat sich der Versuchung eines eher zu positiven Ausblickes nicht entziehen können - vor allem die Ausschreitungen im Frühjahr 2009 suggerierten die Fortdauer des Konflikts. Ciscel gelingt es jedoch mit einer Forschungsanekdote, einen der paradoxen Situation angemessenen Ausblick zu entwerfen; Er berichtet von einem Interview mit einem frisch verheirateten Ehepaar, das er 2006 in Chişinău traf. Entgegen der Dynamik, die er in seinem Buch beschreibt, das sich ja vor allem auf Forschungen aus den Jahren zuvor stützt, war die Sprache der beiden zuhause nicht Russisch, sondern Rumänisch, und beide wollten ihre zu erwartenden Kinder in beiden Sprachen gleich auf wachsen sehen. Die eigene moderate und konziliante Haltung zur Sprachsituation in der Moldau wurde ergänzt durch die Absichtserklärung, später im anderssprachigen Ausland ein besseres Leben zu suchen. Ciscel kommt dann zu dem Schluss: „this couple represents both the hope for balanced bilingualism and stability among the Moldovans and economic realities that undermine its realization“ (145). Leider bleiben die historischen Zugänge etwas unterentwickelt. Das gilt sowohl für den allgemein historischen Zugang sowie solche, die auf die Identitätspolitik sowie die Sprachpolitik fokussiert sind. Gerade bei den Versuchen, historische Bezüge herzustellen, irritiert der Begriff vom „ancient Moldova“, wenn er vom 18. und 19. Jh. spricht. Ciscels Studie
erfüllt leider auch nicht etwaige Erwartungen nach einer synthetisierenden Arbeit zur Sprache und Sprachpolitik. Eine solche umfassende und kritische Diskussion kombiniert mit einer Analyse zum Sprachverhalten der Moldauer wäre eine willkommene Ergänzung zu den in den letzten Jahren vorgelegten Untersuchungen zur Historiographie, zur Iden titätsverhandlung in der Presse und den vielen Detailstudien zur Sprache in der Moldau gewesen. Dennoch stellt Ciscels Buch einen wertvollen Beitrag zur Moldau-Forschung dar, Südost-Forschungen 68 (2009) 7 67
Sprache und Sprachwissenschaft da es nicht nur auf interessante Weise die sprachlichen Realitäten und Optionen in diesem Land dokumentiert und analysiert, sondern auch weil er versucht, die Sprachenfrage aus verschiedenen Richtungen mit vielerlei Methoden zu erfassen. Zwar sind seine Ergebnisse vor dem Hintergrund der bestehenden Forschung nicht überraschend, wie zum Beispiel der Verweis auf die Zusammenhänge zwischen Sprache und Status sowie wirtschaftlicher Stellung oder auf die relative Freiheit der Moldauer, angebotene Identitäten anzunehmen oder abzulehnen. Ciscel versucht aber, teils erfolgreich, einen umfassenderen Zugang zum Thema zu wählen. Und er verspricht uns im Buch auch, dass er seine Forschung auf andere Kontexte und Orte der Moldau ausweiten will. Cambridge/Regensburg Stefan Ihrig 1 Vgl. u. a.: Wim P. van Meurs, The Bessarabian Question in Communist Historiography Nationalist and Communist Politics and History-Writing. New York 1994; Monica Heintz (Hg.), Weak State, Uncertain Citizenship: Moldova. Frankfurt/M. 2008; Anika Zeller, Konstruktion im Wandel - Nationale Identität in der Republik Moldau. Eine Analyse der staatlichen Zeitung Nezavisimaja Moldova (1991-1994). Hamburg 2005; Florent Parmentier, La Moldavie à la croisée des chemins. Paris 2003; Stefan Ihrig, Wer sind die Moldawier? Rumänismus versus Moldowanismus in Historiographie und Geschichtsschulbüchern der Republik Moldova, 1991-2006. Stuttgart 2008. 2 Charles King, The Moldovans - Romania, Russia and the Politics of Culture. Stanford 1999. 3 Ders., The Politics of Language in Moldova 1924-1994.
Dissertation, UniversityofOxford 1995. 4 Zum Beispiel Donald L. Dyer (Hg.), Studies in Moldovan - The History, Culture, Language and Contemporary Politics of the People of Moldova. New York, Boulder 1996; Klaus Heitmann, Limbă şi politică în Republica Moldova - Culegere de studii. Chişinău 1998; Igor Caşu, Politica naţională în Moldova sovietică 1944-1989. Chişinău 2000; Klaus Bochmann/Vasile Dumbrava (Hgg.), Sprachliche Individuation in mehrsprachigen Regionen Osteuropas. Band 1: Republik Moldova. Leipzig 2007. 5 Vasile Dumbrava, Sprachkonflikt und Sprachbewusstsein in der Republik Moldova — Eine empirische Studie in gemischt-ethnischen Familien. Frankftirt/M. u. a. 2004. 6 Iulian Fruntaşu, O istorie etnopolitică a Basarabiei 1812-2002. Chişinău 2002. 7 Ivan Katchanovski, Cleft Countries. Regional Political Divisions and Cultures in Post-Soviet Ukraine and Moldova. Stuttgart 2006; vgl. die Diskussion bei Stefan Ihrig, Rezension zu F. Par mentier „La Moldavie à la croisée des chemins“ and I. Katchanovski „Cleft Countries - Regional Political Divisions and Cultures in Post-Soviet Ukraine and Moldova“, Südosteuropa Mitteilungen 48 (2008), H. 1, 114-116. 768 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Deutsche Beiträge zum 14. Internationalen Slavistenkongress Ohrid 2008. Hgg. Se bastian Kempgen/Karl Gutschmidt/Ulrike Jekutsch/Ludger Udolph. München: Verlag Otto Sagner 2008 (Die Welt der Slaven. Sammelbände/Sborniki, 32). 532 S., ISBN 978-3-86688-007-8, € 98,Die Veröffentlichung deutscher, bis einschließlich 1988 „westdeutscher“ Sammelbände der wissenschaftlichen Vorträge zu den Internationalen Slawistenkongressen hat eine lange Tradition. Seit dem Sofioter Kongress im Jahre 19631 erschienen 1968,2 1973,3 1978,4, 19835 und 1988s solche Sammelbände; 1993 dann erstmals ein gesamtdeutscher Band.7 1998,® 2003 und 2008 wurden zum Teil auch in den beiden slawistischen Fachzeitschriften „Zeitschrift für Slawistik“ und „Die Welt der Slaven“ die Veröffentlichungen von Vorträgen der Slawisten an deutschen Universitäten aus den zentralen Fachgebieten der slawischen Sprach- und Literaturwissenschaft der internationalen Fachwelt präsentiert. Ein wohl erster Kongress slawischer Philologen und Historiker lässt sich für das Jahr 1904 in St. Pe tersburg zumindest in der Planung belegen.9 Die eigentliche Tradition der internationalen Kongresse reicht aber erst zurück in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, als 1929 in Prag erstmals ein internationaler Slawistenkongress durchgeführt wurde, gefolgt von einem zweiten Kongress 1934 in Warschau und Krakau. Der für September 1939 in Bel grad geplante dritte Kongress musste wegen des 2. Weltkrieges abgesagt werden. Zu diesem wissenschaftlichen Anlass waren aber bereits einige Veröffentlichungen mit Resümees der vorgesehenen
Vorträge erschienen, die nun anlässlich des Ohrider Kongresses in Belgrad dankenswerterweise in Form eines umfangreichen Sammelbandes von der „Slavisticko društvo Srbije“ nachgedruckt wurden.10 Erst 1954 und 1955 konnten in zwei unabhängig voneinander durchgeführten Tagungen in Berlin11 und Belgrad12 die durch die Kriegsereig nisse abgerissenen Verbindungen der internationalen Slawistik wiederaufgenommen und 1958 dann der Vierte Internationale Slawistenkongress in Moskau durchgeführt werden,13 gefolgt jeweils im zeitlichen Abstand von fünf Jahren von den Kongressen in Sofia (1963), Prag (1968), Warschau (1973), Zagreb/Ljubljana (1978), Kiew (1983), Sofia (1978), Bra tislava (1993),14 Krakau (1998), Ljubljana (2003) und im Jahre 2008 in Ohrid.15 Herausgegeben wurde der rechtzeitig zum Kongress in Ohrid erschienene Sammelband vom Vorstand des Deutschen Slavistenverbandes sowie dem Vorsitzenden des Deutschen Slavistenkomitees. Für die Vignette auf der Titelseite des Bandes wurde die Drillingsarkade der Westfassade der Kirche Sv. Sofija in Ohrid verwendet, die zugleich auch als Zeichen der Einheit von Ost-, West֊ und Südslawistik bzw. auch als programmatische Einheit von Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft innerhalb des Gesamtgebietes der Slawistik verstanden werden sollte. In dem vorliegenden Band wurden insgesamt 40 Beiträge zu sammengeführt, von denen 32 sprachwissenschaftliche Themen behandeln, jedoch nur 8 dem Bereich der Literaturwissenschaft zugeordnet werden können. Damit ist, wie auch die Herausgeber des Sammelbandes im Vorwort ausführten, eine relativ
schmale Vertre tung der Literaturwissenschaft zu bedauern. In den früheren deutschen Kongressbänden war dies genau umgekehrt, dort dominierte stets die Literaturwissenschaft gegenüber der Sprachwissenschaft. Südost-Forschungen 68 (2009) 769
Sprache und Sprachwissenschaft Besondere Erwähnung verdienen die Beiträge zweier hochverdienter deutscher Sla wisten, die sich seit Jahrzehnten aktiv an den Slawistenkongressen sowie an der Arbeit der Kommissionen des Internationalen Slavistenkomitees beteiligen, nämlich Rainer Eckert (Berlin) und Ernst Eichler (Leipzig). Rainer Eckert, der u.a. die Baltistik an der Universität Greifswald in den neunziger Jahren neu aufgebaut hat, gab in seinem Vortrag „Balto-Slavica in der historischen Phraseologie“ einen Einblick nicht nur in die historische Entwicklung des Studiums des Baltoslawischen, sondern hat auch Ergebnisse seiner tief greifenden Forschungen zur Phraseologie der slawischen und baltischen Sprachen einem interessierten Publikum geboten. Als weiterer Beitrag in diesem Bereich ist der englisch abgefasste Beitrag unter dem Titel „Centum Elements in Slavic Revisited“ von Jadranka Gvozdanović zu sehen. Ernst Eichler, seit Jahrzehnten an der Universität Leipzig und in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften tätig, gab einen Überblick über das linguistische Unternehmen des „Slawischen Onomastischen Atlas/SOA“, dessen Anfän ge bereits auf den Slawistenkongress in Moskau 1958 zurückgehen. Hauptaufgabe des langfristigen Unternehmens unter internationaler Beteiligung war und ist die Darstellung des urslawischen Namenerbes, vor allem aus typologischer Sicht, sowie Feststellungen zur Fortsetzung der Namentypen in den slawischen Einzelsprachen. Große Bedeutung kommt dem „Slawischen Onomastischen Atlas“ auch in heute nichtslawischen Sprachregionen zu, wobei dem bereits 1964
von Ernst Eichler vorgeschlagenen,Altsorbischen Toponymischen Atlas“ für Deutschland ganz besonderes Gewicht zukommt. Leider sind innerhalb der zahlreichen Beiträge zum Ohrider Kongress im Gegensatz zu früheren Kongressen keine weiteren onomastischen Abhandlungen zu finden. Schwerpunktmäßig sollen im Folgenden vor allem Beiträge angeführt werden, die sich ganz oder auch nur teilweise mit südslawischen Themen befassen, die also in den Bereich der Südosteuropaforschung gehören. Ausschließlich südslawistisch ausgerichtet ist vor al lem der Beitrag von Anna Kretschmer zum Thema „Eine sprach- und kulturhistorische Studie zur Endphase der orthodoxen Slavia“, wobei es um die serbischen Chroniken von Đ. Brankovič geht. Die Autorin geht über sprachwissenschaftliche Fragestellungen hinaus, indem sie auch sozial- und kulturhistorische, ferner auch soziolinguistische und textologische Komponenten aufzeigt, wobei reichhaltiges Textmaterial zur Veranschaulichung herangezogen wird. Wichtig ist hier vor allem die Feststellung, dass die Chroniken die geistige Kultur und die Weltanschauung der orthodoxen Balkanslawen um das Jahr 1700 veranschaulichen. Helmut W. Schaller hat in seinem Beitrag „Akbulgarische Psalmen übersetzungen“ Anklänge an den althebräischen Originaltext gefunden, wobei es vor allem um syntaktische Übereinstimmungen, aber auch um lexikalische Besonderheiten ging, ein Thema, das längerfristig weiter vertieft und erweitert werden soll. Südslawische Sprachen werden vergleichend einbezogen im Beitrag von Thomas Men zel zu „Temporaladverbien oder Kasusfunktion“, wobei es um
den Instrumental der Zeit im Russischen, Polnischen und Serbischen bzw. Kroatischen geht. Geboten wird inter essantes Beispielmaterial, über das im Allgemeinen hinweggesehen wird, stellt man sich nicht die Aufgabe einer solch spezialisierten Untersuchung. „Slawische Kreolsprachen“, ihr Mythos und die Realität sind das Thema von Christian Voss, wobei der Autor sich u. a. der Hybridität und Kreolisiemng auf dem Balkan widmet. Die Feststellung, dass die 770 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Balkansprachen wesentlichen Konvergenzprozessen unterworfen wurden, andererseits dort aber auch archaische Sprachzustände zu finden sind, erinnert an die Aussage von Vladimir Georgiev, dass die Balkansprachen eine Gruppe von Sprachen darstellten, die auf halbem Wege zur Konvergenz stecken geblieben seien.16 Ein weiterer Beitrag, der in den Bereich der Südosteuropaforschung gehört, ist die von Daniel Bunčić behandelte „(Re-)Natio nalisierung der serbokroatischen Standards“, wobei der Autor zu dem Ergebnis kommt, dass nach 1990 keine „Glottotomie“ stattgefunden habe; vielmehr sind nach seinen Fest stellungen die Standardvarietäten der Bosnier, Kroaten, Montenegriner und Serben nur „nationalisiert“ worden. Ob man seiner Auffassung zustimmen kann, Sprache der Musik, Bienensprache oder Programmiersprache als „Sprache“ im linguistischen Sinn zu bezeichnen, erscheint fraglich, da Sprache nicht nur als Zeichensystem zu verstehen ist, sondern auch zur menschlichen Kommunikation verwendet werden muss sowie von einer Sprachgemein schaft angenommen sein sollte. Sprachgemeinschaften scheinen für die Nachfolgesprachen des Serbokroatischen besonders wichtig zu sein. Ein besonders interessantes Thema wurde in dem in russischer Sprache veröffentlichten Beitrag von Walter Breu mit „Razvide sistem artikle) v slavjanskich mikrojazykach v absoljutnom jazykovom kontakte“ geboten, wobei es u. a. um das Moliseslawische, ebenso aber auch um obersorbische Dialekte ging. Behandelt wurden Form und Funktion der Artikel, u. a. wurden referentielle Funktionen und Parallelen zum
Italienischen und zum Deutschen für beide Mikrosprachen aufgezeigt. Die Betrachtung von Jargon-Konzeptionen in der slawischen Linguistik durch Bernhard Brehmer geht auf das Russische, Polnische und Serbische ein, wobei als „Dauerproblem“ die genauere Bestimmung des Terminus „Sprachvarietät“ offen bleiben muss. Produktive Dativkonstruktionen, nämlich possessive, deontische und temporale Attributionen im Russischen, Polnischen, Tschechischen sowie Serbokroatischen und Makedonischen als südslawischen Sprachen behandelte Thomas Daiber Der Funktionalstil der Alltagsspra che und die Umgangssprache mit Blick auf das Russische, Tschechische und Bulgarische behandelte Wolfgang Glad row, wobei er auch kurz auf die Turzismen und Anglizismen des Bulgarischen kurz eingeht und anführt, dass Turzismen auf Ablehnung, Anglizismen dagegen auf Zustimmung beim bulgarischen Muttersprachler stoßen. In den übrigen Beiträgen werden entweder allgemeinlinguistische Fragestellungen oder nur west- und/oder ostslawische Sprachen behandelt. So bezieht sich der Beitrag von Alexander Bierich auf polnisches, tschechisches und russisches Argot, wobei der Autor speziell die deutschen und jiddisch-hebräischen Entlehnungen untersucht, ein Thema, das in den Bereich der Soziolinguistik gehört. Swetlana Mengel stellt die Frage „Durch Reformation zur Sprachreform?“ und präsentiert ein bisher unbekannt gebliebenes Idiom der neueren russischen Literatursprache. Russische Interjektionen als pragmatische Einheiten werden von Elena Graf thematisiert, Wladimir Klimonow vergleicht „Ereignisse“ aus sprachlicher Sicht im
Russischen mit dem Deutschen, wobei es um lexikalische Aspekte, ebenso aber auch um Aspektualität als Quantifizierung verbaler Inhalte geht. Verschiedene Sprachsituationen und Neologisierungsprozesse in der modernen slawischen Phraseologie werden von PIarry Walter thematisiert, Wortstrukturen und die Ikonizität werden von Alicja Nagórko vorgestellt, Valerij Mokienko behandelt die moderne slawische Phra seologie aus synchroner und diachroner Sicht. Tilman Berger stellt in seinem Beitrag den Südost-Forschungen 68 (2009) 771
Sprache und Sprachwissenschaft tschechischen Sprachwissenschaftler Johann Wenzel Pohl (1720-1790) und dessen Beitrag zur slawischen Sprachwissenschaft vor, wobei es sich um einen bisher kaum beachteten Vertreter der Slawistik des 18. Jh.s handelt, der wohl im Schatten von Josef Dobrovský stand, der als Begründer der Slawistik noch vor Franz Miklosich gesehen wird. Entsprechend der Bedeutung der beiden sorbischen Vertretungen, dem Ober- und dem Niedersorbischen in Deutschland, finden sich im vorliegenden Kongressband auch mehrere sorabistische Beiträge, so von Hauke Bartels zu konkurrierenden Passivkonstruktionen in der niedersorbischen Schriftsprache, einem Beispiel von Sprachwandel, bedingt durch Purismus. Roland Marti zeigt am Beispiel des Niedersorbischen die Möglichkeiten der Rechtschreibkodifizierung und -reform bei „Kleinsprachen“ auf, Lenka Scholze behandelt mit unpersönlichen Konstruktionen und dem unpersönlichen Passiv syntaktische Beson derheiten der obersorbischen Umgangssprache. Wie bereits angedeutet, stehen den zahlreichen sprachwissenschaftlichen Beiträgen nur wenige literaturwissenschaftliche gegenüber, angeführt von Elisabeth von Erdmanns Phantasiebildern alter Kulturen bei Valerij Brjusov und ihr Beitrag zur Bildtheorie des russischen Symbolismus, gefolgt von Robert Hödels Darstellung des Familienromans als Genre, Ulrike Jekutschs „Das Lob Pauls I. — Herrscherpanegyrik in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts“, „Literatur zwischen national verstandenem Exil und transkulturell begriffener Migration“ sowie Problemen der Kanon-Konzeptualisiemng von Alfrun
Kliems, Philosophie und Verführung, der intime Diskurs der russischen Philosophen von Schamma Schahadat und Dietrich Scholzes Behandlung der Rezeption sorbischer Romane von 1945 bis in die Gegenwart. Nur zwei literaturwissenschaftliche Abhandlun gen beziehen sich ganz bzw. teilweise auf den südslawischen Bereich, nämlich Miranda Jakišas und Sylvia Sasses „Logiken der Feindschaft in der Literatur des,Balkans““ und der damit verbundenen Frage der jugoslawischen Sezessionskriege als Ausbruch kontingenter Hostilitat sowie schließlich der Beitrag von Andrea Meyer-Fraatz mit der Fragestellung „Orientalismus bei den Slaven“, wobei es ihr um den Umgang mit islamischer Kultur bei Ivan Bunin, Bolesław Les'mian und Aleksa Sande geht. Der nächste Internationale Slawistenkongress wird 2013 in Minsk stattfinden. Es bleibt zu hoffen, dass auch dann wieder ein umfangreicher Band mit den Forschungsergebnissen deutscher Slawisten im Rahmen dieses internationalen Forums präsentiert werden kann. Marburg/L. Helmut W. Schalier 1 Slawistische Studien zum V. Internationalen Slawistenkongreß in Sofia 1963. Hgg. Maximilian Braun / Erwin Koschmieder unter Mitwirkung von Irmgard Mahnken. Göttingen 1963. 2 Slavistische Studien zum VI. Internationalen Slavistenkongreß in Prag 1968. Hgg. Maximilian Braun/Erwin Koschmieder. München 1968. 3 Slavistische Studien zum VII. Internationalen Slavistenkongreß in Warschau 1973. Hgg. Johannes Holthusen/Erwin Koschmieder/Reinhold OLEsœ/Erwin Wedel. München 1973. 4 Slavistische Studien zum VIII. Internationalen Slavistenkongreß in Zagreb 1978. Hgg. Johannes
Holthusen/Wolfgang Kasack/Reinhold Olesch. Köln, Wien 1978. 5 Slavistische Studien zum IX. Internationalen Slavistenkongreß in Kiev 1983. Hgg. Johannes Holthusen/Hans Rothe/Friedrich Scholz. Köln, Wien 1983. 772 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen 6 Slavistiche Studien zum X. Internationalen Slavistenkongreß in Sofia 1988. Hgg. Reinhold Oi·ESCH/Напѕ Rothe. Köln, Wien 1983. 7 Slavistische Studien zum XI. Internationalen Slavistenkongreß in Preßburg/Bratislava. Hgg. Karl Gutschmidt/Helmut KriPERT/Hans Rothe. Köln, Wien 1993. 8 Polen unter Nachbarn. Polonistische und komparatistische Beiträge zu Literatur und Sprache. XII. Internationaler Slavistenkongreß in Krakau 1998. Hgg. Hans Rothe/Peter Thiergen. Köln, Weimar, Wien 1998. Im Vorwort dieses Bandes wurde daraufhingewiesen, dass die Zahl deutscher Beiträge so angestiegen sei, dass diese nicht mehr in einem Sammelband zusammengefasst werden konnten, und daher auch andere deutsche Fachorgane Kongressbeiträge publizierten. 9 Pervyj s֊ezd slavjanskich filologov i istorikov. 1-Materiały po organizaciju s-ezda. 1.avgust 1903 — maj 1904. 10 III Međunarodni kongres slavista. Beograd 2008. u Vgl. Vorträge auf der Berliner Slawistentagung (11.-13. November 1954), mit einem Vorwort von Hans Holm Bielfeld. Berlin 1956. 12 Beogradski međunarodni slavistički sastanak ( 15.-21 .IX. 1955). Izdanje organizacionog odbora. Beograd 1957. Bei dieser Belgrader internationalen Slawistentagung handelte es sich um eine vorbe reitende Zusammenkunft zum IV, Internationalen Slawistenkongress in Moskau. 13 Vgl. hierzu die Bibliographie der Vorträge von Eva Velinskä, in: IV. Mezinárodní Sjezd Slavistu. Moskva. Praha 1982. 14 Vgl. die ebenfalls von Eva Velinská zusammengestellte Bibliographie der Vorträge, in: XI. Mezinárodní Sjezd Slavistu. Bratislava, Praha 1998. 15 Zur Kritik an der
Tradition der Slawistenkongresse nach dem 2. Weltkrieg vgl. Otto Kronsteiner, Notizen aus der Steinzeit. Unzeitgemäße Gedanken zur europäischen Kulturwissenschaft. St. Peterbourg 2002. Dort ist von „Relikten der sozialistischen Kommandowissenschaft“ die Rede, kritisch behandelt wird hier das seit 1958 bestehende Internationale Slawistenkomitee und die seit 1958 durchgeführten Slawistenkongresse. 16 VgL Vladimir Georgiev, К voprosu о balkanskom jazykovom sojuze, Novoe v lingvistike 6 (1972), 398-418. Eurolinguistik. Entwicklungen und Perspektiven. Akten der Internationalen Tagung vom 30.9.-2.10.2007 in Leipzig. Hgg. Uwe Hinrichs / Norbert Reiter/Siegfried Tornow. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2009 (Eurolinguistische Arbeiten, 5). 374 S., ISBN 978-3-447-06115-5, € 98,Der vorzustellende Band enthält die Beiträge einer gleichnamigen Konferenz, die laut Vorwort das Ziel hatte, „die ganze Spannweite eurolinguistischer Ansätze und Methoden, wie sie sich seit den 1990er Jahren entwickelt haben“, zu zeigen. Während die vorangegan genen Bände der Reihe „Eurolinguistische Arbeiten“ spezifischen Einzelphänomenen des europäischen Sprachraums gewidmet waren, zielt dieser Band nun auf eine programmatische Rundschau über die Forschungsaktivitäten, die die Herausgeber unter der Bezeichnung „Eurolinguistik“ zusammenfassen, wie sie seit 1991 von einem Kreis aus Linguisten um den jüngst verstorbenen Norbert Reiter, Per Sture Ureland und Uwe Hinrichs als eigen- Südost-Forschungen 68 (2009) 773
Sprache und Sprachwissenschaft ständige übereinzelphilologische Disziplin propagiert wird. Neu ist im Vergleich zu den vorangegangenen Arbeiten, dass sich die Herausgeber bemühen, die Eurolinguistik mit vom Untersuchungsgegenstand her verwandten Ansätzen wie der in der allgemeinen Sprachwissenschaft verankerten Arealtypologie oder dem aus der Fremdsprachendidaktik stammenden Ansatz der Intercomprehension (EuroCom) zu verbinden. Der Band enthält 16 Artikel, von denen drei als Konzeptpapiere für die postulierte wis senschaftliche Disziplin „Eurolinguistik“ fungieren (Uwe Hinrichs, „Geschichte, Stand und Perspektiven der Eurolinguistik“, 1-49; Joachim Grzega, „Wie kann die Eurolinguistik zur sozioökonomischen Entwicklung Europas beitragen?“, 315-333; E Sture Ureland, „The needs and aims of founding a Eurolinguistic Association“, 351-374). Daneben gibt es eine Reihe von Studien zu kulturwissenschaftlichen und areallinguistischen Aspekten Europas als Gesamtareal sowie Arbeiten zu sprachlichen Kategorien in Einzelsprachen. Es ist ein dezi diertes Anliegen der Herausgeber, zum einen den augenblicklichen Stand der Eurolinguistik zu dokumentieren und zum anderen für deren Grundideen zu werben. Die Eurolinguistik ist das Ergebnis einer Projektion der sich räumlich definierenden Balkanlinguistik auf das gesamte europäische Sprachareal (Hinrichs 12, 25); d. h. die in der Balkanlinguistik entwi ckelten Konzepte und Erkenntnisse sollen auf alle Sprachen Europas übertragen werden, was mit einer Auflösung der Balkanlinguistik als eigenständiger Disziplin einhergeht. Das spezifische
Moment wird in der Überwindung der starken Partikularisierung der Einzelspra chenforschung und in der Verbindung zwischen Systemlinguistik und Kulturwissenschaft gesehen. Ziel sei eine Stärkung des europäischen Zusammengehörigkeitsgefühls. Hinrichs gibt in seinem einleitenden Artikel einen detailreichen Überblick über Forschungsprojekte, die die Sprachen Europas in ihrer Gesamtheit im Fokus haben. Problematisch ist, dass Hin richs eine ganze Reihe von Forschern der Eurolinguistik zuordnet, die selbst dieses Label nie verwendet haben (und dieses vielleicht auch ablehnen!). Dies trifft auf das typologische Projekt EUROTYP, auf die Arealtypologen Martin Haspelmath, Bernd Heine, Tania Kuteva und Thomas Stolz sowie die Balkanlinguistin Olga Mišeska-Tomić zu. Gleiches gilt für das Forschungsprogramm EuroCom, das auf die schnelle Aneignung rezeptiver Kenntnisse in verwandten Sprachen abzielt. Hierbei geht es um Strategien, wie man sich z. B. mit Russisch kenntnissen schnell Lesekenntnisse in einer anderen slavischen Sprache aneignet. Während Hinrichs in recht differenzierter Weise die einzelnen für die Eurolinguistik reklamierten Forschungsarbeiten darstellt und dabei auch den Mangel an inhärenter Kohäsion beklagt, legt Ureland eine Art politisches Grundsatzprogramm vor, das die Infrastruktur der Euro linguistischen Assoziation beschreibt und bildungspolitische Forderungen formuliert, die auf die Etablierung der Eurolinguistik als Fach in den Schulen und Hochschulen abzielen. Der Text ist dabei durch einen missionarischen Duktus gekennzeichnet. Neben den programmatischen
eurolinguistischen Arbeiten verdienen vor allem die areallinguistisch ausgerichteten Artikel die Aufmerksamkeit des an Südosteuropa interes sierten Lesers. So stellen die allgemeinen Sprachwissenschaftler Bernd Heine und Tania Kuteva in ihrer Arbeit „Towards linguistic unity in Europe“ (141-164) ihren Ansatz der dynamischen Arealtypologie vor, der auf der Anwendung neuer Erkenntnisse aus der Sprachwandelforschung auf das europäische Sprachareal beruht. Eine zentrale Rolle wird dabei dem Konzept der kontaktinduzierten grammatischen Replikationen zugeschrieben, 774 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen die zu einer partiellen Konvergenz der Sprachen Europas führen, wobei jedoch auch Fälle belegt sind, wo diese kontaktinduzierten Replikationen im Gegenteil zu einer divergenten Struktur in der Zielsprache führen. Ein weiterer Beitrag, der aktuelle Entwicklungen der Arealtypologie aufgreift, stammt von dem Freiburger Anglisten und Typologen Bernd Kortmann (165-187). Er betont, wie wichtiges ist, bei arealtypologischen Untersuchungen Dialektdaten zu berücksichtigen und sich nicht — wie bisher — auf die Standardsprachen zu beschränken. In der systemlinguistischen Balkanlinguistik verortet ist der Beitrag von Olga Mišeska-Tomić, die anhand einer ausgewählten Menge an syntaktischen Balkanismen (clitic doubling, loss of case markers, hosts for possessive clitics, Futur, Perfekt und Irrealis) Kon vergenz und Divergenz unter den - hier traditionell definierten - Balkansprachen aufzeigt (213-231). Die Autorin bietet eine Fülle an Daten, aus denen sie systematisch feinkörnige Teiltypologien entwickelt. Ein weiterer Artikel mit einschlägiger Südosteuropa-Thematik ist „südslawistischen Perspektiven auf christliche vs. muslimische Sprachidentitäten und Weltbilder“ gewidmet (297-314). Der Berliner Südslavist Christian Voss liefert hier einen kurzen Überblick über die Balkanmuslime und arbeitet die Flexibilität hinsichtlich ihres sprachlichen und ethnisch-nationalen Identitätsmanagements heraus, was er mit der Wirkungskraft des osmanischen Millet-Systems erklärt. Des Weiteren enthält der Band Artikel, auf die ich hier nicht näher eingehen kann: zur Geschichte des
Europabegriffs (Wolfgang Burgdorf, 51-65), zur Teilung von Ost- und Westeuropa aus sprachlich-kultureller Sicht (Siegfried Tornow, 67-112), zur Verteilung von HABEN- und SEIN-Sprachen zum Ausdruck von Possession (Olga Voronkova, 189-212), zur russischen Frontier-Bildung in Sibirien (Dieter Stern, 281-295), zum sog. Mitteilungspotenzial (Norbert Reiter, 113-116), zum Wandel einzelner sprachlicher Kategorien in keltischen (Britta Irslinger, 233-253; Hildegard L. C. Tristram, 255֊ 280) und romanischen Sprachen (Christian Schmitt, 117-140) sowie zur linguistischen Begriffsgeschichte „Plato vs. Panini“ (Peter Raster, 335-349). Eine abschließende Bewertung des Bandes muss gemischt ausfallen. Der Sammelband bietet einen guten Überblick über den aktuellen Stand der holistischen Forschung zu den Sprachen Europas und liefert eine ausführliche Dokumentation zur sog. „Eurolinguistik“, so dass sich der Leser ein eigenes Urteil über die Tragfähigkeit der Konzeption einer Eu rolinguistik gerade im Vergleich mit der Sprachtypologie bilden kann. Der an den Spra chen Südosteuropas interessierte Leser wird bedauern, dass der Band ֊ obwohl von zwei Südosteuropaspezialisten mitherausgegeben - lediglich zwei (jedoch sehr gute) thematisch einschlägige Aufsätze enthält. Die Aufgabe der guten alten Balkanlinguistik zugunsten der „Eurolinguistik“ scheint sehr teuer erkauft. Regensburg Südost-Forschungen 68 (2009) Björn Hansen 775
Sprache und Sprachwissenschaft Bosnisch, Kroatisch, Serbisch als Fremdsprachen an den Universitäten der Welt. Hgg. Biljana Golubovič / Jochen Raecke. München: Verlag Otto Sagner 2008 (Die Welt der Slawen, 31). 216 S., ISBN 978-3-86688-032-0, € 38,Der vorliegende Sammelband beschäftigt sich mit Fragen der universitären Fremdspra chendidaktik und der angewandten Linguistik des Bosnischen/Kroatischen/Serbischen. Im Vorwort weisen die Herausgeber mit Recht darauf hin, dass es sehr wenige Publikatio nen zum universitären Fremdsprachenunterricht des BKS gibt, wodurch diese slawische Sprache weit hinter dem Russischen oder Polnischen zurückbleibe. Diese Lücke möchten die Herausgeber Biljana Golubovič und Jochen Raecke von der Universität Tübingen nun durch einen Band schließen, der entstanden ist, indem verschiedene Serbokroatisten und BKS-Lektoren angeschrieben und um einen Beitrag gebeten wurden. Laut Vorwort wurde den Beiträgern „völlig freie Hand bei der Wahl des Themas und der Sprache gelassen“ (VII), sodass sich „ein Früchtekorb“ ergeben hat, „wie er bunter kaum sein könnte“ (ebd.). Der Sammelband umfasst 216 Seiten und enthält 21 Beiträge; Publikationssprachen sind Deutsch und Englisch. Unter den Autoren finden sich vorwiegend Linguisten, aber auch Fremdsprachendidaktiker und Literaturwissenschaftler aus Deutschland, Serbien, Kroatien, Kanada, Großbritannien, USA und Tschechien. Die Artikel bilden folgende Themenblöcke: 1) Probleme der Beschreibung ausgewählter sprachlicher Phänomene und ihrer Vermittlung, 2) Lehrwerkkonzeptionen und -analysen, 3) Spracherwerb des BKS als
Fremdsprache und als „heritage language“ sowie 4) einzelne Beiträge zu Sprachenstreit, Übersetzung und Darstellung der Arbeit eines Instituts (Masarykova Univerzita, Brünn). Aus Platzgründen möchte ich mich im Folgenden auf einen kursorischen Überblick über die einzelnen Themenblöcke beschränken, ohne auf Einzelheiten eingehen zu können. Der Bereich „Linguistische Beschreibung und Vermittlung“ ist durch eine größere Anzahl an Arbeiten vertreten. Bojan Belič (Seattle) behandelt das Problem der Polyfunktionalität des Elements ovo (9-18), das einerseits als kongruierendes Demonstrativpronomen und an dererseits als Demonstrativpartikel fungiert. Marija B. Brala (Rijeka) versucht die Modelle der kognitiven Linguistik auf den Fremdsprachenunterricht anzuwenden, indem sie die schematabasierte Bedeutungsbeschreibung von räumlichen Präpositionen im Englischen dem Kroatischen gegenüberstellt (19-30). Von großem sprachwissenschaftlichem (weniger von sprachdidaktischem) Interesse ist die Anwendung der lexikographischen Konzeption des „Erklärend-kombinatorischen Wörterbuchs“ auf das BKS, die Jasmina Miličevič (Halifax/Kanada) vorschlägt (155-168). Einige Arbeiten sind der Vorstellung von Lehrwerkkonzeptionen bzw. institutioneilen Sprachlehrprogrammen gewidmet. Mehrere Beiträge stammen aus der Universität in Novi Sad/Serbien. Jelena Ajdžanović und Isidora Bjelaković stellen das 2004 und 2007 erschienene kommunikative Lehrwerk Lets learn Serbian vor (1-8), Jasmina Drazič diskutiert die Prinzipien für die Erstellung eines Lernerwörterbuchs (43-50), und Vera Vasic, Vladislava Ružič und
Ljiljana Subotič besprechen eine Anwendung der Kon zeption „Threshold level“ (195-202). Die Beiträge zeigen, dass das Zentrum für Serbisch als Fremdsprache an der Universität in Novi Sad in der Fremdsprachendidaktik des BKS eine führende Rolle einnimmt. Für einen weiteren Kreis von Lektoren interessant dürfte 77 6 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen auch der von Danko Šipka präsentierte Online-Kurs an der Arizona State University sein (189-194). Bernhard Brehmer von der Universität Hamburg gibt einen detaillierten Aufriss der Digraphie-Problematik im BKS-Unterricht (31-42), wobei er sowohl die rechtlichen Grundlagen genauestens aufarbeitet, eine detaillierte Analyse von 15 neueren Lehrbüchern durchführt als auch die Ergebnisse einer empirischen Umfrage unter deut schen BKS-Lektoren präsentiert. Sehr interessant scheint mir der Befund, dass „fast alle Befragten beide Schriftsysteme im Unterricht einführen“ (40). Die anderen Artikel aus dem Bereich „Linguistische Beschreibung und Vermittlung“ behandeln weitere als notorisch schwierig geltende Bereiche wie Prosodie und Klitika sowie die Frage der Verwendbarkeit von normativen Standardgrammatiken im Fremdsprachenerwerb. Jeder Lerner und jeder Lektor wird den Beitrag von Ljiljana Reinkowski zu den Klitika zu schätzen wissen, der einerseits einen gut lesbaren Problemaufriss und andererseits eine fundierte Lehrwerkkritik enthält (131-142). Eine neue Sichtweise auf den Zerfall des Serbokroatischen in die natio nalen Einzelsprachen bietet Christian Voss (HU Berlin), der die sog. Serbokroatizität in deutschem Sprachlehrmaterial in jugoslawischer und postjugoslawischer Zeit analysiert (203-214). Der Autor zeigt in recht klarer Weise auf, wie sich die Lehrwerke zunehmend am kroatischen Standard orientieren, was dem zeitlichen Zusammenfall von Adriatourismus und kroatischer Sprachemanzipation geschuldet ist. Voss schließt mit dem düsteren Hinweis auf die prekäre
Situation der deutschen Südslawistik, die vielerorts in Gefahr steht, dem Bologna-Prozess zum Opfer zu fallen. Zwei Artikel sind der Beschreibung nichtnativer Varianten des BKS gewidmet; Jochen Raecke befasst sich mit der Sprache der Migranten der zweiten Generation in Deutschland (119-130). Raecke knüpft in seinen Ausführungen jedoch nicht an die aktuelle Forschung zu (slavischen) Migrantenvaritäten an, sondern begnügt sich mit allgemeinen impressio nistischen Beobachtungen zu Sprachverhalten und -einstellungen bei BKS-Sprechern der zweiten Generation. Raecke kommt jedoch das Verdienst zu, die Aktualität der Erforschung der Migrantenvarietäten des BKS in Deutschland aufzuzeigen. Eine solide, empirische Studie zu Lernervarietäten stellt die Arbeit von Maja Miličevič (Cambridge) dar, die sich mit dem Transfer von Reflexiv- und Reziprokkonstruktionen vom Italienischen ins BKS befasst (143-154). Abschließend sei auf die Artikel hingewiesen, die sich außerhalb der erwähnten Themen blöcke bewegen. Zu diesen zählt z. B. der Aufsatz „Nationale Varietäten der serbokroatischen Sprache“ von Snježana Kordič, die die bekannte Debatte um den Status des BKS als einheitliche polyzentristische vs. selbständige Nationalsprachen in Form von neun Fragen und Antworten wieder aufwärmt (93-102). Die von Kordič vorgetragenen Argumente für den Variantenstatus von Bosnisch, Kroatisch und Serbisch hat sie bereits in vorhergehenden Arbeiten dargelegt. Last but not least möchte ich den Artikel von Pavel Krejčí erwähnen, der einen Erfahrungsbericht über „Zehn Jahre selbständige Serbistik und
Kroatistik an der Masaryk-Universität in Brünn“ gibt (103-108). Was die formalen Aspekte angeht, so hat der Band ein ganz passables Erscheinungsbild. Sprachliche Fehler sind jedoch nicht selten, was ganz besonders für die englischsprachigen Beiträge zutrifft. Zwar schreiben die Autoren im Vorwort, dass sie bewusst von einer sprach- Südost-Forschungen 68 (2009) 777
Sprache und Sprachwissenschaft liehen Korrektur der englischsprachigen Artikel absehen; dies sollte meines Erachtens aber nicht dazu führen, dass überhaupt keine Korrektur mehr stattfindet. Abschließende Bewertung: Der Band ist in sich recht heterogen, sowohl in inhaltlicher als auch in qualitativer Sicht. Eine besondere Stärke bilden sicher die linguistischen Beiträge (vor allem Brehmer, Miličevič, Reinkowski und Voss) sowie die sprachdidaktischen Arbeiten aus Novi Sad. Der Band identifiziert in seiner Gesamtschau die Spezifika des Unterrichtens des BKS als Fremdsprache und beweist somit die aktuelle Lebendigkeit dieser Sprache. Nach meinem Geschmack etwas zu kurz kommen die von Christian Voss angesprochenen Zukunftsperspektiven des BKS in der deutschen und internationalen Hochschullandschaft. Den Zweck der Propagierung des BKS als Fremdsprache an den deutschen Hochschulen würde das Buch nur bedingt erfüllen, dafür wäre sicher eine stärkere Vorstrukturierung notwendig gewesen. So fehlen z. B. gänzlich strukturelle Daten über das BKS an deutschen Universitäten bzw. an den Universitäten der Welt. Somit kann man nicht umhin anzumer ken, dass dem „bunten Früchtekorb“ eine stärker strukturierende Hand der Herausgeber gut getan hätte. Regensburg Björn Hansen Bernhard Gröschel, Das Serbokroatische zwischen Linguistik und Politik. Mit einer Bibliographie zum postjugoslavischen Sprachenstreit. München: Lincom Europa 2009 ( LINCOM Studies in Slavic Linguistics, 34). 451 S., ISBN 978-3-929075-79-3, € 81,50 Mit seiner umfangreichen Monographie möchte Bernhard Gröschel der Frage
nachgehen, „ob [.] das Serbokroatische in linguistischer Perspektive nach wie vor als eine Entität zu betrachten ist oder ob mehrere als autonome ,Sprachen1 zu klassifizierende Entitäten vorliegen“ (2). Eine derartige Fragestellung war Mitte der 1990er Jahre sehr aktuell; diese Frage im Jahr 2009 zu stellen wirkt bereits wie ein Anachronismus, der sich gefährlich weit vom Sprachalltag in Ex-Jugoslawien und den linguistischen Diskursen entfernt hat. Gröschel postuliert, „dass rein politisch-administrative und durch das Sprachenrecht sank tionierte Manipulationen mit Glottonymen für die Beurteilung sprachlicher Realitäten in linguistischer wie soziolinguistischer Sicht letzdich irrelevant sind“ (17). Widerlegt wird diese Sichtweise durch die Nachhaltigkeit zahlreicher sprachlich gestützter nation-buiUingProjekte im sowjetischen und jugoslawischen Raum. Die Darstellung basiert auf einem strengen Schwarz-Weiß-Muster, wie bereits der Buchtitel andeutet: Politik (man hätte es auch „Realität“ nennen können) und Linguistik werden als Gegner um die sprachliche Deutungshoheit in Südosteuropa aufgefasst. Das manichäische Weltbild hat einen kulturrelativistischen Subtext, der unmittelbar den „Balkanismus“ im Sinne von Maria Todorova abbildet, nämlich die Konstruktion eines balkanischen Alteritätspartners, der nicht dieselbe hehre, unbestechliche Linguistik betreibe wie der Autor selbst: Meist werden kroatische Linguisten anonym unter der Bezeichnung 778 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen „Zagreber Sprachsezessionisten“, „kroatische Sprachsezessionisten“ (162), „Sprachpartikularisten in Kroatien“ (21), später auch „Hoflinguisten“ (367f.) subsummiert. Zugleich liest sich das Buch wie eine Sammelrezension, in der Gröschel gegen alle austeilt, die die heutige Existenz des Serbokroatischen anzweifeln (eigentlich alle außer Snježana Kordič und Sabina förfel). Dass die „balkanische Nabelschau“, wie Gröschel es in Anlehnung an Paul-Louis Thomas nennt, retardierte nation-building-Prozesse sind, die laut EU-Acquis communautaire Grundvoraussetzung für EU-Kompatibilität sind, wird nirgends erwähnt. Das Buch ist äußerst akribisch gearbeitet und zeigt einen stupenden Kenntnisstand sowie die wohl kompletteste und aktuellste Bibliographie mit über 1.500 Einträgen zum Thema. Es teilt sich in zwölf Kapitel: „Geschichte des Serbokroatischen und seiner Benennungen bis zum postjugoslavischen Sprachenstreit“ (5-50) ebenso wie die methodischen Kapitel 2-5 (51-151: „Sprachvarianten: Relation zum Systembegriff und Variantentypen“, .Aus bausprachen und Kulturdialekte“, „Die Standardsprachenproblematik“ und „Wechselseitige Verständlichkeit von Idiomen“) rufen u. a. die Namen Kloss, Brozovič, Garvin, Haugen, Radovanovič, Ammon, Rehder, Marti und Wingender auf. Durch ihren Referenzwerkcha rakter könnten sie hervorragend in Universitätsseminaren verwendet werden, wenn der Autor seine permanenten Sticheleien gegen andersdenkende Slawisten besser kontrolliert hätte. Dankbar ist man dem Indogermanisten Gröschel allerdings für die Aufklärung, dass es sich bei „Serbokroatisch“
nicht um ein Determinativkompositum (im Sinne „Kroatisch der Serben“), sondern um ein Kopulativkompositum handelt. Der Eindruck einer Beschäftigung mit Sprachen ohne Sprecher, die die anthropologisch orientierte Soziolinguistik seit den 1980ern (mit Howard Giles, John J. Gumperz, Peter Trudgill, Susan Gal u. a.) ignoriert, bestätigt sich im Kapitel „Wechselseitige Verständ lichkeit von Idiomen“, wenn Gröschel (134-151) auf eine von Herbermann, Gröschel und Wassner entwickelte und 1997 publizierte Fachsystematik der Allgemeinen Sprach wissenschaft rekurriert, die reziproke Verständlichkeit als Klassifizierungsmerkmal einer Sprachensystematik ausweist. Die Kapitel 6-9 widmen sich jeweils den vier Republiken mit Nachfolgesprachen des Serbokroatischen. Das Kapitel zum Kroatischen (152-174) fällt recht knapp aus: Der xénophobe Purismus des Kroatischen der 1990er Jahre wird konzise dargestellt, ohne ihn jedoch historisch im Illyrismus zu kontextualisieren, was die Ironisierung der Um standardisierung als „Sezessionsunternehmen“ (173) leichter macht. Das Hantieren mit antikroatischen Stereotypen führt u. a. dazu, dass die Monographie von Guberina/Krstić von 1940 als „linguistisches Standardwerk aus der Zeit des NDH-Staates“ bezeichnet wird. Im Unterkapitel .Akzeptanz des Neokroatischen bei den Sprechern“ (169-173) ist grundsätzlich zu monieren, dass Gröschel eine akademische iop-Aww-Diskussion einfängt, hierbei aber die Feldforschungsergebnisse jüngerer Kolleginnen und Kollegen außer Acht lässt: Dies gilt insbesondere für die im Internet seit Längerem zugängliche Dissertation
zu Sprachbewusstsein in Zagreb von Boris Neusius sowie für die kroatisch 2002 und englisch 2007 publizierte Monographie von Jasna Capo Zmegač zu Syrmien-Kroaten, die mit den Jugoslawienkriegen nach Kroatien „zurückgekehrt“ sind und deren Integration gerade auch sprachlich scheitert. Südost-Forschungen 68 (2009) 779
Sprache und Sprachwissenschaft Kapitel 7 zum Bosnischen ist das umfangreichste Kapitel und basiert „teilweise auch“ (175) aufAufsätzen von 2001 und 2003/2004. Sehr kenntnisreich wird die Ethnogenese der Muslime Jugoslawiens und ihre Kooptation als jugoslawische Nation historisch hergeleitet, um dann ausführlich die Frage zu diskutieren, ob Bosnisch oder Bosniakisch die korrekte Bezeichnung fur ihre Sprache ist und welche Strukturmerkmale sie auszeichnen - abermals ein didaktisch hervorragend einsetzbares Kapitel südslawistischer Grundlagenforschung, das jedoch ein aseptisches, von der sozialpsychologischen Realität gelöstes Konzept von Soziolinguistik vertritt. Kapitel 8 „Isolierung des Serbischen“ (260-279) schildert gut die aktuelle serbische Diskussion in den 2000er Jahren ebenso wie die versuchte Zwangsekavisierung der Re publika Srpska, reproduziert aber einen serbischen Viktimisierungsdiskurs: Feststellungen wie „Diese Isolierung ist das Resultat der Sezession anderer“ (vgl. auch 268: „Schwächung der Position des Kyrillischen“) blenden aus, dass sich der serbische Nationalismus seit der kroatischen Deklaration von 1967 an der Etablierung von „Republiksprachen“ gerieben und immer offener das Recht der Serben auf die sprachlich-nationale Einheit über die Republiksgrenzen hinweg beansprucht hat. Die Darstellung zu Montenegro (280-311) ist gewissermaßen veraltet aufgrund des exklusiven Fokus auf die Werke des Amateurphilologen Nikčevič von 1993,1997 und 2001, hinter dessen Distinktivitätsforderungen die moderate Normierungskommission seit 2008 deutlich zurückbleibt. Das
Kapitel 10 „Sprache und Sprecher ֊folk linguistics“ (312-329) scheint darauf angelegt zu sein, soziolinguistische Betrachtungsweisen zu delegitimieren, denn „die Berufung auf das Sprachgefühl1 [.] würde [.] doch dem Subjektivismus Tür und Tor inder Linguistik öffnen“ (315). Begründet wird dies mit Argumenten der jüngeren Nationalismusforschung, die den Nexus von Sprache und Nation als primordialistisches Konstrukt analysiert hat, allerdings nicht, um ֊ wie Gröschel es tut - die Dynamik kollektiver Identitätsdiskurse und die Wandelbarkeit von Sprachbezeichnungen zu kontestieren. Das Kapitel „Sprache und Recht ֊ Amtssprachen und amtliche Glottonyme“ (330-350) fasst im europäischen Rahmen Amtssprachenregelungen zusammen, das Abschlusskapitel „Bestandsaufnahme und Ausblick“ (351-379) setzt die inkonsistente Argumentation von Kapitel 12 fort und bezichtigt alle in- und ausländischen Befürworter des BK(M)S-Konzepts des Opportunismus, um dann nahtlos für den „Marktwert eines integralen [.] Serbokro atisch“ (372f.) zu werben. Gröschels Sicht der Dinge spiegelt in vielem das heile Jugoslawienbild der europäischen Linken der 1960er-1980er Jahre. Die 2009 an der FU Berlin verteidigte Dissertation von Ksenija Cvetković-Sander „Sprachpolitik und nationale Identität im sozialistischen Jugoslawien (1945-1991) am Beispiel des Serbokroatischen, Albanischen, Makedonischen und Slowenischen“ widerlegt diese Schwarz-Weiß-Sicht und zeigt die longue durée der titojugoslawischen Nationalitätenpolitik, die seit Mitte der 1960er Jahre den Nationalismus reinitiiert und die Republikgrenzen
gestärkt hat, entlang derer Jugoslawien dann 1991 auseinandergebrochen ist. Apodiktische Formulierungen „Eine Ersetzung des Sprachennamens Serbokroatisch würde eine Kapitulation vor politischen Pressionen aus den Nachfolgestaaten Jugoslaviens 780 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen bedeuten.“ (350) zeigen den Realitätsverlust der Systemlinguistik, die bis heute keine adäquaten Forschungsansätze für die postjugoslawische Situation zu entwickeln vermag. Berlin Christian Voß Kostas Karapotosoglu, Ετυμολογικά Κυπριακά Μελετήματα [Etymologische zyprioti sche Studien], Leukösia: StiftungΣ.Ο.Φ.Ι.Α. 2008 (Kypriologische Bibliothek, 17). IX, 534 S„ ISBN 978-9963-8361-7-8 Der bekannte Historiker und Herausgeber der offiziösen vielbändigen Geschichte Zyperns, Theodoras Papadopoullos, hat die etymologischen Studien von Kostas Karapatosoglou, eines der führenden griechischen Sprachwissenschaftler, der der historisch vergleichenden Methode treu geblieben ist und sich vorwiegend mit schwierigen Fällen der Etymologisierung von Wörtern im Mittel- und Neugriechischen beschäftigt, in seine Reihe der Kypriologischen Bibliothek, die Studien über Zypern von bleibendem Wert bringen, aufgenommen und damit fünf zum Teil ältere Studien einer breiteren an Sprachund Dialektfragen interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Seitenzählung der Erstveröffentlichung ist jeweils beibehalten und am unteren Seitenrand durch die laufende Seitenzählung ergänzt. Die erste Studie ist der Etymologie des Wortes „Esel“ gewidmet: „Ετυμολογία τηςλέξεως γάιδαρος“ (1-24).1 Die komplexe Frage der Herkunft des Ausdrucks für den „equus asinus“ führt tief in den Osten. Adamantios Korats2 leitete von κάνθαρος, scarabaeuspilularius, ab, was interessanterweise noch im selben Jahr in der Sprachsatire „Κορακίστικά“ (die „KrähenSprache“ des Koraïs) von dem Phanarioten lak. Rizos
Neroulos als Phantasie-Ableitung verspottet wurde;3 der Freund des Haupthelden und Sprachgelehrten Sotirios, Augustos, bewundert die scharfsinnige etymologische Reihe κάνθαρος - γάνθαρος - γάνδαρος - γάδαρος und rät dem „Meister“, seinen Fund sofort drucken zu lassen, damit die „Nation“ von dieser bewundernswerten Ableitung Kenntnis erhalte. Der Sprachsatiriker an der antikoräistischen Front verschwieg freilich, dass Koräis selbst mit dieser Ableitung nicht besonders glücklich war.4 Der Verfasser listet insgesamt 14 verschiedene Ableitungsvorschläge auf und untersucht sie auf ihre Stichhaltigkeit. Die weiteren Studien betreffen zypriotische Gefäßnamen: „Κυπριακά έτυμα: Ετυμολογικά σε δημώδη ονόματα αγγείων και άλλα“ (25-72);5 14 Etymologiefragen des zypriotischen Dialekts: „Προβλήματα του κυπριακού ετυμολογικού“ (73-100);6 und Etymologisches und Semantisches aus den mittelalterlichen „Assises“ Zyperns: „Ετυμολογικά και σημασιολογικά στο κείμενο των Ασσιζών“ (101-178),7 mit dem Ergebnis, dass die meisten Wörter nicht aus dem Provenzalischen stammen, wie vielfach mit plausiblen Gründen angenommen wurde, sondern aus dem Altfranzösischen. Hier werden 70 verschiedene problematische Fälle untersucht und eine eigene Bibliographie zusammengestellt (175-177). Auf diese vier Studien folgt ein Wortverzeichnis, das das Griechische, Englische, Akkadische, Arabische, Südost-Forschungen 68 (2009) 781
Sprache und Sprachwissenschaft Albanische, Französische, Armenische, Venezianische, Hebräische, Lateinische, Provenzialische, Persische, Syrisch-Aramäische, Türkische und viele andere Sprachen umfasst (179-204). Diese Regelung wurde deshalb getroffen, weil die fünfte Studie, zu etymologischen Prob
lemen in zypriotischen Idiomen, die mehr als die Hälfte des Bandes umfasst, „Ετυμολογίες παρατηρήσεις στα κυπριακά ιδιώματα“ (205-534),8 über eine selbständige Bibliographie verfügt (473-486) und ein eigenes Wortverzeichnis (487-534).9 Mit diesem in seriöser Aufmachung erschienenen Band liegen nun
die minutiösen zypriotischen Sprachstudien von Karapatosoglou mit ihrem enormen Kenntnisreichtum in einer einheitlichen Edi tion vor. Athen, Wien Walter Puchner 1 Zuerst in ΚυπριαχαίΣπουίαί43 (1979), 95-116. 2 Πλουτάρχου Βίοι Παράλληλοι. Paris 1811, Bd. 3, S. об 'f. 3 Ausgabe, Konstantinopel 1813;
Neuausgabe besorgt durch Walter Puchner. Athen 2002; zu weiteren phantastischen Ableitungen, die die Sprachsatire gegen die Sprachreformen von Kora'is bringt, vgl. ders., Η γλωσσική σάτιρα στην ελληνική κωμωδία του 19ου αιώνα. Γλωσσοκεντρικέ; στρατηγικές του γέλιου από τα “Κορακίστικά” ώς τον
Καραγκιόζη. Athen 2001, 23-92, bes. 71. 4 Vgl. auch G. Hatzidakis, Περί του ετύμου της λέξεως γάιδαρος. Γλωσσολογικαί μελέται. Athen 1901,216. 5 Κυπριαχαί Σπουδαί 48 (1984), 1-45. 6 ΚυπριαχαίΣπονδα,ί 50 (1987), 36-62. 7 ΚυπριαχαίΣπουδαί74-75 (2003), 715-798. 8 Μέλέται хси υπομνήματα 5 (2005),
65-394. 9 Zur genaueren Beschreibung vgl. meine Anzeige, Zeitschriftfür Balkanologie 44 (2008), 135f. Der
Kongress von Manastir - Herausforderung zwischen Tradition und Neuerung in der albanischen Schriftkultur. 3. Deutsch-Albanische kulturwissenschaftliche Tagung in München vom 7. bis 8. November 2008. Hg. Bardhyl Demiraj. Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2009. 246 S., ISBN 978-3-8300-4705-6, € 78,Betrachtet man die Geschichte der Verschriftung der Sprachen des Balkanraums, so sticht das Albanische heraus. Zum einen erfolgte die Verschriftung recht spät,1 nämlich erst im 16. Jh.2 Zum anderen ist die Geschichte des Schriftgebrauchs in Albanien nicht vom komplexen historischen Kontext zu trennen, der dafür verantwortlich ist, dass zur Niederschrift des Albanischen neben dem lateinischen Alphabet auch das griechische und das osmanisch-arabische Alphabet, daneben lokal begrenzt aber auch indigene Schrifterfindungen gebraucht wurden.3 Mit dem Aufkommen des albanischen Nationalbewusstseins im 19. Jh. (Rilindja-Periode) wurde auch die Sprachen- und Schriftfrage aktuell. Zu den Anstrengungen einer Nationsbildung durch die albanischen Intellektuellen der Diaspora 782 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen gehörte daher auch das Bemühen, eine einheidiche albanische Sprachform sowie auch eine einheitliche albanische Schriftform zu fixieren. Einer der Meilensteine auf dem langen Weg dahin war ohne Zweifel das Zusammentreffen bedeutender albanischer Persönlichkeiten 1908 in Manastir (heute Bitola in der Republik Makedonien), das als Kongress von Manastir in die albanische Geschichte eingehen sollte. In der Folge dieses Kongresses ergaben sich zwei wesentliche Prinzipien, die für die albanische Schriftlichkeit maßgeblich werden sollten. Zum einen setzte sich ein Alphabet durch, das ausschließlich auf lateinischer Grundlage aufgebaut war.4 Zum anderen wurde das Prinzip der l:l-Entsprechung zwischen Phonem und Graphem durchgeführt.5 Auf diese beiden Prinzipien als die wichtigsten Errungenschaften der modernen albanischen Schriftlichkeit wird deshalb in vielen der Beiträge immer wieder hingewiesen. Zum hundertjährigen Jubiläum des Kongresses von Manastir fand 2008 in München eine Tagung statt, deren Akten im vorliegenden Band, der vom Lehrstuhlinhaber für Albanologie in München herausgegeben wurde, versammelt sind. Den 12 themenbezogenen Beiträgen, davon 8 in albanischer und 4 in deutscher Sprache, gehen das Vorwort des Herausgebers (5-7), das Tagungsprogramm (9-12), die Eröffnungsrede des Lehrstuhlin habers für historische und indogermanische Sprachwissenschaft an der LMU München, Olav Hackstein (13-16) sowie das Grußwort des Tagungsveranstalters Bardhyl Demiraj an die Tagungsteilnehmer (17-22) voraus. Als weitere Einleitung folgt dann noch Elton Prifti, „International
Network of Alban ology (INA): Eine neue Perspektive für die alba nologischen Studien“ (23-28) ,6 Den ersten Beitrag bestreiten schließlich Shaban Demiraj/Kristaq Prifti, „Kongresi і alfabetit të gjuhës shqipe dhe vendi і tij në kulturen shqiptare“ (29-46). Die Autoren geben darin einen kurzen Abriss zur Entstehungsgeschichte des Kongresses, wobei sie nicht nur zu den graphischen Sachfragen Stellung nehmen, sondern auch die politischen Aktivitäten der Kongressteilnehmer kurz vorstellen. Der Beitrag von Rami Memushaj, „Veçori të fazës së pare të planifikimit gjuhësor të shqipes“ (47-67) betrachtet den Kongress von Manastir primär unter dem Blickwinkel der Sprachplanung. Aus den zahlreichen kritischen Bemer kungen, die einige Aussagen des Artikels einfordern, sei nur folgender Punkt herausgehoben. Memushaj sieht das Prinzip der 1:1-Entsprechung zwischen Phonem und Graphem bereits beim ältesten Autor Gjon Buzuku durchgeführt.7 Das aber ist schlichtweg falsch, denn das Alphabet Buzukus wie auch der altalbanischen Autoren ist ganz im Gegenteil noch nicht in modernem Sinn normiert, seine Grapheme sind oft zweideutig und stehen so für mehrere Lautwerte.8 Anila Omari, „Vendi і alfabetit të Gustav Meyerit në përpjeket për një alfabet të përbashkët të shqipes“ (68-82) legt dar, dass der Albanologe Gustav Meyer (1850-1900) das von ihm in seinem lateinisch-griechischen Mischalphabet verwendete Graphem ε für і aus dem Alphabet des Orientalisten Karl Richard Lepsius übernommen hat. Die Autorin untersucht auch den Einfluss, den das Meyersche Alphabet auf das Alphabet des Ndre Mjeda
ausgeübt hat. Hamit Xhaferi/Vebi Bexheti gehen in ihrem Beitrag „Refleksione mbi çështjen e alfabetit dhe Kongresin e Manastirit“ (83-101) vor allem den politischen Zeitumständen nach, unter denen jener Kongress stattgefunden hat und zeichnen jeweils auch kurze Profile der Teilnehmer. Remzi Përnaska, „Motivimi і dyshkronjëshave të alfabetit të gjuhës shqipe“ (102-113) behandelt in seinem Beitrag generell die Digraphen Sudost-Forschungen 68 (2009) 783
Sprache und Sprachwissenschaft des albanischen Alphabets und unter diesen im Besonderen jene Digraphen mit j und h als zweitem graphischen Element. Elton Prifti, „Gjurmime variacionale mbi shqipen standarde një shekull pas Kongresit të Alfabetit“ (114-129) untersucht Standardisierungs fragen und Entwicklungen des Albanischen aus variationslinguistischer Sicht, besonders solche seit den Siebzigerjahren des letzten Jh.s. ßardhyl Demiraj, „Der Buchstabe e in seinem kulturhistorischen Hintergrund“ (130-145) referiert bezüglich der Herkunft des Graphems ë jüngste Erkenntnisse der Arbëreshphilologie. Dieses für das Albanische so charakteristische Zeichen, das man in Manastir aus dem Alphabet des Jeronim de Rada übernommen hat, hat dieser nämlich selbst wiederum einem kleinen handschriftlichen Werk von Giorgio Guzzetta entnommen. Hans-Joachim Lanksch, „Disa mendime per gegnishten sot“ (146-152) enthält einen engagierten Aufruf zur Verwendung auch des Gegischen als Literatursprache neben dem (toskischbasierten) Standardalbanischen. Der Beitrag wurde vom Autor deshalb bewusst auch in gegischer Varietät verfasst. Wilfried Fiedler, „Die crux mit der Wiedergabe des albanischen Schwa“ (153-174) geht der Ge schichte der Bezeichnung des Zentralvokals [ә] im Albanischen nach. Er untersucht seine Darstellung bei den alten Autoren ebenso wie bei Kristoforidhi und einigen Rilindjaautoren. Da es sich bei ë um den am häufigsten gebrauchten albanischen Vokalbuchstaben handelt (154-159), ist für den Autor die getroffene Entscheidung, gerade diesen (mit einem Trema) diakritisch zu kennzeichnen,
bedauerlich.9 Besim Kabashi, „Das albanische Alphabet aus sprachtechnologischer Sicht“ (175-208) widmet sich der elektronischen Textverarbeitung des Albanischen, zeigt Probleme dabei auf und gibt Hinweise zu deren Lösung. Nochmals mit einem Beitrag vertreten ist Rami Memushaj, „Konflikti nacionizëm - nacionalizem në gjuhë dhe Konsulta e Prishtinës“ (209-233), worin der Geschichte der Sprachkonferenz von 1968 in Prishtina (Konsulta e Prishtinës) nachgegangen wird, auf der die auf dem Toskischen basierende Literatursprache des albanischen Mutterlandes auch für Kosova verbindlich angenommen wurde.10 Im Artikel wird dann auch den Auswirkungen dieser Tagung auf die große Orthographiekonferenz von 1972 in Tirana nachgegangen. Der Autor betrachtet als ausschlaggebenden Faktor für den Beschluss von Prishtina die natio nalistische, d. h. identitätsstiftende Funktion der Sprache. Bardhosh Gaçe, „Der Beitrag der albanischen Presse und der in der Heimat wirkenden Gesellschaften zum Kongress von Manastır und zur Anerkennung des neuen Alphabets“ (234-246) bietet unter diesem Titel einen kurzen Überblick zur Alphabetfrage in der albanischen Presse im Zeitraum vor dem Kongress von Manastir. Als Fazit ist festzuhalten, dass der vorliegende Sammelband einige Beiträge enthält, die insgesamt gute wie auch nützliche Informationen zu den Ereignissen des Kongresses von Manastir und der albanischen Schriftgeschichte bieten.11 Er liefert so zugleich auch einen Querschnitt albanologischer Forschung, vor allem in den albanischsprachigen Gebieten Südosteuropas. Der des Albanischen kundige Leser ist
damit gut versorgt und in der Lage, sich ein Bild von diesem für die albanische Sprachgeschichte, aber auch für die politische Geschichte so bedeutsamen Kongress zu machen. Den Sichtweisen in einigen Beiträgen wird man zwar nicht vorbehaltlos zustimmen, sie regen aber doch an, sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen. Bedauerlich ist nach Meinung des Rezensenten jedenfalls die Entscheidung, die Mehrzahl der Beiträge ausschließlich auf Albanisch abzudrucken. Die 784 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen diesen Beiträgen mitgegebenen kurzen Zusammenfassungen auf Deutsch oder Französisch12 spiegeln nämlich weder ausreichend und schon gar nicht zufriedenstellend die Inhalte der Beiträge wieder. Es steht daher zu befürchten, dass für viele an der Thematik Interessier te13 ohne Albanischkennmisse die Sprachbarriere ein Hindernis bei der Rezeption dieses Sammelbandes darstellen wird. Wien Joachim Matzinger 1 Nur das Aromunische ist noch später als das Albanische verschriftet worden (siehe etwa Petar Atanasow, „Aromunisch“, in: Miloš Okuka/Gerald Krenn (Hgg.), Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Klagenfurt 2002, 78£). Nicht bzw. wenig erfolgreich verschriftet sind die Romani-Varietäten des südosteuropäischen Raums (siehe die Bemerkungen bei Norbert Boretzky/ Birgit Igla, Kommentierter Dialektatlas des Romani. Teil 1: Vergleich der Dialekte. Wiesbaden 2005, 2f.). 2 Für das 15. Jh. lassen sich nur einige marginale Aufzeichnungen des Albanischen nachweisen (siehe Joachim Matzinger, Die albanische Sprache im Zeitalter Skanderbegs. Teil 1: Ein Überblick zur vorliterarischen Dokumentation, in: Monica Genesin /Joachim Matzinger/ Giancarlo Vallone (Hgg.), The Living Skanderbeg. The Albanian Hero between Myth and History. Hamburg 2010, 41-69), die jedoch von Nichtalbanischsprechern erfolgt sind. Nur die Taufformel von 1462 rührt vom albanischsprachigen Erzbischof von Dürres, Paulus Angelus, her. Die literarische Dokumenta tion beginnt 1555 mit dem sog. „Missale“ des katholischen Priesters Don Gjon Buzuku, dem
ersten gedruckten albanischen Buch. 3 Einen praktischen Überblick zur albanischen Schriftgeschichte bietet Stavro Skendi, The History of the Albanian Alphabet. A Case of Complex Cultural and Political Development, SOF 19(1960), 263-284. Vgl. jüngst auch Xhevat Lloshi, A Century of the Albanian Alphabet, Studia Albanka 41 (2008), H.l, 1-10. 4 Während andere Alphabete, wie das sog. Stambuler Alphabet, vielmehr Mischalphabete aus lateinischen und griechischen Zeichen waren. 5 Im Falle des Albanischen bedeutet dies, dass unter dieser 1:1 -Entsprechung ein Phonem auch einem Digraphen entsprechen kann, wie z. B. bei [ä] = dh , usw. Mit der Durchführung dieses Prinzips gesellt sich das Alphabet des Albanischen zu den ganz wenigen lateinbasierten Alphabeten europäischer Sprachen, die ebenso konzipiert sind, so etwa die Alphabete des Finnischen und des Ungarischen. 6 Darin stellt Prifti die private Initiative des gleichnamigen Onlinenetzwerkes vor, das künftig a!s internationale Plattform für die Albanologie fungieren soll. 7 „Merita për këtë i takon Buzukut, .“ (56). 8 So wird bei den altalbanischen Autoren z. B. das Graphem ζ für [d] und [Θ] gleichermaßen gebraucht, wogegen erst das moderne Alphabet hier zwischen dh [d] und th [Θ] scheidet. 5 Nach Meinung des Autors wäre eine Lösung etwa nach dem Modell des Sami Frashëri ( e [ә], aber ε [e]) eher geeignet gewesen, doch „Zu stark war offenbar das Bestreben, ein ,rein lateinisches1 Alphabet zu schaffen.“ (174). 10 Vgl. dazu auch Johannes Faensen, „Die Albaner von Kosova und die Einheit der albanischen Literatursprache“, in:
Klaus-Detlev Grothusen (Hg.), Ethnogenese und Staatsbildung in Südost europa. Göttingen 1974, 158-166. 11 Es sei nicht verschwiegen, dass einige Beiträge mit dem Kongress von Manastir eigentlich nur sehr locker in Verbindung stehen. Südost-Forschungen 68 (2009) 785
Sprache und Sprachwissenschaft 12 Den vier deutschen Beiträgen wurde jeweils eine albanische Kurzzusammenfassung beigegeben. 13 Der Band spricht ja nicht nur Sprachwissenschaftler an, seine Thematik ist auch von Interesse z. B. für Historiker, die sich mit den (soziokulturellen) Vorgängen in Südosteuropa an der Schwelle vom 19. zum 20. Jh. auseinandersetzen. In seiner vorliegenden Gestaltung wendet sich das Buch aber eher an ein primär albanischsprachiges Publikum. Sprachliche Individuation in mehrsprachigen Regionen Osteuropas - 1. Republik Moldova. Hgg. Klaus Bochmann/Vasile Dumbrava. Leipzig: Leipziger Universi tätsverlag 2007 (Veröffentlichungen des Moldova-Instituts, 1). 370 S.mit CD, ISBN 978-3-86583-175-0, € 49,„Sprachliche Individuation in mehrsprachigen Regionen Osteuropas — 1. Republik Mol dova“ ist der erste zweier von Klaus Bochmann und Vasile Dumbrava redigierter Bände, in denen die Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojekts gesammelt wurden. Das Projekt (2003 bis 2006) widmete sich den Problemen der Identitätsfindung nach 1989 in jenem Nachfolgestaat einer vormaligen Sowjetrepublik, der historisch, kulturell und sprachlich mit seinem Nachbarn Rumänien verbunden ist. Die politische Eingliederung in die Sowjetunion bis zu ihrem Zerfall einerseits und das spätestens seit diesem Zeitpunkt wieder wachsende Bewusstsein einer kulturellen Nähe zu Rumänien andererseits bilden zwei wesentliche Pole im Diskurs über eine moldauische Identität seit den Umbrüchen 1989/1990. In dem betrachteten Sammelband zu diesem Thema verweist Klaus Bochmann einfüh rend
(7-12) auf die Sprache als einen wesentlichen Einflussfaktor für die Identitätsstiftung von Individuen und Gruppen. In sprach (auto) biographischen Interviews sieht er eine Möglichkeit der Dokumentation von artikulierter Selbst- und Fremdidentifikation. Dabei ist sich Bochmann der Tatsache bewusst, dass das grundlegende Merkmal persönlicher Indi viduation in ihrer Prozesshaftigkeit liegt - zumal der historische Kontext und die faktische Mehrsprachigkeit auf dem Gebiet der Republik Moldau dem dortigen Identitätsproblem eine ganz spezifische Dynamik verleihen. Die Interviews stehen somit für eine Momentauf nahme: Für die gegenwärtige Wahrnehmung, das Erinnern und die Reflexion von Identität („Bewusstwerdung“ und „Bewusstmachung“). Das Forschungsprojekt legt den Akzent auf die Relevanz sprachlicher Identität, die sich nicht zwangsläufig mit ethnischer (nationaler) Identität deckt, wie Bochmann in einem eigenen Beitrag erläutert („Sprache und Identität in mehrsprachigen Regionen Osteuro pas - Theoretische und methodische Ausgangspositionen“, 44-56). In der Tradition der Oral History soll das „soziolinguistische Alltagsbewusstsein“ in der Republik Moldau do kumentiert werden. Der Umgang mit sprachpolitischen Entscheidungen der Vergangenheit bzw. deren Wirken können mit der Sicht der „Betroffenen“ fassbar gemacht werden, zudem kann die „objektive“ Eliten- und Wissenschaffsperspektive der Gegenwart um die der All tagswahrnehmung erweitert werden. In betonter Anlehnung an die moderne Soziologie 786 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen und Soziolinguistik weist Bochmann auf die Bedeutung des narrativen Interviews für das Thema, das Projekt und die Beiträge in dem Sammelband hin. Neben dem Verweis auf die narrative Dimension von rekonstruierter Identität und Geschichte ist Bochmanns Beitrag ein Plädoyer für praktische Interdisziplinarität und für die Entfernung vom Primat vermeintlich objektiver Wissenschaftshoheit, ganz im Sinne kritischer Forschung der Gegenwart. Mit den Beiträgen verschiedener Autoren im vorliegenden Band verspricht Bochmann die Thematisierung einer diversifizierten Sicht aus der sozialen Praxis. Im ersten Teil widmen sich vier Artikel den sprachpolitischen Zusammenhängen und ihrer Erfassung, im zweiten Teil werden in drei Artikeln öffentliche Identitätsdiskurse in der Republik Moldau beleuchtet und den dritten Teil bilden exemplarische Interviewausschnitte samt Einordnungen und Interpretationen. Teil I: „Sprachpolitik in der Republik Moldova“ (44-126, 4 Artikel) Im von Larisa Schippel übersetzten Artikel „Die Sprachgesetzgebung im Zeitraum 1989-2005. Ein Überblick“ (44-56) zeichnet die moldauische Linguistin Tatjana Mletschko die Entwicklung der Sprachgesetze im entsprechenden Zeitraum chronologisch und detailreich nach. Dass die offizielle Staatssprache der Republik Moldau nach 1991 zunächst „Rumänisch“ lautete, lässt Mletschko unerwähnt, so dass Bochmann in seiner Einleitung Mletschkos Artikel als Teil einer „offiziellen Sicht“ (9) einordnet. Dieser bleibt deskriptiver Natur und dringt teilweise bis in die Tiefe einzelner Paragraphen moldauischer Sprachpolitik seit 1989
vor. In ihrem Artikel „Der Terminus Muttersprache - Symbole und Mythen der Identität“ (übersetzt von Klaus Bochmann, 57-69) widmet sich Irina Condrea diesem Begriff, in dem sie ihn ins Verhältnis zu den Termini „Staatssprache“, „Sprache der Mutter“, „Sprache des Vaters“ oder „Sprache der Familie“ setzt. Sie verdeutlicht unterschiedliche begriffliche Überschneidungen, die sich nach den individuellen Familienkontexten richten. Außerdem thematisiert Condrea den öffentlichen Umgang mit den Glottonymen Rumänisch versus Moldauisch, wobei sie Tendenzen zur Verdrängung der Bezeichnung Rumänisch zugunsten des Begriffs Moldauisch erkennt. (6lf.) In den Interviews mit ,Intellektuellen1 erkennt Condrea vier zentrale Identitätsmythen. Ihr Beitrag stellt Formen diskursiver Identitäts konstruktion am Beispiel der Moldau kurz und nachvollziehbar dar. Alina Tofan diskutiert die wissenschaftliche Erfassung sprachlicher Individuation. In ihrem Beitrag „Narrative Sprachautobiographie, soziolinguistische Individuation und der Name der Sprache“ (70-89) veranschaulicht sie die Vorteile des narrativen Interviews zur Dokumentation individueller Sprachautobiographien. ITierzu gibt sie zunächst einen fundierten Überblick zur soziolinguistischen Methoden- und Theoriegeschichte. Bei der Beantwortung von Fragen um das Glottonym in der Republik Moldau erkennt Tofan vorwiegend ideologisch motivierte Entscheidungsmuster. „Quantifizierungen von Be kenntnisaussagen“ auf Grundlage ihrer Interviews vermeidet Tofan bewusst. Vielmehr sieht sie in ihrem wissenschaftlichen Ansatz die Möglichkeit, statistische
Umfrageergebnisse zu historisch-gesellschaftlichen Prozessen um individuelle Dimensionen und einen sozialen Kontext zu erweitern. Südost-Forschungen 68 (2009) 787
Sprache und Sprachwissenschaft Alexandra Şarov fragt: „Die Republik Moldova: Ein Sonderfall der Zweisprachigkeit?“ (90-126). Nach Ausführungen zu unterschiedlichen Möglichkeiten der systematischen Betrachtung von Bilingualismus plädiert sie für eine „offene Definition“ (94) von Zwei sprachigkeit, um ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen gerecht zu werden. Unter Einbeziehung der von ihr geführten Interviews nähert sie sich der moldauischen Zweispra chigkeit in zwei Abschnitten, einem chronologisch und einem typologisch strukturierten, um das Spektrum von Bilingualismus zu veranschaulichen. Die Erkenntnisse, dass sich Russisch und Moldauisch in einem Konkurrenzverhältnis zueinander befinden sowie dass sprachliche und politische Probleme miteinander verflochten sind, geben nur eine indirekte Antwort auf die im Titel gestellte Frage. Teil 2: „Identitätsdiskurse“ (130-189, 3 Artikel) Igor Şarov und Andrei Cusco („Der öffentliche Identitätsdiskurs der Historiker: Strö mungen, Meinungen, Auseinandersetzungen“, übersetzt von Klaus Bochmann, 130-158) fragen nach der Rolle moldauischer Historiker bei der Prägung von Begriffen wie Identität und kollektives Gedächtnis. Im theoretischen Teil stellen die Autoren nachvollziehbare Bezüge zwischen ihrem Herangehen und gegenwärtigen soziologischen und historiographischen Konzepten zu Begriffen wie Nation, Vergangenheit oder Erinnerung her. Daran schließt ein fragmentarischer Überblick zur herrschenden Praxis der deutungsreichen Historiographie in der Republik Moldau an. Unterschiedliche Strömungen mit ihren historischen Wahr heiten
und Mythen werden skizziert, aus deren Ansammlung die Autoren eine „kritische Neubewertung der ,Paradigmen1 und der Entwicklung der wichtigsten konkurrierenden ,Identitätsdiskurse1“ (156) anmahnen. Vasile Dumbrava hat die Schriftsteller im Visier („Gegen den Strom? Schriftsteller als Voireiter, Retter der Sprache, Identitätsstifter der Nation“, 159-176) und deren Rolle fiir das Selbstverständnis der Republik Moldau. In einem historischen Abriss zeigt er, wie sich diese Rolle mit den politischen Verhältnissen änderte und von „Unruhestiftern“ (159) bis zur „moralischen Instanz“ (166) reichen konnte. Im Umgang mit der Vergangenheit oder Identitätsfragen erkennt Dumbrava keine Einheitsmeinung unter den Schriftstellern seit 1989. Der Artikel gibt einen guten Überblick zur voranschreitenden Pluralisierung öffentlicher Meinungsäußerung. Larisa Schippel beleuchtet kurz und prägnant die russophone Perspektive in der Presse Moldovas auf das Paar Moldovenismus — Rumänismus („Zwischen Scylla und Charybdis oder,Kaukasischer Kreidekreis1 auf Moldauisch“, 177-189). Auf der Grundlage diskursana lytischer Untersuchungen russischprachiger Zeitungsberichterstattung erkennt die Autorin eine Renaissance des Moldovenismuskonzepts, das auf eine ethnisch definierte Nation verzichtet. Dieser von Schippel ermöglichte diskursive Einblick ist notwendig und kann beim Abbau einiger aus rumänophoner Perspektive konstruierter Feindbilder behilflich sein. Teil 3: „Sprach(auto)biographische Studien“ (192-365, 6 Artikel) Irina Condrea (,„Wer nicht Russisch konnte, für den war es ungeheuer schwer beim
Medizinstudium.1 Sprachbiographien moldauischer Intellektueller“, übersetzt von Ralf Bauer, 192-212) gelangt auf der Grundlage ihrer Interviews mit moldauischen, vorwie788 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen gend rumänophonen Intellektuellen, sortiert nach Altersgruppen, gruppenübergreifend zu dem Schluss, dass das Sprachbewusstsein in der Republik Moldau eine Frage des Selbstbewusstseins ist. Zwar werden die Besonderheiten des bessarabischen Rumänisch als Merkmal eigener Identität wahrgenommen, dennoch empfinden die meisten rumänisch sprachigen Moldauer ihre gesprochene Sprache spätestens beim ersten Kontakt mit einem der „Blutsbrüder [.] links des Pruth“ (200) gegenüber dessen Sprache als minderwertig. Der Aufsatz gewährt Einblicke in die Bedeutung von Sprache im Selbstbild gebildeter rumänischsprachiger Moldauer. Zu einem präzise differenzierten Ergebnis gelangt Alina Tofan in ihrem Beitrag „Sprachautobiographien im beruflichen Kontext. Zum Spracherwerb und Sprachengebrauch im Handel“ (213-250). Klar strukturiert stellt sie Auszüge autobiographisch narrativer Inter views vor, auf deren Grundlage sie „Zweitspracherwerbsgeschichten“ (247) betrachtet. In ihren Schlussfolgerungen unterscheidet sie zwischen ein- und mehrsprachigen Umgebungen und weiteren Faktoren der Einstellung zur Sprache wie etwa Alter und Lebensumstände der Probanden oder historisch variierendes soziales Prestige der Zweitsprache. Außerdem wirken sich Rollenbeziehungen, Sprachkompetenz und Stereotype auf die Erwerbspraxis einer Zweitsprache aus. Tofan macht nachvollziehbar die verschiedenen Dimensionen sichtbar, von denen die moldauische Mehrsprachenthematik in den Interviews geprägt ist. Die Qualität ihres Beitrags liegt in der Erfassung der sozialen Komplexität jedes indi viduellen
Kontextes. Weit deskriptiver bleibt Alexandra Şarovs Artikel „Dorfeliten. Historisch-soziolinguistische Aspekte“ (251-294), in dem das moldauische Dorf als Ort der Konservierung der Rumänität mit seiner „Spezifik der Mentalität des bessarabischen Bauerntums“ (256) dem „hartnäckig durchgeführten Russifizierungsprozess“ (257) gegenübersteht. Eine wichtige Erkenntnis in Şarovs Beitrag scheint mir die, dass für die heute jüngere Generation beim Abwägen des Spracherwerbs die Vorteile beruflich-sozialer Perspektiven im Vergleich zur „nationalen Renaissance“ überwiegen (289). Damit werden auch bei Şarov die sozialen Faktoren von Mehrsprachigkeit angerissen. „Langstrecken-Pendler“ (296), wie Tamara Räileanu die Bessarabier von heute be zeichnet, und ihre entsprechenden Lebensumstände ließen es faktisch gar nicht zu, von einer einsprachigen Gesellschaft in der Republik Moldau zu sprechen, wie sie in ihrem klar strukturierten Beitrag „Individuelle sprachliche Erfahrungen im journalistischen Milieu. Verhaltensweisen - Wahrnehmungen - Motive“ (übersetzt von Klaus Bochmann, 295-311) festhält. Auf der Grundlage ihrer Interviews stellt Räileanu wesentliche Motive im journalistischen Diskurs vor und bringt diese schlussfolgernd mit Benennung der ge sellschaftlichen Repräsentationsfunktion von Journalisten auf den Punkt. Ihr Beitrag ist die kritische Auseinandersetzung mit den Identitätsdiskursen einer gesellschaftlichen Elite. „.Rumänisch habe ich sehr spät in meinem Leben gelernt.1 Identität und Sprache in der Armee“ lautet der Titel des Beitrags von Galacticon Verebceanu (übersetzt von
Ralf Bauer, 312-339). Bei der FüUe an Informationen, die sich aus den Interviewfragmenten ergibt, wäre ein etwas strukturierterer Aufbau wünschenswert gewesen. Themen wie Identität und Sprachbewusstsein werden aus der Sicht der interviewten Militärangehörigen darge stellt, aber nicht ausreichend vom Autor problematisiert. Die im Schlussteil konstatierten Südost-Forschungen 68 (2009) 789
Sprache und Sprachwissenschaft „Kommunikations- und Integrationsprobleme“ (335) führt Verebceanu auf ein zu wenig ausgeprägtes „Nationalbewusstsein“ (336) unter den Trägem der rumänischen Sprache „in diesem rumänischen Raum“ (ebenda) zurück. Der Band schließt mit Tatjana Mletschkos Artikel „,Eine andere Sprache ist eine neue Perspektive.1 Sprachliche Identität der russischsprachigen Bevölkerung“ (übersetzt von Larisa Schippel, 340-365). Sie untersucht die Praxis des russisch-moldauischen Bilinguis mus anhand von Probanden, die aus sprachlich russisch dominierten Umfeldern stammen. Deren Verhältnis zum Russischen ist von der ethnischen Selbstzuordnung abhängig, eine scheinbar offensichtliche Feststellung, mit der Mletschko daran erinnert, dass nicht alle russophonen Einwohner der Moldau sich als ethnische Russen betrachten. Wie Alina Tofan kann auch Tatjana Mletschko eine Reihe von Faktoren in den Interviews ausmachen, die zur Ablehnung oder Annahme einer Sprache unter ihren Probanden fuhren. Ihre Auffas sungen zu überholten Definitionen von Begriffen wie Ethnie, Sprache und Nation (364) zeugen von einem kritischen Identitätsverständnis, das gerade mit Blick auf die Republik Moldau einleuchtet. So unterschiedlich die Autoren, so durchwachsen sind die Herangehensweisen und Aus führungen der einzelnen Beiträge in diesem Sammelband. Zum Thema (sprachliche) Iden tität in der Republik Moldau ist diese Publikation wohl einzigartig in ihrer Ausführlichkeit und in dem zeitgemäßen wissenschaftlichen Anspruch, nicht zuletzt dank der begleitenden Ausführungen Klaus Bochmanns.
Dieses Buch bietet einen intensiven Überblick des aktu ellen Forschungsstands zur moldauischen Identitätsproblematik in deutscher Sprache. Und als herausragendes Merkmal dieses Bandes sehe ich die nicht zu knappe Berücksichtigung der moldauischen Perspektive. Berlin 790 Hendrik Kraft Sütiosc-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Literatur- und Theaterwissenschaft Giörgos Kechagioglu, Από τον ύστερο Μεσαίωνα ώς τον 19ο αιώνα. Εισαγωγή στα παλιότερα κείμενα της νεοείληνικής'λογοτεχνίας [Vom Spätmittelalter zum 18. Jahr hundert. Einführung in die älteren Texte der neugriechischen Literatur]. Thessaloniki: Institut für Neugriechische Studien, M. Triantaphyllidis-Stiftung 2009. 223 S., zahir. Abb., ISBN 978-960-231-139-4, € 18,99 Es handelt sich um den flüssig geschriebenen, leicht fasslichen und doch systematischen, mit allen neueren Erkenntnissen und letzthin veröffentlichten Texten versehenen Einfüh rungsband einer neuen Editionsreihe,Ältere Texte der Neugriechischen Literatur“, die sich an ein breiteres Publikum wenden soll und auch für den Lehrbetrieb in Schule und Universi tät vorgesehen ist und in verlässlichen Gebrauchsausgaben kürzere volkssprachige literarische Texte (bis zu 1000 Verse oder 30 Seiten) vom 12. Jh. bis 1774 (bevor noch die zahlreichen Texte der griechischen Aufklärung einsetzen) zur vorwiegend ästhetischen Rezeption vor stellen soll, mit einer jeweils übersichtlichen Einleitung in wenigen und kurzen Kapiteln, dem (bereinigten) Text ohne kritischen Apparat, mit nur beschränktem Kommentar zu Hermeneutik, Sprachfragen und realia, mit einer kurzer Basisbibliographie (zum weiteren Studium) und eventuell einem Epimetron mit weiteren vergleichbaren Texten. Diese Aus gaben sollen kein Glossar umfassen, keine Listender im Text genannten Personennamen, keine Indices und Register usw., wie sie für kritische Ausgaben üblich sind, wohl aber soll ikonographisches Material,
soweit vorhanden, eingebracht werden. Light also, handlicher Lesegenuss, jeglichen Anstrich von Erudität vermeidend. Bei stark idiomatischen Texten, Texten mit komplizierter Syntax oder häufigen Archaismen wird sogar die Möglichkeit einer „Übersetzung“ ins Standard-Neugriechische erwogen. Es wird nur das monotonische Akzentuierungssystem angewandt, heutigen orthographischen Schreibusancen wird der Vorzug gegeben; die Lektüre soll letztlich für den Durchschnittsleser (Schüler, Studenten) erleichtert werden. Die künftige Anwendungspraxis dieser Vorgabekriterien wird freilich über die letztliche Funktionalität dieser Selektionen entscheiden. Das handliche Buch selbst ist eine konzise Einführung in die neugriechischen Literatur produkte zwischen dem 12. Jh. und 1774. Keiner ist so dazu berufen, eine solche Über sichtsarbeit vorzulegen wie der Neogräzistik-Professor der Universität Thessaloniki, der in jüngster Zeit vor allem durch seine Anthologie zum älteren neugriechischen Prosaschrifttum hervorgetreten ist1 sowie seine monumentale kritische Ausgabe der mittelalterlichen Chronik von Zypern von Boustronios.2 Das erste Kapitel führt in „Raum und Zeit“ ein (9-21): das griechische „Mittelalter“ wird mit Byzanz gleichgesetzt (4. Jh.֊1453/1461), die räumliche Ausdehnung folgt daher dem wechselnden Territorium des Byzantinischen Reiches. In der Zeit der Lateiner-, Ve nezianer- und Türkenherrschaft ist das geographische Kriterium der Hellenophonie noch unsicherer. Am Ende jedes Kapitels werden ein paar illustrierende Abbildungen gebracht, um die Lektüre angenehmer zu gestalten.
Das zweite Kapitel ist der Sprachentwicklung gewidmet (22-53): von der atthis zur koi ne, hochsprachliche, gemischte (in allen möglichen Stillegierungen) und volkssprachliche Südost-Forschungen 68 (2009) 791
Literatur- und Theaterwissenschaft Textzeugen aus der byzantinischen und postbyzantinischen Literatur, Entwicklung der Lo kaldialekte und Regionalidiome zum literarischen Ausdrucksorgan (Zypern, Kreta, Ionische Inseln, Phanariotenliteratur) mit Textzitaten, Forschermeinungen usw. Nordgriechische und südgriechische Idiome werden vorgestellt, auf die Phonetik der Dodekanes und Zyperns wird eingegangen, auf das Ost- und Westkretische, das Chiotische und Kykladische, das Heptanesische, auf die Resteinflüsse der Gelehrtensprache. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Kultureinflüssen auf Schrifttum und Belletristik (54-81): Kreuzzüge, Westeinflüsse mit ihren Abwehrreaktionen, Übernahme des Paarreims, Formen und Thematiken, Fragen von Stilkriterien (z. B. die Frage nach dem „Barock“). Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Periodisierung, mit Höhepunkten und Statio nen der literarischen Entwicklung (82-86). Hier wird zwischen 12. Jh., 13.-15. Jh., Mitte 15. Jh.-1571, 1571-1669 und 1669-1774 unterschieden. Ein weiteres Kapitel geht auf Vers und Prosa ein, Literaturgattungen und genres (87118). Hier wird nach Perioden vorgegangen und die Gruppierung aller Einzelwerke nach Gattungskriterien vorgenommen (auch das Drama wird unter Vers oder Prosa eingereiht). Ein anderes Gegensatzpaar beschäftigt das folgende Kapitel: Mündlichkeit und Schrift lichkeit in der volkssprachigen Literatur (119-128). Das Abschreiben scheint vielfach auch ein deklamatorischer Vorgang gewesen zu sein (ein Vorleser — mehrere Skriptoren), wie aus charakteristischen Kopistenfehlern zu erschließen ist;
die Rolle des öffentlichen Vorlesens beim Übergang von Literaturprodukten in die mündliche Tradition ist weiterhin quellen mäßig kaum dokumentierbar. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit handschriftlicher und druckschriftlicher Textüber lieferung (129-177, zu Literaten, Bearbeitern, Kopisten, Editoren und Druckern), zum Lesepublikum der Belletristik (178-194) und zu heutigen Editionsproblemen der älteren Texte der neugriechischen Literatur (195-212).3 Der erfrischend und spannend zu lesende, materialreiche Band endet mit einer weiterführenden selektiven Bibliographie (214-218) und einem Bildnachweis (219f.) sowie den eingangs angeführten Richtlinien für die Text ausgaben der neuen Editionsreihe (221-223). Der Verwirklichung dieses Vorhabens wird man mit Interesse entgegensehen dürfen. Athen, Wien Walter Puchner 1 Vgl. meine Anzeige in SOF 61/62 (2002/2003), 539-541. 2 SOF 61162 (2002/2003), 431-433. 3 Zu den prinzipiell unterschiedlichen Editionsstrategien und -praktiken der Renaissance- und Barocktexte im Gegensatz zu den Texten der Aufklärung des 18. Jh.s vgl. Walter Puchner, Problems in editing Greek dramatic texts of the era of Venetian and Osmanie rule, in: Chryssa Maltezou / AnelikiTzAVARA/Despina Vlassi (Hgg.), I Greci durante la venetocrazia. Uomini, spazio, idee (XIIIXVIII sec.). Atti del Convegno Internazionale di Studi, Venezia, 3-7 dicembre 2007. Venezia 2009, 689-699, und ausführlicher ders., Εκδοτικοί προβληματισμοί σε ε/ληνικά θεατρικά κείμενα της Βενετοκρατίας και Τουρκοκρατίας, in: ders., Συμπτώσεις και αναγκαιότητες. Athen 2008,43-66. 792 Südost-
Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Gérald Kurth, Identitäten zwischen Ethnos und Kosmos. Studien zur Literatur der Roma in Makedonien. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2008 (Forschungen zu SüdOsteuropa, 2). XVII, 233 S„ ISBN 978-3-447-05820-9, € 48,Den Buchtitel einmal wohlwollend beiseite lassend und allein den Untertitel „Studien zur Literatur der Roma in Makedonien“ betrachtend, kommen zunächst vier Interessen gruppen als Käufer respektive Leser dieses Buches in die engere Wahl: (1) Diejenigen, die etwas über die Republik Mazedonien in Erfahrung bringen wollen, (2) diejenigen, die an Roma allgemein oder besonders an südosteuropäischen Roma interessiert sind, (3) Sprach wissenschaftler, da suggeriert wird, auf Romanes verfasste Texte stünden zur Diskussion sowie (4) selbstredend Literaturwissenschaftler mit (im besten Wortsinne) exzentrischer Interessenlage. Warum alle diese Personengruppen enttäuscht werden, soll dargelegt werden, nachdem ein Einblick in den Aufbau des Buches gewährt wurde: Nach einem kurzen Vorwort von Victor A. Friedman ֊ dessen (sicherlich nicht zu un terschätzende) Rolle beim Zustandekommen des Buches verschwiegen wird - und einer zehnseitigen Einleitung, in der eigentlich bereits das Wesentliche zum Thema gesagt wird, folgt das Unvermeidliche: Die obligatorischen wilden Spekulationen über genaue Herkunft und Wanderwege der Zigeuner sowie die dazugehörigen Jahreszahlen, mit denen uns seit gut 200 Jahren all diejenigen Autoren quälen, die akribisch wie erfolglos an der Konstruk tion eines Volkes der Zigeuner (die nun erneut umbenannt werden - davon aber später mehr)
herumbasteln. Dabei darf der Autor mit ausführlichen altgriechischen Zitaten seine Gelehrsamkeit zur Schau stellen, die im Folgenden durch weitere Fremdsprachenzitate noch untermauert wird. Doch auch der daran anschließende Überblick über die Situation der Roma im osmanischen Mazedonien ist mehr durch Spekulationen denn durch Fakten gekennzeichnet. Erst ab Seite 32 werden im Abschnitt „Emanzipatorische Impulse“ die ersten zaghaften Berührungen mit einer Vorgeschichte des Themas spürbar, die im recht ordentlichen Kapitel über „Das 20. Jahrhundert“ aber wieder abreißen. Die Seiten 43 bis 55 sind sprachwissenschaftlichen Fragen des Romanes in Mazedonien Vorbehalten, lassen aber bereits deutliche und erschreckende Lücken im Kenntnisstand dieser Thematik durch schimmern. Die beiden folgenden Abschnitte („Die Soziolinguistik des Makedonischen“ und „Die Probleme der römischen Literatur in Makedonien“) sind hingegen wiederum recht interessant und lesenswert, deuten aber schon an, dass der Untertitel des Buches dahingehend irreführend ist, dass nicht über die „Literatur der Roma“ sondern über die „Literatur [.] in Makedonien“ berichtet wird. Nach einem den Einleitungsteil zusätzlich aufblähenden Abschnitt über „Terminologie und methodische Instrumente“ wendet sich der Autor ab Seite 95 endlich dem Thema zu. Demjenigen Leser, der bis hierhin wacker durchgehal ten hat, werden auf den nächsten 28 Seiten ein Dutzend Autoren ֊ die übrigens alle auf Makedonisch publizieren und nur teilweise zweisprachige Werke vorgelegt haben (wobei es sich bei den Romanes-Texten aber stets um
Übersetzungen aus dem Makedonischen handelt) - und ihre Werke vorgestellt, die sich teilweise aber auf einmalige Auftragsarbeiten und größtenteils schmale Gedichtbändchen beschränken. Diejenigen (vier) Autoren, die hingegen wenn auch nicht als professionelle, so doch wenigstens produktivere Literaten angesehen werden können, werden dann eingehender mit ihrem Hauptwerk besprochen. Südost-Forschungen 68 (2009) 793
Literatur- und Theaterwissenschaft Das sechste Kapitel besteht aus der Wiedergabe von Interviews mit zwei der zuvor vor gestellten Autoren. Daran schließt sich das gerade einmal zweiseitige Resümee an, in dem der Autor sich denn auch selbst entlarvt, obgleich er das eigentliche Schlusswort ֊ eine Seite zuvor - bereits einem seiner beiden Interviewpartner überlassen hat: „Wenn Sie in Makedonien fünf Romen finden, die römische Schriftsteller gelesen haben, dann kriegen Sie von mir einen Orden“ (215f). Weniger elegant und doch prägnant genug durfte Kurth in seiner Einleitung formulieren: „Die Autoren schreiben für ein Publikum, das noch nicht einmal wirklich existiert“ (10). Daran - und an weiteren (leicht) kritischen Anmerkungen, die hier und da in den Text eingestreut sind - wird deutlich, dass der Autor mehr hätte leisten können, als er in diesem zusammengestückelten Buch, das gerade einmal den Stoff für ein oder zwei Beiträge in einer Fachzeitschrift hergibt, tatsächlich leistet. Und das ist das eigentlich Ärgerliche, da der Leser den Eindruck gewinnen muss, vorgeführt zu werden. Möglicherweise ist der Autor des Vorworts daran schuld. In Anm. 130 auf Seite 74 ist davon die Rede, dass es sich um eine „Dissertation“ handelt. Einige Fehler bei den Literaturhinweisen deuten zumindest daraufhin, dass das Manuskript ֊ nicht untypisch für in Druck gegebene Doktorarbeiten in großer Eile (aber ohne viele Mühe) umgearbeitet werden musste. Diese mögliche und allenfalls auch nur partielle Fremdbestimmung über den Inhalt des Buches darfjedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Arbeit nicht das leisten kann, was der Titel (respektive Untertitel) verspricht. Schnell erweist es sich, dass der Autor denjenigen das Wort reden will, die über eine Standardisierung der Sprache ein „Volk der Roma“ schaffen wollen, als gäbe es auf dem Balkan und nicht zuletzt auch in Makedonien selbst (ein Land, das nur ethnisch organisierte Parteien mit strikt ethnisch definierter Anhängerschaft kennt!) nicht schon genug sich feindlich gegenüberstehende Nationen und als ob die Zigeuner nicht schon genug unter den Folgen des völkischen Nationalismus gelitten hätten. Tendenziell gehören einige der vorgestellten Autoren zu den Protagonisten der Nationenbildung via Sprache. Wer die übrigen Akteure sind, wird nicht explizit genannt, obgleich am Rande erwähnt wird, dass internationale NGO die Textproduktion „römischer Autoren“ anhei zen. Möglicherweise existieren darüber hinaus weitere Interessengruppen, vielleicht gibt es diese aber auch gar nicht und Kurth hat allein die Handvoll Intellektueller zigeunerischer Herkunft als Mahner im Sinn, die einmal (in den 1970er Jahren) eine „International Roma Union“ ins Leben gerufen haben und deren Forderung nach der Gleichsetzung der Begriffe „Roma“ und „Zigeuner“ eine politisch-korrekte Lawine ausgelöst hat, unter der wir heute zunehmend zu leiden haben. Aber Kurth geht sogar noch weit über deren Forderung hinaus: Die von ihm eingeführ te, überaus enervierende Diktion - „Romen“, „römisch“ etc. ֊ ist dabei Programm: „Das Ethnonym Rom (Nom. sg. mask.) sollte im Deutschen mit ,(der) Rome1 wiedergegeben werden, der bekannte Nom. PL Roma
mit ,(die) Romen“. Das Femininum RomnU-a ,die (zur Gruppe gehörende/-n) Frau/-en, Ehefrau/-en‘ lautet analog dazu ,Romin/-nen‘“ (2). Die Erklärung folgt auf dem Fuße: „Ich plädiere aus mehreren Gründen für die Verwen dung dieser Begrifflichkeit: Mit der Beibehaltung des für Sprachunkundige [sie!] nicht einordenbaren Ethnonyms Roma im Nom. PI. oder des Adverbs Romanes (bzw. Romaní) 794 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen als Sprachbezeichnung hält die deutschsprachige Romologie [sic!] genau jene ZigeunerExotismen am Leben, die sie eigentlich bekämpfen will“ (3). Diese Begründung ist nicht nur recht umständlich bzw. unverständlich, sie belegt, dass der Autor selbst zu den „Sprachunkundigen“ zählen muss, sonst wüsste er, dass „Roma nes“ durchaus ein Nomen ist. Es kommt aber noch schlimmer: „Die Verwendung der Eigenbezeichnungen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die römische Seite [sie!] ihren Partnern echte Unvoreingenommenheit attestiert. Ebenso selbstverständlich wie die Eigenbezeichnungen für Sprache und Gruppe von anderen Völkern müssen diese aber konsequent der jeweiligen Formenlehre angepasst werden, um sie so für jedermann ver ständlich und einsetzbar zu machen. Durch die grammatisch korrekte Verwendung wird einer nicht vertrauten Bezeichnung ihre Fremdheit genommen, auch wenn Herkunft und Bedeutung womöglich nicht auf Anhieb nachvollziehbar sind“ (3). Es dürfte jedoch wenig sinnvoll und zudem kaum möglich sein, für jedes „Volk“ und für jede Sprache eine für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung verständliche neue Terminologie einzuführen und neben den Sinten, den Laleren, den Aschkalen, den Kalen (um nur einige nicht-„romische“ Zigeuner zu nennen) auch noch die Maoren, Lakoten, Aschanten, Keusanen und Masaen zu kreieren, war es für den wohlgesonnenen, politisch korrekten Alltagsprachbenutzer doch schon schwer genug, die eigenen Eigenbezeichnun gen von bis dato Fremdbezeichneten zu erlernen und richtig anzuwenden, besonders da er gerade erst von den Samen
auf die Saami (das sind übrigens die Lappen. mit End -en!) umgeschult worden war und sich schon lange nicht mehr getraut hat, von den Apatschen zu sprechen. Darüber hinaus ist der Begriff „Zigeuner“ nicht wirklich fremd, sondern jedem Deutschsprachigen vertraut. Die Notwendigkeit einer Umbenennung, aus welchen Gründen auch immer, ist hingegen nicht nachzuvollziehen, da dann niemand - außer einer kleinen Elite von Sprachwissenschaftlern und per se der Political Correctness verschriebenen „Romologen“ ֊ mehr weiß, wer überhaupt gemeint ist. Auch dürfte es ein heikles Unterfangen bedeuten, den hiesigen Sinti zu vermitteln, sie seien jetzt „Romen“ und dürften sich in der Offendichkeit nicht mehr als „Sinti“ bezeichnen oder als solche angesprochen werden. Hier zeigt sich aber auch, wie wenig der Autor mit Roma (und Zigeunern) vertraut ist, sonst wüsste er, dass diese - mit Ausnahme eines kleinen Zirkels größtenteils angepasster Verbandsfunktionäre — den Begriff „Zigeuner“ im Deutschen ganz selbstverständlich und völlig unvoreingenommen benutzen und einer Verhunzung ihrer Selbstbezeichnung(en) nur mit allergrößtem Unverständnis begegnen. Gleiches gilt für die Roma in Makedonien, allerdings nicht für die nichtromanessprachigen Zigeuner, die weder Zigeuner noch Roma sein wollen und mit Sicherheit nicht in eine Volksgemeinschaft der „Romen“ hineingezwängt werden möchten. Diese ֊ und damit einen nicht unerheblichen Teil der makedonischen Zigeuner — spart Kurth aber geflissentlich aus seiner Darstellung aus! Was Kurth mit seinen „Romen“ bezwecken möchte, ist daher nicht sprachliche
Klarheit, sondern reine Anbiederei, auch wenn er damit höchstens vollständig assimilierte, selbster nannte Funktionäre von Roma-Verbänden (gemeint sind hierbei wirklich Roma und nicht Sinti, Calé oder andere) erreichen und erweichen kann, da sich unter den Roma (und allen anderen Zigeunern) eigentlich niemand für derartige Sprachspielchen interessiert, abgesehen davon, dass es sich bei den Roma leider immer noch überwiegend um Analphabeten und Südost-Forschungen 68 (2009) 795
Literatur- und Theaterwissenschaft sogenannte bildungsferne Personen handelt, die sich weder für „römische“ Literatur noch dafür interessieren, wie die PC-Schickeria in Deutschland das vorgebliche, aber immerhin allgemein verständliche Unwort „Zigeuner“ umschreibt. Zudem ist die Gemeinschaft der Gutmenschen mit der im Deutschen meist undeklinierten, dafür aber umso politisch korrekteren Form Roma schon deutlich überfordert und bedarf keiner weiteren Belehrungen. Dies liegt allerdings auch daran, dass die PC-Gemeinde - auch und gerade unter den Gesellschaftswissenschaftlern - unter „Roma“ etwas völlig anderes versteht als die Roma selbst. Wenn hier Autoren hofiert werden, die über eine „Standardisierung des Römischen“ versuchen, an der Konstruktion eines Roma-Volkes (das uns selbsternannte Zigeunerfreunde und -Wissenschaftler als nicht hinterfragbare Größe vorschreiben) mitzuwirken, darf nicht in Vergessenheit geraten, dass ein völkisches, annähernd rassisches (und somit automatisch rassistisches) Weltbild dahintersteckt, das Zigeuner eben nicht besitzen. Diese definieren sich - auch wenn dies für im Geiste des Nationalismus erzogene Mitteleuropäer schwer nachvollziehbar sein mag - allein über Verwandtschaft sowie einen dieser Verwandtschafts einheit (und eben nur dieser!) inhärenten Verhaltenskodex und gerade nicht über Sprache und auch nicht über eine gemeinsame Ausgrenzung und erst recht nicht über Rasse. Was der Autor bewusst ausspart, ist das Problem der Aiskali und der sich seit Kurzem selbst so bezeichnenden „Balkanägypter“, Zigeunergruppen, die beide nicht mehr als
„Zigeuner“ und erst recht nicht als „Roma“ betrachtet werden wollen, die aber auf das Grundproblem, an dem Kurth genauso scheitert, wie auch alle anderen Erfinder des Roma-Volkes hindeu ten: Der Begriff „Zigeuner“ kann nicht durch den Begriff „Roma“ ersetzt werden, da beide zwar sich überlappende, aber dennoch verschiedene Bevölkerungsgruppen bezeichnen. Eine Rezension über ein Buch zur Literatur in einem bestimmten Staat ohne jede Aussage zu darüber hinausreichenden Themenbereichen ist sicherlich nicht der richtige Ort, um dieses Problem in extenso zu diskutieren. Es muss an dieser Stelle aber eine kritischere Auseinandersetzung mit dem Thema angemahnt werden, da sich das vorliegende Buch in eine kaum noch überschaubare Reihe an Literatur über „Zigeuner“ einreiht, deren Autoren wenig bis keine Kenntnisse über „Zigeuner“ besitzen und daher Fehlinformationen ohne Aussicht auf ein Ende produzieren. Das Dilemma der Roma und aller anderen Zigeuner — und dies hätte ein Buch mit einer solchen Thematik ansprechen können - ist, dass diejenigen Personen, die dieser Stigmatisierung durch gesellschaftlichen Aufstieg entgehen können - so wie eben die vorgestellten Autoren —, eben keine Roma oder sonstige Zigeuner mehr sind, sondern Makedónén (wahlweise Deutsche, Franzosen oder Engländer). Denn Zigeuner oder Roma oder auch „Romen“ sind eben nur diejenigen, die zur untersten Unterschicht gerechnet werden, wenn sie denn überhaupt als Teil der Gesellschaft, in der sie leben, angesehen werden. Die Abfassung von „römischer Lyrik“ hilft dabei nur den Autoren; mit Sicherheit aber nicht
denjenigen, in deren Namen diese Literatur verfasst wird, die sie aber gar nicht lesen können. Es wäre daher wünschenswert gewesen, hätte der Autor die Mechanismen aufgedeckt, die zu den Standardisierungsversuchen des Romanes in Makedonien geführt haben und hätte er alle Akteure und deren Interessenlagen offengelegt. Gerade die Rolle internationaler, mutmaßlich aber besonders nordamerikanischer NGO in diesem Prozess 796 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen hätte einer genaueren Analyse und Bewertung bedurft. Davon erfährt der Leser (der bis zur letzten Seite durchgehalten hat) aber nichts. Für wen hat Kurth also dieses Buch geschrieben und wer kommt wirklich auf seine Kosten? Eigentlich kommen (bedauerlicherweise) da nur die PC-Gemeinde und die NGO-Szene in Frage, die nun ausrufen dürfen: „Seht her, es geht doch aufwärts mit der Emanzipierung des Volkes der Romen!“ Ach übrigens: Wer etwas Neues über Makedonien erfahren möchte, kommt zumindest auf Seite 218 auch auf seine Kosten. Denn die „im Osten dominierende türkische Mehr heitsbevölkerung“ war sowohl Einheimischen wie Landeskennern bislang unbekannt. Bonn Marco Heinz Marta Petreu, An Infamous Past. E. M. Cioran and the Rise of Fascism in Romania. Chicago: Ivan R. Dee 2005. 332 S„ ISBN 978-1-56663-607-0, US-$30,Emil Cioran achieved fame in Paris after the Second World War as a philosopher of man’s tragic existence and as one of the great twentieth-century stylists of the French language. His works in French became widely known and debated, and interest naturally turned to his philosophical works in Romanian, ofwhich there were four, all written before 1940, and they were eventually translated and added to the canon. But one work, which he published in 1936, has never been published in French or another foreign language, and until after the fall of the Communist regime in Romania in 1989 it was rarely mentioned. Cioran himself was embarrassed by it, and when in 1990 he authorized publication of a second edition he had certain parts, notably those on the Jews,
excised. That book was Schimbarea lafaţă a României (“The Transfiguration of Romania”). It is the main focus of Marta Petreu’s penetrating analysis of Cioran’s social and political ideas and his philosophy of history at a time when he had joined in the great interwar debate among Romanian intellectuals about national identity and models of development. Petreu portrays Cioran as a man of his time, brilliant and creative in his own way, to be sure, but a member, nonetheless, of a remarkable grouping of intellectuals who styled themselves the “Young Generation” and included Mircea Eliade, Eugen Ionescu, Mircea Vulcănescu, and Petru Comarnescu. For a brief time they came together in a society they called Criterion in order to arouse in a broader public a discussion of fundamental moral, philosophical, and political issues. Petreu shows us that they were all dissatisfied with things as they were in Romania and scrutinized her past and present critically to discover who they were as Romanians and thus enable them to decide on a proper path to guide them to the future. Unanimity of views eluded them. Some, like Eliade, sought the foundations of a national renaissance in spiritual sources; others, like Vulcănescu, turned to the traditional rural world; and still others, like Comarnescu, looked to the West, even to America. In any case, they all viewed matters from very personal perspectives and, hence, they defy Südost-Forschungen 68 (2009) 797
Literatur- und Theaterwissenschaft easy classification. They cannot be fitted into those broad categories of “Europeanists” and “traditionalists” often used for convenience in discussing the allegiances of interwar intellectuals on matters of national identity and development. It is evident from Petreu’s portrait of Cioran that his perspective on Romania’s past and his expectations for her future were distinctly his own. Yet, he could not help being drawn into the general debate about who the Romanians were and what their destiny could be that absorbed the energies of his fellow Criterionists. His responses to fundamental questions about Romania’s future and past were an unusual blend of both Westernism and nativism, but, in the final analysis, his ideas represented a unique assessment of Romania’s historical development and of the Romanian character. Cioran’s view of these matters was far from parochial. Petreu’s analysis of the sources of his thought as put forward in Schimbarea և faţă and other writings of the period reveals him to have been at heart a philosopher of history concerned with the crisis of modern European culture. His debt to German philosophy of the nineteenth and twentieth century, especially Schopenhauer, Nietzsche, and Ludwig Mages, is striking. But the most decisive influence came from Oswald Spengler in Der Untergang des Abendlandes, who taught him about cultural style and introduced him to the concepts of “great cultures” and “small cultures.” Cioran eagerly absorbed Spenglers teachings about the role of great cultures as the motive forces of history
and about the crises of cultures and their inevitable end, ideas he was to apply so creatively and, in a sense, destructively to Romania. Yet, Petreu points out that Cioran, unlike Spengler who concerned himself with major cultures, was obsessed with minor cultures - in the first instance, the Romanian. Petreu also alerts us to the Romanian sources of Cioran’s thought. Most important was the influence of Eugen Lovinescu, the most authoritative literary critic of the interwar period and a leading advocate of the Western model of development for Romania. It was in Lovinescu’s three-volume Istoria civilizaţiei române moderne (“The History of Modern Romanian Civilization”; 1924-1926), she argues, that Cioran discovered a route by which minor cultures like the Romanian might catch up with major cultures and achieve a certain respectability. He took Lovinescu’s theory of synchronism, whereby minor cultures learned from and imitated major cultures, as the alternative to the organic route of development Spengler discerned as characteristic of major cultures. Petreu also reminds us of the pervasive influence of Nae Ionescu among the young generation. A charismatic professor ofphilosophy at the University of Bucharest and the theorist of “Trăirism”, a version of existentialism, he inspired his students to question a world governed by Cartesian rationalism and social and political democracy. At first glance, Schimbarea և faţă seemed to offer no hope at all for Romania’s escape from backwardness. It is a devastating critique of every aspect of Romania’s past and present. The Romanians,
Cioran lamented, had been slumbering for a thousand years on the periphery of great cultures and had thus been mere spectators, not makers, of history, a position not at all surprising, he thought, for a people indifferent to great culture. The causes of their misfortune, he insisted, were thus not foreigners or the vagaries of history, but the Romanians themselves. In this context Petreu deals with the nature of Cioran’s anti-Semitism. He has harsh things to say about Jews, notably that they belonged to a dif798 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen ferent species and could not, therefore, be assimilated by Romanian society. But he admires some of their qualities, especially their messianism and their historical vision, which gave meaning to their existence, something he found utterly lacking among the Romanians. His main accusation against the Jews was that by their very presence in Romania they had undermined the consolidation of the Romanian nation, but he insisted that they were not the causes of the Romanians’ “eternal misery.” The salvation of the Romanians, Cioran tells us in Schimbarea lafaţă, lay in their becoming more like Western Europe, that is, industrial and urban and with a Western-style culture. He thus placed himself among the Europeanists and rejected calls by the traditionalists for Romanians to return to their roots, because, he warned, there were no roots ֊ the village, agriculture, Orthodoxy - worth going back to. But the question remained for him how Romania was to become more Western, since Spengler had closed for him the natural, evolutionary way and Lovinescu offered only imitation, which struck him as not radical enough to overcome the prevailing lethargy. He was certain that the Romanians could break free completely from their past and focus all their energies on the great adventure that the future held for them, if only they would seize the moment. His own vision of that future was apocalyptic; no orderly, mediocre place “like Switzerland” could be his goal. His Roma nia must be frenzied and chaotic and have a “barbarian” grasp of life and culture. He thus chose revolution as
one of his instruments, revolution whose task would be to sweep away all the remnants of the past. His other instrument was dictatorship, a kind of permanent revolution that would be utterly “brutal” as it eliminated all obstacles to the new order and allowed the irrational in man free reign. Here, Petreu points out, he departs fundamentally from the Europeanist pattern he advocated. She attributes his resort to violence and his praise of the irrational, at least in part, to his disgust with middle-class democracy as it had evolved in Romania since the latter nineteenth century. The model that enthralled him was Nazi Germany, which he observed first-hand as a student in Berlin between 1933 and 1935. Hitler’s new order, a “national revolution” guided by a “creative barbarism,” seemed to him the ideal example for Romania to follow, if she were ever to escape her vegetative state. He found Hitler’s mobilization of German youth and their aggressive response to his exhortations and their will to power exhilarating. This messianism fitted in perfectly with his own vitalism, irrationalism, and, indeed, commitment to modernism. It was in this spirit, Petreu explains, that he was attracted to the Romanian Iron Guard, known also as the Legion of the Archangel Michael, a nationalist, anti-Semitic, and authoritarian movement. He (and other intellectuals of his generation) saw in it the force that would solve Romania’s crisis of existence and bring about her transfiguration because it was determined, as he was, to eliminate a failed Romanian democracy and set the country on the road to
the dictatorship he knew was crucial for the national renaissance. In her analysis of all of this Petreu takes a balanced approach to Cioran’s philosophy of history and his solutions to the Romanian dilemma. She neither condemns nor excuses, but tries to show how, despite, or perhaps because of, his genius and originality, he was a man of his own time and place. She shows us the “good side” and the “bad side” of Schimbarea la faţa and suggests what is relevant for Romanians in their post-Communist existence. As she examines the sources of Cioran’s thought and follows its evolution she leads us into Südost-Forschungen 68 (2009) 799
Literatur- und Theaterwissenschaft the very heart of Romanian intellectual life of the interwar years. She is an experienced, critical guide. Urbana/Il. Keith Hitchins Jan Olof Rosenqvist, Die byzantinische Literatur. Vom 6. Jahrhundert bis zum Fall Konstantinopels 1453. Übers. Jan Olof Rosenqvist und Dieter R. Reinsch. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2007. IX, 239 S., ISBN 978-3-11-018878-3, € 48,Jan Olof Rosenqvist, bis 2009 Professor für Byzantinistik an der Universität Uppsala (mit dem Schwerpunkt auf der Philologie und Erforschung hagiographischer Texte),1 hat die Erstfassung seines Buches 2003 vorgelegt. Dem Vorwort nach hatte er es als Lehrbuch „für einen Kursus der byzantinischen Literatur für nicht griechischkundige Studenten“ konzipiert. Ausdrücklich betont er hier, „die Auswahl der behandelten Werke wie auch der wechselnde Umfang der sie behandelnden Abschnitte“ würden seine „eigenen Prioritä ten“ widerspiegeln. Bei der Anordnung des Stoffes bzw. bei der Gliederung orientiert sich Rosenqvist im Prinzip an der Chronologie, doch zuweilen „werden die Gattungen dazu gebraucht, kürzere Abschnitte thematisch zu verbinden“. Eine Einführung dieser Art in die byzantinische Literaturgeschichte gab es bisher noch nicht. Einleitend ( 1 -6) bemüht sich der Verfasser um eine nähere Begründung für die chronolo gische Begrenzung seines Buches auf den Zeitraum (527-1453), dessen Ende kein Problem ist, sofern man bei 1453 auch 1461 mitdenkt (osman. Eroberung des Kaiserreichs Trapezunt bzw. des Despo tats Mo rea), wohl aber der Anfang. Für Rosenqvist ist „die byzantinische
Kultur [.] prinzipiell eine mittelalterliche Kultur“. Um sie zu beschreiben, sollte man seiner Ansicht nach dort anfangen, wo ein „mittelalterlicher Charakter im kulturellen und politischen Leben spürbar ist“ (2). Vor dem 6. Jh., also in der Spätantike, sei dies kaum der Fall. Was aber heißt das konkret? Zugleich hiermit verweist er u. a. auf das Aufkommen neuer literarischer Formen, als deren wichtigste er „die Hymnen des Romanos und die christlichen Weltchroniken“ betrachtet. (3). Eine Schwäche dieses Abschnittes liegt nach Meinung des Rezensenten in der mangelnden Reflexion darüber, ob und inwieweit die Verwendung des Begriffs MitteL·lter im Kontext der byzantinischen Geschichte überhaupt angemessen sei (vgl. aber auch die Bemerkungen zur byzantinischen bzw. mittelalterlichen Mentalität, 12f). Weitere Überlegungen in der Einleitung gelten der näheren Bestimmung dessen, was unter Literatur bzw. unter „literarisch“ zu verstehen sei, bleiben aber insgesamt eher vage, somit etwas unbefriedigend: Rosenqvist selbst jedenfalls unternimmt weder hier noch auch wirklich im Schlusskapitel einen Anlauf, um diesbezüglich seiner Zielgruppe bestimmte Definitionen oder Parameter (etwa auch mit Hilfe neuerer literaturtheoretischer „Bausteine“) an die Hand zu geben.2 Wiederholt gewinnt man vielmehr den Eindruck, dass er sich bei Bewertungen auch gern von durchaus subjektiven Eindrücken leiten lässt. 800 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Der Hauptinhalt seines Buches, im Vorwort als „Abschnitte über byzantinische Autoren und Werke“ bezeichnet, ist in sieben Kapitel gegliedert. Dabei orientiert sich Rosenqvist in den Kapiteln I-VT an historischen Einschnitten bzw. kulturell prägenden Befunden. Dementsprechend wird jedes dieser Kapitel mit einer knappen „Übersicht und Charak teristik“ eingeleitet.3 In Kapitel VII, also am Ende des Buches, indes unternimmt er u. a. eine interessante Standortbestimmung der byzantinischen Literatur aus literaturhistorischer Sicht. Das wiederum verknüpft er mit dem Versuch, zu einer Selbstvergewisserung der byzantinistischen literaturhistorischen Forschung zu gelangen. Zum Inhalt: Kapitel I („Die frühbyzantinische Epoche [527-ca. 650]“) behandelt in fünf Abschnitten4 zunächst die „Geschichtsschreibung: Historiographie und Chronik“ (10-20), ferner „Dichtung nach klassischem Vorbild“ (21-23), den als „Höhepunkt der Poesie“ herausgestellten Hymnendichter Romanos Melodos (24-26), „Hagiographie aus Palästi na, Kleinasien, Zypern und Konstantinopel“ (26-33), und Autoren, die ein „Christliches Weltbild und philosophische Ansichten in Ägypten“ vermitteln (33-35). In Kapitel II („Das ,dunkle Jahrhundert“ und der Bilderstreit [ca. 650-843]“) geht es um „Theologie und Hagiographie“ (41-49), das „Problem der Parastaseis: Antiquarische Pseudoforschung oder bewusste Parodie“ (49-51), mithin um die Patria Konstantinopels,5 sowie um „Geschichtsschreibung“6 (51-57). In Kapitel III („Politische Stabilisierung und kulturelle Konsolidierung: die Makedo nische Renaissance“ [843-1025]“)
breitet Rosenqvist den Stoff in fünf Abschnitten aus: „Klassische Gelehrsamkeit bei Kirchenmännern und anderen Herren“ (63-69), „Geschichts schreibung: Chroniken und Geschichte im klassischen Stil“ (69-74),7 „Der enzyklopädische Kaiser: Konstantin VII. Porphyrogennetos“ (74-78),8 „Hagiographie, Hymnographie und die übrige theologische Literatur“ (78-88) und „Wie alte Texte wie neu wurden: Symeon Metaphrastes und seine Vorgänger“ (88-93). Auch der letztgenannte Abschnitt bezieht sich auf hagiographische Texte. In Kapitel IV („Kulturelle Neuorientierung und politischer Verfall [1025-1204]“), dem längsten des Buches, betont Rosenqvist zunächst, im Übersichtsabschnitt, es ließe sich ver gleichsweise leichter (als im Fall der „Makedonischen Renaissance“) begründen, im 11. Jh. von „einer Art Renaissance zu sprechen.“ (95). Den Stoff bespricht er in zehn Abschnitten, beginnend mit „Verhinderte Freidenkerei: Johannes Mauropus, Michael Psellos und ihr Kreis“ (98-105), „Geschichte und Chronik im 11. Jahrhundert“ (105-108),9 „Praktische Lebensweisheit. Moralisch belehrende Übersetzungen, engagierte Briefe“ (108-113), es geht um den berühmten Kekaumenos,10 um die von Symeon Seth übersetzte Fabelsammlung „Stephanites und Ichnelates, den „Syntipas“ und um die Briefe des Erzbischofs Theophylaktos von Achrida/Ohrid.11 Weitere Abschnitte sind: „Dichtung in der Volkssprache: Das Epos von Digenis Akri tas“ (113-116) und „Aben teuer und Erotik: Der antike Roman auf mittelalterliche Art“ (116-119): darin behandelt Rosenqvist die Romane des Eumathios Makrembolites und Niketas Eugeneianos;
„Freie Literaten, Auftragsdichtung und Satire“ (119-125), womit Theodoras Pródromos (sowie Ptochoprodromos), der Dialog Timarion und der Schriftsteller Johannes Tzetzes gemeint sind; ferner „Gelehrsamkeit ohne Staub: Erzbischof Eustathios von Thessaloniki“ (125-127),12 „Weibliche Dominanz: Anna Korn nene und die Geschichtsschreibung des 12. Jahrhunderts“ (127-136), „Hagiographische Südost-Forschungen 68 (2009) 801
Literatur- und Theaterwissenschaft Nachlese: die Vita des Kyrillos von Philea“ (136f.) und „Die Passionsgeschichte als antike Tragödie: „Der leidende Christus“ (137f.): gemeint ist der Text „Christospaschon“. Kapitel V („Das Byzantinische Reich im Exil [1204-1261]“) weist zwei Abschnitte auf: „Geschichtsschreibung“ (140-144)13 und „Rhetorik, Epistolographie und Autobiographie“ (144-150). In beiden finden sich Wertungen Rosenqvists, die inzwischen veraltet sind: Denn dass der Historiker Akropolites eben nicht „objektiv“ (144) ist, sondern auf weite Strecken parteilich gegen die Laskariden zugunsten Michaels VIII. eingestellt war, hat bereits 1996 Ruth Macrides gezeigt.14 Und dass der „schriftliche Nachlass“ des Metropoliten Johannes Apokaukos größtenteils, wie Rosenqvist apodiktisch urteilt, „einen nicht-literarischen Charakter“ (146) habe, greift zu kurz. Zudem bleibt unklar, was denn eigentlich den „lite rarischen Charakter“ eines Textes genau begründet (vgl. dazu auch das eingangs Gesagte). Viele Apokaukos-Texte bezeugen ebensosehr literarisches Gespür wie großes rhetorisches Geschick. Es genügt, dafür z. B. auf Arbeiten von Marie-Theres Fögen und (besonders) Paul Magdalino zu verweisen.15 Im Zusammenhang mit Apokaukos sei auch auf seinen Zeitgenossen, Erzbischof Chomatenos von Ohrid, hingewiesen, dessen „Diverse Arbeiten“ aus dem Bereich kirchlicher Rechtsprechung (unter Einschluss seiner Briefe) auch mehrere Stücke hoher literarisch-rhetorischer Qualität enthalten.16 Kapitel VI („Die spätbyzantinische Epoche, die ,PalaioIogenzeiť“) umfasst, der kulturel len Bedeutung
dieser Epoche entsprechend, sieben Abschnitte: „Männliches, Weibliches, Königliches: Philologie, Gelehrsamkeit und Geschichtsschreibung“ (154-164), „Theologie, Hagiographie und Kirchengeschichte“ (164-169), „Verskunst in der Volkssprache: Roman, Chronik, Parodie“ (169-173), „Gelehrte Dichtung für den praktischen Gebrauch“ (174176), „Philosophische Altertumsschwärmerei in Mistra: Georgios Gemistos Plethon“ (176£), „Die Geschichtsschreiber des Untergangs“ (177-183) und „Byzantinische Gelehrsamkeit im Exil“ (183f). Auf sie näher einzugehen würde den Rahmen der Besprechung sprengen; sie vermitteln aber einen instruktiven Überblick über die Reichhaltigkeit und Blüte der literarischen Produktion in der Spätzeit. Kapitel VII („Byzantinische Literatur in der Geschichte und in der Literaturgeschichte“) mit seinen fünf Abschnitten „Byzantinische Literatur: eine Randerscheinung? (184-191), „Gibt es so etwas wie eine byzantinische Literaturgeschichte?“ (191-196), „Die Byzantiner und die Antike“ (196-201), „Die byzantinischen Gattungen“ (201-203) und „Byzantinisches Griechisch“ (204-207) ist letztlich insgesamt informativ und nützlich. Um zusammenzufassen: Auch wenn man in manchen Punkten anderer Ansicht sein kann, so ist doch dieses Buch als Ein- und Hinführung reich an Beobachtungen und Überlegun gen, die zu weiterer Reflexion und Diskussion anregen. Festzuhalten bleibt, dass Rosenqvist mit Erfolg den mutigen und notwendigen Versuch unternommen hat, eine einführende, handliche Skizze zur gesamten Breite der byzantinischen Literatur und ihrer Entwicklung im angegebenen Zeitraum zu
entwerfen.17 Mainz 802 Günter Prinzing Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen 1 Sein Hauptwerk ist: The Hagiographie Dossier of St. Eugenios of Trebizond in Codex Athous Dionysiou 154. A Critical Edition with Introduction, Translation, Commentary and Indexes. Upp sala 1996. 2 Ansätze hierzu gab es seit jüngerer Zeit indes mehrere, wegweisend etwa: Paul Magdalino, A History of Byzantine Literature for Historians, in: Paolo Odorico / Panagiotis A. Agapitos (Hgg.), Pour une „nouvelle“ histoire de la littérature byzantine. Paris 2002, 167-184: vgl. aber auch seinen in Anm. 15 zitierten Aufsatz von 1987. 3 Verschiedentlich diskutiert Rosenqvist hier und in späteren Kapiteln kontroverse ForschungsPositionen, ohne sich bemüßigt zu fühlen, seinen Lesern mitzuteilen, wo etwa Autor XY die referierte Ansicht publiziert hat (z. B. 40,6 1 zu Paul Speck). 4 Hier und im Folgenden übergehe ich bei der Zählung bzw. den Angaben zu den Abschnitten den jeweils obligaten o. a. Abschnitt „Übersicht und Charakteristik“ der Epoche. 5 Im Literaturhinweis (51) fehlt Albrecht Berger, Untersuchungen zu den Patria Konstantinupoleos. Bonn 1988. 6 Unverständlich, warum hier die (Welt-)Chronistik nicht mit im Titel erscheint, zumal Rosen qvist selbst zwei der hier besprochenen Werke (Georgios Synkellos, Theophanes) jeweils als Chronik bezeichnet. 7 Bei der Besprechung von Johannes Kaminiates steht im Text (71 ) versehentlich das Datum 903 statt 904 für die Einnahme Thessalonikes. 8 Es fehlen bei „Texte/Übersetzungen“ (78) Hinweise auf die jeweils sehr kompetent eingeleiteten und kommentierten deutschen bzw. russischen Übersetzungen von De Administrando Imperio durch
Klaus Belke / Peter Soustal (Hgg.), Die Byzantiner und ihre Nachbarn. Wien 1995 (Byzantinische Geschichtsschreiber, 19), und G.G. Litavrin/A.P. Novoselcev, Konstantin Bagrjanorodnyj, Ob upravlenii imperii. Moskau 1989. Letztere bietet parallel zur Übersetzung den griechischen Text der CFHB-Ausgabe von Gyula MoRAVcsiK/Romilly J. H. Jenkins (Washington/DC 1967). 9 Zu Skylitzes fehlt (108) in „Texte, Übersetzungen“ die französische Übersetzung: Jean SkyLITZÈS, Empereurs de Constantinople. Texte traduit par Bernard Flusin et annotée par Jean-Claude Cheÿnet. Paris 2003. 10 Bei „Text, Übersetzungen“ zu ihm (110) wäre es angebracht gewesen, auch die maßgebliche kritische Textausgabe samt russischer Einleitung, Übersetzung, Kommentar von G.G.Lïtavrin (Moskau 1972; verb, und erweiterte Ausgabe St. Petersburg 2003) anzuführen. 11 Rosenqvist bezeichnet Theophylakt irrig als „Bischof'. Und sein auf Ohrid bezüglicher Hinweis, es sei eine „Stadt im damaligen Bulgarien“ (112) ist missverständlich, weil die Erzdiözese „Bulgarien“ mit ihrem Sitz Achrida damals komplett zum Byzantinischen Reich gehörte. 12 In „Text, Übersetzung“ fehlt die deutsche Übersetzung des Berichts über die normannische Eroberung Thessalonikes 1185 von Herbert Hunger (Byzantinische Geschichtsschreiber, 3; Wien 1955,21967). Nicht mehr berücksichtigen konnte Rosenqvist folgende Arbeiten zu Eustathios von Thessalonike, der gerade im Fokus der Forschung steht: Eustathios von Thessalonike. Reden auf die Große Quadragesima. Prolegomena, Text, Übersetzung, Kommentar, besorgt von Sonja Schönauer. Frankfurt/Ma. 2006; Karin
Metzler, Eustathios von Thessalonike und das Mönchtum. Untersu chungen und Kommentar zur Schrift „De emendenda vita monachica. “ Berlin, New York 2006 (ihre kritische Edition dieser Schrift selbst erschien ebenda 2006); Briefe des Eustathios von Thessalonike. Einleitung, Regesten, Text, Indizes, von Foteini Kolovou, München, Leipzig 2006 (u. a. eine ergiebige Quelle für das Alltagsleben). 13 Zu Akropolites eine Ergänzung: Rosenqvist konnte noch nicht Ruth Macrides, George Akropolites. The History. Introduction, translation, commentary. Oxford 2007, kennen, womit dessen Südost-Forschungen 68 (2009) 803
Literatur- und Theaterwissenschaft Geschichtswerk vorzüglich erschlossen wird. Im historischen Abschnitt vermisst man eine Erwähnung der (Welt-)Chronik des Theodoros Skutariotes. 14 Ruth Macrides, The Historian in the History, in: Costas Constantinides u. a. (Hgg.). ФІЛΕΛΛΗΝ. Studies in Honour of Robert Browning. Venezia 1996, 205-224. 15 Marie-Theres Fögen, Rechtsprechung mit Aristophanes, RechtshistorischesJournal 1 (1982) 7482; dies., Ein heißes Eisen, RechtshistorischesJournal2 (1983) 85-96; Paul Magdalino, The Literary Perception of Everyday Life, Byzantinoslavica 48 (1987) 28-38. Vgl. ergänzend Ruth Macrides, The Law outside the Lawbooks. Law and Literature, in: L. Burgmann (Hg.), Fontes Minores 11. Frankfurt/M. 2005, 132-145, hier 137f., und die Beiträge von Kõstas Konstantinides und Vasilēs Katsaros, in: Kõstas Konstantinides (Hg.), Medieval Epiros. Proceedings ofa Symposium (Ioannina 17-19 September 1999). Ioannina 2001. 16 Vgl. Günter Prinzing (Hg.), Demetrii Chomateni Ponemata diaphora. Berlin, New York 2002, hier besonders den nachgerade romanhaft geschilderten Ehescheidungsfall Nr. 22: 85*-88* (Regest) und 84-92. 17 In der Liste der abgekürzt zitierten Literatur ist bei Ostrogorsky statt 1965 richtig 1963 zu lesen, da die Handbuchausgabe von 1963 gemeint ist. Die Ausgabe 1965 hat keine Anmerkungen. Die Dokumentation der einzelnen Abschnitte könnte, wie oben verschiedentlich angedeutet, insgesamt deutlich verbessert werden: Auch die auffallende Ausklammerung der Literatur in slawischen Sprachen ist an sich schon nicht, aber nun auch angesichts der allgemeinen
Mobilität der Zielgruppen, an die sich das Buch richtet, erst recht nicht zu vertreten. 804 Südost-Forschungen 68 (2009)
Rezensionen Topographisches, Sach- und Personenregister zu den Titeln der rezensierten Bücher Agrargeschichte 642 Alba Iulia 604 Albanien 536, 551, 559, 654, 663, 689 Alexandar I., Kg. v. Jugoslawien 562 Anthropologie (Griechenland) 725 Arbeitsemigration (aus Jugoslawien) 695 Architektur, osmanische 754 Atatürk, Kemal 562 Athen 733 Aufklärung 629 Balkan, Bild in der griechischen Historiogra phie 556 Batak, Kontroverse um 548 Bewusstsein, ethnisches 569 Bistriţa 604 Bistritz siehe Bistriţa Boris III., Zar v. Bulgarien 562 Bosnien und Herzegowina 522, 526, 536, 582, 606, 680, 706 Bosnisch (Sprache) 775 Braşov 604 Bulgarien 536, 548, 753 Burzenland 604 Byzantinisches Reich 544, 599, 611, 800 Cantemir, Dimitrie 631 Carol IL, Kg. v. Rumänien 562 Ceauşescu, Nicolae 562, 574 Cioran, Emil 797 Cluj-Napoca 604 Dalmatien 536, 735 Deutschland, Bundesrepublik 536 Dobrudscha 576 Dracula-Mythos 728 England siehe Großbritannien Erinnerungskultur 714 Erster Weltkrieg 676 Eurolinguistik 773 Europa 536 Südost-Forschungen 68 (2009) Europabegriff 568 Frankreich 629 Franz Joseph I., Ks. v. Österreich u. Kg. v. Ungarn 658 Gennadios II. (Scholarios), Patriarch v. Kon stantinopel 606 Geschlechterbeziehungen (Rumänien) 636 Griechenland 533, 536, 540, 579, 649, 689, 725,731,738,740,743,745,754,757 Großbritannien 645, 685 Habsburgerreich 629, 658 Hermannstadt siehe Sibiu Historiographie, albanische 551, 750 Historiographie, Rumänische 718 Hofkultur 629 Hoxha, Enver 562 Istanbul 585, 593 Italien 683, 701 Izmir 668 Jesuiten (in Albanien) 654 Jugoslawien 536, 678, 683, 687, 695, 701 Karlsburg siehe
Alba Iulia Klausenburg siehe Cluj-Napoca Konsulargerichtsbarkeit, britische 645 Korfu 543 Kosovo 536, 538, 683 Kosovo, Vilayet 670 Kreta 540, 543, 624 Kriegsgräuel (Weltkriege) 676, 680, 687 Kroatien (siehe auch Dalmatien) 536, 680, 687, 710 Kroatisch (Sprache) 775 Kronstadt siehe Braşov Kultusprotektorat in Albanien, österreichisches 663 805
Rezensionen Literaturgeschichte, byzantinische 800 Literaturgeschichte, neugriechische 791 Sibiu 604 Siebenbürgen 604, 728 Sinti 761 Skanderberg (Georg Kastriota) 616 Slowenien 536 Smyrna siehe Izmir Sozialdemokratie (in Serbien) 661 Sozialgeschichte Südosteuropas 690 Split 735 Sprache(n) in der Republik Moldau 766, 786 Sprachenentwicklung 775, 778, 786 Stadtentwicklung im Sozialismus 703 Stadtrechte (deutsche) in Siebenbürgen 604 Stereotypenforschung 524, 587 Makedonien 536, 678, 685, 793 Manastir, Kongress von 782 Martyrologium, deutsches 527 Massenmedien und Geschichte 718 Metaxas, Ioannis 562 Minderheiten, tschechische 760 Moldau, Fürstentum 526, 631 Moldau, Republik 766, 786 Montenegro 536, 566, 596 Ohrid, 14. Internationaler Slavistenkongress 2008 768 Oral History 714 Osimo, Vertrag von 701 Osmanisches Reich 551, 606, 645, 648, 654, 663, 668, 670, 754, 757 Österreich siehe Habsburgerreich Thessaloniki 648 Tito, Josip Broz 562 Tschechoslowakei 673 Ungarn 640, 642, 673 Papadopoulos, George 562 Pavelič, Ante 562 Phanarioten 526 Polen 673 Pontus-Griechen 757 Venedig (Terraferma, Stato da mar) 591 Versailles, Hof von 629 Vlachen 723, 740 Vlad III. Ţepeş, Fs. d. Walachei 574, 728 Volkskunde, griechische 723, 731, 738, 743, 745, 759 Regestensammlung (Oströmisches Reich) 544 Religion in Südosteuropa 569, 731, 733, 747 Revolution v. 1848 640 Rhodopen 753 Roma 761,793 Rumänien 530, 531, 536, 574, 636, 797 Sarakatsanen 738 Serbien 523, 536, 538, 566, 661, 747, 749 Serbisch (Sprache) 775 Serbokroatisch 778 Walachei, Fürstentum 526 Wien, Hof von 629 Wiener Bilderchronik 602 Zadar
620 Zancarolo, Benedictus 543 Živkov, Todor 562 Zogu L, Kg. v. Albanien 562 Zweiter Weltkrieg 533 Zypern 591, 698, 781 806 Südost-Forschungen 68 (2009) Bayerische Staatsbibliothek München |
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